Markus Fauser

Geschichtskultur vs. Lokaldiskurse




  • Uwe Hebekus: Klios Medien. Die Geschichtskultur des 19. Jahrhunderts in der historistischen Historie und bei Theodor Fontane. (Hermaea 99) Tübingen: Max Niemeyer 2003. IX, 313 S. Kartoniert. EUR 52,00.
    ISBN: 3-484-15099-8.


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Die Forschung zu Fontane hat bisher das Verhältnis von Historik und Poesie vernachlässigt. Das wiegt umso schwerer, als im letzten Jahrzehnt vielversprechende Neuanfänge bei der Erschließung der Zusammenhänge von Geschichtswissenschaft und Literatur im 19.Jahrhundert zu verzeichnen sind. Diesem Mangel möchte die Dissertation von Uwe Hebekus abhelfen und reflektiert den aktuellen Forschungsstand auf allen Ebenen. Ausgehend von der Pluralisierung der Repräsentationsformen von Geschichte in der Moderne muss ein überzeugender Ansatz die »Heterogenität der Historismusbegriffe« hinnehmen und sie von den »angelagerten« Begriffen wie Moderne oder Modernisierung zunächst einmal absetzen (S. 12).

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Literatur und Geschichtskultur

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Der einleitende Teil erläutert den Weg der Forschung hin zur Analyse der Geschichtskultur im Sinne von Wolfgang Hardtwig. Am Anfang steht die Verwandlung des Narrativen in das historische Erzählen seit der Goethezeit und die daraus resultierende programmatische Affinität von Historismus und Realismus (S. 15). Der Einbezug medialer Bedingungen und Präsentationsformen von historischem Wissen ermöglicht einen neuen Blick auf Fontane. Zwar bleibt der genaue Status der Geschichtswissenschaft im Verhältnis zur »außeruniversitären« Geschichtskultur (S. 39) nach wie vor umstritten, gleichwohl muss eine Erweiterung des Textbegriffs auch den »verräumlichten Text« (S. 36) beachten, den die Kultur des 19. Jahrhunderts in vielfachen Arten von Gedächtnisorten hervorbrachte. Schon bei den Historikern selber– Ranke und Droysen werden bemüht – hatte das bekanntlich neue Schreibweisen zur Folge. Rankes Orientierung an visuellen Medien (Panorama, Genremalerei, Reliefkarten, touristisches Bildgedächtnis) wie auch Droysens topische Schreibweise seien hier vorbildlich gewesen auch für Fontane.

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Thesen zu Fontane

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Erst in den letzten Jahren sind Fontanes Kriegsbücher näher untersucht worden und Hebekus kann hier einige wichtige Aspekte beisteuern. Schon die Form der Bücher provoziere eine kritische Haltung zur Wahrnehmung von Geschichte im literarischen Realismus. Denn Fontane reflektiere die modernen Veränderungen der Kriegsführung, indem er sie zum einen als Problem der Erinnerbarkeit überhaupt darstelle – schon im Krieg wurden Daten selektiert und Gedächtnislücken gezielt produziert –, und zum andern reagiere er auf die Kriegsberichterstattung, die nicht nur als Konkurrenz zum eigenen Vorhaben fungierte, sondern ein zweites Gedächtnis neben das der Kriegsteilnehmer stellte und mit der öffentlichen Meinung zu spielen vermochte. Fontane nun suchte diese »Entgrenzungen« wieder einzuhegen (S. 132) und darin liege der besondere mediengeschichtliche Wert seiner Kriegsdarstellungen.

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Die Kriegsbücher sind auch deshalb grundlegend für Fontanes Weg zum Realismus, weil sie das Fundament legen für die wenig später einsetzende Abkehr von ereignisorientierten Verfahren der Repräsentation von Geschichte (S. 124). Das zeigen das schmale Kapitel über den Roman Vor dem Sturm wie auch die beiden späten Texte, die zu Kronzeugen für das »Ende« des historistischen Erzählens ernannt werden. Die Poggenpuhls verschränken ein Familiengedächtnis mit der politisch-historischen Ikonographie des Kaiserreichs, nur um die Trennung von privater Erinnerung und öffentlichem Geschichtsprogramm zu belegen (S. 279). Der zweite Text, der die zentrale »Frage nach der Medialität historischer Erinnerung« (S. 203) illustriert, ist Der Stechlin. Viel subtiler als je zuvor hätte Fontane gerade in seinem letzten vollendeten Werk die Problematik der historischen Erinnerung in ein System von Subtexten ausgelagert und in seinem arabesken Text gezeigt, wie man Ereignisse vergegenwärtigt, wie zugleich aber – weil Geschichte hier mit dem Vorzeichen der Unsichtbarkeit versehen sei – die historistische Geschichtskultur mit ihrem zeittypischen Drang zur Sichtbarmachung alles Geschichtlichen »unterlaufen« werde (S. 279). Die immer wieder in die Reden der Figuren eingeflochtenen Erinnerungen, man denke an Czakos Schlachterzählungen, demonstrierten die Ablösung der historistischen Darstellung durch Verfahren einer komplexeren »textura«, welche ausgerechnet diesem Roman die »Poetik einer Historie« unterlegt und ihm das »Programm einer genuin literarischen Historie« zuschreibt (S. 287). Allerdings fehlt diesem Befund die Reflexion über den erzählerischen Modus des Gesprächs, der für eine mediengeschichtliche Untersuchung doch auch von Belang wäre.

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Das Lokale als Bezugsgröße
für die Geschichtskultur

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Es bleiben einige Fragen. Mittlerweile ist es allgemeiner Brauch, dem Historiker Ranke alles zuzutrauen, auch die Medienreflexion über sein Jahrhundert. Wer aber auch nur eines seiner Bücher ganz gelesen hat, wird vorsichtig sein mit Thesen über seinen panoramatischen Blick, den man wahrscheinlich nicht medienhistorisch verorten kann. Überhaupt muss nicht jeder Vergleich in der Einleitung zu einem Text programmatischen Charakter haben und die Reisemetapher gleich eine »Mediengeschichte des Reisens« andeuten (S. 47, 52).

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Wichtiger aber ist die Frage nach dem Zusammenhang von Fontanes Schreibweise mit »der historistischen Epistemologie« (S. 136), die immer wieder in einer Anmerkung behauptet, aber nicht schlüssig nachgewiesen wird. Vielmehr scheinen die Textanalysen bei einer metaphorischen Referenz stehen zu bleiben – ein Problem vieler neuerer Arbeiten. Dass wir aber ein Wort Fontanes Aus den Tagen der Okkupation ganz ernst nehmen sollten, ist sicher: »Im Lokalen steckt in drei Fällen von vier jene poetische Bedeutung, die schließlich, über alles andere hinaus, den Ausschlag gibt.« (S. 175) Hebekus zitiert es selbst und blendet diese Ebene doch ganz aus. Eine Studie, die sich dem »geschichtskulturellen Ort« der Texte widmet, müsste doch auch versuchen, alle Register geschichtlicher Diskurse zu berücksichtigen, die Fontane zur Verfügung standen. Die Reichweite der hoch-kulturellen Diskurse eines Ranke oder Droysen ist eine andere als die der preußischen Generale, mit denen Fontane vorzugsweise über Geschichte diskutiert. Man braucht ja nur die Äußerungen über die Entstehung seiner Texte zu lesen, um zu wissen, welchen Stellenwert das Militär und seine lokalen Traditionen haben. Schließlich finden sich unter den Militärs nicht wenige Historiker und schon im »Tunnel« wurden Bücher über preußische Geschichte verfasst oder besprochen. Selbstverständlich geht es nicht darum, den mediengeschichtlichen Blick zu diskreditieren, aber die Rückversicherung im Lokalen – so unglaublich wichtig für Fontane – hätte für die Studie eine wesentliche Bereicherung bedeutet.


Prof. Dr. Markus Fauser
Universität Vechta
Institut für Geistes- und Kulturwissenschaften
Driverstr. 26
DE - 49377 Vechta

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Ins Netz gestellt am 02.03.2004

IASLonline ISSN 1612-0442

Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Prof. Dr. Daniel Fulda. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Lena Grundhuber.

Empfohlene Zitierweise:

Markus Fauser: Geschichtskultur vs. Lokaldiskurse. (Rezension über: Uwe Hebekus: Klios Medien. Die Geschichtskultur des 19. Jahrhunderts in der historistischen Historie und bei Theodor Fontane. Tübingen: Max Niemeyer 2003.)
In: IASLonline [02.03.2004]
URL: <http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=673>
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