Christoph Mezger

Demokratie - ein systemtheoretisches Fascinosum

Über das neue Werk des Sozialphilosophen Johannes Heinrichs zur Demokratietheorie




  • Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. Eine Realutopie für die schweigende Mehrheit. Berlin: Maas 2003. 444 S. Gebunden. EUR 22,80.
    ISBN: 3-929010-92-5.


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Dieses Buch markiert einen Einschnitt in der Demokratie-Literatur. Zunächst soll ein Überblick über die 11 Kapitel des Werkes gegeben werden. Der Autor hat jedem der stringent aufeinander folgenden Kapitel jeweils einen Doppeltitel gegeben, einen formalen (wie »Einführung« oder »Die praktische Kernforderung«) und einen inhaltsbetonten. Der zweite wird hier kursiviert wiedergegeben.

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Überblick

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Kapitel I »Einführung. Vom Schlagwort zum Reizwort« stellt die Frage, ob mit dem 20. Jahrhundert bereits dasjenige der Demokratie hinter uns liegt, oder ob Demokratie nicht vielmehr eine noch vor uns liegende Gestaltungsaufgabe darstellt. Der Autor unternimmt einen »Kleinen Hindernislauf durch beliebte Vorurteile«, angefangen von Churchills Ausspruch, Demokratie sei eine ziemlich schlechte Staatsform, aber es gebe keine bessere, bis hin zu den derzeit (seit 2003) so genannten Reformen in Deutschland. Heinrichs hält den insgesamt zehn Halbwahrheiten entgegen, dass Demokratie nicht einmal als Denkaufgabe ›zünftig‹ erfasst sei (was allzu systemkonforme Politologen ärgern wird), viel weniger irgendwo zureichend realisiert sei. Dass auch ein Ausweichen in die Nischen von Reformgruppen den ›Gesellschaftsspielen auf der Titanic‹ gleichkomme, für welche die Weimarer Republik schon als warnendes Beispiel stehe. Die politische Wissenschaft würde ihren Teil dazu beitragen, die faktische Unzufriedenheit der Menschen, vor allem mit dem Parteiensystem und dem derzeit besonders gut zu beobachtendem Kurieren an Symptomen, wegzudisputieren.

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Kapitel II »Geschichtliche Orientierung. Demokratie von gestern« analysiert Demokratie als eine sehr junge und ungare Regierungsform einerseits, deckt andererseits die Merkwürdigkeit der Geschichtsschreibung auf, dass uralte, frühgeschichtliche Formen des Zusammenlebens und Mitentscheidens, zum Beispiel auf dem germanischen Thing (wovon die Formen direkter Demokratie in deutschen Reichsstädten wie heute in der Schweiz Überbleibsel seien), nicht zur Demokratiegeschichte gezählt werden. Bei der Übersicht über aktuelle Demokratietheorien stützt er sich auf Manfred Schmidts Kompendium Demokratietheorien (Opladen: Leske & Budrich, UTB, 3. Aufl. 2000) und bringt kritische Fragen an, die er selbst zu beantworten verspricht. 1

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Das Kapitel III. bietet den »Systematischen Grundansatz.Vom handelnden Menschen zum sozialen System – das Missing Link«. Bei dieser konzentrierten anthropologischen Grundlegung von Sozialtheorie resümiert Heinrichs die Auseinandersetzung mit der alten, ungelösten Habermas-Luhmann-Kontroverse um Handlungs- und Systemtheorie, die er seit seinen ersten sozialphilosophischen Vorlesungen 1975 an der Frankfurter Jesuitenhochschule, öffentlich in Reflexion als soziales System. Zu einer Reflexions-Systemtheorie der Gesellschaft (Bonn: Bouvier 1976) führte, ohne dass dies gebührend zur Kenntnis genommen worden wäre. Die Genese sozialer Systeme aus Handlungen wird erstmals konkret verständlich: aus sich intersubjektiv reflektierenden, d.h. ihre jeweilige Intentionalität wechselseitig abspiegelnden Handlungen und ihrer aufgewiesenen reflexionslogischen Vierstufung: unreflektierte Beziehung, einfach reflektierte, doppelt gegenläufig reflektierte Beziehung und Abschlussreflexion. Heinrichs illustriert diese vierfache Abstufung am Modell des Blicks, ähnlich wie 1976 am Modell des Aneinander-Denkens.

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Diese interpersonale Reflexionsstufung von Bewusstseinshandlungen wird ›praktisch soziale Reflexion‹ genannt. Sie ist Baustoff und Bindemittel des Sozialen schlechthin. Sie darf nicht verwechselt werden mit und nivelliert werden zu der bloß theoretischen Perspektivenübernahme, von der im Umkreis der Habermas-Schule gelegentlich und folgenlos die Rede ist. 2

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Praktisch-soziale Reflexion bildet das missing link zwischen Habermas’ Handlungstheorie, die nicht systemisch wird, und Luhmanns abstrakter Systemtheorie, die nichts mehr mit Handlungen und intendierenden Subjekten zu tun haben will – womit Luhmann jedoch die Frage nach der Genese sozialer Systeme und damit allzuvieles unbeantwortet lässt. Bei Luhmann gibt es zwar auch Spuren von theoretischer intersubjektiver Reflexivität des Erwartens von Erwartungen usw. Doch diese Reflexivität wird nicht in ihrer Stufenfolge als systemkonstituierend erfasst. Vielmehr werden Subjekte und ihre Handlungen zur bloßen Umwelt eines (in Heinrichs’ Sicht) abstrakt unterbestimmten, angeblich durch die Innen-Außen-Differenz konstituierten System-Begriffs. Es gibt sogar ›reflexive Mechanismen‹ bei Luhmann, nach Art von Wasserstrudeln – losgelöst von Subjektivität, Bewusstsein und Handlungen. Wie es in der New-Age-Philosophie eines Ken-Wilber (aber auch bei Dieter Henrich, Manfred Frank u. a.) Bewusstsein ohne Reflexivität geben solle, kenne Luhmann eine Reflexivität ohne Bewusstsein. Heinrichs lehnt beides als Irrtümer ab.

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Mit der Systemkonstituierung aus dem interpersonalen Reflexionsverhältnis ergibt sich bei Heinrichs zugleich die Systemstrukturierung, nämlich eine Reflexions-Stufenfolge, welche für eine Übertragung der interpersonalen Reflexionsstufen auf Subsysteme der Gesellschaft entscheidend ist: die Unterscheidung von vier Subsystemen (Wirtschaft, Politik, Kultur und weltanschaulich-religiöse Legitimation). Dieser »Sprung in den großen Organismus« ist Thema des IV. Kapitels »Differenzierung von Subsystemen«. Die vier Subsysteme, die reflexionslogisch weiter untergliedert werden, konstituieren sich durch die Medien Geld, Recht, Sprache und Axiome / Riten. Diese vier formellen oder formalisierten Medien haben eine Ausnahmestellung und dürfen nicht (wie bei Parsons, Luhmann und Habermas) mit informellen Medien oder Handlungsbereichen wie Macht, Vertrauen, Liebe, Wissen usw. vemischt und verwechselt werden. Im Hinblick auf die vier Subsysteme Wirtschaft, Politik, Kultur, weltanschauliche Legitimation stellen sich die Fragen: Wie können diese latent immer vorhandenen Stufen eines sozialen Systems institutionell realisiert werden, wie es dem allgemeinen Differenzierungsprozeß der Neuzeit entspräche? Die Frage nach Integration-durch-Differenzierung des Gesamtsystems stellt sich besonders im Hinblick auf eine spezifisch soziale Nachhaltigkeit, d. h. Kreislauffähigkeit, dieser zunächst hierarchisch (durch das Prinzip Reflexion) aufeinander bezogenen Subsysteme. Diese Frage, was heißt Nachhaltigkeit im spezifisch sozialen Sinn, wird, soweit ich sehe, anderswo nicht einmal gestellt, geschweige denn beantwortet.

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Das Kapitel V »Die praktische Kernforderung. Vier Herzkammern der Demokratie: vier Parlamente« will nun die Antwort zumindest nach der Seite der staatlichen gleich rechtlichen Organisation der Gesellschaft geben und enthält eine in der Tat sehr »praktische Kernforderung«. Diese lautet: In erster Linie die Legislative als die typisch kommunikative »Gewalt« muss auf jeder Ebene institutionell unabhängig ausgeprägt werden. Also unabhängige Wahl für die Vertreter eines Grundwerteparlaments (4), eines Kulturparlaments (3), eines Politikparlaments (2) und eines Wirtschaftsparlamentes (1). Dieser letztlich einfache Vorschlag einer institutionellen Viergliederung löst unzählige Probleme der modernen Halb- oder genauer Vierteldemokratien:

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• Die Parteien werden auf diese Weise zu Sachparteien anstelle der bisherigen Block- oder Einheitsparteien, wie Heinrichs sie nennt. Durch die Entflechtung der Wahlen für jedes der großen Subsysteme entsteht nicht nur eine systemische Ermöglichung, sondern geradezu ein Zwang zur sachbezogenen Argumentation (Diskurs) und »Wertekommunikation«.

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• Die dadurch in allen Parlamenten ermöglichte Wertekommunikation stellt Heinrichs in klaren Gegensatz zu dem für ihn nicht nur unrealistischen, sondern inhumanen Diskurs-Gerede »unter der Herrschaft des herrschaftsfreien Diskurses«. Hinzu kommt, dass dabei der englisch-französische discours(e) gleich Rede überhaupt mit dem deutschen Wortsinn von Diskurs als argumentative Rede fahrlässig und tendenziös verwechselt wird! (Mögen diese beiden völlig unterschiedlichen Diskursbegriffe auch von sorgfältigen Philologen unterschieden werden, im »politischen Diskurs« gehen sie ständig durcheinander.) Heinrichs versteht also die Gesamtpolitik (im Unterschied zum politischen Subsystem im engeren Sinne) mit Max Weber– gegen dessen Verfälschung durch Habermas – als Abgleichung von Werturteilen und lehnt eine Diskurstheorie der Politik als illusorisch ab. 3 Sie ist für ihn ebenso unangemessen, wie die Geschichte einer Liebe als »Liebesdiskurs« zu bezeichnen. Angezweifelt werden darüber Grundsätze und Relevanz der ›Diskursethik‹ insgesamt. Wohl brauche es für Kommunikation über Wertungen das Faktenwissen, aber keine Diskursethik von angeblichen Ethik-Experten.

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• Das Grundwerte-Parlament ist in erster Linie zuständig für die ethische und rechtliche Umsetzung der pluralen weltanschaulich-religiösen Wertungen. Der heute überall erkennbare Bedarf an Ethik für rechtliche Regelungen (zum Beispiel im Feld der Gentechnologie) ist nicht Sache einer Professoren- und Bischofs-Ethik in einem ›Nationalen Ethikrat‹ von Kanzlers Gnaden, sondern im öffentlichen Bereich Sache eines demokratischen Verfahrens: der fairen Wertekommunikation der religiös-weltanschaulichen Gruppe – von welcher Fairness Deutschland und andere Staaten aus staatskirch(enrecht)lichen Gründen weit entfernt sind. 4

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• Das Grundproblem unserer derzeitigen ›plutokratischen‹ Demokratien, nämlich die Determination des sozialen Ganzen durch die Wirtschaft, wird in diesem Konzept bei den Hörnern gefasst: Das Gemeinwesen muss primär von den Grundwerten her organisiert werden. Als Beispiel bringt der Autor immer wieder das ›Recht auf Arbeit‹. Welche Art von Wirtschaft ist fähig, dieses Recht zu gewährleisten?

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• Allerdings betont Heinrichs, dass das hierarchische Reflexionsstufenprinzip (Determination von oben nach unten) durch ein zirkuläres Rückkoppelungsprinzip ausbalanciert werden muss. Das heißt: Alle Sachbereiche (Wirtschaft, Politik im engeren Sinn, Kultur) behalten ihre notwendige Autonomie und Eigengesetzlichkeit. Die zirkuläre Rückkoppelung sei durch mehrfache Lesung in den jeweiligen Parlamenten, also durch Berücksichtigung der Voten der jeweils anderen Parlamente, Rechnung zu tragen. Entscheidend sei eine klare Kompetenzenregelung durch ein gestuftes Kompetenzensystem.

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Für den Ansatz weniger entscheidend, aber doch von großer Folgebedeutung ist die entsprechende systemische Viergliederung der anderen ›Gewalten‹ oder staatlichen Funktionen. Diese »nicht-parlamentarischen Funktionen«, also Verwaltungs- und Regierungsexekutive sowie die Judikative sind Thema von Kapitel VI mit dem formalen Titel »Konsequenzen in Fülle«.

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Ganz nebenbei bringt Heinrichs hier eine reflexions-systemtheoretische Begründung der alten Gewaltenteilung, allerdings unter Differenzierung der Exekutive in (1) Verwaltungs-Exkutive und (2) Regierungs-Exekutive. Erstere hat bestehende Gesetze bloß anzuwenden, die Regierungs-Exekutive hat dagegen ausdrücklich die Vollmacht und den Auftrag zu Entscheidungen, die über das gesetzliche Festgelegte grundsätzlich hinausgehen. Die Legislative (3) ist die Funktion der Gesetzesberatung und -beschließung, die Judikative (4) die der Normüberwachung. Hier wird erstmals eine einheitliche theoretische Begründung der klassischen Gewaltenteilungslehre gegeben, zugleich mit ihrer Weiterentwicklung. Bedeutsam sind namentlich die Ausführungen über die demokratietheoretisch bisher völlig vernachlässigte 4. Gewalt, die Verwaltungsexekutive (während die Presse nur in einem scherzhaften, theoretisch unhaltbaren Sinn als 4. Gewalt bezeichnet werden kann). Folglich könne sich die demokratisch kaum kontrollierte Administrative weitgehend wie eine fremde Besatzungsmacht aufführen – statt als Dienstleistungsfunktion einer Bürgergesellschaft.

[17] 

Das Kapitel VII. bringt zu der bisher staatsorientierten Betrachtung »Eine zusätzliche architektonische Dimension. Die Dreiheit von Staat – Privatem – Öffentlichem« ins Spiel. Es enthält eine Theorie der heutigen bürgergesellschaftlichen Bewegung und formuliert diese in »Vier neuen Freiheiten von uns zu«:

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1. Befreiung vom Klassenstaat zu wirtschaftlicher Chancengleichheit,

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2. Befreiung vom Parteienstaat zum »konstruktiven Misstrauensvotum der Bürgergesellschaft«,

[20] 

3. Befreiung vom Schulmeisterstaat zu kultureller Kreativität,

[21] 

4. Befreiung vom Konfessions-Staat zu bürgergesellschaftlicher Religiosität.

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Diese Haupttitel geben einen Vorgeschmack von der durchgehend vernünftig-revolutionären, konkreten Brisanz des Stoffes.

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Im VIII. Kapitel »Der sozialethische Gesichtspunkt. Sozialprinzipien und ihre Evolution« befasst der Autor sich ausdrücklich mit Sozialethik als Ethik der Institutionen und als Innenarchitektur der bisherigen außen-architektonischen Untersuchung (sehr im Unterschied zu den anfangs gerügten individualethischen Appellen). Es geht um folgende vier Sozialprinzipien und ihre geistesgeschichtliche Evolution:

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1. das Solidaritätsprinzip der ursprünglichen Verbundenheit und wechselseitigen Verantwortung,

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2. das Rechts(staats)prinzip der individuellen Ausgrenzung aus der ursprünglichen Verbundenheit, 3. das Subsidiaritätsprinzip, das Heinrichs als das der demokratischen Souveränität und ihrer Delegation charakterisiert, eine heute spätestens (aber nicht allein) im Hinblick auf Europa brennende Thematik,

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3. das Viergliederungsprinzip selbst, das zu seinem Explizitwerden der geschichtlichen Bedingungen der späten Moderne bedurfte. Für Heinrichs ist der Differenzierungsprozess der Moderne noch nicht durchgeführt, die Rede von ›Postmoderne‹ insofern unzutreffend – worin er sich mit Richard Münch und diesmal sogar mit Jürgen Habermas einig ist.

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Das heutige Paradigma von Aufklärung sei aber nicht mehr die negativ-enthüllende Geste wie in der klassischen Aufklärung und ihren vielen nachfolgenden Wellen, sondern das konstruktive Paradigma. Erst das Konstruktive entwickele heute wieder die kritische Schärfe, gegen welche die etablierten, profitierenden Mächte sich nur noch durch Totschweigen, kaum argumentativ, wehren könnten.

[28] 

Das IX. Kapitel »Eine zukunftsgerichtete Synthese. Demokratie von morgen« zieht Konsequenzen für den heute aktuellen Demokratie-Begriff, im Verhältnis zu dem des Rechtsstaates. Besonders spannend ist dabei der Anspruch, dass das Viergliederungskonzept eine innere Synthese von direkter und repräsentativer Demokratie darstelle: eben durch die sachbereichsspezifischen Abstimmungen über Abgeordnete als Vertrauensleute der Bevölkerung. Die Verfechter der direkten Demokratie sind gut beraten, sich hinter den viel realistischeren und reichhaltigeren Viergliederungsgedanken zu stellen, als länger einen unrealistischen Gegensatz zwischen direkter und repräsentativer Demokratie zu kultivieren.

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Noch weiter ausgreifend beansprucht der Autor durch sein Konzept eine Versöhnung von liberalem und radikaldemokratischem Erbe. Für letzteres steht vor allem ein undogmatischer Marx, den Heinrichs etwa gleich oft wie Kant und Hegel positiv zitiert. Kant wird bekanntlich vom politischen Liberalismus wie etwa vom kürzlich verstorbenen John Rawls 5 zum Ahnherrn erklärt.

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Das Kapitel X ist »Abgrenzungen und Strategien. Aufklärung als revolutionäre Praxis« gewidmet, also der Bezugsetzung zu verwandten Bestrebungen, der Unverträglichkeit von Demokratie und Kapitalismus (worunter der Autor das Prinzip des zur Selbstvermehrung ermächtigten, angeblich selbst ›arbeitenden‹ Geldes versteht). Als die heute wesentlichste Strategie arbeitet er die konstruktive Aufklärung über die Evolutions-Möglichkeiten der Demokratie selbst heraus: Die Theorie werde, mit Marx gesprochen, selbst zur materiellen Gewalt, wenn sie die ›Massen‹, d.h. heute die große Mehrheit der Unzufriedenen ergreift.

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Im Zusammenhang mit der Frage ›Evolution‹ oder ›Revolution‹ wird kurz auf Hölderlins Wandlung vom Revolutionär zum eher resignierten »Evolutionär« eingegangen (S. 362). Es kam dem Autor offenbar hier wie an anderen Stellen darauf an, seinen Entwurf in den größeren Zusammenhang deutscher Geistesgeschichte zu stellen, weshalb er auch mehrmals an mindestens zwei verunglückte, sprich mit obrigkeitlicher Waffengewalt blutig niedergeschlagene Revolutionen in Deutschland erinnert (1848 und 1918/19).

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Nur als »Ausblick« widmet sich das XI. Kapitel der »Europäischen und globalen Demokratie-Architektur«, die über die gewonnenen Einsichten über Demokratie auf nationaler Ebene ebenso wenig hinweggehen dürfe und könne wie über Nationen überhaupt als primär kulturelle Differenzierungen eines Weltbürgertums. Sowohl zu Europa wie zur Globalisierungsthematik enthielt schon Heinrichs’ derzeit vergriffenes Buch Sprung aus dem Teufelskreis. Logik des Sozialen und Natürliche Wirtschaftslehre (Wien: Vita Nuova 1997) eigene Kapitel. Nach seinen Andeutungen ringt der Verfasser noch um eine konkretere (keineswegs schematische) Anwendung seiner Systemtheorie auf die europäische Ebene, um ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten nicht in geografisch-nationaler Hinsicht als vielmehr im Hinblick auf die sozialen Systemebenen.

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Gesamtwürdigung

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Anthropologische Fundierung des sozialen Systems und sehr konkrete architektonische Gliederung machen diesen systemischen Entwurf von Demokratie theoretisch unvergleichlich und zugleich konkret praktikabel. Was sich hinter dem reißerischen Titel Revolution der Demokratie geradezu verbirgt, ist ein höchst anspruchsvoller Theorieentwurf, was ihm auch der Nürnberger Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider im Vorwort bescheinigt: »Sein Entwurf [...] gibt der Demokratie die erste wirkliche Chance.« Ich wüßte in der Tat keine Sozialphilosophie, geschweige denn eine Demokratietheorie, zu nennen, die eine vergleichbare Einheitlichkeit und Weite mit derartiger Praxisnähe und konkreter Handlungsherausforderung verbinden würde. Wobei zu bemerken ist, dass Heinrichs selbstverständlich auf den Schultern der Großen steht, einschließlich Weber und Parsons. Wohl spürt man die Verzweiflung an der derzeitigen Theoriemüdigkeit im Zeichen der undisziplinierten, auf der oben gekennzeichneten Verwechslung beruhenden Inflation des Diskurs-»Begriffs«. Auch deshalb wird in dieser »Realutopie« (Untertitel) stets die Praxis als Probierstein herangezogen. Aber auch diese Figur entspricht dem Titel eines frühen Aufsatzes Theorie welcher Praxis?. 6 Die Praxis wird von Heinrichs voll als Maßstab der theoretischen Relevanz anerkannt, jedoch nicht als Bremse für die Theorieentwicklung.

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Grenzen des Entwurfes

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Was ist auszusetzen an diesem – trotz der 444 Seiten des Werkes einschießlich der Register – gedrängten Entwurf: Die zentralen Kapitel III bis VIII würden eigentlich jeweils ein eigenes Buch erfordern. Insbesondere die anthropologische Grundlegung in Kapitel III fällt für den ›uneingeweihten‹ Leser trotz aller Klarheit und eines geradezu lockeren Stils doch zu gedrängt aus.

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Das Entsprechende gilt für einzelne Themen, die um des systematischen Ganzen zu kurz kommen und daher nicht mit der sonst für Heinrichs charakteristischen Klarheit behandelt werden. Als hervorstechendes Beispiel erscheint mir ein Einzelthema, das zugleich für die eigene Stellung dieses Philosophen in der akademischen Welt von großer Bedeutung ist: die Freiheit von Wissenschaft und Forschung, trotz ihres Bezugs auf das im Staat organisierte Ganze des Gemeinwesens, also das Problem der öffentlichen Wissenschaftsförderung.

[38] 

Wissenschaft und Forschung stellen ein Unterthema von »Befreiung vom Schulmeisterstaat zu kultureller Kreativität« dar, nach (1) Pädagogik (der Tradierung des gesellschaftlichen Wissens) kommt reflexionslogisch (2) die Erschließung neuen Wissens durch subjektive Leistung, dann (3) Publizistik als Teil des Öffentlichkeitsprozesses und schließlich (4) die Kunst. Heinrichs schlägt mit Burkhard Wehner 7 ein eigenes »Wissenschaftsparlament« vor, allerdings systemtheoretisch als Teil des Kulturparlamentes:

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Ein Wissenschaftsausschuss des Kulturparlaments würde das Grundproblem von öffentlicher Effizienzkontrolle und Freiheit der Forschung und Lehre durch die Autonomie des gesamten Kulturlebens bereits in wesentlichen Punkten lösen. Denn die Freiheit der Wissenschaften – und gleichzeitig ihre fachliche Kompetenz – ist nicht bedroht durch öffentliche Kontrolle überhaupt, sondern durch die parteipolitische und sonstige Unsachgemäßheit der Einflussnahme. Auch innerlich ist das heutige Wissenschaftssystem [...] alles andere als immun gegen die Tendenz, die kreativen Spitzen den Gesetzen des Mittelmaßes zu unterwerfen (S. 259).
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Das Wissenschaftssystem ist Teil des demokratischen Systems, in Deutschland stärker vom Staat und damit von der Parteienpolitik, in den USA etwa stärker von der ›freien‹ Wirtschaft abhängig (soweit man die unter kapitalistischen Bedingungen arbeitende Marktwirtschaft eine freie nennen kann). Für die Lösung der Problematik der leistungsbezogenen Freiheit der Wissenschaft bei Rechenschaft gegenüber dem Gemeinwesen und Abhängigkeit von seiner Förderung hat Heinrichs im vorhergehenden Zitat nur eine Richtung andeuten können. Die Ausführungen kommen angesichts des komplexen Themas Reform des Wissenschaftssystems‹ noch nicht zu einer befriedigenden Konkretion, so wichtig das Eintreten für ein Wissenschaftsparlament als Teil eines eigenen Kulturparlamentes auch schon ist. Sie stärken zwar das Bewusstsein für den Zusammenhang von funktionierender Demokratie und leistungsgerechter Wissenschaftsförderung. Vermutlich verbleiben die kurzen Betrachtungen zum Wissenschaftssystem – trotz des Unterkapitels »Befreiung vom Schulmeisterstaat zu kultureller Kreativität« – bei diesem Thema noch zu sehr in der staatstheoretischen, zuwenig in der zivilgesellschaftlichen Perspektive. 8 Jedenfalls würde man sich an dieser wie an anderen Stellen weitere Konkretionen wünschen – was allerdings im Rahmen der genannten Seitenzahl kaum realisierbar war.

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Reflexions-Systemtheorie des Sozialen
im Verhältnis zu Vorgängern

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Die Reflexions-Systemtheorie ist biographisch das erste große Theorie-Projekt, das Heinrichs bereits in seinen Vorlesungen von 1975 sowie dann in seinem Buch Reflexion als soziales System. Zu einer Reflexions-Systemtheorie der Gesellschaft (Bonn: Bouvier 1976) vorgelegt hat. Wichtig war darin bereits die Vermittlung zwischen dem handlungstheoretischen Ansatz von Habermas und dem systemtheoretischen von Luhmann. Das Prinzip Reflexion lieferte das missing link, wodurch die Handlungen zu einem Handlungs-System werden und das soziale System als ein System von aufeinander reflektierenden Handlungen einsichtig sowie gleichzeitig in reflexiv gestuften Subsystemen strukturiert wird. Heinrichs hat Luhmanns Rede von System als Sinn-Zusammenhang mit Innen-Außen-Differenz von Anfang an als zu abstrakt abgelehnt und als Folge seines rein objektivistischen, an Husserl orientierten Sinn-Begriffes charakterisiert: Der genetische Zusammenhang zwischen Sinn-Welt und Handlungen fehlte bei Luhmann von vornherein, ähnlich wie in dem bekannten Werk von Peter Berger / Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit (Frankfurt / M.: Fischer 1969). In Heinrichs’ Augen ist es aus ähnlichen Gründen ein unfruchtbares, anti-aufklärerisches Unding, in quasi-objektivistischer Manier bei jeglicher Informationsübermittlung von ›Kommunikation‹ zu sprechen, ohne der Genese von Kommunikation in Bewußtseins-Handlungen nachzugehen. Auch die bloße Einheit von Information und Mitteilung (Niklas Luhmann) 9 reiche nicht für eine Charakterisierung von Kommunikation, die durch die Struktur doppelt-gegenläufiger interpersonaler Kommunikation ausgezeichet sei.

[43] 

Durch das Reflexionsstufenprinzip unterscheidet sich Heinrichs grundlegend von der Methode der Kreuztabellierung beim späten Parsons und ihrer Fortbildung bei Richard Münch. 10 Kreuztabellierung ist für Heinrichs nur potenzierte Zweiwertigkeit, zu unterscheiden von dem vierwertigen Ansatz seiner Reflexionsstufen (und der damit korrespondierenden Sinn-Elemente: subjektives Subjekt, Objekt, objektives Subjekt, Sinn-Medium). Was logische Mehrwertigkeit angeht, so hat Heinrichs von seinem Hegel-Buch an stets auf die Arbeiten des Logikers Gotthard Günther (1900–1984) verwiesen, mit dem er seitdem in Kontakt stand. Er beklagt öfter, auch in Revolution der Demokratie, dass die Schüler und »Enkelschüler« Günthers die Einheit von formallogischem und inhaltlich-philosophischem Denken wieder zugunsten von bloßen Formalismen aufgeben und sieht sich als denjenigen, der in nicht-formaler, gleichwohl systematischer Weise mehrwertige Zusammenhänge im Sinne Günthers thematisiert. Die Reflexionstheorie ist für ihn nicht anderes als weiterentwickelte, logisch mehrwertige Dialektik im Sinne Hegels.

[44] 

Die soziale, praktische Reflexion (eine völlig neue Begriffsbildung, nur vergleichbar der ›inneren Reflexion‹ bei Hegel) bildet bei Heinrichs den Entdeckungs- und Begründungszusammenhang für die Reflexions-Stufung des Selbstbewusstseins als solchen, um deren Erkenntnis Fichte schon in seinen Subjekt-Analysen gerungen hatte, ohne sie grundlegend als Selbstbewusstsein-in-Fremdbewusstsein, als Selbstbezug-in-Fremdbezug, aufzudecken.

[45] 

Es gibt für Heinrichs – im Unterschied zu Parsons – nur zwei Handlungs-Systeme: soziale und personale Systeme. Dementsprechend unterscheidet er strikt soziale und personale Systemreferenz (mit ›Systemreferenz‹ einen Ausdruck Luhmanns aufnehmend, wenn zum Beispiel von Normen oder regulierenden Instanzen die Rede ist. Dementsprechend gibt es bei ihm eine doppelte Theorielinie: die Sozialtheorie (einschließlich Sozialethik) und die personale Handlungstheorie oder Vollzugstheorie. Mit letzterer sind wir bei dem anderen Theoriezweig, nämlich dem der philosophischen Semiotik.

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Reflexionstheoretische Semiotik
oder Sinnprozesslehre

[47] 

Die Sinnprozesse allgemein, genauer deren Strukturen, bilden für Heinrichs das Feld einer philosophisch verstandenen Semiotik oder Sinnprozesslehre. Seit Kant ist alle ›kritische‹ Philosophie bemüht, Gegebenheiten ›genetisch‹ auf Vollzüge oder Prozesse zurückzuführen. In diesem Sinn ist Kant selbst der Begründer des ›pragmatischen Denkens‹. 11 Auch eine Gegebenheit wie ein Zeichen bedarf der genetischen Rückführung auf ein Zeichenhandeln, aus dem es hervorgegangen ist. ›Zeichen‹ ist in philosophischer Hinsicht keine Urgegebenheit, wie die meisten empirischen oder speziellen Semiotiker es annehmen mögen. Zeichenhandeln ist – in Heinrichs’ Systematik – eine formalisierte Form des Ausdruckshandelns, und Ausdruckshandeln stellt den vierten von vier Hauptstämmen des Handelns dar, geordnet nach den phänomenologisch erhobenen Sinn-Elementen des Handelns: 1. physisch-objektives, 2, innersubjektes, 3. soziales, 4. Ausdrucks-Handeln. 12

[48] 

Heinrichs elaborierte Sprachtheorie (mit dem Untertitel Grammatik der semiotischen Dimensionen) hat den ›Fehler‹ dass sie für Philosophen zu linguistisch, für Linguisten jedoch zu philosophisch ist. 13 Das nach Humboldt in Gang gekommene, historisch verständliche, aber auf Dauer nicht haltbare Nebeneinanderher von Philosophie (mit mehrwertiger, nicht bloß dualistischer Logik) und Sprachwissenschaft wird dadurch konstruktiv in Frage gestellt. 14

[49] 

In einem analogen Sinn definiert Heinrichs auch Kunst als eine vollzogene, d.h. nicht nachträglich beredende, sondern innerlich höher reflektierte Meta-Sprache 15 Der Begriff von Mystik schließlich ist dadurch charakterisiert, dass in mystischen Sinnvollzügen das vorausgesetzte Sinn-Medium aller Vollzüge und Handlungen selbst aktiv wird, während das sinnvollziehende Subjekt nochmals eine höhere Stufe der gelebten (nicht bloß nachträglichen!) Reflexion betritt, die der vollendeten, über dialogischen »Aktion und Passion in einem« (Martin Buber). 16

[50] 

Wenn man bedenkt, dass in den beiden Büchern zur Handlungs- und Sprachtheorie jeweils 44 = 256 Kategorien durchgespielt, d.h. in einem Wechselspiel zwischen begrifflicher Suchvorgabe und Erfahrung rekonstruiert werden, und man dieses methodisch genaue Rekonstruktionsgeschehen nachvollzieht, gewinnt man einen Eindruck von dem gewaltigen Theorieprojekt des Autors, dessen semiotischer Zweig in der Demokratielehre selbst allerdings nur eine marginale Rolle bei der Thematisierung von Kunst als Teil des Kultursystems spielt (S. 262 f.). Gemeinsam ist diesen beiden Theoriezweigen indessen die reflexionstheoretische Machart. Der Frage, ob man auch in der Semiotik von einer Reflexions-Systemtheorie sprechen kann, ist Heinrichs in dem Interview-Band Philosophie am Scheideweg (Wien: Passagen 2002) nachgegangen. Er hat diese Frage letztlich bejaht, wenngleich der Sinn von ›System‹ mit der Systemreferenz ›Individuum‹ oder ›Subjekt‹ sehr verschieden ist von demjenigen von ›System‹ mit sozialer Systemreferenz.

[51] 

Differenzierte Einheit beider Systemtheorien

[52] 

In beiden Arten von Reflexions-Systemtheorie handelt es sich gleichwohl um Theorie realer dynamischer Systeme, d.h. ihr Systemcharakter wie ihre Dynamik hängen nicht von unserer theoretischen Rekonstruktion ab. Insofern handelt es sich hier um eine Gegenthese zum sogenannten »absoluten Konstruktivismus«, der in Heinrichs› Augen nur den Kantischen Gedanken der transzendentalen Konstruktion aller Gegebenheiten in unserem Bewusstsein zu Tode reitet. Von seiner Grundhaltung her ist Heinrichs mehr Hegelianer als Kantianer, insofern es ihm mit Hegel darum geht, das ›immanente Leben‹ der Sachen selbst zu rekonstruieren. Doch solche historischen Gegensätze sind für ihn, der Philosophie gegen den Zeitgeist streng von aller noch so akribischen philologischen Beschäftigung mit Texten unterscheidet, längst passé. Überwunden ist auch der alte, von ihm reflexionstheoretisch gedeutete Theorie-Praxis-Gegensatz zwischen Hegel und Marx. 17 Insofern könnte er auch mit Marx unterschreiben: »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern« (11. These über Feuerbach).

[53] 

Das Demokratie-Buch von Heinrichs ist geeignet, dies zu leisten, paradoxerweise gerade aufgrund solider, höchst anspruchsvoller und doch weiten Kreisen – wenngleich auf verschiedenen Verständnisstufen – zugänglicher Theorie. Über die offensichtliche politische Brisanz hinaus wird man feststellen: Deutschland hat wieder einmal einen Philosophen, der scheinbar so weit auseinander liegende Gebiete wie Wirtschaftsethik (die mit ihrer grundsätzlichen Kapitalismus-Kritik in dieser Besprechung zu kurz kam), politische Theorie, Kulturphilosophie (mitsamt systematisch durchgeführter, semiotischer Sprachtheorie), und Religionsphilosophie (mitsamt einem völlig neuartigen semiotischen Ansatz von Mystiktheorie) durch einen einzigen, wenngleich differenzierungsfähigen, großen Gedanken zusammen zu denken vermag: Reflexion oder Selbstbezüglichkeit des Menschen als Form wie zugleich gelebter Inhalt des Denkens. Hier steht – anders als bei Luhmann – der Mensch im Mittelpunkt der von ihm (praktisch wie theoretisch) erbauten System-Kathedralen, nicht als »Unendlichkeitschimäre auf seinem grauen Stein von Notre-Dame« (Gottfried Benn, Verlorenes Ich, Gesammelte Werke, Bd. 1, Wiesbaden: Limes 1960, S. 215).


Christoph Mezger
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Ins Netz gestellt am 22.07.2004

IASLonline ISSN 1612-0442

Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Prof. Dr. Claus-Michael Ort. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Lena Grundhuber.

Empfohlene Zitierweise:

Christoph Mezger: Demokratie - ein systemtheoretisches Fascinosum. Über das neue Werk des Sozialphilosophen Johannes Heinrichs zur Demokratietheorie. (Rezension über: Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. Eine Realutopie für die schweigende Mehrheit. Berlin: Maas 2003.)
In: IASLonline [22.07.2004]
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Anmerkungen

Eine »konstruktiv-kritische Literatursichtung« anderer Art hatte Heinrichs vorgelegt unter der Frage »Wo steht die Sozialphilosophie heute«. In: Philosophischer Literaturanzeiger 53 (2000), S. 371–416. Darin setzte er sich vor allem mit Autoren der Habermas-Schule, mit John Rawls’ Liberalismus, Amitai Etzionis Kommunitarismus, mit John Searle, Otfried Höffe, Burhhard Wehner, Helmut Frey und Ulrich Baltzer sehr informativ auseinander. Im vorliegenden Buch geht es nicht mehr um Literaturbericht, sondern – was selten ist – fast ausschließlich um einen eigenen systematischen und praxisbezogenen Gedankengang.   zurück
Vgl. Dieter Geulen (Hg.): Perspektivenübernahme und soziales Handeln. Texte zur sozial-kognitiven Entwicklung. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1982.   zurück
Vgl. Max Webers Aufsatz »Der Sinn der ›Wertfreiheit‹ der Sozialwissenschaften«. In: M. W.: Soziologie – Universalgeschichtliche Analysen – Politik. Hg. von J. Winkelmann. Stuttgart: Kröner 1973, S. 262–310, bes. S. 273.    zurück
Heinrichs stützt sich hierin – abgesehen von eigenen Erfahrungen mit »Konkordatslehrstühlen«, d. h. kirchenabhängigen Lehrstühlen außerhalb der theologischen Fakultäten – besonders auf folgende Autoren: Johannes Neumann: Es besteht keine Staatskirche – oder: Papier ist geduldig. In: Gütliche Trennung von Staat und Kirche. Dokumentation der Tagung am 6. Nov. 1999. München: Petra Kelly Stiftung 1999, S. 3–10; Horst Herrmann: Die Kirche und unser Geld. München: Goldmann 1992; Carsten Frerk: Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland. Aschaffenburg: Alibri 2002 sowie die einschlägigen Artikel im Staatslexikon, hg. von der Görres-Gesellschaft, Freiburg i. B.: Herder 1995.   zurück
John Rawls spielt in Heinrichs’ Demokratie-Buch eine geringe Rolle, weil Heinrichs die gerechtigkeitstheoretischen Vertragsfiktionen für zu abstrakt und systemisch nicht anwendbar hält. Vgl. dazu den in Anm. 1 genannten Artikel.   zurück
Johannes Heinrichs: Theorie welcher Praxis? Theorie-Praxis-Vermittlung als Grundaufgabe praktischer Theologie. In: Ludwig Bertsch (Hg.): Theologie zwischen Theorie und Praxis. Frankfurt / M: Knecht 1975. Vgl. jetzt das Kapitel I »Theorie welcher Praxis«. In: Philosophie am Scheideweg. Johannes Heinrichs im Interview mit Clemens K. Stepina. Wien: Passagen 2002, S. 17–32.   zurück
Burkhard Wehner: Die Logik der Politik und das Elend der Ökonomie. Grundelemente einer neuen Staats- und Gesellschaftstheorie. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1995, bes. S. 25–46. Zu diesem Buch vgl. Heinrichs’ Stellungnahme in dem oben, Anm. 1, genannten Literaturbericht. Wehner spricht von einer »Spartendemokratie« und kommt Heinrichs’ Gedanken einer Systemgliederung, wenngleich von empirischen, nicht systemtheoretischen Erwägungen her, am nächsten – wenn man absieht von der eher ahnungshaften Antizipation durch Rudolf Steiners »Dreigliederung des Sozialen Organismus«, so der Titel der Gesammelten Aufsätze 1919–1921. Stuttgart: Freies Geistesleben 1972.   zurück
Vgl. die jüngsten, sehr kompetenten Ausführungen zum amerikanischen Universitätssystem von Christoph Wolff unter den Überschriften »Freiheit für die Universität. In den Vereinigten Staaten hat es nie eine staatliche Hochschulreform gegeben, die Universitäten verdanken ihre Qualität allein dem Wettbewerb«. In: DIE ZEIT Nr. 17/2004, S. 38.   zurück
Vgl. den Artikel »Kommunikation« von Claudio Baraldi. In: Claudio Baraldi, Giancarlo Corsi und Elena Esposito: GLU. Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1997, S. 89–93.   zurück
10 
Auf Richard Münch bezieht sich auf Heinrichs, ungeachtet der systemtheoretischen Divergenzen, positiv: Anm. 135 u. 138. Heinrichs’ Theorie wird gut in Vergleich gesetzt zu Habermas, Luhmann, Parsons sowie zu Richard Münch und vor all diesen Theorieentwürfen präferiert in einer Dissertation von Michael Opielka: Gemeinschaft in Gesellschaft. Elemente einer Soziologie der Viergliederung gesellschaftlicher Integration. Berlin 1996 (bisher nur: im Internet oder als Arbeitspapier seines »Instituts für Sozialökologie«: http://www.bonn.iz-soz.de/isoe). Allerdings weicht Opielka in der Untergliederung der Subsysteme diskussionslos von Heinrichs’ früheren, in Revolution der Demokratie nunmehr abgeklärten Hypothesen ab. Autoren, die zu erkennen geben, was sie bei Heinrichs gelernt haben, sind u. a.: Heinz T. Hamm: Poesie und kommunikative Praxis. Heidelberg: C. Winter 1981; Franz-Theo Gottwald: Gegenwart des Unbedingten, Philosophie der Mystik im Handeln. Bielefeld: B. Kleine 1982; Rainer J. Kaus: Psychoanalyse und Sozialpsychologie. Sigmund Freud und Erich Fromm. Heidelberg: C. Winter 1999 u.a.; Christiane Böhler: Literatur in der Übersetzung. Beispiel einer Evaluierung anhand Thomas Bernhards Roman Holzfällen. Eine Erregung. Innsbruck University Press 2003.   zurück
11 
So charakterisiert Heinrichs das Kantische Unternehmen in seinem Kant-Buch Die Logik der Vernunftkritik. Kants Kategorienlehre in ihrer aktuellen Bedeutung. Tübingen: Franke 1986 (UTB), Neuauflage Berlin: Maas-Verlag 2004 unter dem Titel Das Geheimnis der Kategorien. Er kritisiert dort wie in seiner Sprachtheorie mehrfach den unaufgeklärten Doppelsinn von »pragmatisch« in der Linguistik: vollzugstheoretisch allgemein (in dem Sinn ist alles an der Sprache pragmatisch) oder die pragmatische Dimension = Handlungsdimension, welche nur die interpersonale ist. In diesem Buch wird übrigens auch die Beziehung zur Semiotik von Ch. S. Peirce und Ch. Morris thematisch. Vgl. ebd. das Kap. VII »Kritik der Triaden«. Heinrichs erklärte schon in seiner Handlungs- und Sprachtheorie die triadische Zeichentheorie für unzureichend.   zurück
12 
Vgl. J. Heinrichs: Reflexionstheoretische Semiotik. 1. Teil: Handlungstheorie, Bonn: Bouvier 1980, 192 S; zur Gesamthypothese ders.: Handlungs – Sprache – Kunst – Mystik. Skizze ihres Zusammenhangs in einer reflexionstheoretischen Semiotik. In: Kodikas / Code 6 (1983), S. 245–265.   zurück
13 
Vgl. zum Gesamtzusammenhang den letztgenannten Artikel; für eine ausführlich durchgeführte, ebenso linguistische wie philosophische Sprachtheorie: J. Heinrichs: Reflexionstheoretische Semiotik, 2. Teil: Sprachtheorie. Bonn 1981 (Bouvier), 490 S. Man muss sich wundern, dass im Handbuch der Semiotik von Winfried Nöth (2. Auflage, Stuttgart, Weimar: Metzler 2000), dem in der Rezension von Ulrich Baltzer in IASLonline (URL: http://www.iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/baltzer.htm (11.10.2000)) lobend nachgesagt wird, alle wesentlichen Richtungen der Semiotik erfasst zu haben, so gewichtige, umfangreiche und gut auffindbare Publikationen dieser auf jeden Fall niveauvollen Richtung einer erstmals »philosophischen Semiotik« keinerlei Erwähnung, geschweige denn Würdigung finden.    zurück
14 
Vgl. dazu bislang v.a. Annemarie Schmid: Systemische Kulturtheorie – relevant für die Translation? In: Mira Kadric u.a. (Hg.): Translationswissenschaft. Festschrift für Snell-Hornby zum 60. Geburtstag, Tübingen: Stauffenburg 2000, S. 51–65. Zu Christiane Böhlers Dissertation vgl. Anm. 11.   zurück
15 
Vgl. außer dem programmatischen Artikel »Handlung – Sprache – Kunst – Mystik« als spezifisch kunsttheoretische (Vor-)Arbeiten von Heinrichs: Das Spiel mit den semiotischen Dimensionen im modernen Museum. Zur philosophischen Syntax neuer Kunst, am Beispiel von Edward Kienholz ›Das tragbare Kriegerdenkmal‹. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft XXV/2 (1980) S. 244–269 u. 288/9; Was leistet Semiotik für Ästhetik und Kunsttheorie? Ebd. XXIX/2 (1984) S.153–161.   zurück
16 
Vgl. außer der genannten Programmschrift und der Einleitung zur »Handlungstheorie« (1980): Contemplativus in actione. Zur Reflexionstheorie der Mystik im Handeln. In: E. Kim, E. Schadel, U. Voigt (Hg.): Aktive Gelassenheit. Festschrift für Heinrich Beck. Frankfurt / M.: Lang 1999, S. 31–45.    zurück
17 
Johannes Heinrichs: Reflexion als soziales System, S. 150–161; Philosophie am Scheideweg (Anm. 6), S. 17–32. In diesem Buch findet sich ein (bis dahin vollständiges) Schriftenverzeichnis von Johannes Heinrichs, auch unter http://www.johannesheinrichs.de oder http://www.viergliederung.de.   zurück