Georg Vogeler

Namenbuch und Wissenschaftsorganisation




  • Dieter Geuenich / Wolfgang Haubrichs / Jörg Jarnut (Hg.): Person und Name. Methodische Probleme bei der Erstellung eines Personennamenbuches des Frühmittelalters. (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 32) Berlin, New York: Walter de Gruyter 2002. 319 S. Gebunden. EUR 128,00.
    ISBN: 3-11-016880-4.


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Paarformeln

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Paarformeln scheinen bei Namenkundlern beliebt zu: So hat sich das überregionale Forschungsprojekt zur frühmittelalterlichen Namenüberlieferung den Namen »Nomen et gens« gegeben (http://www.nomen-et-gens.de/) und schon vor elf Jahren unter diesem Titel in einer Tagung sein Arbeitsgebiet vorgestellt. Gleichzeitig mit dem Erscheinen des Tagungsbandes 1 fand eine zweite Tagung statt, die eine andere Paarformel zum Titel hatte: »Person und Name«. Diese Paarformeln sind zunächst einmal ein aus dem Mittelalter übernommenes Stilmittel. Darüber hinaus zeigen sie jedoch auch, daß das Projekt und die Tagungen zwei Wissenschaften zusammenbringen: Sprachwissenschaftler und Historiker diskutieren produktiv über Namengebung, Personengeflechte und gentile Verhältnisse im ersten Jahrtausend. Wenn ich jetzt also als Historiker den Tagungsband in einem germanistisch ausgerichteten Organ bespreche, dann erfülle ich ganz die Intention der Organisatoren – und bitte gleich um Verzeihung, wenn ich die sprachwissenschaftliche Beiträge weniger gründlich beurteilen kann.

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Die erste Tagung lieferte namenkundliche, linguistische und prosopographische Forschungsergebnisse aus dem Projekt. Der neue Band ist eher an der Arbeitspragmatik ausgerichtet. Er konzentriert sich auf Namenbücher und liefert Erfahrungsberichte, Beispiele, kommentierte Bibliographien und vereinzelte Analysen des zu verarbeitenden Materials, die den Wert solcher Projekte veranschaulichen.

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Organisatorische
Fragen

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Nur der erste Beitrag ist weit weg von diesem Ziel. Heikki Solin (Zur Entwicklung des römischen Namensystems, S. 1–17) versucht den Gründen für den Untergang des klassischen römischen Namenssystems auf die Spur zu kommen.

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Die folgenden Beiträge berichten überwiegend direkt aus den Werkstätten, in denen an frühmittelalterlichen Personennamenbüchern gearbeitet wird. Als gemeinsame Probleme schälen sich dabei die Fragen heraus, wie Kooperation zu organisieren ist, und wie man das Material inhaltlich, zeitlich und räumlich abgrenzt. Die Art der lexikographischen Aufbereitung und die Intensität der Belegdichte scheinen geringere Schwierigkeiten zu bereiten, auch wenn viele Beiträge die Themen ansprechen.

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Systematische inhaltliche Fehler bei der Konzeption aktueller Projekte kann nur Dieter Geuenich in seiner Analyse der Gründe für das Scheitern eines ›Neuen Förstemann‹ (S. 83–100) festhalten. Da die deutschen Ortsnamen zu größeren Teilen auf Personennamen beruhen, war die Entscheidung, zuerst das Förstemannsche Ortsnamenbuch zu überarbeiten, eine falsche, denn den Artikeln fehlten die anthroponymischen Vorarbeiten. Der ›Neue Förstemann‹ hatte aber auch mit organisatorischen Problemen zu kämpfen, die sein Scheitern mitverursachten: Zum einen übersah Bruno Boesch die Möglichkeiten der modernen Informationstechnologie. Zum anderen war die Zusammenarbeit der Regionalstellen untereinander und mit der Zentralstelle unzureichend.

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Dass eine gute Organisation auf Kommunikation beruht, zeigen Dieter Kremers werbende Ausführungen zu Genese, Zielen und Methoden des umfassenden Romanischen Namenbuches PatRom (S. 30–58). Das Projekt hat durch die intensiven internationalen Forscherkontakte und die Einbindung des Nachwuchses wohl Chancen, auch ohne die DFG-Förderung noch beachtliche Fortschritte zu machen.

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Dem Abgrenzungsproblem widmet Martin Heinzelmann in seinem Bericht aus der Arbeit an der ›Gallischen Prosopographie 260–527‹ (S. 18–29) viel Raum, wenn er sein Projekt in Beziehung zur Prosopographie der gallischen Geistlichkeit und der ›Prosopgraphy of the Later Roman Empire‹ setzt. Auch seine Ausführungen über die Rolle des germanischen Adels im römischen Gallien sprechen Zuordnungs- und Abgrenzungsprobleme an: Woran erkennt man einen Germanen?

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Der Bericht von Gerd Kampers zu den ostgermanischen ›gentes‹ und ihren ›regna‹ (S. 221–249) macht einen praktikablen Vorschlag dem Problem gerecht zu werden, dass ›gentes‹ und ›regna‹ nicht kongruent sind. Er zieht im Einvernehmen mit der modernen Ethnogeneseforschung die ›regna‹ als dominantes Organisationsprinzip vor und verwendet die weit weniger scharfe gentile Zuordnung zur Abgrenzung nur in der Zeit vor der Gründung der ›regna‹.

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An der Praxis orientieren sich auch die Beiträge von Herrmann Reichert (Das ›Lexikon der altgermanischen Namen‹, S. 100–104), Robert Nedoma (Altgermanische Anthroponyme in runenepigraphischen und anderen Quellen, S. 105–126), und Jörg Jarnut u. Sascha Käuper (Langobardische Prosopographie und langobardisches Namenbuch, S. 250–264). Sie beschreiben die Struktur der jeweiligen Artikel bzw. der Datenaufnahme. Dabei verweisen die Beiträge von Reichert und Jarnut / Käuper ausdrücklich auf die Perspektive, ihre Arbeit online zu veröffentlichen. Im Beitrag von Nedoma ist die Ungefälligkeit der Lektüre eines sprachlich verknappten und formalisierten gedruckten Lexikonartikels besonders augenfällig. Demgegenüber scheinen elektronische Veröffentlichungen die vorzuziehende Lösung, die Verweise als Hypertext realisieren, Codierungen mit Konkordanzen auflösen können und nicht dem ökonomischen Zwang ausgesetzt sind, Seiten einzusparen.

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Interdisziplinarität der
methodischen Erfahrungen

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Die Beiträge von Hans-Werner Goetz (›gentes‹ in der Wahrnehmung frühmittelalterlicher Autoren und moderner Ethnogeneseforschung. Zur Problematik einer gentilen Zuordnung von Personennamen, S. 204–220) und Wolfgang Haubrichs (Aspekte des philologischen Nachweises der Gruppenspezifität von Personennamen. Methodische Beobachtungen an einem Inschriftencorpus aus dem Poitou, S. 265–279) liefern je aus der Sicht ihrer Disziplin Überlegungen grundsätzlicher Art.

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Goetz referiert die Ergebnisse der historischen Ethnogeneseforschung, die ein Spannungsfeld zwischen zeitgenössischem Gentilbewußtsein und historischer Individualität der Konstellationen, die zu Gentilzugehörigkeit führt, aufgebaut hat. Sein Beitrag liefert zwar einen guten Überblick über die Forschung und die Risiken bei gentiler Zuordnung. Er hilft aber nicht, dem Dilemma zu entkommen, das entsteht, wenn man versucht, Namen ›gentes‹ zuzuordnen, diese aber nicht genau abgrenzt, denn herrschaftliche, familiäre oder regionale Bindungen können gentile jederzeit überlagern und verdrängen. Der Beitrag von Haubrichs liefert dafür aus sprachwissenschaftlicher Sicht Indizien, mit denen Namen mit Hilfe lautlicher, areallexikalischer und morphologischer Methoden bestimmten Gruppen plausibel zugeordnet werden können.

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Wenn so der Eindruck entstünde, die Historiker wären in Relativismus verfangen und auf die harten Fakten der Sprachwissenschaftler angewiesen, so widerspricht das völlig dem bei der Lektüre des Bandes vorherrschenden Eindruck reicher gegenseitiger Befruchtung. Kaum ein Beitrag auch aus sprachwissenschaftlicher Sicht weist nicht auf die Bedeutung der Prosopographie hin, die aus reinen Namen Personen macht und damit dem Namen einen sozialen Ort zuweist.

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Ungewohnte und
gewohnte Quellen
für Personennamen

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Der soziale Ort der Namen steht auch im Vordergrund von Friedhelm Debus Beitrag über seine Pläne eines Lexikons der in literarischen Texten des deutschen Mittelalters enthaltenen Namen (S. 177–194). Neben die etymologische Bedeutung treten Bedeutsamkeit und Ausdruckswert, wie Debus an den Beispielen Hôrant (aus dem Kudrun-Lied) und Sîvrit (aus dem Nibelungenlied) vorexerziert.

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Albrecht Greule hat sich eine andere Quelle für Personennamen gesucht und gerät leicht mit den Beobachtungen von Dieter Geuenich zum Scheitern des Neuen Förstemann in Konflikt, wenn er Personennamen in Ortsnamenbüchern untersucht (S. 305–319). Er plädiert für ein Namenbuch der toponymischen Personennamen vor 800, in dem er nicht die Etymologie in den Vordergrund stellen will, sondern die Siedlungs- und Sozialgeschichte. Dass dabei die sprachliche Form der Personennamen vielleicht noch nicht mit den notwendigen modernen Mitteln untersucht ist, wie es Geuenich als Problem ansprach, übersieht Greule.

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Eine akribische quellenkritische Untersuchung legt Heinrich Tiefenbach in seinem Beitrag zu den Personnamen der frühen Werdener Urkunden vor (S. 280–304).

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Internationalität

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Während auf der ersten Tagung noch eine germanische / germanistische Perspektive vorherrschte, haben 1997 internationale und interdisziplinäre Kollegen ihre Erfahrungen beigetragen. Die Romanistik ist mit zwei Beiträgen vertreten. Schon erwähnt habe ich Kremers Vorstellung von PatRom (S. 30–58). Claudia Maas-Chauveau (Lateinische Namentradition. Bruch oder Kontinuität?, S. 59–83) hat mit der Materialfülle von PatRom gearbeitet und liefert gute Gründe, nur selten direkte Kontinuität von antiken und mittelalterlichen Namen anzunehmen. Die vorhandenen Reminiszenzen kann sie nämlich überwiegend auf »Vermittler« wie einem dem Namen verwandten Lexem oder Heiligennamen zurückführen.

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John Insley stellt die Namenbücher zu den Angelsachsen vor und begründet dringenden Forschungsbedarf in der mangelnden Qualität älterer Arbeiten. Ernst Eichler, der auf der Tagung selbst gar nicht referierte, berichtet über die slavistische Personennamenforschung (S. 195–203) und liefert Beispiele aus den Grenzgebieten, in denen sich germanische und slavische Namenbildung überlagern. Heinrich Beck (Skandinavische Beiträge zur Personennamenforschung, S. 127–147) stellt Runen, Ortsnamen und Texte als Quellen für skandinavische Personennamen vor und berichtet insbesondere von den Projekten der Sveriges medeltida personnamn und der Studia anthroponymica Scandinavica.

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Probleme der Projekte

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Interdisziplinarität, Kooperation, Internationalität, Grundlagenforschung, Europäische Geschichte, neue Medien – viele Schlagwörter des modernen Wissenschaftsbetriebs fallen einem ein, wenn man die Projektberichte, Planungen und ersten Ergebnisse liest, welche auf der Tagung des Projektes »Nomen et gens« vorgetragen worden sind. Dennoch sind die Projektanträge nicht immer erfolgreich. Einzelne Beiträge sprechen Gründe an: So ist die Konzeption des Neuen Förstemann ebenso ungeeignet gewesen, das Projekt erfolgreich voranzubringen, wie die Schwierigkeiten der Koordination zwischen den Arbeitsstellen Probleme bereiteten. Dieter Geuenich scheut sich auch nicht, den persönlichen Anteil eines Gelehrten zu benennen, der als Wissenschaftsmanager hätte fungieren müssen. Die Berichte über gelingende Zusammenarbeit und die kritischen Anmerkungen zu älteren Werken, wie sie insbesondere John Insley liefert, betonen auf anderem Wege, wie wichtig die Persönlichkeit des Forschers ist. Die ausgiebigen und Zeit raubenden Abstimmungsgespräche für PatRom zeugen nämlich ebenso wie die kaum nachvollziehbaren Auswahlkriterien und Lemmatisierungsmethoden William George Searles davon, dass die Gedankenwelt des Einzelforschers nicht leicht vermittelbar ist.

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Die umfangreichen Vorstellungen von Einzelartikeln in verschiedenen Beiträgen verdeutlichen das ein weiteres Mal. Die Bearbeiter widmen den einzelnen Beiträgen viel Akribie, mit der sie die Belege deuten und die Etymologien konstruieren. Dabei geht viel individuelle Einschätzung ein. Die Artikel leiden so unter dem Dilemma, entweder diese Arbeit in großer Knappheit zu verdecken oder in elaborierten Abkürzungssystemen und stark komprimierter Sprache nicht mehr nachvollziehbar zu machen.

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Den von den Referenten angeführten Problemen würde ich deshalb noch ein weiteres anreihen: Die Bedeutung einer Zeit raubenden und auf lange Fristen angelegten Detailarbeit ist nicht jedem Gutachter leicht zu vermitteln. Es wäre vielleicht eine Lösung, die einzelnen Schritte bis zum fertigen Namenbuch deutlich zu machen und sauber zu dokumentieren, was ja an sich eine Selbstverständlichkeit guter wissenschaftlicher Arbeit ist, aber allzu gerne vom gedruckten Endprodukt »Namenbuch« überdeckt wird.

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EDV

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Aus der Sicht eines Fachinformatikers wäre vielleicht zu kritisieren, dass die Autoren immer von »Eingabemaske«, »Formular«, »PC-Aufnahmeprogramm« reden und sich für fehlende Formatierung bei der Datenerfassung entschuldigen, statt ein paar Bemerkungen über die Datenstrukturen und die Technologien, in denen diese modelliert sind, zu machen. Bei den Historikern und Sprachwissenschaftlern hat sich die Erkenntnis noch nicht durchgesetzt, dass 1. die Sprache der Informatik als eine Art Metasprache für Informationsverarbeitung dienen kann und 2. die Strukturen der datentechnischen Erfassung abstrakt diskutiert werden müssen, um mit den Fachinformatikern in einen produktiven Austausch über die Möglichkeiten der Informationstechnologien treten zu können. Doch zeigen beiläufige Bemerkungen wie die von Hermann Reichert, dass die Projektmitarbeiter von »Nomen et gens« Geisteswissenschaftler sind, die für einen solchen produktiven Austausch kompetente und anregende Partner sind: »Mein frühzeitiger Entschluß (1973), das Material dem Computer anzuvertrauen, war sicherlich entscheidend dafür, daß das Projekt zu Ende geführt werden konnte« (S. 102). Aus fachinformatischer Sicht würde ich gerne mit ihnen die Frage diskutieren, ob Technologien für relationale Datenmodelle für ihre Aufgaben nützlicher sind als solche für hierarchisch-sequentielle, wie sie gegenwärtig unter dem Stichwort »XML« gehandelt werden.

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Ein letzter Hinweis in Sachen Fachinformatik ist der, dass die Datenmodelle öffentlich gemacht werden sollten, und zwar nicht nur um als Basis für ähnlich gelagerte Projekte benutzt werden zu können, sondern weil sie vermutlich Teilstrukturen enthalten, die im Umfeld von digitalen Editionen oder historischen Wörterbüchern nutzbar sind. Gemeinsame Datenstrukturen würden auch auf die Arbeit von Namenforschern zurückwirken, denn eine mit Hilfe ihrer Datenmodelle entworfene Edition ließe es prinzipiell zu, automatisiert Namenbelege zu übernehmen.

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Folgetagung

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Im selben Jahr, in dem der Tagungsband erschien, fand in Paris eine weitere Folgetagung des Projektes statt. Die Erfahrungen mit den bisherigen Bänden lassen anregende Projektberichte und Ergebnisse interdisziplinärer Arbeit im zugehörigen Tagungsband erwarten.


Dr. Georg Vogeler
Ludwig-Maximilians-Universität München
Historisches Seminar
Geschwister-Scholl-Platz 1
DE - 80539 München

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Ins Netz gestellt am 09.03.2004

IASLonline ISSN 1612-0442

Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Prof. Dr. Ernst Hellgardt. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Natalia Igl.

Empfohlene Zitierweise:

Georg Vogeler: Namenbuch und Wissenschaftsorganisation. (Rezension über: Dieter Geuenich / Wolfgang Haubrichs / Jörg Jarnut (Hg.): Person und Name. Methodische Probleme bei der Erstellung eines Personennamenbuches des Frühmittelalters. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2002.)
In: IASLonline [09.03.2004]
URL: <http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=688>
Datum des Zugriffs:

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Anmerkungen

Dieter Geuenich / Wolfgang Haubrichs / Jörg Jarnut (Hg.): Nomen et gens. Zur historischen Aussagekraft frühmittelalterlicher Personennamen. (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 16) Berlin 1997.   zurück