Maria Kafatou

Another Swing of the Pendulum?

Liberale und konservative Darstellungen der Kriminalpolitik in Filmen und im Unterhaltungsfernsehen der USA




  • Timothy O. Lenz: Changing Images of Law in Film and Television Crime Stories. (Politics, Media, and Popular Culture 7) New York: Peter Lang 2003. 192 S. 6 s/w Abb. Paperback. EUR 32,10.
    ISBN: 0-8204-5792-2.


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Der Rückzug des Wohlfahrtsstaates und die Zunahme der Kriminalität in einer Periode wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Wandels hat auch die Kriminalpolitik und die Praxis der Strafjustiz verändert. Dazu gehört z.B. der Niedergang des Rehabilitations-Ideals und die Wiederkehr punitiver Einstellungen bis hin zur Unterstützung der Todesstrafe, die Entwicklung einer vernehmlichen Opferrechtsbewegung, das Auftreten von Null-Toleranz-Politiken, die zunehmende Privatisierung und Kommerzialisierung der Verbrechensbekämpfung sowie die Entwicklung neuer Instrumente zur Risikokontrolle.

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Diese Transformationen werden als Teil des allgemeinen Wandels verstanden, der mit dem Übergang von der Moderne zur ›Late Modernity‹ sowie mit dem Aufstieg neoliberaler Politiken ab den sechziger Jahren in Beziehung gesetzt wird. Während die Moderne auf dem Gebiet der Strafjustiz eng mit Wohlfahrts- und Besserungszielen verbunden war, hat die ›Late Modernity‹ ein Bündel von Risiken, Unsicherheiten und Kontrollproblemen mit sich gebracht, das eine entscheidende Rolle für die Erstarkung konservativer gesellschaftlicher Reaktionen auf Verbrechen gespielt hat, in denen individuelle Verantwortung betont wird und die Politik als ›tough on crime‹ erscheinen will.

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Vor diesem Hintergrund konstatiert Jock Young eine ›Renaissance‹ auf dem Gebiet der theoretischen Kriminologie: »If criminology for most of the last century was founded on why the crime rates were rising, the criminology of the last decade has focused on the rise in punishment in particularly on the aspect of the punitive turn.« 1

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Die Studie von Timothy Lenz, Associate Professor für Politikwissenschaft an der Florida Atlantic University, leistet einen Beitrag zu diesen Themen, indem sie eine nicht-institutionelle und nicht-juristische Betrachtungsweise in die Diskussion einbringt. Lenz untersucht die populärkulturellen Grundlagen der Einstellungen der US-Amerikaner zu Verbrechen und Justiz am Beispiel des Wandels der Darstellungen der Strafjustiz in Produktionen der »Legal Fiction« 2 seit den 1960er Jahren, welche die Veränderungen der öffentlichen Meinung und der Politik von liberalen Ideen zur konservativen Verbrechens- und Justizrhetorik teils widerspiegeln und teils befördern.

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»Legal Fiction«
und die öffentliche Meinung

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Zunächst untersucht der Verfasser den Nutzen der Beschäftigung mit ›Legal Fiction‹ angesichts einer Vielzahl von konkurrierenden ›Faktensendungen‹ wie Kriminalitätsberichterstattung und Court-TV. Zudem stünden Meinungsumfragen und sozialwissenschaftliche Untersuchungen zur Verfügung, mit denen die öffentlichen Einstellungen zu Kriminalität und Strafverfolgung erfaßt werden könnten. Darüber hinaus stellt sich ihm die Frage, ob die Produktionen der ›Legal Fictions‹ überhaupt einen (messbaren) Einfluss auf die öffentliche Meinung über das Verbrechen und die Kriminalpolitik haben (S. 6 f.)? 3

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Lenz thematisiert vor allem die folgenden Aspekte:

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• ›Crime Stories‹ in Film und Fernsehen vermitteln Informationen über die Funktionsweise des Strafjustizsystems, deren ›Richtigkeit‹ oft durch Beratung oder dadurch garantiert wird, dass Autoren auf juristische Fachkenntnisse zurückgreifen können. Auf ›Realitätssättigung‹ verweisen zudem die Darstellungen vertrauter Charaktere und nachvollziehbarer Konflikte. Dadurch werde die herkömmliche Unterscheidung zwischen Berichterstattung und Fiktion unterlaufen (S. 8). Lenz referiert die Kritik der Fachjuristen, die darauf hinausläuft, daß durch diese ›Grenzüberschreitungen‹ die Autorität der Fachdiskurse in Frage gestellt würde (S. 15).

Für die Kriminologie wird jedoch ein anderes Problem wichtig, das Lenz nicht berührt: Die Gesamtheit der Kriminalitätsdarstellungen der audiovisuellen Medien kann von Zuschauern als ›Abbild‹ der Wirklichkeit der Kriminalität verstanden werden. Auch wenn die einzelnen Formate ineinander überzugehen scheinen, stellen sie doch stets nur ausgewählte und redigierte Aspekte dar; sie sind Konstruktionen, 4 die unabhängig von ihrer jeweiligen ›Realitätssättigung‹ unsere Realitätsansichten beeinflussen, und zwar um so mehr, je weniger alternative Informationsquellen vorhanden sind. 5

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• Der Autor ist der Ansicht, dass ›Legal Fiction‹ zumeist mit der Intention produziert werde, einen ›philosophischen Standpunkt‹ zu vermitteln (S. 8). Die dargestellten Geschichten transportierten ein ›Thema‹ oder eine ›Moral‹ (S. 17), die sie für die Rezipienten erst relevant machten, und zwar als Ausdruck von ›universal wisdom about reality‹ (S. 19).

Inwieweit seine Konzeption strukturalistischer Erzähltheorie verpflichtet ist, stellt der Autor leider nicht dar. Doch er geht auf die ›Gerechtigkeit‹ als zeitenübergreifendes Thema ein, das in Konflikten zwischen positivem Recht und Naturgesetz zum Ausdruck komme (S. 9). In Hollywoodfilmen und ›TV Crime Stories‹ werde dies im Kontrast zwischen den Emotionen der ›Laien‹ und der Vernunft der juristischen Fachleute reflektiert (S. 11). Zu sehen, wie ein offensichtlich Schuldiger aus formalen Gründen freikomme, führe beim Zuschauer zu einer ›moralischen Empörung‹ (ebd.), die auch dann, wenn die Gerechtigkeit am Ende nicht obsiege, anzeige, dass die Botschaft angekommen sei.

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• Am ertragreichsten erscheint der dritte Aspekt, den Lenz diskutiert: In der Analyse von ›Legal Fiction‹ wird die Komplexität der Beziehungen zwischen der allgemeinen Politik, der öffentlichen Meinung und der Kriminalpolitik erkennbar. Nach Lenz gibt es grundsätzlich zwei Theorien, die den Zusammenhang zwischen den Medien und der öffentlichen Meinung über Kriminalität und Kriminaljustiz beschreiben können: die ›mirror theory‹ und die ›molder theory‹ (S. 12).

Die ›mirror theory‹ besagt, dass Kinofilme und Fernsehsendungen lediglich die öffentlichen Meinungen, Ansichten und Wünsche reflektierten. Nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage liefern die Produzenten was die Konsumenten verlangen (ebd.). Nach diesem Konzept erklärt der Autor den Wandel vom Liberalismus hin zum Konservativismus. Die ›get tough on crime‹-Botschaft des politischen Konservativismus habe erst den Aufstieg des strafjuristischen Konservativismus verursacht (S. 14). Seit Beginn der sechziger Jahren propagierten Konservative eine Strafjustiz, die empfänglich für die öffentliche Meinung sein sollte; sie warfen der Regierung vor, den Kontakt zu den Bürgern verloren zu haben, rücksichtslos gegenüber der öffentlichen Meinung und abgeschottet gegen öffentliche Kontrolle zu sein (S. 36). Der Umstand, dass in dem Zeitraum, in dem die öffentliche Meinung konservativer wurde, viele ›Crime Stories‹ die wachsende Desillusionierung über liberale Kriminalitätsansichten reflektierten, ist für den Autor der Beweis, dass die ›Legal Fiction‹ in dieser Zeit hauptsächlich öffentliche Meinung reflektiert habe; empirische Belege führt er dafür allerdings nicht an.

Die ›molder theory‹ schreibt den Medien die Funktion zu, die öffentliche Meinung zu formen (S. 12). Demzufolge können die Medien beim Publikum tatsächlich Bedarf für bestimmte Arten von Filmen und Sendungen schaffen, wiederum in der gleichen Weise, wie auch Produzenten anderer Güter die Nachfrage für bestimmte Moden und Modelle generieren können (ebd.). Während der Aufstieg des Konservativismus die ›mirror theory‹ stützt, kann die ›molder theory‹ Anwendung finden, um die Entstehung des liberalen Rechtsmodells zu erklären (S. 14). Für Lenz zeigt sich dies deutlich daran, dass Hollywood in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts sozialbewusste Filme produzierte, in denen beispielsweise die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf die Lynchjustiz gegen die schwarze Minderheit gelenkt wurde. Die Botschaft dieser Filme sei gewesen, dass das Recht der beste Weg sei um Gerechtigkeit herzustellen (S. 15).

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Meiner Ansicht nach übersieht Lenz, dass die Beziehung zwischen Medien, öffentlicher Meinung und (Kriminal-)Politik sehr viel komplizierter ist und nicht auf die Erklärung durch jeweils ein einziges Modell beschränkt werden kann. Die Frage, welche Effekte die Medien auf die Kriminalität, die Kriminalitätswahrnehmung und die Kriminalitätsfurcht haben, war und ist Gegenstand einer breiten wissenschaftlichen Debatte, die bislang eine ganze Reihe kontroverser Forschungsergebnisse erbracht hat. 6 Die neueren Beiträge hierzu befassen sich dabei in erster Linie mit Fragestellungen wie der Zunahme des Populismus im Journalismus und in der politischen Kommunikation, mit der Globalisierung der Medienlandschaft und der Rolle der Medien bei der Emotionalisierung von Fragen, die Kriminalität und Strafe betreffen.

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Analyseübersicht

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Die Auswahl der Kino- und Fernsehfilme folgt der Konzeption, nach der die Medien in der liberalen Phase die öffentliche Meinung geformt, sie aber in der späteren konservativen Phase gespiegelt hätte (S. 3). So entstehen – in historischer Reihenfolge – drei Kategorien: liberale Werke, Übergangswerke und konservative Werke. Als ›liberale Werke‹ bezeichnet Lenz solche, in denen die Darstellung der Strafjustiz am Modell des fairen Verfahrens orientiert ist, dessen Wurzeln sowohl in klassischen Kriminalfilmen der 1930er Jahre als auch in jüngeren Filmen der 1960er Jahre zu finden seien (ebd.). Als ›Übergangswerke‹ werden solche mit ›uneindeutiger Botschaft‹ bezeichnet, die weder liberal noch konservativ seien und im allgemeinen aus der Zeit der späten 1960er und frühen 1970er Jahre stammen, als die Unterstützung für die alte, liberale Ordnung nachließ, ein neues, konservatives Politikmodell jedoch noch nicht als kohärente und vollständig ausgearbeitete Alternative zur Verfügung stand. In den ›konservativen Werken‹ aus der Zeit seit den 1970er Jahren spiegele sich dann die Dominanz des ›crime control models of justice‹ (ebd.).

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Der Autor widmet der Untersuchung jeder der drei Hauptkategorien der ›Legal Fiktion‹ ein eigenes Kapitel, in denen einzelne Filme und Fernsehsendungen detailliert im Hinblick auf die Darstellung von Einstellungen zu Kriminalität und Strafjustiz analysiert werden. In diesen Fällen bietet er zunächst eine kurze – und meiner Ansicht nach oberflächliche – Erläuterung zum ›Hintergrund‹ dieser ›Crime Stories‹, also zum politischen Klima der Zeit und zu den allgemeinen gesellschaftlichen Zusammenhängen, in denen das Werk produziert wurde (vgl. S. 78).

[15] 

Die anschließende eigentliche Analyse der Filme oder Sendungen ist zweigeteilt: Im ersten Teil liefert Lenz eine kurze Zusammenfassung der Handlung, im zweiten Teil erörtert er, was diese Handlung ›bedeutet‹, insbesondere was die verborgene ideologische Botschaft oder – genereller – die ›Moral der Geschichte‹ ist. Zusätzlich zu den Hauptwerken, die im Detail behandelt werden, nennt er andere Werke als zusätzliche Beispiele, um bestimmte Einschätzungen über populäre Darstellungen des Rechts in der ›Legal Fiktion‹ zu untermauern.

[16] 

Keine vernünftigen Zweifel:
Liberale Darstellungen der Kriminalpolitik –
1930 bis 1960

[17] 

Die Handlungen der populärsten Werke der Zeit zwischen 1930 und 1960 unterstützten speziell die Überzeugung, dass die Hauptursachen des Verbrechens soziale Umstände – wie etwa Armut – seien, dass die Anwendung des Rechts professionell und nicht politisch sein sollte, dass ein faires Verfahren ein unentbehrliches Element des Rechts sei, dass eine unabhängige Justiz ein notwendiger Beschützer individueller Rechte sei, und dass Rehabilitation, nicht Rache, das Hauptziel für die Verurteilung von Straftätern sei (S. 45). Der Autor meint, die primäre Moral, die den ›Crime Stories‹ jener Periode zugrunde gelegen habe, sei die Rolle des Rechts als einer positiven Kraft im Kampf für eine gerechte Gesellschaft (S. 73). Die beiden Filme, die er detailliert untersucht – 12 Angry Men / Die zwölf Geschworenen (1957) und To Kill a Mockingbird / Wer die Nachtigall stört (1962) – bestätigen nach seiner Interpretation diesen Befund (S. 74).

[18] 

Die zentrale Botschaft des Films Die zwölf Geschworenen sei, dass das ›adversarial system of justice‹ in einem demokratischen politischen System, in dem das Volk (die Geschworenen) mit einer wichtigen Rolle bei der Rechtsfindung betraut wird, zuverlässig funktioniere (S. 61). Ein zunächst schwer belasteter Angeklagter wird durch das rechtsförmige Verfahren, in dem die Geschworenen die entscheidende Rolle spielen, entlastet. Das System überwindet Apathie, Intoleranz, Emotion und Ideologie. Der Angeklagte mag sogar schuldig sein, doch der Anklage ist es nicht gelungen, dies jenseits vernünftiger Zweifel nachzuweisen (ebd.).

[19] 

Der Ausgang des Verfahrens in Die zwölf Geschworenen verhilft der Gerechtigkeit zum Durchbruch, während in Wer die Nachtigall stört ein Unschuldiger, Angehöriger der schwarzen Minderheit, von einer weißen Jury zu Unrecht schuldig gesprochen wird (S. 68). Lenz konstatiert, dass – obwohl das Recht in diesem Film nicht stark genug ist, um sich gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeiten durchzusetzen – die Moral dieser Geschichte dennoch die Werte des liberalen Strafjustizmodells bekräftigt (S. 74). Die Entrüstung und moralische Empörung des Zuschauers darüber, dass ein Unschuldiger eines Verbrechens schuldig gesprochen werde, weil er schwarz sei, stärke die Unterstützung für Bemühungen, die Rolle des Rechts in der amerikanischen Gesellschaft zu stärken, um Ungerechtigkeiten zu verhindern und zu beseitigen (ebd.).

[20] 

Zweifel:
Der Übergang von ›Links‹ nach ›Rechts‹
in den 1960er und 1970er Jahren

[21] 

Die Darstellungen der ›Übergangsperiode‹ sind (tautologisch) durch ›uneindeutige Botschaften‹ über das Verbrechen gekennzeichnet; sie sind weder rein liberal noch rein konservativ (s. S. 102). Lenz erkennt dies vor allem in den Darstellungen der Strafverfolgungsorgane, den »cop shows« (S. 86). Diese Veränderungen könnten wie folgt zusammengefasst werden:

[22] 

Erstens wird das Anwachsen der Kriminalität als ein ernstes Problem der amerikanischen Gesellschaft dargestellt, das die Fähigkeit des Rechtssystems zur effektiven Kriminalitätsbekämpfung gefährde. Zweitens werde Gewalt als eine notwendige, logische und vielleicht sogar angemessene Reaktion auf Straftaten dargestellt, da das Recht nicht mehr die Kraft zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung habe. Drittens habe das Vertrauen in die Regierung abgenommen (S. 103). Der Liberalismus werde zwar für das Kriminalitätsproblem noch nicht ausdrücklich verantwortlich gemacht, doch seien einige Werte des liberalen Strafjustizmodells bereits aufgegeben worden (ebd.). Die traditionelle Heldenfigur, die von Polizistencharakteren wie Sergeant Friday in Dragnet (1952–57) verkörpert wurde, ist ersetzt worden durch einzelgängerische Verbrechensbekämpfer und Außenseitercharaktere. Popeye Doyle in The French Connection (1971) und Frank Serpico in Serpico (1973) sind Außenseiter-Helden – Regierungsbeamte, die innerhalb des Systems, aber nicht unbedingt als Teil des Systems arbeiten. Die Popularität solcher Charaktere reflektiere das gesunkene Vertrauen in den Professionalismus der Polizei (S. 104).

[23] 

Die Alternative:
Konservative Kriminalpolitik
seit den 1980er Jahren

[24] 

Nach Auffassung von Lenz ist das heutige Denken über Verbrechen nur ein Aspekt der allgemeinen Gegenbewegung gegen den Liberalismus in den USA, die in den späten 1960er Jahren begann (S. 105). In diesem Denkmodell werde die Effizienz der Strafverfolgung zu Lasten des individuellen Rechtsschutzes betont. Dazu gehört, dass der Polizei weite, gerichtlich wenig überprüfte Ermessensspielräume eröffnet würden, damit sie ihrer Ermittlungsarbeit ›ungehindert‹ nachgehen könne (S. 106).

[25] 

Kriminalität wurde in den 1970er Jahren einer der Brennpunkte politischer Auseinandersetzungen, in denen sich die politische Basis des Konservativismus von ihrer traditionellen, elitären ›Country Club Republican Foundation‹ in den Bereich ausgedehnt habe, den Nixon die ›Silent Majority‹ nannte: die Durchschnittsamerikaner aus der Mittelschicht. Die ›law and order‹- Botschaft verfing sowohl bei den Wählern als auch beim Kinopublikum, denn sie spiegelte die öffentliche Meinung wider, derzufolge – so auch Meinungsumfragen – die Gerichte mit den Straftätern zu nachsichtig umgingen (ebd.).

[26] 

In diesem Teil der Untersuchung befasst sich der Autor hauptsächlich mit zwei Hollywoodfilmen und ihren Sequels, die er für repräsentative Beispiele konservativen Denkens über Kriminalität hält (S. 146). Das zentrale Thema von Dirty Harry (1971) sei, dass das Recht zu einem Hindernis in dem Kampf für Gerechtigkeit geworden sei, da liberale, sich auf Verfassungsrechte berufende Gerichtsentscheidungen zu einem Recht geführt hätten, das letztlich Gerechtigkeit (für die Mehrheit) verhindere. Der Film beschreibe eine Gesellschaft, die einen hohen Preis für die überzogene Betonung des fairen Verfahrens bezahle (ebd.). Die Kernaussage des Filmes Death Wish / Ein Mann sieht rot (1974) sei, dass die Bürger berechtigt seien, das Recht in ihre eigenen Hände zu nehmen, wenn die Regierung nicht in der Lage sei, für die öffentliche Sicherheit zu sorgen. Der Film propagiere eine ausdrücklich politische Theorie der Selbstjustiz (ebd.).

[27] 

Beide Filme unterstützten das ›crime control model of justice‹, welches die Bestrafung statt der Rehabilitation sowie das exekutive Ermessen und die politische Verantwortung statt des fairen Verfahrens betone (ebd.).

[28] 

Neue Zweifel:
Ein neue Übergangsperiode?

[29] 

Im abschließenden Kapitel reflektiert der Autor die gegenwärtige Debatte über die Einstellungen zum konservativen ›crime control model‹ und meint die ersten Anzeichen für eine neue Übergangsperiode ausmachen zu können. Er stellt fest, dass die konservativen Ansichten, welche die Kriminalpolitik mehr als dreißig Jahre dominiert hätten, inzwischen verstärkt in Frage gestellt würden (S. 4). Dies gelte insbesondere für die Betonung der Bestrafung und die Inhaftierung an Stelle der Behandlung von Drogendelinquenten; für die Wirksamkeit der Bestrafung Minderjähriger nach Erwachsenenrecht; für den Einsatz exzessiver Polizeigewalt, besonders gegen Verdächtige aus Minderheiten (ebd.). Lenz meint, zwingende Strafzumessungsregeln wie ›three strikes and you are out‹, die für Rückfalltäter automatisch langfristige Gefängnisstrafen vorsehen, hätten ein System individueller Straftatfolgen in ein ›one size fits all‹ System verwandelt, das wenig Raum lasse für eine einzelfallgerechte Rechtsanwendung (ebd.).

[30] 

Kritiker verträten die Ansicht, dass die Null-Toleranz-Politik vieler Schulen, mit denen diese Drogen, Waffen, Sex, Gewalt oder sogar bedrohliche Sprache zu verbannen suchten, dazu geführt habe, menschliches Urteilsvermögen und gesunden Menschenverstand durch drakonische Strafen zu ersetzen (ebd.).

[31] 

Laut Lenz begann das ›Strafjustizpendel‹ in Richtung Konservativismus auszuschlagen, als ein Anstieg der Kriminalitätsrate das Vertrauen in das liberale Strafjustizmodell untergraben habe. Die Stabilisierung – und sogar der Rückgang (insbesondere bei Gewaltverbrechen) – der Kriminalitätsraten habe geeignete Bedingungen geschaffen, um grundlegende Elemente der Kriminalpolitik, insbesondere die Betonung der Bestrafung, zu überdenken (S. 149). Er unterstreicht, dass – auch wenn die Konservativen behaupteten, dass ihr Politik des ›get tough on crime‹ die Kriminalitätsraten gesenkt habe – es zunehmende Widerstände wegen der hohen Inhaftierungskosten und wachsende Zweifel an der Effektivität der Strafen gebe (ebd.).

[32] 

Um seine Hypothese über den Beginn einer neuen post-konservativen Übergangsperiode zu untermauern, betrachtet Lenz jüngere Werke der ›Legal Fiktion‹ – den Film Above the Law (1988) (S. 152) und die Fernsehserie Law and Order (1990) (S. 156) – bei denen die Botschaft wiederum uneindeutig sei; dies bedeute, dass die Regierungspolitik sowohl direkt als auch indirekt kritisiert werde, eine neue Alternative jedoch noch nicht artikuliert worden sei.

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Fazit

[34] 

Es gelingt dem Autor weitgehend, ein kompliziertes und zum Teil kontroverses Thema in einfacher und leicht zugänglicher Art zu behandeln, was das Buch insbesondere für Leser ohne spezielle Interessen oder Kenntnisse interessant und unterhaltsam macht.

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Das amerikanische Strafrechtssystem, seine Organisation und Funktionsweise werden in ihren wesentlichen Grundzügen dargestellt. Lenz zeichnet detailliert die Geschichte der komplizierten Beziehung zwischen Justiz und Politik in den Vereinigten Staaten nach, insbesondere die Spannungen und Konflikte zwischen dem politischen System und dem Rechtssystem, zwischen der naturrechtlichen und der positivistischen Rechtstradition, und vor allem zwischen den liberalen und konservativen Strafjustizmodellen. Der hierüber hinausgehende Wert des Buches liegt in der Erläuterung der Art und Weise, wie diese Konflikte und Spannungen in der populären Fiktion und folglich in der populären Wahrnehmung von Kriminalität und Justiz reflektiert werden.

[36] 

Der Schwachpunkt von Lenz’ Analyse ist jedoch seine allgemeine Tendenz zur Generalisierung und übertriebenen Vereinfachung. Dies gerade auch dort, wo er die Felder umfangreicher wissenschaftlicher Debatten streift, wie zum Beispiel die über den Einfluss (populär-)kultureller Artefakte auf die Meinungsbildung. Auch seine Methodenwahl wirkt teilweise willkürlich, da er sie nicht reflektiert und begründet. Das gilt insbesondere für seine Erklärungen der gesellschaftlichen Wahrnehmungen von Kriminalität und Strafjustiz. 7

[37] 

Im Allgemeinen bewegt sich Lenz auf dem bekanntem Gelände der Medienanalyse und als Folge davon bietet seine Untersuchung keinen innovatorischen Aspekt. Zwei weitere Schwächen des Buches liegen einerseits in der vollkommenen Abwesenheit von Anmerkungen oder Fußnoten bzw. Endnoten und andererseits in den sehr beschränkten ›Refererences‹, die überwiegend aus den behandelten Medienprodukten bestehen.

[38] 

Schließlich hätte Lenz auch – um eine genügende Erklärung der Wandlung von der liberalen zur konservativen Kriminalpolitik liefern zu können – die theoretischen Diskussionen der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Dimensionen des gesellschaftlichen Übergangs zur ›Late Modernity‹ berücksichtigen sollen. Denn, wie er selber betont: »die konservative Politik-Revolution ist nicht über Nacht gekommen« (S. 77).


Maria Kafatou
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht
Günterstalstraße 73
DE - 79100 Freiburg / B.

Ins Netz gestellt am 16.08.2004

IASLonline ISSN 1612-0442

Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Dr. Joachim Linder (1948-2012). Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Natalia Igl.

Empfohlene Zitierweise:

Maria Kafatou: Another Swing of the Pendulum? Liberale und konservative Darstellungen der Kriminalpolitik in Filmen und im Unterhaltungsfernsehen der USA. (Rezension über: Timothy O. Lenz: Changing Images of Law in Film and Television Crime Stories. New York: Peter Lang 2003.)
In: IASLonline [16.08.2004]
URL: <http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=824>
Datum des Zugriffs:

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Anmerkungen

Jock Young: Searching for a Criminology of Everyday Life: A Review of [David Garland: The Culture of Control. Crime and Social Order in Contemporary Society. Oxford: Oxford University Press 2001] In: The British Journal of Criminology 42 (2002), S. 228–261, hier S. 228.   zurück
Lenz verwendet den Begriff »Legal Fiction« für das gesamte Spektrum fiktionaler Darstellungen juristischer Sachverhalte.   zurück
Vgl. dazu Robert Reiner: The Rise of Virtual Vigilantism: Crime Reporting since World War II. In: Criminal Justice Matters 43 (2001) 43, S. 4: »News stories about crime are the most direct channel by which the mass media contribute to the politics of law and order, although in the longer term crime fiction and entertainment are arguably of even greater significance«.   zurück
Ray Surette: Some Unpopular Thoughts About Popular Culture. In: Popular Culture, Crime and Justice. Ed. by Frankie Y. Bailey and Donna C. Hale. Belmont: Wadsworth 1998, p. xiv.   zurück
Für eine detaillierte Analyse der Medieneffekte vgl. Hanna Adoni and Sherril Mane: Media and the Social Construction of Reality. Toward an integration of theory and research. In: Communication Research 11 (1984), S. 323–340.   zurück
Einen guten Überblick über die verschiedenen Theorien zu den Medieneffekten bietet Sonia Livingstone: On the Continuing Problem of Media Effects. In: Mass Media and Society. Ed. by James Curran and Michael Gurevitsch. 2. Aufl. London: Arnold 1996.   zurück
Für eine Analyse der Zuschauerwahrnehmungen von Medientexten vgl. David Morley: Television, Audiences and Cultural Studies. London: Routledge 1992; sowie John Fiske: Television Culture. London: Routledge 1987.   zurück