Joachim Gruber

Lateinische Sprache in den
deutschsprachigen Ländern




  • Eckhard Keßler / Heinrich C. Kuhn (Hg.): Germania latina - Latinitas teutonica. Politik, Wissenschaft, humanistische Kultur vom späten Mittelalter bis in unsere Zeit. 2 Bände. (Humanistische Bibliothek, Reihe I: Abhandlungen 54) Paderborn: Wilhelm Fink 2003. IX, 1034 S. 20 s/w Abb. Gebunden. EUR 116,00.
    ISBN: 3-7705-3815-3.


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Von Origenes
zur Hochschulreform

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Die beiden gewichtigen Bände enthalten die Vorträge des unter gleichem Titel veranstalteten internationalen Kongresses in München vom 10. – 13. September 2001. Laetitia Boehm führt in ihrem Eröffnungsbeitrag »Latinitas – Ferment europäischer Kultur. Überlegungen zur Dominanz des Latein im germanisch-deutschen Sprachraum Alteuropas« souverän in die Thematik ein. Ihr Anliegen ist es, »die geschichtliche Rolle der Latinitas im Korrelat zur Volkssprache zu beleuchten« (S. 22). Reich dokumentiert werden zunächst die Begriffe »Germania«, »latinitas teutonica vel theodisca«, »heiliges römisches Reich deutscher Nation« und »Europa« diskutiert. Als »Fundamente langzeitiger Dominanz der Latinitas in Europa« sieht Boehm zunächst die Übersetzungskulturen von der Hexapla des Origenes bis zu den Übersetzungen der griechischen Philosophie durch Boethius und vor allem durch die Araber sowie aus dem Arabischen ins Lateinische, woran sich die Frage schließt, um welches Latein es sich bei dieser epochenübergreifenden Latinitas handele. So kommen denn die Begriffe »Mittellatein«, »Küchenlatein« und »christliches Latein« in das Blickfeld. Ein weiteres Fundament ist die germanisch-römische Kulturbegegnung, diskutiert im Kontext der Frage nach der Entstehung der deutschen Sprache. Ein anderes Kapitel widmete sich unter dem Titel »Herausforderungen der Latinitas seit dem 14. Jahrhundert« dem Verhältnis von Latein und Muttersprache bis hin zum Neuhumanismus. Die abschließenden Überlegungen beziehen sich auf die heute vielfach verkannten Bedeutungen der Philosophischen Fakultäten. Möge gerade für sie der von Laetitia Boehm zitierte Satz des Althistorikers Alexander Demandt gelten: »Die Antike ist eine Schule, in welche die Absolventen immer wieder zurückgekehrt sind, in der sie nie ausgelernt haben«.

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Grundlegendes und Marginales

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Die fünf Plenarvorträge des Kongresses haben sehr unterschiedliches Gewicht. Walther Ludwig (»Latein im Leben: Funktionen der lateinischen Sprache in der frühen Neuzeit«) greift die viel diskutierte Frage nach der Lebendigkeit, dem Leben des Lateinischen vom Anfang des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts auf. Die den Ausführungen vorangestellten vier Fragenkomplexe werden in unterschiedlicher Ausführlichkeit behandelt. Zunächst zeigt Ludwig die Verbreitung des Lateinischen in den Bildungsanstalten der Zeit auf, wo es als Unterrichtssprache dominierte, wobei Anspruch und Wirklichkeit sicher öfters auseinanderfielen, 1 fernerhin den Gebrauch des Lateinischen als Korrespondenz- und Wissenschaftssprache der humanistisch Gebildeten und die Präsenz lateinischer Texte auf Objekten der baulichen und bildenden Künste. Der Wert dieses Überblicks liegt weniger in den weitgehend bekannten Fakten als vielmehr in der außerordentlich reichen Dokumentation durch teilweise entlegene Publikationen und in den anregenden Hinweisen auf Forschungsdefizite. 2 Ludwigs eindringlicher Appell an die Latinistik, sich diesen Texten interdisziplinär zuzuwenden, wird allerdings voraussichtlich beim Gros der Fachvertreter, die sich eben in selbst gewählter Beschränkung mehr als »Klassische Philologen« denn als Latinisten einer umfassend betrachteten Latinitas verstehen, ungehört verhallen. Ein vergleichbares Desiderat ist die Frage, wie gerade in zweisprachigen Texten das Deutsche durch das Lateinische beeinflußt wurde. Auch hier ist die interdisziplinäre Forschung gefordert, für die Ludwig in seinem Beitrag wichtige Anstöße gibt.

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Klaus Garber (»Späthumanistische Verheißungen im Spannungsfeld von Latinität und nationalem Aufbruch«) diskutiert die Rolle des Lateinischen als »Medium der Artikulation und Kommunikation« (S. 113) innerhalb der theologischen, machtpolitischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen um 1600. Auch sein Beitrag hat, nicht zuletzt dank der Dokumentation, fundamentalen Charakter. Die Anregungen zu weiterführender Forschung sind wegweisend, so etwa nach einer »Topographie des Humanismus im alten deutschen Sprachraum« (S. 115), exemplarisch erörtert an der Situation der Kurpfalz und dem offensichtlich kaum zu überblickenden Reichtum an Dokumenten zum intellektuellen Leben Schlesiens sowie an der zentralen Rolle des Martin Opitz in einem »Prozeß der Umpolung« (S. 135) vom Lateinischen zum Deutschen.

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Unter dem Titel »Ocean Blue: Epistolae teutonicis complatonicis tribus« bespricht Michael J. B. Allen Briefe des Marsilio Ficino aus dem Epochenjahr 1492 an die drei complatonici Paul von Middelburg, Martin Prenninger (Martinus Uranius) und Graf Eberhard VI. von Württemberg über das Thema einer Universalsprache, ihre Beziehungen zu anderen Sprachen und die Funktion von Sprache in einem platonischen System. Die Ephemerides des Regiomontanus erfassen aufs neue, wie schon Zoroaster, die ewige Sprache der Sterne, führt Ficino an den Astronomen Paul von Middelberg aus. Die Verbindung des Herrschers mit der platonischen Idee einer geistigen Sonne des Guten wird im Brief an Graf Eberhard thematisiert, die Korrespondenz mit Uranius behandelt orphische Dichtung. Und was das Verhältnis Ficinos zum Lateinischen betrifft, kommt Allen zu dem Schluß:

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Ficino’s sympathetic attitude towards his own vernacular on the one hand, and his lifelong engagement with Greek on the other meant that he never privileged Latin in his own mind, even though the bulk of his scholarship and of his own theological and philosophical speculation is in the Scholastic Latin of the medieval school tradition. (S. 154)
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Die Reihe der Plenarvorträge schließt mit zwei höchst unterschiedlichen Beiträgen. Pierre Lardet gibt einen materialreichen Überblick über Werk und Rezeption des Julius-Caesar Scaliger (»Les ambitions de Jules-César Scaliger latiniste et philosophe (1484–1558), et sa réception posthume dans l’aire germanique de Gesner et Schegk à Leibniz et à Kant«). In ihm werden nicht nur die stupende Fülle der Produktion Scaligers, ihrer Publikation, aber auch ihrer Verluste anschaulich vor Augen geführt, sondern auch die divergierenden Bewertungen durch die Rezipienten. Wilfried Stroh präsentiert Exempla aus dem Werk des von ihm hoch geschätzten Jan Novák (quali homine! quali musico!).

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Alle folgenden Einzelbeiträge des Sammelbandes sind historisch gegliedert, was angesichts der Fülle der Themen und Aspekte (deren Einzeldiskussion den Rahmen der Rezension sprengen würde), aber auch des Unterschieds der Ausarbeitung das wohl einzig mögliche Ordnungsprinzip darstellt.

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Varia variorum I:
Vom Frühhumanismus zum Späthumanismus

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Dem 15. Jahrhundert sind vier Beiträge gewidmet. Zum Thema des Städtelobs sind in jüngster Zeit wichtige und gewichtige Arbeiten erschienen. Von ihnen geht Francesco Tateo in seinem kurzen Beitrag »Urbanesimo e cultura umanistica nella latinità germanica« aus, in dem er verschiedene Laudes unter Aspekten wie »Rhetorik«, »ideale Stadt«, »Stadtregiment« und anderen anspricht. Ein noch knapperer Beitrag von Concetta Bianca behandelt »Libri, copisti e stampatori tra Roma e la Germania«, leider ohne Quellennachweise. Cesare Vasoli bespricht Rudolf Agricolas Vita Petrarcae, gesehen als vindex restitutorque literarum und als Führer für alle, die den schwierigen Weg der renovatio litterarum et studiorum beschreiten wollen (S. 257). Fidel Rädle gibt »Einige Bemerkungen zu Reuchlins Briefwechsel« aus Anlaß des Erscheinens der ersten beiden Bände der Briefedition mit evidenten textlichen Verbesserungen und sachlichen Ergänzungen zu einzelnen Stellen.

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Das 16. Jahrhundert, also die Zeit der Reformation und des Späthumanismus und wohl auch das Goldene Zeitalter der Germania latina, ist mit 16 Beiträgen am stärksten vertreten.

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Jan Noble Pendergrass handelt über »Humanismus und Theologie in Johannes Altenstaigs Opus pro conficiundis epistolis (1512)« und stellt diesen Briefsteller des Mindelheimer Humanisten in den zeitgenössischen Kontext dieser Textsorte. Einen materialreichen Beitrag zur humanistischen Reiseliteratur gibt Luigi Rossi. Unter dem geradezu barocken Titel »Caminum Basle e caminum Norimbergä [sic!]: I passi del San Gottardo e del Brennero come portali eonomico-culturali (1200–1600) – persone, sentieri, merci e cultura tra Nord e Sud« bespricht Luigi Rossi Dokumente zu Reisen und Handelsverkehr über die Gotthard- und Brenner-Route. 3 Carl Joachim Classen zeigt in seinem Beitrag »Neue Elemente in einer alten Disziplin – Zu Melanchthons De Rhetorica libri tres«, wie Melanchthon »es für notwendig hält, die traditionelle Rhetorik durch einige elementare und grundlegende Aspekte der Dialektik zu ergänzen« (S. 330, aufgelistet S. 331). Die ausgezeichnet dokumentierte Untersuchung führt über Melanchthon hinaus in weite Bereiche der antiken und mittelalterlichen Rhetoriktheorie.

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Eckhard Bernstein bespricht die Bedeutung des Lateinischen für die Herausbildung eines humanistischen Standesbewußtseins (»Group Identity Formation in the German Renaissance Humanists: The Function of Latin«): Neben die Gründung von sodalitates, einen intensiven Briefwechsel, freundschaftliche Beziehungen und Reisen als gemeinschaftsbildendem Element tritt das Lateinische und die Annahme lateinischer Namen (S. 378). Sabrina Ebbersmeyer handelt über »Lateinische Werke über Frauen in deutschen Übersetzungen der Renaissance«. Benedikt Konrad Vollmann untersucht »Deutsch und Latein in der spätmittelalterlichen Naturkunde«. Er demonstriert am Beispiel der Rezeption Hildegards von Bingen im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, daß sich »an der Naturkunde modellhaft ein umfassender Begriff von Germania latina aufzeigen lässt« (S. 411). Das Zurückdrängen der deutschen Wörter des ursprünglichen Hildegard-Textes zugunsten lateinischer Begriffe in den Abschriften und Drucken der frühen Neuzeit deutet Vollmann überzeugend als »Bemühen um sachliche Richtigkeit und sprachliche Eindeutigkeit« (S. 415). 4 In den humanistischen Schulbetrieb führt Volkhard Wels mit seinem Beitrag »Humanistische Ars und deutsche Sprache in Ortholph Fuchsbergers Dialectica deutsch (1533)«. Das neue humanistische Verständnis von Ars als »ein angeborenes Vermögen, das durch den Schulunterricht ausgebildet und vervollkommnet wird«, gilt auch für die Dialektik, die aus »dem natürlichen Gebrauch der Argumente« abgeleitet werden kann. Es muß also auch möglich sein, in der deutschen Sprache logisch zu argumentieren (S. 422).

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Eine eigene Gruppe von Beiträgen ist den Beziehungen des deutschen Humanismus zu den Nachbarländern gewidmet. James Michael Weiss behandelt unter dem Titel »Kennst du das Land wo die Humanisten blühen« mit ausführlicher Bibliographie »References to Italy in the Biographies of German Humanists«. Über ein erst in jüngster Zeit erschlossenes Forschungsgebiet berichtet Günter Frank: »Melanchthon und Skandinavien – Bilanz und Perspektiven der Forschung«. Der Beitrag wird ergänzt durch Bernhard Coppel »Johannes Franciscus Ripensis und der Einfluß des ›Praeceptor Germaniae‹ auf Wissenschaft und Geistesleben in Skandinavien«. Jerzy Starnawski erörtert »Die Beziehungen des Humanisten Georg Sabinus (1508–1560) zu Polen«. Den Blick nach Dänemark richtet Minna Skafte Jensen: »16th Century Nationalism: The Case of Erasmus Laetus« und leitet damit chronologisch zum Späthumanismus über, der durch folgende Beiträge repräsentiert ist: Lee Piepho: »German Literary Humanism in Elizabethan England: The case of Edmund Spenser«, Jan Papy: »Justus Lipsius and the German Republic of Letters: Latin Philology as a Means of Intellectual Exchance and Influence«, Peter Zeeberg: »Heinrich Rantzau (1526–98) and His Humanist Collaborators. The Examples of Reiner Reineccius and Georg Ludwig Froben«, Svavar Hrafn Svavarsson: »Greatness Revived: The Latin Dissemination of the Icelandic Past«.

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Varia variorum II:
Vom 17. Jahrhundert in die Zukunft

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Den Themen und Beständen lateinischer Texte des 16. und 17. Jahrhunderts aus Schule und Universität, dabei auch der Ordnung der Artes, gilt der Beitrag von Joseph S. Freedman: »When the Process is Part of the Product: Searching for Latin-Language Writings on Philosophy and the Arts used at Central European Academic Institutions during the Sixteenth and Seventeenth Centuries«. Melanchthons Einfluß, den schon eine Reihe von Beiträgen thematisiert hatte, wird noch einmal an einem besonderen Beispiel deutlich. Boris Djubo behandelt »Die Wichtigkeit von Melanchthons ›Grammatica Latina‹ für die Entwicklung der russischen grammatischen Theorie Ende des 16. bis Anfang des 17. Jahrhunderts – Die Vergleiche zwischen den kirchenslavischen Grammatiken von L. Zizanij und M. Smotrickij und den lateinischen und griechischen Grammatiken in der Genusbehandlung«. In die Propagandaliteratur des Dreißigjährigen Krieges führt Hans Helander: »The Gustavis of Venceslaus Clemens«. Nach dem Tode des Schwedenkönigs 1632 entstanden nicht weniger als vier lateinische Epen zu seiner Verherrlichung, darunter die neun Bücher Gustavis des Böhmen Venceslaus Clemens (1589–1640?), die Helander an ausgewählten Textbeispielen vorstellt. Heinrich C. Kuhn hat unter intensiver Auswertung der bestehenden elektronischen Datenbanken die Rolle des Lateinischen in Ingolstädter Drucken untersucht: »Titel, Themen, Sprachen, Bücher: Latein und Deutsch in Ingolstädter Veröffentlichungen des 15. bis 18. Jahrhunderts«. Das im Grunde nicht überraschende Ergebnis lautet: die prädominante Sprache ist Latein (S. 625), wobei die Untersuchung deutlich macht, daß das Lateinische besonders hoch in den Gebieten Philosophie, Dichtung, Medizin, Rhetorik und Grammatik vertreten ist (S. 631).

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In weiteren, durch Diagramme veranschaulichten Einzeluntersuchungen wird der Anteil des Lateinischen in den einzelnen Fächern und Gebieten weiter ausdifferenziert. Marc Laureys stellt die Historia sacrae Latinitatis des Jesuiten Melchior Inchofer in den Kontext der Gegenreformation (»Latin as Language of the Blessed: Melchior Inchofer on the Excellence and Dignity of the Latin language«). Latein ist die seit Noah unveränderte Sprache der Kirche. »Inchofers’s position was to elevate Latin as much as possible above history« (S. 676). Unter dem Titel »Latein und Großmacht« bespricht Bo Lindberg »Das Latein im Schweden des 17. Jahrhunderts«. Neben dem Vergleich mit Rom als Großmacht und dem Ruhm, selbst lateinische Dichter und Redner zu haben, »gewährte das Latein eine prestigevolle sprachliche Arena, wo das glorreiche Schweden den Ausländern vorgezeigt werden konnte« (S. 690). Einen im wesentlichen tabellarischen Überblick über die utopische neulateinische Literatur gibt Walter Berschin: »Neulateinische Utopien im Alten Reich (1555–1741)«. Es geht ihm um »die Rezeption der neulateinischen Utopien in der Nachfolge des Morus« (S. 701), und er kommt zu dem Schluß: »Der Erfolg der neulateinischen Utopisten auf dem Reichsgebiet könnte nicht zuletzt ihrer Nähe zur Reichspublicistik zu verdanken sein« (S. 704).

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Unter den fünf Beiträgen, die dem 18. Jahrhundert gewidmet sind, bespricht Karen Skovgaard-Petersen »The First Post-Medieval History of Norway in Latin: The Historia Rerum Norvegicarum (Copenhagen 1711) by Tormod Torfaeus«. Der schwedische Naturforscher, aber auch Theologe Carl von Linné führte eine ausgedehnte, weltweite Gelehrtenkorrespondenz. Seinen besonderen Beziehungen zu Deutschland hat Ann-Mair Jönsson einen Beitrag gewidmet: »The Reception of Linnaeus’s Works in Germany with Particular Reference to his Conflict with Siegesbeck«. Diskutiert und kritisiert wurde Linnés Pflanzensystematik unter botanischen wie theologischen Aspekten. In dieser Kritik tat sich Johann Georg Siegesbeck hervor, zuletzt Direktor des botanischen Gartens von St. Petersburg. Eine Liste der deutschen Korrespondenten Linnés beschließt diesen wissenschaftsgeschichtlichen Beitrag. An den nach Amerika ausgewanderten Dänen Christian Wedsted (1720–1757) erinnert John M. McMahon: (»›Ein guter lateinischer Poet‹: A Latin Lyricist on the Colonial Pennsylvania Frontier«). In die schwedische Wissenschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts führt Outi Merisalo: »The Querelle des Anciens et des Modernes at the Academia Aboensis in the Eighteenth Century«. Dietfried Krömer widmet seinen Beitrag der Geschichte der lateinischen Lexikographie: »Selbstverständlichkeiten? Zweisprachige Wörterbücher seit dem 16. Jahrhundert«. Thorsten Burkard bespricht »Die lateinische Grammatik im 18. und frühen 19. Jahrhundert – Von einer Wortarten- zu einer Satzgliedgrammatik. Ellipsentheorie, Kasuslehre, Satzglieder«. Ein Kapitel aus der Geschichte der Klassischen Philologie behandelt Richard J. Schoeck: »From Lachmann to P. S. Allen: A chapter in the History of Classical Scholarship«.

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Dem 20. Jahrhundert, der Gegenwart und der Zukunft sind die letzten sieben Beiträge gewidmet. Armando Rigobello handelt, sparsam dokumentiert, über »L’idea di umanesimo nella cultura germanica e italiana del Novecento«. Uwe Dubielzig erinnert in der von ihm gewohnten akribischen Weise an den Indologen und Neulateiner Hermann Weller und interpretiert seine Elegie Y (»Die neue Königin der Elegien«). Mit dem Humanismus Ernesto Grassis beschäftigt sich Claudia Razza (»Ernesto Grassi: L’umile potenza del suo umanesimo«). Den wohl bekanntesten deutschen neulateinischen Dichter, Josef Eberle, würdigt Monika Balzert (»Nicht für den Tag: Joseph Eberles Triumph der Memoria«). Von den Höhen neulateinischen Dichtens in die philologisch durchaus reizvollen Ebenen prosaischer Fachsprache führt Peter Dilg: »Apothekerlatein. Zur Entwicklung und Struktur der pharmazeutischen Fachsprache«. Unter dem Titel »De Latine loquendo et scribendo hodiernis temporibus« betrachtet Caelestis Eichenseer vor allem Neologismen und die korrekte Aussprache des Lateinischen. In Blick auf die Zukunft ist am Schluß die Rolle, Didaktik und Methodik des Lateinischen als Schulfach und in Universitätskursen thematisiert (Knut Usener: »Vom Frust zur Lust. Latein im gebildeten Deutschland des 21. Jahrhunderts«). 5

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Fazit

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Sammelbände von Kongreßvorträgen sind in aller Regel ein qualitativ und quantitativ sehr unterschiedliches Werk. Das gilt auch von dem hier angezeigten. Um so mehr könnte eine sorgfältige Redaktion derartige Textkonglomerate aufwerten. Verweise zwischen den einzelnen Beiträgen sucht man vergebens. Indices sind nur durch einen Index nominum vertreten, in dem antike Namen, 6 Humanisten (jedoch nicht ihre Werke!) und moderne Autoren wissenschaftlicher Beiträge (ebenfalls mit bemerkenswerten Lücken) aufgelistet sind. Falsche griechische Akzente (besonders S. 341, Anm. 58 f.) lassen ebenso wie zahlreiche Druckfehler in anderen Beiträgen des Sammelbandes auf eine eher flüchtige Redaktion schließen. Kurze biographische Notizen über die einzelnen Beiträger wären ebenfalls erwünscht. Gleichwohl liegt hier eine Fülle von Information zu dem gewählten Kongreßthema vor, die nicht nur den aktuellen Stand der neulateinischen Forschung für das Latein im deutschsprachigen Raum dokumentiert, sondern auch zahlreiche Anregungen für weitere Untersuchungen gibt.


Prof. Dr. Joachim Gruber
Haselhofstraße 37
DE - 91058 Erlangen

Ins Netz gestellt am 09.12.2004

IASLonline ISSN 1612-0442

Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Prof. Dr. Gernot Michael Müller. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Julia Ebeling.

Empfohlene Zitierweise:

Joachim Gruber: Lateinische Sprache in den deutschsprachigen Ländern. (Rezension über: Eckhard Keßler / Heinrich C. Kuhn (Hg.): Germania latina - Latinitas teutonica. Politik, Wissenschaft, humanistische Kultur vom späten Mittelalter bis in unsere Zeit. 2 Bände. Paderborn: Wilhelm Fink 2003.)
In: IASLonline [09.12.2004]
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Datum des Zugriffs:

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Anmerkungen

Das S. 79, Anm. 12 zitierte Beispiel entspricht vermutlich nicht selten stärker der Realität als die Vorstellung von einem korrekten und lebendigen Schullatein in dieser Zeit.   zurück
Ludwig erinnert S. 95 mit Recht an die verschiedenen Interessenlagen der Kunstgeschichte und der Philologie bei Objekten der bildenden Kunst, die mit lateinischen Inschriften versehen sind. Dagegen stellen der jüngst von Thomas Schauerte herausgegebene Katalog Albrecht Dürer – Das große Glück. Kunst im Zeichen geistigen Aufbruchs. Unter Mitarbeit von Birgit Münch. Bramsche: Rasch Verlag 2003; oder die Arbeiten von Peter Luh zu den Celtis-Holzschnitten (Kaiser Maximilian gewidmet. Die unvollendete Werkausgabe des Conrad Celtis und ihre Holzschnitte. Frankfurt / Main 2001, besprochen in Gymnasium 109, 2002, 558–559 sowie in IASLonline [URL: http://www.iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/gruber2.html, 10.06.2002]; P. L.: Der Allegorische Reichsadler von Conrad Celtis und Hans Burgkmair. Frankfurt / Main 2002, besprochen in IASLonline [URL: http://iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/gruber3.html, 26.02.2003]) bemerkenswerte und zukunftsweisende Ansätze zur Überwindung der starren Fächergrenzen dar, indem sowohl den Darstellungen wie den Texten die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt wird.   zurück
Seine Bemerkung, die Route über den Reschenpaß »sembra non facesse parte della categoria delle vie principali« (S. 287) bedarf wohl angesichts der Forschungen von Wolfgang Czysz zur Via Claudia Augusta (vgl. Wolfgang Czysz u.a.: Die Römer in Bayern. Stuttgart 1995, S. 528–532) der Revision.   zurück
Die Formulierung »Naturkunde war kein Gegenstand, das [sic!] die Humanisten interessierte« (S. 415) bedarf vielleicht der Modifizierung, wenn man an das Lob der Medizin und ihrer »Hilfswissenschaften« wie Botanik oder Mineralogie in Agricolas Rede zum Preis der Philosophie oder an Celtis’ verwandte Formulierung in der Panegyris 112 ff. denkt. Gleichwohl ist die Differenz zwischen theoretischem Postulat und konkreter Ausführung nicht zu übersehen.   zurück
Der Kritik an der Cäsar-Lektüre (S. 968 f.) ist vorbehaltlos zuzustimmen. Die von Usener angesprochene »Verkrustung der inhaltlichen Unterrichtsvorstellungen und die Einseitigkeit der Textauswahl« sind aber auch einigen Vertretern der universitären Fachdidaktik zuzurechnen. Bedenkenswert sind auch die Äußerungen zu den Latein-Kursen an den Universitäten und die dort notwendige Motivation.   zurück
Die Auswahl ist offensichtlich eklektisch und willkürlich, wie etwa die Aufnahme vereinzelter Namen aus dem Gedicht des Erasmus Laetus S. 508 ff. zeigt.   zurück