Martin Roland

Anregendes zu einer bisher kaum bekannten Handschrift




  • Judith Raeber: Buchmalerei in Freiburg im Breisgau. Ein Zisterzienserbrevier aus dem frühen 14. Jahrhundert. Zur Geschichte des Breviers und seiner Illumination. Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert 2003. 327 S. 61 Abb. Gebunden. EUR 98,00.
    ISBN: 3-89500-321-2.


[1] 

Auf dem Deckel und dem Rücken des sehr gediegen ausgestatteten Bandes kündigt uns die Autorin ein Werk über Buchmalerei in Freiburg im Breisgau an. Erst das Studium der Titelseite offenbart, womit sich das von Judith Raeber vorgelegte Werk tatsächlich beschäftigt:

[2] 

1. mit einem in der Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern aufbewahrten Zisterzienserbrevier der Zeit um 1300

[3] 

2. mit dessen Einordnung in die bildende Kunst in Freiburg der Jahre um 1300

[4] 

3. mit einem Überblick über die Entwicklung des Breviers als in Handschriften überliefertem Text und dessen »Illumination«.

[5] 

1. Das Zisterzienserbrevier,
Luzern, Zentral- und
Hochschulbibliothek, P 4.4

[6] 

Codicologie

[7] 

Mit zumeist detaillierten, jedoch mitunter terminologisch unsicheren Angaben macht die Autorin den Leser mit ihrem Untersuchungsgegenstand vertraut. Größe, Einband, Beschreibstoff, Reglierung, Schrift, »Ausstattungsformen und Ausstattungsordnung« sowie der Erhaltungszustand werden auf S. 3–9 abgehandelt. Etwas unorthodox erscheint, daß die Besprechung des Lagenaufbaues erst im Abschnitt »Der inhaltliche Aufbau der Handschrift« behandelt wird.

[8] 

Inhalt 1: Kalender

[9] 

Es folgt eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Codex, bei dem vor allem die umsichtige Analyse des Kalenders hervorgehoben werden muß (S. 11–15). Die zisterziensische Ausrichtung wird sehr zu Recht mit den ordenstypischen Gedenktagen, mit dem Eintrag des Robert von Molesme (29. April) und der Oktav zum Fest des hl. Bernhard begründet.

[10] 

Die Entstehung innerhalb der Diözese Konstanz erscheint Raeber wegen der Nennung des Konstanzer Bischofs Konrad (26. November) und des hl. Leodegar (2. Oktober) wahrscheinlich. Während Konrad tatsächlich charakteristisch ist, ist Leodegar nach Grotefend 1 allgemein verbreitet und als Argument daher wohl hinfällig. Bemerkenswert ist, daß diese beiden Heiligen im Sanctorale offenbar nicht vorkommen (vgl. Raebers Auflistung S. 210–212). Die Autorin hat dankenswerterweise etliche Materialien als Anhänge beigegeben (S. 209–318); den Rezensenten hätte es gefreut, wenn auch ein Abdruck des Kalenders publiziert worden wäre, oder die Autorin zumindest eine Seite des Kalenders abgebildet hätte.

[11] 

Welche Kirche wurde am
16. Oktober geweiht?

[12] 

Rätsel gibt Raeber der radierte Eintrag dedicatio ecclesie am 16. Oktober auf, den sie – trotz intensiver Bemühungen – nicht mit einem bestimmten Ordenshaus in der Diözese Konstanz verknüpfen konnte (S. 13 f.). Ob sich der Hinweis tatsächlich auf die Kirche bezieht, für die das Brevier geschrieben wurde, kann auch in Frage gestellt werden. Es wäre z.B. vorstellbar, daß der Eintrag irrigerweise auf den 16. des Monats geriet und daher radiert wurde; vielleicht sollte er den 17. hervorheben, den Weihetag von Cîteaux, ein Datum, auf das schon Raeber verwiesen hat.

[13] 

Inhalt 2: Psalterium

[14] 

Auch die anderen Teile, die zu einer Brevierhandschrift gehören, werden behandelt. Ausführlich begründet Raeber, warum sie der Meinung ist, daß zwischen den Collectae (foll. 9r–13v) und dem Proprium de tempore (foll. 14r–199v) ein Psalterium fehlt. Die von Raeber festgestellte »beträchtliche Lücke in der Lagenbindung« (S. 16) kann nicht so umfangreich sein, daß – einer groben Berechnung nach – dort ca. 85 Blätter für einen Psalter vorhanden gewesen sein könnten; der Einband aus dem Jahre 1717 (S. 3 f. und Abb. 79 f.), der den Codex heute umschließt, kann eine um über 20 % umfangreichere Handschrift sicher niemals umschlossen haben.

[15] 

Inhalt 3: foll. 199v–228r
und die Transkriptionspraxis der Autorin

[16] 

Dem Rezensenten unverständlich bleibt, welche Texte den Bereich zwischen fol. 199v und fol. 228r füllen: Fol. 199v endet nach Raeber (S. 16 und 210) das Temporale mit dem Offizium zum letzten Sonntag im November (was immer das genau bedeuten mag). Fol. 228r beginnt das Proprium de sanctis, das »dem Temporale nahtlos auf fol. 228 [folgt]« (S. 17). Leider trägt auch »Anhang A: Wahl der Texte« (S. 209–213) zur Klärung nichts bei. Hier werden die Rubriken zu den einzelnen Offizien aufgelistet, wobei die eigenwillige Umsetzung des handschriftlichen Textes in den Druck auffällt. Raeber folgt ihrem Vorbild theoretisch buchstabengetreu, freilich läßt sie Kürzungszeichen in der Mehrzahl der Fälle einfach unberücksichtigt: »Do(mini)ca i. i. adventu dni.« steht daher für Dominica Ia (prima) i(n) adventu(m) Domini, wie sich auf der brillanten Farbreproduktion von fol. 14r des Breviers problemlos nachprüfen läßt. Manchmal benötigt das Verständnis vom Leser einige Erfahrung: Daß »In nat. uni. m. n. po.« für ›In nat(ivitate) uni(us) m(artyris) n(on) p(ontificis)‹ steht, ist aus der Stellung der Angabe im Abschnitt über das Commune sanctorum noch auflösbar, den folgenden Eintrag »In nat. plione« kann der Rezensent – ohne das Original mit den Kürzungszeichen zu sehen – freilich nicht auflösen. Es könnte z.B. für ›In nativitate plurimorum (martyrum non pontificum)‹ stehen.

[17] 

Entstehungsumstände

[18] 

Die Autorin identifiziert überzeugend die drei im Randdekor enthaltenen Wappen und stellt übersichtlich dar, für welche Personen diese stehen (S. 23–31): Gregor von Falkenstein (ab 1294 urkundlich nachweisbar; gest. 1331), seine Gemahlin Liutgart von Stauffenberg und deren Schwiegersohn Johannes von Munzingen, genannt der Ramer (gest. 1339). Sehr instruktiv schildert Raeber die sozialen Beziehungen zwischen Ritterschaft, Ministerialen und städtischen Oberschichten Freiburgs sowie deren Verhältnis zu den diversen städtischen und kirchlichen Institutionen. Sie entwirft ein sehr lebendiges Bild (S. 32–43), in das der Leser die Entstehung des behandelten Breviers problemlos integrieren kann. Ebenso souverän gestaltet Raeber den Abschnitt über die spätere Provenienz des Codex, bis er schließlich 1848 in seine jetzige Bibliotheksheimat gelangte (S. 48–50).

[19] 

Tennenbach oder Günterstal

[20] 

Zu Recht betont Raeber die Beziehungen zu den beiden im Umfeld Freiburgs gelegenen Zisterzen Günterstal (Nonnen) und Tennenbach. Für beide mögliche Bestimmungsorte findet sie ausreichende Argumente, die – jedes für sich – eine entsprechende Zuordnung als gesichert erscheinen lassen würden (S. 35–38). Sehr umsichtig und mit bewundernswerter Zurückhaltung läßt Raeber die letzte Entscheidung jedoch offen.

[21] 

Ikonographie

[22] 

Ein Höhepunkt des Buches von Judith Raeber sind die lebendigen Beschreibungen der 27 mit historisierten Deckfarbeninitialen und teilweise aufwendigem Randschmuck versehenen Seiten (S. 51–80); alle sind zudem in vorzüglichen, sogar leicht vergrößerten Farbabbildungen wiedergegeben. Bemerkenswert ist z.B. die prozessionsartig gestaltete, aber leider verwischte Epiphanie-Darstellung (fol. 53r). Die Initiale zum dritten Fastensonntag (fol. 104v) ist zweigeteilt: unten zwei Brüder von Josef mit dessen blutverschmiertem Gewand und oben deren Vater Jakob; die Darstellung bezieht sich offenkundig auf die erste Lesung der Nokturn. Die Initiale zum Fest der hl. Agnes (fol. 244v) stellt die Heilige dar, wie sie den Sohn des Stadtpräfekten wegstößt, der sie heiraten möchte. Besonders ungewöhnlich ist die Wiedergabe von Aleth, der Mutter des hl. Bernhard, die von einem laut bellenden Hund träumt (fol. 314r). Die Initiale, die das Fest des Hauptheiligen des Ordens in einem Zisterzienserbrevier hervorhebt, kommt – und das ist wahrlich erstaunlich – ohne dessen Darstellung aus!

[23] 

Randdekor mit Symbolgehalt

[24] 

Der »Dornauszieher«, der den Rand von fol. 14r, dem Beginn des Temporales, bevölkert, wird von Raeber seiner Bedeutung gemäß gewürdigt (S. 52 f.). Neben den von ihr aufgezählten mittelalterlichen Beispielen sollte man – wegen der geographischen Nähe – wohl auch jene Figur des 13. Jahrhunderts nennen, die am Schwabentor in Freiburg angebracht ist 2 .

[25] 

Selbstverständlich erkennt Raeber den Symbolgehalt des im Feuer sitzenden Phönix (foll. 244v, 322r). Die anderen Tiere des unteren Randbereiches von fol. 244v beschreibt sie bloß: den feuerspeienden Löwen, das aus einem dunklen Loch hüpfende Schwein und eine violette Taube, die gegen ein Himmelsgestirn fliegt. Auf fol. 322r, also beim Offizium zu Mariae Geburt, treten wiederum der Phönix und die vermeintliche Taube auf, hier noch begleitet von einem Pelikan, der sich die Brust aufhackt, um seine Brut zu füttern. So sehr die nur zu berechtigte Vorsicht der Autorin bei der Identifikation des Randdekors zu begrüßen ist, mag es doch erlaubt erscheinen, auf die Fabel zu verweisen, die berichtet, daß der Adler (also keine Taube) zur Sonne fliegt, um sich zu verjüngen.

[26] 

Auch bei anderen Tieren (z.B. einer Fledermaus fol. 252r oder der Sirene auf derselben Seite) erscheint eine Verknüpfung mit Gedankenbildern möglich, die dem mittelalterlichen Benützer vertraut waren. Derartige Verbindungen waren jedoch sicher niemals zwingend und eindeutig: In diese Kategorie würde der Rezensent z.B. auch den Dornauszieher auf fol. 14r, den Randdekor fol. 155v mit Fiedler, Vogel im Käfig, Affen, zwei Fischen und Blütenzweig, die kämpfenden Einhörner fol. 160v, die Szene mit dem Einhorn, das – nachdem es zur Jungfrau gelangt ist – erlegt wird (fol. 236v), und die spinnende Jungfrau mit Vogel im Käfig auf fol. 338r einordnen.

[27] 

Johannes der Täufer und
eine (vermeintliche) Maleranweisung

[28] 

Das Offizium zur Geburt Johannes des Täufers am 29. August (fol. 282v) wird durch eine Initiale hervorgehoben, die seine Enthauptung darstellt. Dies verwundert die Autorin (S. 71 und 91 f.) mit umso mehr Berechtigung, als auch das Fest seines Martyriums mit einem eigenen Offizium begangen wird. Eine mögliche Erklärung, die die Autorin nicht erwähnt, stellen die Lesungen der Nokturn dar: Die ersten beiden nehmen nämlich erstaunlicherweise auf das Martyrium Bezug.

[29] 

Die Worte »(i)n pare«, die die Autorin neben einem Rankenfortsatz auf eben dieser Seite zu lesen vermeint, lassen sie an eine Maleranweisung denken (S. 72, 102, 106). Die wiederum makellose Farbtafel offenbart jedoch einen anderen Sachverhalt: Der zu Beginn stehende Haken ist nicht als Buchstabe zu interpretieren, sondern als Verweiszeichen, das sich auf selber Höhe im Text zwischen den Worten lumine und domino wiederfindet. Diese gehören zum Responsorium der ersten Lesung 3 , das aus zwei Bibelstellen ›gesampelt‹ ist (Joh 1, 6–8 und Lk 1, 17), die genau an der Stelle der Einfügung zusammentreffen. Parare (der Querbalken durch die Unterlänge des p ist eindeutig als entsprechende Kürzung erkennbar) bildet das erste Wort der Lukasstelle.

[30] 

2. Stilistische Analyse

[31] 

Ein weiterer Höhepunkt der Arbeit Judith Raebers ist die gelungene stilistische Einordnung, die schon in einem gemeinsam mit Andreas Bräm verfaßten Artikel vorgestellt wurde 4 . Während die Scheidung von zwei Malerhänden (Initialen bzw. Randdekor; vgl. S. 106 f.) nicht zwingend erscheint, überzeugt die Charakterisierung des typisch ›Freiburger‹ Stilidioms des ›Süßen neuen Stils‹: Die Figuren besitzen trotz ihres zeittypisch zarten Körperbaus Volumen, das Gewand wird in deutlich modellierten Falten um einen Körperkern gelegt, in den Schüsselfalten vor allem im Hüftbereich tief einschneiden.

[32] 

Die St. Gallener Weltchronik

[33] 

Überzeugend weist Raeber das Luzerner Brevier einem Werkstattumfeld zu, dessen unbestrittenes Hauptwerk die in der Vadiana in St. Gallen aufbewahrte Weltchronik (Cod. 302) 5 darstellt. Trotz der eklatanten Größenunterschiede, trotz der in der Weltchronik fehlenden Initialornamentik und trotz der doch bescheideneren Qualität des Breviers ist die Zuordnung vollkommen schlüssig.

[34] 

Weitere Vergleichsbeispiele

[35] 

Leipzig, Universitätsbibliothek,
Ms. V. 1102 (zwei Bände)

[36] 

Neben der St. Gallener Weltchronik widmet Raeber dem Leipziger Machsor den meisten Raum (S. 117–120, 130). Die Illustrationen dieser berühmten Handschrift stammen tatsächlich aus demselben Umfeld, eine unmittelbare Werkstattzugehörigkeit ist jedoch nicht gegeben. Schade, daß versäumt wurde, auf das prächtige Teilfaksimile dieses Codex aus dem Jahre 1964 hinzuweisen, wo der stilistische Zusammenhang mit der St. Gallener Weltchronik in einem Beitrag von Bezalel Narkiss schon ausführlich dargelegt ist. 6

[37] 

St. Paul im Lavanttal,
Benediktinerstift, Cod. 52 / 1

[38] 

Neu in den Werkstattbereich des Luzerner Breviers möchte ich diesen Psalter stellen, der aus St. Blasien im Schwarzwald stammt 7 . Er ist bloß 14 cm groß und mit einer Deckfarbeninitiale zu Beginn (fol. 8r) sowie mit Fleuronnée-Initialen ausgestattet.

[39] 

Zuerst fallen die sehr ähnlich gestalteten Drolerien auf: Man vergleiche etwa den geigenden Affen der Beatus-vir-Initiale des Psalters mit ›Luzerner‹ Artgenossen (z.B. foll. 14r, 155v), oder den laufenden Hasen mit Luzern fol. 104v. Ebenso ähnlich sind die konkav gebogten Gründe hinter den Rankenfortsätzen, die mit Deckweiß gepunktet sind, und die eingeklappten Profilblätter, mit denen viele Rankenäste enden; ein für das Luzerner Brevier geradezu typisches Motiv. Nicht zuletzt sind die besonders auffallenden ›Blattscheiben‹ zu erwähnen, mit denen der untere Fortsatz des Psalters besetzt ist und die ihre Entsprechung in Luzern, fol. 123v oder fol. 338r, bei dem aus dem Maul des Drachens wachsenden Ast, haben.

[40] 

Karlsruhe, Badische Landesbibliothek,
Cod. St. Georgen perg. 5

[41] 

Raeber erörtert dann (S. 128) sehr zu Recht ein zisterziensisches Antiphonar in Karlsruhe (Ms. St. Georgen perg. 5). Ellen J. Beer 8 datiert den Grundstock mit Fleuronnée-Initialen in das letzte Viertel des 13. Jahrhunderts und die hier relevanten ergänzten Deckfarben-Initialen zum Fest der hl. Agnes in das erste Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts, also etwa gleichzeitig mit dem Luzerner Brevier. Als Auftraggeber macht sie die Zisterzienserinnen von Wonnental im Breisgau wahrscheinlich.

[42] 

Karlsruhe, Badische Landesbibliothek,
Cod. U. H. 1

[43] 

Ebenfalls für Wonnental sind die in das Fleuronnée der Hauptinitialen integrierten, sorgfältig mit Deckfarbe gemalten Figuren dieses Zisterzienser-Graduale entstanden (vgl. Raeber S. 123 f., 127) 9 . Sie übernimmt die Datierung von Beer 10 , die »nach 1318« vorschlägt. Das Datum ergibt sich aus dem Vorhandensein des Offiziums zu Fronleichnam, das bei den Zisterziensern erst ab 1318 begangen wurde. Da dieses Offizium jedoch nicht nur im Cod. U. H. 1 sondern auch im Luzerner Brevier vorkommt, ist eine Differenzierung der Datierung wegen dieses Argumentes nicht sinnvoll. Raeber (S. 16 f.) liefert – auf den Luzerner Codex bezogen – glaubwürdige Argumente, warum gerade im habsburgischen Einflußbereich ein früheres Auftreten dieses Festes durchaus plausibel ist.

[44] 

Schlußfolgerung

[45] 

Ein wesentlich engeres Verhältnis der körperhaften Figuren des Cod. U. H. 1, deren Präsenz durch den ›immateriellen‹ Charakter des umgebenden Fleuronnée noch weiter gesteigert wird, zu dem Luzerner Brevier und vor allem zur St. Galler Weltchronik ist daher durchaus vorstellbar. Vor allem aber erscheint es wahrscheinlich, daß die Figuren in den beiden aus Wonnental stammenden Codices von demselben Maler stammen (Raeber, Abb. 93–97). Man vergleiche z.B. die knienden Frauengestalten auf Abb. 94 (Cod. U. H. 1) und Abb. 97 (Cod. St. Georgen perg. 5), deren Gewand in identischen Falten angeordnet ist und sehr ähnlich modelliert wird. Auch der Gesichtsschnitt stimmt vollkommen überein. Der Zusammenhang läßt sich auch anhand des Luzerner Breviers belegen: Die bescheidenen Blattformen an den Initialfortsätzen von Cod. St. Georgen perg. 5, fol. 16r (Raeber, Abb. 97). stimmen genau mit Blättern in Luzern überein (fol. 252r und 366r, jeweils unten: Raeber, Abb. 16 und 26).

[46] 

Die vier Handschriften (St. Gallen, Luzern und die beiden in Karlsruhe) werden im ersten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts, die Wonnentaler Initialen vielleicht zu Beginn des 2. Jahrzehnts des 14. Jahrhunderts entstanden sein.

[47] 

Zur Lokalisierung

[48] 

Der Großteil der St. Gallener Weltchronik wurde von einem in Zürich nachweisbaren Schreiber geschrieben. Dieser war es auch, der die Freiräume für die Miniaturen freigelassen hat und damit das Illustrationsprogramm bestimmt hat. Die unverrückbaren Argumente, die eine Entstehung der St. Gallener Weltchronik in Zürich bestätigen, wurden im Begleitband des Faksimiles ausführlich dargelegt 11 . Der Stil der Miniaturen hat – neben seiner allgemein ›westlichen‹ Ausrichtung – jedoch tatsächlich enge Beziehungen zu Freiburger Werken der Plastik 12 , sowie der Breisgauer Buchmalerei (siehe oben).

[49] 

Der von Raeber als ›freiburgisch‹ apostrophierte Stil ist für den Breisgauer Vorort tatsächlich charakteristisch. Die Vertreter dieser sehr eigentümlichen Stilvariante waren jedoch – so wie alle damaligen Künstler – durchaus mobil. Es verwundert daher gar nicht, daß sie nicht nur nach Zürich gelangten, um an der Weltchronik zu arbeiten, sondern – wie schon Beer betont hat 13 – auch für das Chorschlußfenster in Münchenbuchsee (Kanton Bern) verantwortlich zeichneten.

[50] 

Zum Initialdekor

[51] 

Raeber vermeidet es, zur Ableitung des ornamentalen, vegetabilen und zoomorphen Dekors der Initialen und der Fortsätze Stellung zu nehmen. Dies ist freilich nur zu gut verständlich, denn es finden sich kaum konkrete Hinweise, mit denen man die vage westliche Ausrichtung spezifizieren könnte. Die Üppigkeit der zoomorphen Beigaben ist freilich in Paris und dem französischen Kernland viel weniger verbreitet als im nordfranzösisch-niederländischen Bereich.

[52] 

Fleuronnée-Initialen

[53] 

Das Luzerner Brevier weist zahllose zweizeilige abwechselnd rote und blaue Lombarden auf, die von sorgfältig gezeichnetem Fleuronnée in der Gegenfarbe umgeben sind. Zusätzlich werden das Fronleichnamsfest (fol. 164v) und drei Heiligenoffizien (foll. 273v, 303v, 380v) mit größeren Fleuronnée-Initialen hervorgehoben. Diese Feste wurden offenbar als sekundär empfunden, eine dezente Hervorhebung sollten sie dennoch erhalten. Wenn man um die grundlegende Bedeutung weiß, die das Fleuronnée bei der Einordnung von Handschriften spielt, dann muß man bedauern, daß nicht zumindest die Initiale zum Fronleichnamsfest – dieses ist ja auch aus liturgischen Gründen von einiger Bedeutung (siehe oben) – mit einer Abbildung gewürdigt wurde. Diese hätte es ermöglicht, das Fleuronnée mit den von Ellen Judith Beer 14 erarbeiteten Gruppen zu vergleichen. (Raeber widmet bloß zwei sehr kurze, wenig aussagekräftige Abschnitte dieser Dekorationsform: S. 7 f., 81 f.)

[54] 

Die Fleuronnée-Initialen des Psalters in St. Paul (siehe oben) gehören z.B. mit großer Sicherheit in die von Beer 15 definierte Gruppe 2, innerhalb dieses langlebigen Umfeldes sind sie jedoch derzeit nicht genauer einzuordnen.

[55] 

3. Das Brevier
und seine Illustration

[56] 

Judith Raeber fügt ihrer Arbeit noch einen dritten Teil an, der sich mit dem Brevier beschäftigt. Ein allgemeiner Überblick erlaubt es dem Leser sich mit dem Chorgebet als liturgischem Ausgangspunkt, mit der Entstehungsgeschichte des Buchtyps und mit dessen Aufbau vertraut zu machen (S. 140–162) 16 .

[57] 

Sie weist den Brevier-Handschriften eine (vielleicht zentrale) Funktion als ›Koordinationszentrum‹ des Chorgebetes zu, für das ja bekanntlich zahlreiche verschiedene Bücher notwendig waren. Sie macht glaubhaft, daß Brevier-Handschriften zuerst in Spanien auftraten und vor allem im monastischen Bereich genutzt wurden. Als Anhang publiziert Raeber eine Liste von Brevier–Handschriften bis ca. 1100 (S. 218–222) 17 .

[58] 

Zur Ausstattung der Breviere nimmt der nächste Abschnitt Stellung (ab S. 166). Eine Liste von mit figürlichem Buchschmuck versehenen Brevier-Handschriften bis zum Ende des 13. Jahrhunderts (sowie eine auf die Pariser Werkstätte von Jean Pucelle beschränkte Auswahl von Beispielen des 14. Jahrhunderts) bildet Anhang C (S. 223–266).

[59] 

Ausstattungstypen 1:
Bildproömium

[60] 

Von der Psalter-Illustration sind jene Brevier-Illustrationen abgeleitet, die ein ›Bildproömium‹ voranstellen (vgl. S. 179–181, 190 f.). Ganzseitige Darstellungen, die meistens prominente Szenen aus dem Leben Jesu zum Thema haben, dominieren. Zu nennen sind vor allem Paris, Bibliothèque Mazarine, Ms. 364 (aus Montecassino, 1099–1105), sowie Graz, Universitätsbibliothek, Ms. 763 und 778 (beide zweite Hälfte 12. Jh.). Der in den Grazer Handschriften erkennbare Schwerpunkt in dem steirischen Benediktinerinnenstift Seckau wird durch ein Brevier des beginnenden 13. Jahrhunderts untermauert (Graz, UB, Ms. 1202), das ein Bildproömium mit Heiligendarstellungen enthält (S. 259) 18 .

[61] 

Ausstattungstypen 2:
Historisierte Initialen

[62] 

Am weitesten verbreitet sind historisierte Initialen, die sich als kongeniale Illustrationsform erwiesen haben. Frühe Beispiele wie ein noch aus dem 11. Jahrhundert stammendes Brevier aus Saint-Martial in Limoges (Paris, BNF, Ms. lat. 743) sind mit wenigen, unsystematisch verteilten, Illustrationen versehen. Die jeweiligen Lektionen bilden offenbar den Ausgangspunkt für die Darstellungen. Weitere Beispiele sind Troyes, Bibliothèque municipale, Ms. 571, für den französischen Bereich, Udine, Biblioteca Arcivescovile, Ms. 79, für Italien, und Graz, UB, Ms. 1257, für das deutschsprachige Gebiet.

[63] 

Systematischer ausgestattete Breviere greifen auf Bildprogramme zurück, wie sie für Antiphonare oder Gradualien entwickelt wurden, also für im Aufbau verwandte Chorbücher (S. 181 f.). Nun werden die bekannten Hauptfeste des Kirchenjahres illustriert. Das am reichsten ausgestattete Brevier dieses Typs aus dem 12. Jahrhundert ist wohl Paris, BNF, Ms. lat. 796 (Raeber, S. 226 f.; Abb. 107, 110, 111, 113). Aus dem deutschsprachigen Bereich sind die Fragmente eines offenbar sehr reich ausgestatteten Breviers aus Melk zu nennen (Raeber, S. 229).

[64] 

Buchschmuck zum
1. Adventsonntag

[65] 

Raeber weist darauf hin, daß der Beginn von Brevier-Handschriften durch Initialen zu zwei ganz verschiedenen Themenkreisen hervorgehoben wurde: einerseits der Prophet Jesaja, oft zusammen mit dem thronenden Christus, und andererseits Verkündigungsszenen 19 . Vielleicht etwas zu wenig deutlich macht die Autorin, daß beide Bildtraditionen unmittelbar vom Text ausgehen. Die Verkündigung nimmt auf das Responsorium ›Missus est Gabriel‹ Bezug, und Jesaja auf die erste Lesung, die aus dem Beginn seines Prophetenbuches genommen wurde und zudem ›Visio Isaiae‹ beginnt. Dies behält sicher auch dann Gültigkeit, wenn die entsprechend ausgestatteten Initialen – was häufig der Fall ist – nicht genau bei dem Text selbst stehen, sondern z.B. ganz am Beginn des Offiziums zum 1. Adventsonntag.

[66] 

Fazit

[67] 

Raeber verharrt so wie Leroquais vor 70 Jahren 20 bei einer katalogmäßigen Darstellung des Materials und gelangt nicht zu einer Geschichte der Brevier-Illustration, die verschiedene Überlieferungsstränge definiert und beschreibt. Gemeinsam mit einem mit der Textgeschichte vertrauten Theologen, der den Zusammenhang mit den jeweiligen Offizien bestimmen könnte, sollte man die Ansätze zu einem interdisziplinären Projekt ausbauen. Dabei könnten neben den inhaltlichen Bezügen auch die Verbindungen zu verschiedenen Auftraggebern und lokale Besonderheiten untersucht werden.

[68] 

Neben dem Hauptstrom, den ein mehr oder weniger unspezifischer Grundstock an historisierten Initialen zu den einzelnen Hauptfesten bilden wird, wird in einem solchen Forschungsvorhaben auch Platz sein, um ungewöhnliche Fälle ausführlicher zu würdigen. Die Frankfurter Handschrift Ms. lat. oct. 3 (Stadt- und Universitätsbibliothek) 21 zeichnet mit Miniaturen den Lebensweg Jesu nach. Damit wird die Funktion des ursprünglichen Bildproömiums in den Ablauf des Breviers integriert. Raeber bildet fol. 108v ab (Abb. 152): die in drei Streifen aufgebaute Deckfarbenminiatur enthält oben eine Epiphanie, in der Mitte eine Taufe Christi und unten eine Hochzeit zu Kanaa.

[69] 

Der Rezensent erlaubt sich auf ein Kollektar in Fulda (Hessische Landesbibliothek, Aa 35) 22 aufmerksam zu machen, das eine in vielem ähnliche Bilderseite enthält. 23 Dieser Codex stammt aus dem Benediktinerstift Weingarten und entstand um 1120–1130 (nach Jakobi-Mirwald). Nicht nur dieses ganzseitige Bilderfeld, sondern auch die Streifenbilder und die kleineren Bildfelder scheinen einem durchaus verwandten Illustrationsgedanken zu folgen. Eine genauere Untersuchung wäre – wie schon gesagt – durchaus lohnend. Vorläufig steht uns die Arbeit Judith Raebers zur Verfügung, die zu vielen interessanten Fragen der Brevierforschung hinführt, jedoch im Ganzen doch nicht befriedigen kann.

[70] 

4. Fazit

[71] 

Die rezensierte Arbeit weist die Forschung auf ein bisher weitgehend unbekanntes Denkmal der breisgauischen Malerei des beginnenden 14. Jahrhunderts hin und bietet Ansätze, das stilistische Umfeld erneut zu erforschen. Trotz mancher, teilweise auch schwer wiegender Kritikpunkte, muss der Dank an die Autorin im Vordergrund stehen, sich mit einer Epoche beschäftigt zu haben, die – wie die Autorin demonstriert hat – noch so manchen ungehobenen Schatz bereithält.


Dr. Martin Roland
Österreichische Akademie der Wissenschaften
Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters
c/o Otto Pächt-Archiv am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
Spitalgasse 2-4, Hof 9
AT - 1090 Wien

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Ins Netz gestellt am 14.07.2004

IASLonline ISSN 1612-0442

Diese Rezension wurde betreut von unserer Fachreferentin Dr. Bettina Wagner. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Natalia Igl.

Empfohlene Zitierweise:

Martin Roland: Anregendes zu einer bisher kaum bekannten Handschrift. (Rezension über: Judith Raeber: Buchmalerei in Freiburg im Breisgau. Ein Zisterzienserbrevier aus dem frühen 14. Jahrhundert. Zur Geschichte des Breviers und seiner Illumination. Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert 2003.)
In: IASLonline [14.07.2004]
URL: <http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=911>
Datum des Zugriffs:

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Anmerkungen

Fritz Baumgarten: Der Dornauszieher am Schwabentor zu Freiburg im Breisgau. In: Schau-ins-Land 31 (1904), S. 1–15.   zurück
Vgl. Renatus Joannes Hesbert: Corpus Antiphonalium officii. Rom: Herder 1963–1979, Nr. 8075.    zurück
Judith Raeber, Andreas Bräm: Das Zisterzienserbrevier P 4.4° in der Zentralbibliothek Luzern. Eine Bilderhandschrift aus der Freiburger Werkstatt der Weltchronik des Rudolf von Ems, Vad. 302. In: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 54 (1997), S. 59–68.   zurück
Grundlegend: Rudolf von Ems: Weltchronik, Der Stricker, Karl der Große. Kommentar zu Ms 302 Vad. Hg. Kantonsbibliothek (Vadiana) St. Gallen. Luzern: Faksimileverlag 1987. – Zu der Überlieferung der Weltchroniken siehe auch: Martin Roland: Illustrierte Weltchroniken bis in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts. Phil. Diss. Wien 1991 (masch.). Im Netz zugänglich unter: www.univie.ac.at/paecht-archiv (link: MitarbeiterInnen: Martin Roland). Auch hier wird ausführlich zum Stil Stellung genommen (S. 194–196); neben den schon von Beer im Faksimile-Kommentar genannten Beispielen werden vorbildhafte Handschriften aus Amiens (New Haven, Yale University, Ms. 229, und Paris, BNF, Ms. fr. 95) genannt, auf die Gerhard Schmidt mündlich verwiesen hat.   zurück
Elias Katz (Hg.): Machsor Lipsiae. 68 Faksimile-Tafeln der mittelalterlichen hebräischen illuminierten Handschrift aus dem Bestand der Universitätsbibliothek Leipzig. Leipzig 1964, hier S. 48 f.   zurück
Kurt Holter: Die Bibliothek. Handschriften und Inkunabeln. In: Karl Ginhart (Hg.): Die Kunstdenkmäler des Benediktinerstiftes St. Paul im Lavanttal und seiner Filialkirchen (Österreichische Kunsttopographie 37) Wien: Verlag Anton Scholl 1969, S. 340–441, zu Cod. 52 / 1, S. 372 und Abb. 551.   zurück
Ellen Judith Beer: Beiträge zur oberrheinischen Buchmalerei in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der Initialornamentik. Basel–Stuttgart: Birkhäuser Verlag 1959, S. 90.   zurück
Es waren nach Ellen Judith Beer, Beiträge (wie Anm. 8), S. 103, zwei Floratoren und drei Figurenmaler tätig, die – in mehreren Phasen – die Handschrift ausgestattet haben. Die Angaben bei Beer (S. 94–103 [Katalog] und S. 43 [zu den figürlichen Elementen]) sind nicht ganz schlüssig. Vom hier relevanten Hauptmeister der Figuren scheinen foll. 19v (Raeber, Abb. 93), 22v, 118r, 147v (Beer, Abb. 35; Raeber, Abb. 94), 154r, 176v (Beer, Titelbild und Abb. 38) und 179r zu stammen, sowie außerhalb der Initialen befindlichen Figuren (foll. 5r, 179r, 183r). Eine umfassende Studie zu dieser bedeutenden und reich ausgestatteten Handschrift ist ein dringendes Desiderat.   zurück
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Ellen Judith Beer, Beiträge (wie Anm. 8), S. 94–103.   zurück
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Rudolf von Ems: Weltchronik, Der Stricker, Karl der Große (wie Anm. 5). Vgl. vor allem die Beiträge von Karin Schneider (S. 19–42), Stephan Sonderegger (S. 43–60) und Ellen Judith Beer (S. 61–125).   zurück
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Hier ist vor allem die Vorhalle des Münsters bedeutsam (Ellen Judith Beer im Faksimile-Kommentar, wie Anm. 5, S. 119). Die westlichen Vorbilder werden offenbar über ganz rezente Straßburger Zwischenstufen rezipiert. Dieter Gerhard Morsch: Die Portalhalle im Freiburger Münsterturm. Münster u. a.: Waxmann 2001, behandelt diesen Skulpturenkomplex zuletzt und datiert Tympanon, Skulpturen der Vorhalle und die vier ›Grafen von Freiburg‹ allesamt zwischen 1281 / 82 und 1284. Einer der Grafen ist durch seine Haltung mit überschlagenem Bein (Richterpose) durchaus als Anregung für den Dornauszieher auf fol. 14r des Luzerner Breviers vorstellbar. Ihre stilistische Grundhaltung wiederum spiegelt sich am besten in der thronenden Gottesfigur wieder, die die Miniatur fol. 15v der St. Gallener Weltchronik beherrscht. Breite Stoffbahnen und das plastisch modellierte Oberflächenrelief gehören zu den gemeinsamen Merkmalen.    zurück
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Ellen Judith Beer, Faksimile-Kommentar (wie Anm. 5), S. 121 f. (mit Abb.).    zurück
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Ellen Judith Beer, Beiträge (wie Anm. 8).   zurück
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Ellen Judith Beer, Beiträge (wie Anm. 8), S. 22–25.   zurück
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Die Grundlage bildet naturgemäß Victor Leroquais: Le bréviaires manuscrits des bibliothèques publiques de France. 6 Bände. Paris 1935.   zurück
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Naturgemäß können solche Listen niemals vollständig und niemals ganz korrekt sein. Eine genauere Kontrolle des Abschnittes zum 11. Jahrhundert »Provenienz aus dem deutschsprachigen Raum« (Raeber, S. 220 f.) trägt freilich nicht dazu bei, die Angaben als besonders vertrauenswürdig einzustufen:

1) Die Papierhandschrift Berlin Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms. theol. lat. qu. 337, enthält nach Gerard Achten: Die theologischen lateinischen Handschriften in Quarto der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin: Teil 2. Ms. theol. lat. qu. 267–378. Wiesbaden: Harrassowitz 1984, S. 151–156, weder Brevier-Teile noch Teile oder Fragmente des 11. Jahrhunderts.

2 und 3) Zu den beiden Freiburger Fragmenten (Fragm. 46, 47) vgl. Winfried Hagenmaier: Die lateinischen mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau (ab Hs. 231). Wiesbaden: Harrassowitz 1980, S. 214 f.

4) Was Raeber mit‚ Linz, Stadtbibliothek, Ms. 19, meint, ist unklar, denn es gibt in Linz keine Stadtbibliothek mit mittelalterlichen Beständen. Wohl meint sie die Bundesstaatliche Studienbibliothek (heute ›Oberösterreichische Landesbibliothek‹), deren Bestände Konrad Schiffmann: Die Handschriften der öffentl. Studienbibliothek in Linz. Linz: Typoskript 1935, katalogisiert hat. Schiffmann, Cod. 19 (neu Cod. 424), sind Vitae patrum und kein Brevier; Cod. 19 (Schiffmann 50) enthält ein Brevier des 15. Jahrhunderts. Raeber meint wohl das berühmte ›Brevier aus Gleink‹, Cod. 290 (Schiffmann 183), das in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden ist und wegen seiner historisierten Initialen unter den mit Buchschmuck verzeichneten Brevieren vermerkt sein sollte, wo es freilich (ebenso wie im Register) fehlt. Zu dem wohl Lambach entstanden Brevier vgl. z.B. Kurt Holter, Buchkunst-Handschriften-Bibliotheken, Band 2. Linz: OÖ Musealverein 1996, S. 203, und öfter. Schiffmann erwähnt Brevier-Fragmente des 11. Jahrhunderts (Cod. 650), wobei die Datierung wohl einer kritischen Prüfung zu unterziehen wäre.

5 und 6) Zu den beiden St. Gallener Handschriften Ms 387 und 413 vgl. Albert Bruckner, Scriptoria Medii Aevi Helvetica 3: Schreibschulen der Diözese Konstanz, St. Gallen 2. Genf: Roto-Sadag 1938, S. 101 bzw. 103. Ob es sich um ein Lektionar und Antiphonar bzw. bloß ein Lektionar, wie Bruckner angibt, oder tatsächlich um Breviere im engeren Sinn handelt, hat der Rezensent nicht überprüft; auch die Angaben bei Gustav Scherrer, Verzeichnis der Handschriften der Stiftsbibliothek von St. Gallen. Halle: Verlag der Buchhandlung des Weisenhauses 1875, S. 131 f. und 137 f., erlauben keine Entscheidung. In diesem Punkt muß der Rezensent der Autorin vertrauen. Frau Dr. Susanne Rischpler sei herzlich für ihre Hilfe bei der Literaturrecherche gedankt.

7) Das Antiphonar von St. Peter (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Ser. n. 2700) ist erst nach 1150 entstanden und zudem kein Brevier; es muß daher aus der Liste gestrichen werden.

Der Rezensent erlaubt sich zwei Frankfurter Fragmente zu erwähnen: Stadt- und Universitätsbibliothek, Ms. Barth. 166, HD-Spiegel (jetzt abgelöst und als Fragm. lat. I 23 aufbewahrt), und Ms. Carm. 8, Ansatzfalze des Deckels. Vgl. Gerhardt Powitz: Mittelalterliche Handschriftenfragmente der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main. Frankfurt / M.: Klostermann 1994, S. 5, bzw. derselbe und Herbert Buck: Die Handschriften des Bartholomaeusstifts und des Karmeliterklosters in Frankfurt am Main. Frankfurt / M.: Klostermann 1974, 416. Bei diesen und den Freiburger Fragmenten ist jedoch keine verläßliche Lokalisierung erfolgt.

Ob überhaupt und wenn ja in welchem Umfang es im 11. Jahrhundert Breviere im deutschsprachigen Raum gegeben hat, muß nach dieser Kontrolle ungeklärt bleiben.   zurück
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Zu allen von Raeber erwähnten drei Grazer Handschriften vgl. zusätzlich: Hans Zotter, Ute Bergner: Die romanischen Handschriften 1: Stift Seckau. CD-Rom Graz 1999.    zurück
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Diese ikonographische Variante kommt zuerst in einem aus einem Benediktinerkloster der Diözese York (St. Peter in Winchombe?) stammenden Brevier aus der Mitte des 12. Jahrhunderts vor: Valenciennes, Bibliothèque municipale, Ms. 116 (Raeber, S. 188 f., 230 f.).   zurück
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Siehe Anm. 16.   zurück
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Karin Bredehorn / Gerhardt Powitz: Die mittelalterlichen Handschriften der Gruppe Manuscripta Latina. Frankfurt/ M.: Klostermann 1979, S. 83–86, leider ohne Berücksichtigung der Ausstattung.   zurück
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Ausführlich beschrieben in: Christine Jakobi-Mirwald: Die illuminierten Handschriften der Hessischen Landesbibliothek Fulda: Teil 1. Handschriften des 6. bis 13. Jahrhunderts. Textband. Stuttgart: Hiersemann 1993, S. 79–85.   zurück
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