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Die ganze Romantik auf hundertfünfzig Seiten -
warum das nicht gut geht!

  • Monika Schmitz-Emans: Einführung in die Literatur der Romantik. (Einführungen Germanistik) Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004. 167 S. Kartoniert. EUR (D) 14,90.
    ISBN: 3-534-16519-5.
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Die »Einführungen Germanistik« –
kompakte Information für ein Studium der Zukunft?

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Das Konzept der neuen, bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft herausgegebenen Reihe »Einführungen Germanistik«, in der das hier zu besprechende Buch erschienen ist, stellt die Autoren vor die schwierige Aufgabe, bei der Darstellung ihres Gegenstands den Umfang von 150 Seiten nicht wesentlich zu überschreiten. Diese Begrenzung mag primär verlagsökonomisch begründet sein. Es gibt aber auch – nicht zuletzt im Hinblick auf die Neugestaltung des Studiums im Zusammenhang mit dem ›Bologna-Prozess‹ – einen wachsenden Bedarf an Einführungsbüchern für das Studium.

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Ziel solcher Einführungen ist es, Wissen in kompakter Form zusammenfassen und als vorbereitende und begleitende Lektüre von Lehrveranstaltungen zu dienen, die sich auf die Vermittlung von Grundlagenwissen innerhalb einer knappen Studienzeit werden konzentrieren müssen. Im Kontext dieser Entwicklung der Hochschullehre, die – man mag sie nun begrüßen oder nicht – unumkehrbar ist, erweist sich das Konzept dieser neuen Reihe als sinnvoll und es verbieten sich deshalb von vornherein kleinliche Hinweise auf Aspekte oder Texte, die nicht berücksichtigt worden sind. Angebracht ist eher die Bekundung von Respekt gegenüber dem Wagnis, sich einer solchen Aufgabe überhaupt zu stellen.

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Die Beurteilung eines solchen Buches hat deshalb nicht von der Frage auszugehen, ob denn alles, was man über die Romantik sagen könnte, berücksichtigt worden ist. Vielmehr ist zu fragen, ob die Begriffsfassung von ›Romantik‹ und die Einzelinformationen so durchsichtig und nachvollziehbar dargeboten werden, dass Studierende das bei der Lektüre angeeignete Wissen kritisch reflektieren, auf eigenständige Textarbeit übertragen und selbständig weiterentwickeln können. Dass dergleichen auf knappstem Raum möglich ist, hat schon vor Jahrzehnten – unter ganz anderen Voraussetzungen und Zielen – Oskar Walzel in einer meisterhaften »Skizze« der Romantik vorgeführt. 1

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Grundlageninformation
und exemplarische Lektüren

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Der Aufbau des Buches lässt erkennen, dass die Verfasserin diese Aufgabenstellung ernst genommen und eine plausible Antwort gefunden hat. In den ersten vier Kapiteln, die etwa die Hälfte des Gesamtumfangs einnehmen, bietet sie – ausgehend von einer grundlegenden Reflexion über Inhalt und methodische Begründung des Romantikbegriffs (Kap. I) und einer knappen Darstellung der Forschungsgeschichte (Kap. II) – zunächst einen Überblick über die »Kontexte« (Kap. III) der Romantik, worunter sie sowohl die Daten und Fakten der politischen und sozialen Geschichte als auch die kultur- und ideengeschichtlichen Entwicklungen am Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts fasst, um dann in einer knappen Skizze auf Konzepte, Themen und Formen der romantischen Literatur einzugehen (Kap. IV).

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In einem umfangreichen fünften Kapitel, das fast die zweite Hälfte des Buches einnimmt, konzentriert sie sich in »Einzelanalysen repräsentativer Werke« (S. 81) insgesamt auf fünf Texte der erzählenden Prosa, die Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders von Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck, den Heinrich von Ofterdingen von Novalis, die Nachtwachen von Bonaventura von August Klingemann, den Sandmann von E.T.A. Hoffmann und das Marmorbild von Joseph von Eichendorff. Ein kurz gefasster Ausblick auf die ›Europäische Romantik‹ (Kap. VI) beschließt das Buch.

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Die Zielsetzung, die aus dieser Gesamtanlage zu erschließen ist, ist plausibel und vielversprechend: Die Entscheidung, nur ganz wenige Texte auf der Grundlage einer allgemeinen Einführung in Begriff und Geschichte der Romantik exemplarisch zu behandeln, kann mit dem Ziel begründet werden, den Lesern Lektüremodelle anzubieten, die auf die Analyse anderer Texte übertragen werden können. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn eine klare und deutliche Begründung für die Wahl gerade dieser fünf Texte als »repräsentativer« Werke der Romantik mitgeliefert wird, beispielsweise schon für die Entscheidung, Texte nur einer Gattung zu wählen. Ist narrative Prosa für die Romantik zentraler als die Lyrik, das Drama oder die vielfältigen Formen philosophischer Prosa wie das Fragment, der Dialog, die Rede usw.?

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Erforderlich ist darüber hinaus, die Methoden der Textanalyse so deutlich erkennbar zu machen, dass dem Studierenden eine Übertragung dieser Methoden auf andere Texte möglich gemacht wird. Gerade hier bleiben aber Fragen unbeantwortet, auf deren Klärung man bei der Lektüre dieser Einführung mit zunehmender Ungeduld wartet, bis man am Ende das Buch enttäuscht beiseite legt.

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Methodische Probleme
bei der Bestimmung des Epochenbegriffs

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Schmitz-Emans beginnt mit der vernünftigen Entscheidung, den Romantikbegriff als Epochenbegriff im Anschluss an die Empfehlung eines Klassikers der Literaturwissenschaft, der Theorie der Literatur von René Wellek und Austin Warren zu formulieren, d.h. Epochenbegriffe als »regulative Ideen« bzw. »heuristische Konstrukte« aufzufassen (S. 7). Es hätte hier freilich nicht geschadet, wenn sie sich an der einschlägigen Textstelle bei Wellek / Warren über den Charakter solcher Konstrukte genauer kundig gemacht hätte. 2

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Hier wird nämlich unterschieden zwischen einem »Zeitabschitt« und einem »Ideenschema« bzw. einem »Ideensystem« – bei Wellek / Warren als präzisierende Erläuterung des missverständlichen Begriffs »regulative Idee« eingeführt –, das zwar ein Konstrukt ist, aber gleichwohl einen Anhalt findet in einem Zusammenhang, der aus dem gegebenen Material der Texte entwickelt werden kann. Die Definition eines Epochenbegriffs ergibt sich nach Wellek / Warren dann aus der Beziehung der Begriffe »Zeitabschnitt« und »Ideensystem«: »Eine Periode ist [...] ein Zeitabschnitt, der durch ein System von literarischen Normen, Maßstäben und Konventionen beherrscht wird und dessen Beginn, Ausbreitung, Veränderung, Integration und Verschwinden verfolgt werden kann«.

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Schmitz-Emans‘ an die Wortgeschichte von ›Romantik‹ und an Begriffsexplikationen von Jean Paul, August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel anknüpfende Bemerkungen zum Epochenbegriff sind nun aber so formuliert, dass diese Unterscheidung unklar bleibt und dass vor allem die Forderung nach der Konstruktion bzw. der Rekonstruktion eines Systemzusammenhangs nicht entschieden aufgegriffen wird. Dass sie implizit darauf hinarbeitet, zeigt der zunächst tentative (vgl. S. 10), dann vorbehaltlose (vgl. S. 12) Gebrauch des Begriffs »romantischer Diskurs«. Sie scheut aber eine explizite Offenlegung ihrer Konstruktion dessen, was sie die »Kernideen des romantischen Diskurses« nennt (S. 12).

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Diese Scheu vor einer klaren Grenzziehung mit nachvollziehbaren Festlegungen hat den scheinbaren Vorteil, möglichst viele Aspekte und Phänomene, die irgendwie zur Romantik zu zählen sind, berücksichtigen zu können; der gravierende Nachteil ist aber, dass eine Vorstellung davon, was den ›romantischen Diskurs‹ von konkurrierenden Diskursen um 1800 unterscheidet, nicht vermittelt wird. Die Frage etwa, ob Jean Pauls Texte zum ›romantischen Diskurs‹ zu rechnen sind (vgl. S. 12), ob die Philosophien Hegels oder Schopenhauers zur Romantik gehören (vgl. S. 32 f.), ließe sich sinnvoll nur diskutieren, wenn die Verfasserin ihre Kriterien deutlicher erläutern würde.

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Diese Unsicherheit hat erhebliche Folgen für die Anlage des ganzen Buches. So vermisst man in Kapitel III (»Kontexte«) eine präzise analytische Trennung von ›Periode‹ und ›Diskurs‹, so dass schon beim Versuch einer knappen Skizze der geschichtlichen Situation alles mögliche durcheinander gerät (vgl. S. 17‑26). Auffallend ist, dass Schmitz-Emans auf S. 19 ein Sammelsurium von unerläuterten Begriffen der Geschichtsschreibung anbietet, angefangen von Reinhart Kosellecks »Sattelzeit« über Niklas Luhmanns »funktionale Ausdifferenzierung« bis zu den konventionelleren Begriffen »industrielle Revolution« und »kapitalistische Wirtschaftsform«, ohne eine klare Übersicht über die Abfolge derjenigen Ereignisse der Geschichte von 1789 bis 1830 herzustellen, die für die Konstituierung und die Transformationen des ›romantischen Diskurses‹ in diesem Zeitabschnitt bedeutsam geworden sind.

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Deshalb gerät auch der in der Gliederung merkwürdig spät eingefügte Abschnitt zur Periodisierung der Romantik geschichtsfern und nichtssagend (vgl. S. 76‑80). Bezeichnend ist, dass Schmitz-Emans in den Literaturangaben zu diesem Abschnitt (vgl. S. 154) kein einziges Werk der neueren Geschichtswissenschaft anführt, in dem ein Studierender sich informieren könnte, etwa die entsprechenden Bände von Hans-Ulrich Wehlers Deutscher Gesellschaftsgeschichte, die sich hier nicht zuletzt wegen des aufschließenden Begriffs der ›defensiven Modernisierung‹ angeboten hätten. 3 Das zweite Standardwerk, Thomas Nipperdeys Deutsche Geschichte, 4 wird im Literaturverzeichnis beim Abschnitt über die Periodisierung zwar aufgeführt (vgl. S. 157), aber der Leser kann in der entsprechenden Textpassage von einer Verarbeitung dieses Werks kaum etwas bemerken.

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Im Kapitel über »Kontexte« bleibt auch die Abgrenzung von Aufklärung und Romantik unklar (vgl. S. 26 f.), weil zwar einzelne Elemente genannt werden, die von den Romantikern aus der Aufklärung übernommen werden, so vor allem die zentrale Idee der Progressivität der Geschichte und der Perfektibilität des Menschen, weil es dann aber nicht gelingt, die Philosophie Rousseaus und die Konzepte des englischen Sensualismus einem Begriff von Aufklärung zuzuordnen, so dass Schmitz-Emans auf den problematischen Begriff einer ›Vorromantik‹ zurückgreifen muss. Was sie unter ›Aufklärung‹ genau versteht, macht sie nicht deutlich.

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»Idealismus« – Zentrum oder isolierter Aspekt
des ›romantischen Diskurses‹?

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In dem folgenden Abschnitt, überschrieben mit »Philosophie des Idealismus und der Romantik«, tut sich dann eine – leider ungenutzte – Chance auf, zum organisierenden Zentrum des »romantischen Diskurses« vorzudringen, nämlich bei der Darstellung der philosophischen Auseinandersetzung der Frühromantiker mit der Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes, die sich auf der Grundlage der Klärungen von Manfred Frank – sein einschlägiges Standardwerk Unendliche Annäherung 5 wird in der Bibliographie nicht erwähnt – in knapper Form hätte erläutern lassen.

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Die Kantische Unterscheidung von ›Erscheinungen‹ auf der einen und ›Ideen‹ bzw. ›Postulaten‹ auf der anderen Seite und die Umwandlung der ›Ideen‹ und ›Postulate‹ in temporalisierte Prozessbegriffe, die die Möglichkeit einer unendlichen Annäherung von Wissen und Praxis an das ›Sein‹ im Verlauf der geschichtlichen Bewegung indizieren, ist nicht nur ein isoliertes Thema in der philosophischen Diskussion der Frühromantiker. In diesem Konzept einer transzendentalphilosophisch begründeten Geschichtsphilosophie lässt sich vielmehr das den ganzen Diskurs organisierende Grundmuster identifizieren, das allen Begriffen und Konzepten, die aus tradierten Diskursen übernommen werden, eine neue Bedeutung verleiht. Das lässt sich auch an Texten von Autoren der zweiten und dritten Romantikergeneration erkennen, bei denen eine direkte und explizite Auseinandersetzung mit der Transzendentalphilosophie nicht mehr stattgefunden hat.

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Bei Schmitz-Emans bleibt die Erläuterung der Transzendentalphilosophie aber isoliert stehen. Wie dieses Grundmuster mit dem Naturkonzept von Schellings Naturphilosophie zusammenhängt (vgl. S. 31 f.), wie es die Rezeption der zeitgenössischen Naturwissenschaft und Psychologie steuert (vgl. S. 22 ff.), bleibt unklar. Vor allem aber wird der Status zentraler Begriffe als ›Ideen‹ nicht deutlich herausgearbeitet. Zum bekannten Muster der triadischen Geschichtskonzeption heißt es beispielsweise: »Auf eine Phase der Einheit folgt ein Zeitalter der Disharmonie, auf das eines der neuerlichen Harmonie folgen soll. [...] Die Zukunft erscheint als Projekt, sie soll auf höherer Stufe die verlorenen Ideale der Vergangenheit restituieren.« (S. 38)

[22] 

Das ist nicht falsch, es kann aber – so formuliert – missverstanden werden, weil nicht klar genug zum Ausdruck kommt, dass im Kontext der romantischen Geschichtsphilosophie diese »Zukunft« eben nur als ›Idee‹ gefasst wird, d.h. in der zeiträumlich geordneten Welt der Geschichte niemals Realität werden kann.

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Es ist symptomatisch für dieses Verfahren einer isolierenden Aufzählung von Einzelaspekten, dass Schmitz-Emans im vierten Kapitel über »Aspekte und Geschichte der [romantischen] Literatur« zwar wiederum mit Kant einsetzt, diesmal aber mit der »Kritik der Urteilskraft« ohne Rückbezug auf die grundlegenden Muster, die aus den beiden vorhergehenden Kritiken abgeleitet worden sind. Das hat zur Folge, dass ohne erkennbare Ordnung viele relevante Begriffe und Konzepte aufgezählt werden – Autonomie des Kunstwerks, Abkehr vom Postulat der Naturnachahmung, zentrale Rolle der Einbildungskraft, Genie, Neue Mythologie, Ironie, Transzendentalpoesie, Musik –, ohne dass verständlich wird, was denn deren spezifisch romantische Bedeutung sein mag (sie sind ja fast alle spätestens seit den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts in anderen Diskursformationen entwickelt worden).

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Beispielhaft für die Unsicherheit in diesem Abschnitt ist auch der folgende Satz über die Stellung der Frühromantiker zum Konzept der ›Naturnachahmung‹:

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Die Abkehr vom Programm der Naturnachahmung bedeutet nun nicht etwa, dass inhaltlich kein Bezug auf die außerästhetische Erfahrungswelt genommen werden dürfte; literarisches Schreiben versteht sich nicht als Erzeugung beliebiger Bilder und Ornamente, sondern es bezieht sich in vielfacher Weise auf Wirkliches. (S. 44 f.)
[26] 

Im Hinblick auf eine verbreitete Tendenz in der neueren Romantikforschung, das Autonomiekonzept mit Selbstreferentialität zu verwechseln, 6 ist man zunächst einmal dankbar dafür, dass die Verfasserin dieser Fehldeutung widerspricht. Man hätte sich aber statt der vagen Formulierung »in vielfacher Weise« eine präzisere Fassung des Verhältnisses von ›Einbildungskraft‹ und ›Naturnachahmung‹ vorstellen können, die beispielsweise im Anschluss an diskursprägende Überlegungen von Novalis als »Vergegenwärtigung des Unbedingten in der Phantasie, narrative Konstruktion der Einheit von Immanenz und Transzendenz, Darstellung der Erscheinung des Absoluten in Natur und Geschichte« 7 hätte erläutert werden können. Um das Absolute zur ›Darstellung‹ zu bringen, bedarf es des Bezugs des Kunstwerks zur Wirklichkeit von Natur und Geschichte, aber so, dass in ihm das Verfehlen des Darzustellenden und zugleich der Prozess der unendlichen Annäherung der dargestellten Erscheinungen an das Darzustellende markiert wird.

[27] 

Auf S. 55 zitiert Schmitz-Emans zwar eine einschlägige Textstelle von Novalis zur Musikalität von poetischer Sprache, aber so verkürzt, dass gerade diese ›darstellende‹ Funktion von Dichtung, um die es dort geht, unter den Tisch fällt. Dies scheint ein Indiz dafür zu sein, dass die ungenaue Formulierung im obigen Zitat wohl nicht von ungefähr kommt.

[28] 

Exemplarische Lektüren ohne Explikation von
Auswahlkriterien und Analysemethoden

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Es dürfte aus den bisherigen Bemerkungen schon deutlich geworden sein, dass sich aus diesen Prämissen eine der Kritik zugängliche Offenlegung der Auswahl »repräsentativer« Texte wohl schwerlich ableiten lässt. Indirekt lassen sich Kriterien allerdings schon aus dem die Tendenzen insgesamt treffend charakterisierenden, die Leistungen der DDR-Germanistik seit den siebziger Jahren aber ignorierenden Forschungsüberblick erschließen (vgl. S. 12‑16). An dessen Ende wird im Hinblick auf die Aktualität der Romantik eine »Überbietung« der romantischen Hermeneutik durch postmoderne Dekonstruktion als eigentliches Telos der Romantik sowie ihrer Rezeptionsgeschichte nahegelegt. Ob Manfred Frank aber damit einverstanden wäre, dass er mit einem Zitat, das sich bei ihm gar nicht auf die Romantik, sondern auf die Ästhetik Theodor W. Adornos bezieht, zum Kronzeugen dieser Ansicht gemacht wird (vgl. S. 16), wage ich zu bezweifeln.

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Die einseitige Akzentsetzung von Schmitz-Emans steuert nun sichtlich nicht nur die Auswahl der Texte, sondern auch deren Analyse und Interpretation, aus denen sich allerdings für die Studierenden zum Transfer geeignete Methoden nicht erschließen lassen. Dazu nur einige Beispiele: Klingemanns Nachtwachen, von denen Schmitz-Emans spürbar fasziniert ist, werden als »Zentraldokument des romantischen Nihilismus« gedeutet (S. 111). In dieser Formulierung, die auf eine längere Deutungstradition zurückgreift, bleibt allerdings unerläutert, was ›Nihilismus‹ eigentlich ist und vor allem: was das Spezifische an der besonderen Ausprägung des ›Nihilismus‹ in der Romantik sein soll.

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Und wenn es heißt, dass in diesem Text als »pointierte Antwort auf die vorromantische Emphase des Subjektiven und der Empfindung« die Vorstellung vom autonomen Subjekt als »Scheingebilde« entlarvt werde (S. 112), so wird übersehen, dass die Briefe zwischen Kreuzgang und Ophelia eine dichte Folge von intertextuellen Anspielungen auf die frühromantische Subjektphilosophie enthalten, mit deren Varianten und Krisenerscheinungen Klingemann als Student in Jena seit 1798 unmittelbar in Berührung gekommen ist.

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Bei Schmitz-Emans fehlt jeglicher Hinweis auf diesen Kontext, dessen Verarbeitung in der mit Clemens Brentano gemeinsam herausgegebenen Zeitschrift Memnon (1800) aufschlussreich dokumentiert ist. In Bezug auf diesen Kontext ließe sich dann auch eine provokative Frage stellen: Könnte man nicht unterstellen, dass der Text Klingemanns insgesamt dem Konzept der Romantischen Ironie folgt, so dass seine Aussage als Ganze dem ironischen Dementi unterliegt? Anders gesagt: Ist es nicht möglicherweise eine vereinfachende Fehllektüre, wenn man den Text als dogmatische Aussage über die Sinnlosigkeit der Welt liest? Steht nicht der ›Nihilismus‹ selbst unter dem Vorbehalt der Ironie?

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Ein anderes Beispiel: Um Josef von Eichendorffs Marmorbild im Sinne eines impliziten Romantikbegriffs der Verfasserin deuten zu können, muss die bekannte These in Frage gestellt werden, diese Novelle erzähle den erfolgreichen Entwicklungsprozess eines Individuums von der Adoleszenz zur Reife parallel zum Fortschritt der Geschichte von der Antike zum Christentum. Schmitz-Emans versucht dies, aber die Argumente, die sie dafür ins Feld führt, können nicht überzeugen. Sie basieren nämlich auf der Ausblendung von wichtigen Teilen des Textes, die nun einmal auf das Wirken geschichtlich objektivierter und institutionalisierter religiöser Traditionen hinweisen. So wird zur Verführungsszene, bei der Florio sich durch ein Stoßgebet rettet, gesagt, dieses Gebet komme ihm »unversehens über die Lippen«, und er sei »nicht wirklich Subjekt dieser rettenden Rede« (S. 134).

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Kann man das behaupten, wenn es im Text Eichendorffs heißt, der spreche das Gebet »aus tiefstem Grund der Seele«? Im Kontext der romantischen Religionsphilosophie wird der transzendente Gott des Christentums, den Florio hier anruft, ja geradezu als Garant der Freiheit des Subjekts in der Welt der Moderne gedeutet. Dass diesem Gebet der Gesang eines »alten frommen Liedes« vorausgeht, wird von Schmitz-Emans nicht erwähnt, und dass es einen Onkel mit dem sprechenden Namen Pietro gibt – er verweist auf die katholische Kirche –, der Florio und Bianca am Ende auf ihrer Reise begleitet, findet ebenfalls keine Erwähnung.

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Um die »Ambiguität« von Eichendorffs Novelle gegen eine christliche bzw. katholische Deutung zu betonen, zieht Schmitz-Emans dann auch noch die Gnosis als Kontext heran, wenngleich sie relativierend sagen muss: »Eichendorff ist kein Gnostiker« (S. 135). Was soll dann aber der Verweis auf die Gnosis? Dabei hätte es, um das von ihr richtig beobachtete Verhältnis von Progression und Zyklizität der Geschichte bzw. von Rettung und bleibender Verführbarkeit des Menschen zu deuten, völlig genügt, auf die Lehre des Trienter Konzils über die Erbsünde zurückzugreifen, die Eichendorff schon als Kind im Religionsunterricht gründlich gelernt hat. 8

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Dort heißt es, dass durch die Gnade Christi und das Sakrament der Taufe zwar die Schuld der Erbsünde getilgt werde, nicht aber die Begierlichkeit und der »Zündstoff« (fomes) der Sünde. Das ist die Situation Florios (und auch Biancas): Deswegen ist es plausibel, dass in der geschichtlichen Epoche der Renaissance, in der die Handlung spielt, die antiken Naturgottheiten mit ihrer verführerischen und verwirrenden Kraft zwar noch präsent sind und in jedem Frühling und in jeder Adoleszenz erwachen, aber mit Hilfe der Gnade und deren geschichtlicher Vermittlung – wozu auch die Dichtung Fortunatos gehört – prinzipiell in die Ordnung eines reifen Erwachsenenlebens integriert werden können.

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Man mag eine solche Interpretation bedauern, weil damit Eichendorffs ›Modernität‹ in Frage gestellt sein könnte. Sie findet aber nun einmal einen besseren Anhalt im Text und im Kontext dessen, was man von diesem Autor sonst noch kennt: Die Literatur der Romantik und der Moderne ist gerade charakterisiert durch einen spannungsvollen Bezug zwischen »Destabilisierungen« und immer neuen Versuchen einer »Restabilisierung«, und der Anschluss an die ordnende Tradition des Katholizismus ist dabei ein ziemlich häufig gewählter Weg, nicht nur in der Zeit der Romantik.

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Fazit

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In der Romantik ist schon bei den frühromantischen Anfängen zu beobachten, dass der ironischen Relativierung aller Festlegungen der Erscheinungswelt der Versuch korrespondiert, dem Subjekt durch Anschluss an geschichtlich gegebene Ordnungen religiöser oder politischer Provenienz vorübergehend einen festen Halt zu verleihen. Ein solches Pendeln zwischen Subversion und Affirmation von Ordnung und Autorität ist in der deutschen Literatur- und Intellektuellengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts in immer neuen Varianten zu beobachten. ›Modern‹ ist nicht allein die Subversion, sondern der Zusammenhang beider Tendenzen. Gerade darin ist die deutsche Romantik ein instruktives Beispiel für das Verständnis moderner Literatur. Ganz am Ende des Buches kommt, ohne dass die These bündig aus der Argumentation entwickelt worden wäre, ein Satz, der dieser Überlegung schon näher kommt: »Der romantische Diskurs lässt sich zusammenfassend durch die Stichworte Destabilisierung und versuchte Restabilisierung charakterisieren« (S. 150). So hätte man anfangen müssen! 9



Anmerkungen

Oskar F. Walzel: Deutsche Romantik. Eine Skizze. 2. u. 3. umgearb. Aufl. Leipzig 1912.   zurück
Vgl. René Wellek / Austin Warren: Theorie der Literatur. Aus dem Englischen übertragen von Edgar und Marlene Lohner. Frankfurt/M. / Berlin 1968, S. 241.    zurück
Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Erster Band. Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700–1815. Zweiter Band. Von der Reformära bis zur industriellen und politischen »Deutschen Doppelrevolution« 1815–1845/49. München 1987.   zurück
Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat. München 1983.    zurück
Manfred Frank: Unendliche Annäherung. Die Anfänge der philosophischen Frühromantik. Frankfurt / M. 1997.   zurück
Vgl. z.B. Jürgen H. Petersen: Mimesis – Imitatio – Nachahmung. Eine Geschichte der europäischen Poetik. München 2000, S. 240 ff.; Detlef Kremer: Romantik. Lehrbuch Germanistik. Stuttgart u.a. 2001 (siehe dazu die Rezension http://iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/Stockinger3476019721_438.html).   zurück
Herbert Uerlings: Einbildungskraft und Poesie bei Novalis. In: H. Ü. (Hg.): Novalis. Poesie und Poetik. Tübingen 2004, S. 21–62, S. 55.   zurück
Vgl. Heinrich Denzinger / Adolf Schönmetzer: Enchiridion Symbolorum, Definitionum et Declarationum de Rebus Fidei et Morum. Freiburg u.a. 1965, Nr. 1515.   zurück
Im übrigen muss man feststellen, dass dem Buch eine gründliche Lektorierung fehlt. Eine Aufzählung aller Fehler ist hier nicht möglich. Nur zwei Hinweise: S. 127 wird eine Stelle aus E.T.A. Hoffmanns Serapionsbrüdern fehlerhaft zitiert; S. 145 wird Madame de Staëls Corinne auf das Jahr 1895 (statt 1807) datiert. Diese Nachlässigkeiten sind nicht nur ziemlich ärgerlich, sondern auch für Studierende nicht eben vorbildlich.   zurück