Stephan Pabst

Jean Pauls »Philosophie in Metaphern«




  • Maximilian Bergengruen: Schöne Seelen, groteske Körper. Jean Pauls ästhetische Dynamisierung der Anthropologie. (Studien zum 18. Jahrhundert 26) Hamburg: Felix Meiner 2003. X, 262 S. Gebunden. EUR 28,00.
    ISBN: 3-7873-1648-5.


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Bergengruens Arbeit fragt erneut nach dem Verhältnis von Naturwissenschaft – so weit eben davon im 18. Jahrhundert die Rede sein kann – und Literatur bei Jean Paul. Das methodische Unbehagen an der Forschung, das ihn wesentlich motiviert, betrifft deren Einseitigkeit. Entweder, so der Einwand, gelte das Interesse der naturwissenschaftlichen Positionierung oder der metaphorischen Verwendung der naturwissenschaftlichen Bestände, nie aber den Transformationen der »Figuren des Wissens« (Foucault) im Übergang zwischen den Diskursen. Der titelgebende Begriff der »ästhetischen Dynamisierung« versucht die Art dieser Transformation zu fassen. Dabei geht es darum, das zunächst bloß analogisch zu diagnostizierende Verhältnis einer Reihe erkenntnistheoretischer Oppositionen wie Leib / Seele, Materialismus / Idealismus, Amoral / Moral zu ergründen und in den Texten nachzuvollziehen, wie diese Oppositionen in Bewegung geraten. Dabei organisieren die epistemologischen Vorgaben den literarischen Text in doppelter Weise: Als sprachlicher Habitus der Figuren lassen sie sich auf die Opposition Humor / Empfindsamkeit engführen, metaphorisch auf den »grotesken Körper« und die »schönen Seelen«. Der Materialismusverdacht gegenüber der wissenschaftlichen Anthropologie verantwortet die humoristische Tonlage der Romane, gegen die sich die spiritualistisch motivierte empfindsame abgrenzen lässt.

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Aus diesem überzeugend beschriebenen antagonistischen Spannungsgefüge heraus versucht Bergengruen Einsichten über Jean Pauls Romane zu gewinnen. Allerdings belastet er sein Erkenntnisdispositiv mit einer Einschränkung, die Folgen für die gesamte Arbeit hat. Empört sich die Empfindsamkeit gegen die materialistische Reduktion, so erinnert diese doch jene daran, dass die Faktizität der Welt sie jederzeit Lügen Strafen kann. Jean Pauls Schreiben bewegt sich zwischen zwei Polen, die jeder für sich unhaltbar sind. Kommt dies zum Bewusstsein, können seine Texte in eine dritte Haltung kippen, die der nihilistischen Verzweiflung. Hier hält im Schreiben Jean Pauls der Scheincharakter der Literatur einen kritischen Vorbehalt gegen das eigene Unterfangen bereit. Weil Bergengruen seine Arbeit aber auf eine moralphilosophische Aufhebung des Antagonismus in der Literatur – genauer im Konzept des »romantischen Humors« – hin anlegt, muss er die Reichweite dieses Nihilismus auf Thematisierungen auf der Figurenebene beschränken. Es ist symptomatisch, dass die »Rede des toten Christus«, obwohl der Siebenkäs in extenso Gegenstand der Arbeit ist, mit keiner Zeile Erwähnung findet.

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Die Bearbeitung des Vorhabens zerfällt in zwei auch qualitativ höchst unterschiedliche Teile.

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Der erste Teil:
Willkür der Zitate

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Die ersten beiden Kapitel kommen nur bedingt dem erhobenen Erklärungsanspruch nach. Hier unterliegt die Arbeit stellenweise der Schwierigkeit, mit der sich wohl jede Arbeit über Jean Paul auseinanderzusetzen hat. Sie verliert sich in der Vielzahl möglicher Zitate, die im Werk nur einem schwach definierten Zusammenhang angehören, gerade was die Jugendschriften angeht. Kurz: der Rezipient tendiert dazu, sich in der Jean Paulschen Digression zu verlieren. Die besprochenen Texte werden eher als Belegstellen der erkenntnistheoretischen Opposition angeführt, als dass die Romane als solche verhandelt würden. Das setzt ihren Gebrauch einem gewissen Willkürcharakter aus.

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So muss gelegentlich die symmetrisch auf die Oppositionen verteilte Häufung von Zitaten für die eigentliche Erklärung aufkommen. Es ist zwar im Prinzip sympathisch, dass sich der Autor von der geläufigen Klage über Schwierigkeiten der Jean Paul-Lektüre distanziert und die Lust am Text in den Vordergrund rückt, gelegentlich jedoch verführt das den Autor dazu, sich zu sehr auf die Evidenz der Zitate zu verlassen. Die Originalität der Teilüberschriften (»Perestaltik des Schreibens und Exkrementalpoesie«, »Sex, Drogen – Krankheiten«) erweckt so eher den Eindruck, als solle sie die Mängel der Kommentarleistung kaschieren.

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Diese Mängel hängen wohl damit zusammen, dass Bergengruen in diesen beiden Kapiteln die ideengeschichtliche Kontextualisierung knapp, zu knapp gehalten hat. So wird die Beschäftigung mit dem französischen Materialismus avisiert, erschöpft sich dann aber in einem La Mettrie-Zitat. Auch die Bezugnahmen auf Leibniz und Platner beschränken sich auf das Allgemeinste und letztlich aus den Arbeiten Müllers und Košeninas Bekannte. Ebenso hätte man sich die Beschäftigung mit Bonnet ausführlicher gewünscht, gerade weil die Arbeit dessen häufig übersehene oder unterschätzte Bedeutung im Prinzip richtig einschätzt.

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Der zweite Teil:
Vexierspiel von Fichteanismus
und Fichteparodie

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Die Stärken liegen im zweiten Teil der Arbeit. Erst hier wird die von Bergengruen als erkenntnisleitend veranschlagte Kritik eines reduktionistischen Materialismus und eines ebenso reduktionistischen Idealismus auf ideengeschichtlich solide Füße gestellt, in dem er sich sinnigerweise von der Frage verabschiedet, ob Jean Pauls Fichterezeption nun nur als Geschichte eines Missverständnisses oder als originärer philosophischer Beitrag aus dem Geist der Fichtekritik zu verstehen sei und statt dessen die Rekonstruktion des Jean Paulschen Gedankengebäudes an der Auseinandersetzung mit Jacobi befestigt. Indem er diese rezeptionsgeschichtliche Vermittlungsstufe einschaltet, gelingt es mit systematischer Präzision vier Brennpunkte der Beschäftigung mit dem Idealismus ins Auge zu fassen: die prekäre Konsistenz von Fichtes Moral- und Erkenntnistheorie, die Kritik einer im Prinzip infiniten Reflexion, die erstaunliche Annäherung der philosophischen Konsequenzen des Idealismus und des Materialismus, die Kritik am Idealismus als veritablem Traum respektive Wahnsinn. Leidet der Idealist am hypertrophen Ich bei gleichzeitigem Weltschwund, so reduziert der Materialist das Ich auf dessen Physiologie. In beiden Fällen wird die Differenz zwischen Welt und Ich planiert. Bergengruen gelingt es die Denkfigur solch dilemmatischer Konvergenz in einer Interpretation des Titan, v.a. in einer Figurenanalyse Schoppes engzuführen und so das Vexierspiel zwischen der Fichteparodie des materialistischen Humoristen und dem Fichteanismus des wahnsinniggewordenen Materialisten zu erhellen. Die eine Position erweist sich jeweils als pathologisiertes Implikat der anderen.

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Optische Täuschung

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Darin besteht jedoch nicht der einzige Ertrag für die Jean Paul-Forschung. Bergengruen appliziert die aus der Beschäftigung mit dem Idealismus heraus sich stellende Frage nach der Einheit von aufgeklärtem Bewusstsein und Glauben auf den Metaphernkomplex der Optik und der optischen Täuschung. Hier verschränken sich die ideen-, wissenschafts- und metapherngeschichtlichen Interessen der Arbeit. An Albano, dem Protagonisten des Titan, versucht Bergengruen zu zeigen, wie Jean Paul die Illusionen und zahlreichen Täuschungen, von denen die Handlung des Romans in Gang gesetzt wird, als Zeichen des Übersinnlichen deutet, wodurch sie sich für den Protagonisten moralstabilisierend auswirken. Gleichzeitig akzentuiert er die Gegenbewegung, die Insistenz auf ihrem bloßen Zeichencharakter, die sie als bloß heuristische Wunder bewusst hält. Mit Albano löst sich die Spannung zwischen »grotesken Körpern« und »schönen Seelen« in einer dritten Figur, in der des »hohen Menschen«, der sich wieder auf die Welt zu richten vermag.

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»Philosophie in Metaphern«
und literarischer Schein

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Gelegentlich, das bliebe als Mangel anzumerken, erliegt die Arbeit der Gefahr, die hinter jeder ideengeschichtlichen Motivation literarischer Texte lauert. Die Eigenarten des Literarischen werden zu Gunsten philosophischer Problemlösungsstrategien eingezogen. Roquairol als »metaphorische Exemplifizierung der Fichteschen Theorie« (S. 165) zu apostrophieren, scheint denn bei aller Berechtigung der Bezugnahme doch Ausdruck einer unzulässigen Reduktion zu sein.

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Zwar kann sich Bergengruen mit der Lektüre der Romane Jean Pauls als einer »Philosophie in Metaphern« (S. 5) auf einen jüngst von Wolfgang Riedel in die Diskussion eingebrachten Ansatz berufen 1 . Dieser besagt jedoch nicht nur, dass Metaphern für philosophische Fragen aufkommen, sondern auch, dass Philosophie nur noch in Metaphern möglich ist, was die von ihr erhobenen Ansprüche immer schon schwächt. Und diese Umkehrbewegung vollzieht Bergengruen nur bedingt nach. Obwohl er sich darüber im Klaren ist, dass die von der Philosophie Jacobis aufgegebenen Beweislasten (Glauben und Außenwelt) literarisch nicht erbracht werden können, schlägt deshalb diese Erkenntnis nicht hinreichend auf die Bewertung der Jean Paulschen Lösungsstrategien durch. Das hängt wesentlich mit der eingangs angemerkten Hypothek zusammen, mit der sich die Arbeit belastet. Der Schein bleibt als Schein bewusst und enthält die Möglichkeit, sich als leere Illusion zu erweisen. Die Techniken der Illusionierung, von Bergengruen als »Opium von innen« (JP I.3, 550) als Ausweg aus dem Antagonismus von Materialismus und Idealismus gedeutet, bleiben eben immer auch ein Narkotikum.


Dr. Stephan Pabst
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Institut für Germanistische Literaturwissenschaft
Fürstengraben 18
DE - 07743 Jena

Ins Netz gestellt am 17.06.2004

IASLonline ISSN 1612-0442

Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Prof. Dr. Stefan Matuschek. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Natalia Igl.

Empfohlene Zitierweise:

Stephan Pabst: Jean Pauls »Philosophie in Metaphern«. (Rezension über: Maximilian Bergengruen: Schöne Seelen, groteske Körper. Jean Pauls ästhetische Dynamisierung der Anthropologie. Hamburg: Felix Meiner 2003.)
In: IASLonline [17.06.2004]
URL: <http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=722>
Datum des Zugriffs:

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Anmerkungen

Vgl. Wolfgang Riedel: Die Macht der Metapher. Zur Modernität von Jean Pauls Ästhetik. In: Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft 1999, S. 56 –94   zurück