Till Dembeck

Romantische Kommunikation?

Eine 'Diskursformation' zwischen Kunst und populärer Kultur




  • Christoph Reinfandt: Romantische Kommunikation. Zur Kontinuität der Romantik in der Kultur der Moderne. (Anglistische Forschungen 323) Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2003. 451 S. 4 s/w Abb. Kartoniert. EUR 48,00.
    ISBN: 3-8253-1541-X.


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Christoph Reinfandts Habilitationsschrift widmet sich der Funktionsweise und Geschichte ›romantischer‹ Kommunikation, d.h. einer »Diskursformation«, die das »für die Kultur der Moderne zentrale Problem der kulturellen Relevanz subjektiver Erfahrung in einer sich zunehmend ausdifferenzierenden sozialen Wirklichkeit« bearbeitet (S. 11). Dabei soll auf der einen Seite die historische Kontingenz der behandelten Phänomene beschrieben werden. Auf der anderen Seite betrifft das Argument eine Formation, deren Funktionalität im Rahmen einer systematischen Beschreibung von (moderner) Gesellschaft erklärt wird. Zur Entfaltung dieses doppelten Interesses benutzt die Studie mit der Systemtheorie Luhmannscher Prägung ein Instrumentarium, das sich sehr gut dazu eignet, eine systematische Strukturanalyse mit historischen Rekonstruktionen zu verbinden.

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Im Anschluss an Jerome McGanns Beschreibung 1 einer bis heute wirksamen »Romantic Ideology« konstatiert Reinfandt die Kontinuität romantischer Konzepte in der Moderne. Anders als McGann geht es ihm allerdings nicht um die Entlarvung einer ›Ideologie‹. Vielmehr versucht er, romantische Kommunikation in ihrer Funktionalität ernst zu nehmen. Ausgangspunkt seiner Beschreibung ist die spätestens um 1800 irreversible Umstellung auf eine funktionale Differenzierung der Gesellschaft, die die an Kommunikation beteiligten Individuen aus einer festen sozialen Verortung freisetzt.

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Genau darin liegt aber – das impliziert die eingangs zitierte Definition – ein kulturelles Problem, für dessen Bearbeitung sich kein Funktionssystem im Sinne der Systemtheorie zuständig zeigt. Denn ein Funktionssystem betrachtet Kommunikation nur unter systemeigenen Gesichtspunkten und kann die einzelnen Menschen und ihre Kommunikationen nur dann berücksichtigen, wenn sie sich dem Code, den Semantiken und Programmen des jeweiligen Funktionssystems fügen. Es etabliert sich gleichwohl eine Semantik, die das Subjekt als Ursprung von Kommunikation beschreibt, zugleich aber nicht dauerhaft verbergen kann, dass es letztlich ein »kommunikative[r] Effekt« ist (S. 215), und das heißt: kommunikativer Eigengesetzlichkeit unterworfen. Romantik, so Reinfandt, entwickelt auf der Grundlage dieser Semantik Formen der Objektivierung von Subjektivität bzw. Formen der Expressivität in Artefakten.

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Kunst und populäre Kultur

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Im ersten, den »[t]heoretische[n] Grundlagen« gewidmeten Teil der Arbeit wird romantische Kommunikation – wohl eher zu heuristischen Zwecken und nicht im Sinne einer historisch differenzierten Beschreibung – von einem anderen, für moderne Kultur zentralen »›semantische[n] Großkomplex[ ]‹«unterschieden (S. 45), der die Beeinflussung der Kommunikation durch Subjektivität kategorisch auszuschließen versucht: der Aufklärung. In Anlehnung an McGann wird Romantik der Tendenz nach als synthetisch und reflexiv, als auf Schriftlichkeit ausgerichtet beschrieben, Aufklärung dagegen als analytisches und nicht-reflexives, »auf dem Modell mündlicher Interaktion beruhende[s] Austauschparadigma möglichst rauschfreier Kommunikation« (S. 43).

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Die Parallelisierung der zwei Differenzen analytisch / synthetisch und reflexiv / nicht-reflexiv lässt dabei Zwischenstufen denkbar werden: Reinfandt modifiziert in diesem Sinne die einfache Gegenüberstellung zu einer Kreuztabelle (vgl. S. 38 f.). Die beiden neuen Kombinationen, die sich dabei ergeben, bestimmt er zugleich historisch als Ergebnis einer wechselseitigen Beeinflussung der ›semantischen Großkomplexe‹: Aufklärung kann dann auch in einer analytisch-reflexiven Form auftreten und sich als ›kritische‹ Wissenschaft (im Gegensatz zu bloßer Technologie) etablieren. Umgekehrt ist eine synthetische und nicht-reflexive Form von Romantik denkbar, und zwar in der (nun erst entstehenden?) populären Kultur.

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Damit ist die leitende Idee der Arbeit bezeichnet. Neben der Kontinuität, die sich in zeitlicher Hinsicht ergibt, steht eine Kontinuität zwischen Kunst und einem Bereich populärer Kultur als den zwei Spielarten der Diskursformation Romantik. Ursprünglich in der Kunst entworfene Semantiken werden später in die populäre Kultur aufgenommen. Das geht einher mit strukturellen Verschiebungen, die Reinfandt unter anderem als die Ausdifferenzierung einer »›Rollenasymmetrie[ ]‹«von Produzenten und Rezipienten im Literatursystem beschreibt (S. 76).

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Das Literatursystem, so Reinfandt, vollzieht sich vor zwei Horizonten. Einerseits geht es um die codierte Beobachtung künstlerischer Artefakte vor dem Hintergrund einer fortwährend zu brechenden künstlerischen Tradition, insbesondere also im Hinblick auf Möglichkeiten, weitere Kunstwerke herzustellen. Dies macht den ›Produktionshorizont‹ des Systems aus. Subjektive Erfahrung wird hier zunehmend als in der Selbstreflexivität der Artefakte aufgehoben konzipiert. Andererseits ist die Unwägbarkeit privater Lektüre spätestens seit der Epoche der Romantik der Literatur bewusst. Dem auf eine spezialisierte Lektüre und die Herstellung neuer Texte fokussierten Produktionshorizont des Literatursystems steht daher ein »Rezeptionshorizont[ ]« der Nicht-Spezialisierung gegenüber (S. 82): Hier kann subjektive Erfahrung zur Geltung kommen, ohne dass die selbstreferenzielle Struktur der beobachteten Artefakte berücksichtigt werden müsste.

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Wenn Reinfandt die Unterscheidung von Produktions- und Rezeptionshorizont eng führt mit derjenigen von Kunst und populärer Kultur, so ist klar, dass sich die zweite Unterscheidung – möglichen Werturteilen von Seiten des Kunstsystems zum Trotz – nicht aus einer kategoriell differenten »Beschaffenheit der Artefakte selbst« herleiten lässt (S. 284), sondern in unterschiedlicher Weise organisierte kommunikative Zusammenhänge bezeichnet. Die Kommunikation im Kunstsystem orientiert sich an der Selbstreferenzialität des Artefakts selbst und etabliert es als (autonomes) Kunstwerk.

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»Beschränkt sich hingegen die Dimension der Selbstreferentialität auf die aus Anlaß des Artefakts zustandegekommene Kommunikation selbst [...], so entfällt diese selbstreferentielle Ausdifferenzierungsdynamik« und das Artefakt bleibt auch »auf der Ebene der allgemeinen gesellschaftlichen Kommunikation anschlußfähig« (S. 285). Das ist dann populäre Kultur.

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Po(i)etische Kommunikation

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Der umfassendste Teil der Studie widmet sich der »Evolution romantischer Vorstellungen« in der Lyrik am Beispiel des angelsächsischen Sprachraums. Im Mittelpunkt steht damit – daher spricht Reinfandt von »po(i)etischer Kommunikation« (S. 215) – eine Gattung, die eine besondere Rücksichtnahme auf die spezifische Hergestelltheit ihrer Artefakte erzwingt. Die Gegenstandswahl gründet in der Hypothese, Lyrik lasse sich als »Paradigma der Moderne« verstehen (S. 89 ff.): An Gedichten sei die »Einschreibung und Vor-Schrift von Erfahrung in und durch ein vorgängiges Medium besonders gut zu erkennen« (S. 91). Diese ›Einschreibung‹ vollzieht sich in der Anverwandlung von ›durchtradierten‹ formalen Strukturen. Das spezifisch moderne Problem der kulturellen Relevanz subjektiver Erfahrung wird gerade in dieser Gleichzeitigkeit von Kontinuität und Bruch bearbeitet.

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Die Studie verwendet die Luhmanns Kommunikationsbegriff zugrunde liegende Unterscheidung von Mitteilung und Information als systematischen Ausgangspunkt für die historische Beschreibung. Da Reinfandt davon ausgeht, dass Luhmanns Kommunikationskonzept lediglich »die traditionelle Unterscheidung von Form und Inhalt in zeitlicher Hinsicht dynamisiert« (S. 216), geht es dann im Einzelnen allerdings um Form und Inhalt. Dabei wird implizit insbesondere deutlich, dass für poetische Kommunikation die Möglichkeit konstitutiv ist, beide Seiten in auffälliger Weise aufeinander zu beziehen, also zum Beispiel bereits der Form Informationswert zuzusprechen.

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Im Rückgriff auf Studien von Antony Easthope 2 zeigt Reinfandt, wie in der englischsprachigen Lyrik seit dem 16. / 17. Jahrhundert durch die poetische Form bereits auf der Mitteilungsebene die Vereinbarkeit »zwischen dem Soziolekt einer [...] poetischen Tradition und dem Idiolekt der ihm eingeschriebenen individuellen Erfahrung« signalisiert wird (S. 100) – so beispielsweise im Sonett der Renaissance oder in den Lyrical Ballads der Romantik.

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Umgekehrt fragt er, wie die Informationsebene auf die Mitteilungsfunktion zurückwirke, und rekonstruiert daher lyrische Beschreibungen von Autorfunktionen. Er geht von zwei seit der Antike etablierten Modellen auktorialer Kreativität aus, dem (platonischen) »Inspirationsmodell« (S. 152) und dem (aristotelischen) »Imitationsmodell« (S. 153). Die zwei Modelle, so zeigt Reinfandt, lassen sich dabei in Relation zu einer Unterscheidung sehen, die zentral ist für poetische Kommunikation: derjenigen zwischen »Äußerungssubjekt[ ]« und »Kompositionssubjekt[ ]« (S. 160). Ersteres ist jene Instanz, deren subjektive Erfahrung sich im Gedicht ausgedrückt findet, die also in dieser Hinsicht das Gedicht inspiriert; letzterem ist das Arrangement dieser Erfahrung zuzurechnen, es ist gleichsam für die imitatio der Erfahrung des Äußerungssubjekts zuständig.

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Das Zusammenspiel beider Instanzen garantiert erst die Möglichkeit individuellen Ausdrucks bei Wahrung formaler Vorgaben. Ein Bewusstsein dieser doppelten Anforderung ist dabei spätestens in der Romantik voraus zu setzen. Entsprechend setzt hier, so Reinfandt, eine Bewegung ein, die »immer wieder vorführt, wie sich eine poetische Form von sich selbst emanzipieren kann, so daß paradoxerweise ihre Begrenztheit zum Medium der Freiheit wird« (S. 134).

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Orientiert sich die Lyrik in der Renaissance und im 18. Jahrhundert an der Homogenität einer gelehrten Deutungsgemeinschaft, so richtet sich die Lyrik der britischen Romantik als Ausdruck und Selbstermächtigung von Subjektivität an die Gemeinschaft aller Zeitgenossen. Allerdings wird bald klar, dass eine als unmittelbar gegeben apostrophierte »kulturelle[ ] Synchronie« (S. 199) nicht den wirklichen Gegebenheiten literarischer Kommunikation entspricht.

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Tatsächlich ist es nämlich so, dass ihre Objektivierung im Kunstwerk subjektive Erfahrung immer auch verstellt. Es erweist sich, dass das Werk »keine stabile Gegebenheit« darstellt, sondern vielmehr »jeweils aktuell aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Zeithorizonten heraus als Gegenstand hervorgebracht« wird (S. 203). Die Instanz des Autors wird so als ein Effekt seines Textes bzw. der Rezeption beobachtbar.

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Daraus leitet sich die zunehmende Verlagerung des Orts ab, an dem sich Authentizität als kommunikativer Effekt konstituiert: Subjektivität ist nicht mehr über die Informationsebene zu vermitteln. Vielmehr »verlagert sich [...] die Begründung für das Kriterium der Authentizität in die Form der Mitteilung selbst [...]. Damit aber verschwindet zugleich das Subjekt als Zugrundeliegendes in der Unzugänglichkeit des Existentiellen und wird durch ein simuliertes Subjekt ersetzt« (S. 221 f.). Diese Form kunstspezifischer Selbstreferenzialität mündet in die »formale Revolution« des Modernismus (S. 142) und damit in eine »Tradition des Traditionsbruchs« (S. 144) – was umgekehrt zu Problemen hinsichtlich der allgemeinen kulturellen Anschlussfähigkeit von Lyrik führt.

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Entsprechend ergibt sich auch auf der ›Verstehensebene‹ po(i)etischer Kommunikation eine Ausdifferenzierung: Reinfandt rekonstruiert in Anlehnung an Aleida Assmann eine Abfolge unterschiedlicher »›Domestikation[en] des Lesens‹«(S. 223), von denen die (in Assmanns Modell) jüngste, das »›hermeneutische Lesen‹«(S. 226), insofern von besonderem Interesse ist, als es einem unkontrollierten, individuellen Lesen die größten Freiräume lässt 3 . Das Programm dieser Art rezeptiven Verhaltens ist dabei auf ein spätestens im 18. Jahrhundert gegebenes Bewusstsein der Bedingungen textueller Kommunikation bezogen, insofern im Gegensatz zu früheren Programmen »die Möglichkeit von Transparenz [...] als Produkt der Anstrengung des Lesens selbst« (S. 227) gedacht wird.

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In Ergänzung der Liste Assmanns beschreibt Reinfandt ein neues »›ästhetische[s] Lesen[ ]‹« (S. 229). Diese neue Form des Lesens verfolgt nicht mehr notwendigerweise das Ziel der Herstellung von Transparenz, sondern kann auch auf ihre Bedeutung hin intransparente Texte verarbeiten, indem sie die selbstreflexive Dimension literarischer Artefakte fokussiert. Es ist dieses Lesen, das laut Reinfandt mit Kunst verbunden ist, d.h. mit demjenigen, was vor dem Produktionshorizont des Literatursystems stattfindet. ›Hermeneutisches Lesen‹ hingegen hat seinen Platz vor dessen Rezeptionshorizont und zeichnet den Bereich populärer Kultur aus.

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Illustrative Lektüre

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Der dritte Teil der Studie, der weniger an einer Verlaufsthese interessiert ist, überzeugt durch ausführliche Textarbeit. Hier werden zur ›Illustration‹ des bereits Gesagten »Beispiele aus der Rock- und Popmusik seit den 1960er Jahren« untersucht (S. 294).

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Das erste Beispiel greift zeitlich etwas weiter zurück: Reinfandt vergleicht hier die zwei Fassungen von Alfred Lord Tennysons The Lady of Shallot (1832/42) und setzt seine Ergebnisse in Beziehung zu Loreena McKennitts relativ aktuellen Vertonungen des Gedichts. Die Lektüren führen die »doppelte Codierung« (S. 319) der Texte vor, die zwischen der Behauptung und der reflexiven Befragung der Möglichkeiten authentischen Ausdrucks von Subjektivität changieren. Diese Alternativen werden, wie es die oben rekonstruierten Modellierungen nahelegen, sowohl auf den ›Produktionshorizont‹ wie auf den ›Rezeptionshorizont‹ kultureller Kommunikation bezogen.

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Das zweite Beispiel rekonstruiert relativ umfassend das Paradigma des ›Singer-Songwriters‹ – eines Genres populärer Kultur mithin, das mittels der Identifikation von Sänger und ›Äußerungssubjekt‹ leicht als Medium subjektiver Authentizität vereinnahmt werden kann. Ausgangspunkt der Analysen ist die Unterscheidung zwischen (rein unterhaltendem) Pop und (eher reflexivem) Rock. Insbesondere letzterer, so Reinfandt, changiere zwischen ›romantischer‹ (d.h. hier: ›natürlicher‹, affirmativer) und ›modernistischer‹ (reflexiver, ›avantgardistischer‹) Authentizität (vgl. S. 328).

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Die Bindung des Rocksongs an die performance erzeugt dabei andere Formen als die Schriftfixierung poetischer Kommunikation: Wie auch das dritte Beispiel, die Arbeit Robert Hunters zeigt, der als Texter der »Grateful Dead« und als Lyriker hervorgetreten ist, ist die durchgängige formale Reflexivität modernistischer Lyrik hier nicht gegeben, aber auch hier eine Form ›doppelter Codierung‹: Das Charakteristische dieser Art kultureller Artfakte ist, so zeigen die überzeugenden Einzelanalysen, dass sie eine affirmative und eine reflexive Rezeption gleichermaßen nahelegen. Der Rocksong avanciert auf diese Weise zur »jüngeste[n] Inkarnation der Diskursformation Romantik« (S. 327).

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Kritik und Ausblick

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Die Studie macht insgesamt darauf aufmerksam, dass Literaturwissenschaft, wenn sie sich am Kunstcharakter von Literatur orientiert, möglicherweise Kontinuitäten übersieht, die für den gesellschaftlichen Bestand von Literatur von entscheidender Bedeutung sind. Auch die Luhmannsche Beschreibung des Kunstsystems ist in erster Linie darauf ausgerichtet, Möglichkeiten systemischer Schließung von Kommunikation über Artefakte zu beschreiben, und artikuliert daher eine Präferenz für ›gepflegte‹ Semantiken, wie sie sich im Zusammenhang mit Funktionssystemen etablieren. 4 Demgegenüber stellt sich die Frage, wie es möglich ist, dass sich ein und dieselben kulturellen Artefakte mal in den Zusammenhang der Kunst und mal in populäre Kultur (oder in beide Zusammenhänge zugleich) einreihen lassen. Das Verdienst der Arbeit liegt darin, zur Beantwortung dieser Frage Wege gewiesen zu haben. 5

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Kritisch anzumerken ist hingegen insbesondere für das Lyrik-Kapitel eine gewisse Materialarmut. Die hier entfalteten relativ umfassenden historischen Thesen zehren in ihrer Allgemeinheit von bereits vorliegenden Studien und einzelnen exemplarischen Lektüren prominentester Texte des anglistischen Kanons. Aber auch die These von der Kontinuität der Romantik in der populären Kultur wird in diachroner Hinsicht kaum in der Auseinandersetzung mit Quellenmaterial belegt. Zeugnisse populärer Kultur jenseits der ›Rock- und Popmusik seit den 1960er Jahren‹ kommen kaum zur Sprache.

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Darüber hinaus muss man festhalten, dass Reinfandts Kontinuitätsthese mit einigen begrifflichen Ungenauigkeiten erkauft wird. Beispielsweise betont die Arbeit immer wieder, dass Subjektivität nur als ›kommunikativer Effekt‹ verstanden werden kann, dass also subjektive Erfahrung sich nicht selbstverständlich in kommunikative Strukturen umsetzt, sondern nur »Fluchtpunkt« romantischer Kommunikation ist (S. 56).

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Trotz dieser Einsicht wird eben diese Unterscheidung in der Arbeit an vielen Stellen nicht deutlich genug markiert: Wie selbstverständlich geht Reinfandt davon aus, eine mangelnde kulturelle Relevanz subjektiver Erfahrung stelle nicht nur für Individuen, sondern auch für Gesellschaft oder Kultur ein Problem dar. Daher kann er immer wieder behaupten, in der Bearbeitung dieses Problems gründe die Funktionalität romantischer Kommunikation. 6 Damit ist aber ein Begründungszusammenhang zumindest impliziert, während eigentlich zu fragen wäre, inwiefern und in welchen Zusammenhängen – wenn schon nicht innerhalb der Funktionssysteme – es für Kommunikation sinnvoll ist, sich mit subjektiver Erfahrung auseinander zu setzen.

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Ähnlich verhält es sich mit der starken Betonung der ›Rollenasymmetrie‹ zwischen Produzenten und Rezipienten. Sicherlich ist von unterschiedlichen Sozialisationsmodi auszugehen, einem aktiven und einem passiven, einem auf Autoren und einem auf Leser ausgerichteten. Ebenfalls ist davon auszugehen, dass in einem kunstspezifischen Kommunikationszusammenhang die Rede über Kunst in gewisser Weise vor einem ›Produktionshorizont‹ stattfindet: Vor dem Hintergrund bereits gegebener und sich eröffnender weiterer Möglichkeiten künstlerischer Gestaltung wird beobachtet, wie sich der jeweilige literarische Text konstituiert.

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Entscheidend aber ist, dass diese Art der Beobachtung sowohl vom Produzenten als auch vom Rezipienten zu erwarten ist. Sie sind in dieser Hinsicht in ein und derselben Position. 7 Die systeminterne Programmierung des künstlerischen Kommunikationszusammenhangs durch künstlerische Artefakte stellt auf Symmetrie ab, d.h. das Kunstsystem konstituiert sich gerade nicht vermittels einer Rollenasymmetrie.

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Das Problem mag aber schon darin liegen, dass überhaupt von einem Literatursystem ausgegangen wird. Die Konstruktion eines systemfunktionalen Zusammenhangs ›Literatur‹ ist mit Luhmanns Begrifflichkeit schwer vereinbar. Für Ansätze, die Luhmanns Modell mit einem (ihm im Grunde inkompatiblen) Agentenmodell zusammen denken, ist dies offenkundig. 8

[35] 

Aber auch wenn man (z. B. mit Gerhard Plumpe und Niels Werber) 9 unter Beibehaltung Luhmannscher Vorgaben Literatur als ›Subsystem‹ des Systems Kunst versteht, beruht der behauptete ›systemische‹ Zusammenhang vor allem auf den Eigenschaften eines Verbreitungsmediums, des gedruckten Texts, während eine systemische Schließung eher von der Etablierung eines symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums wahrscheinlich gemacht würde. Diese latente Ermächtigung des Verbreitungsmediums mag jene bei Reinfandt immer wieder durchschimmernde Annahme einer konstitutiven Funktion von eigentlich als massenmediale Effekte zu beschreibenden Strukturen wie der genannten ›Rollenasymmetrie‹ zur Folge haben. 10

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Prinzipiell braucht Reinfandts Arbeit aber weder die Unterscheidung von Produktions- und Rezeptionshorizont noch den Begriff eines Literatursystems. Denn für sich genommen überzeugen die Beschreibungen der Kunst als eines systemischen Zusammenhangs, der eine gepflegte Semantik und eine höchst artifizielle Form ›ästhetischen‹ Lesens erzeugt, einerseits und des nicht systemfähigen ›Bereichs‹ populärer Kultur als einer kommunikativen Praxis, die eine eher ungepflegte Semantik und ein ›wildes‹ hermeneutisches Lesen konstituiert, andererseits. Insbesondere die Analysen im dritten Teil der Arbeit machen dabei deutlich, dass kulturelle Artefakte ihre Einbindung in Kunst und populäre Kultur zugleich nahe legen bzw. beide Alternativen auch selbst verhandeln können.

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Obwohl auf diese Weise in die von Reinfandt behauptete Kontinuität eine kategoriale Differenz eingezogen ist, ist evident, dass in Kunst und populärer Kultur subjektive Erfahrung einen gewissen Stellenwert hat. Insofern ist es plausibel, wenn Reinfandt den Begriff der ›romantischen Kommunikation‹ in systematischer Hinsicht als eine ›Klammer‹ nutzt, die diese beiden Seiten in einen Zusammenhang setzt. Genauer zu überlegen bleibt aber, wie auf beiden Seiten dieser Diskursformation Subjektivität ins Spiel kommt.

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Für das Kunstsystem ist deutlich geworden, dass historisch die Ausdifferenzierung seines Funktionszusammenhangs mit der Engführung künstlerischer und subjektiver Autonomie zusammen fällt. Auch wenn eigentlich der ›Motor‹ formal-selbstreflexiver Innovation das Kunstsystem antreibt, bleibt es daher in seiner Selbstbeschreibung teilweise auf Subjektivität bezogen. Das mag nicht zuletzt darin begründet sein, dass Kunst, insofern sie, wie Luhmann behauptet, damit befasst ist, (kontingente) Weltkonstitution beobachtbar zu machen, immer etwas verhandelt, was Individuen in zentraler Weise betrifft. 11 Dennoch ist darauf zu beharren, dass der Bezug auf subjektive Erfahrung letztlich nur einen Nebeneffekt der Systemevolution darstellt.

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Für populäre Kultur ist zu bezweifeln, ob sich in ähnlicher Weise strukturelle Gründe für die Relevanz von Subjektivität finden lassen. Denn wenn sie gerade durch ›Offenheit‹ bzw. »Hyperkonnektivität« (Urs Stäheli) geprägt ist, 12 dann stellt sich die Frage, warum sich über die Orientierung an Artefakten hinaus, die sie mit Kunst gemein hat, überhaupt ein zentraler Bezugspunkt populärer Kultur ausmachen lassen sollte. Sicherlich kann populäre Kultur im Rückgriff auf ›romantische‹ Vorstellungen von Authentizität, wie sie in der Kunst auftreten, innerhalb ihrer selbst und ohne Berücksichtigung der strikten Strukturvorgaben, wie sie im Fall der Kunst die systemische Schließung bedingt, einen Bereich relativer Geschlossenheit erzeugen. Es gilt aber zu fragen, ob man ihrer Eigendynamik gerecht werden kann, wenn man sie insgesamt in dieser Weise perspektiviert.

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Diese Frage betrifft auch den Status der ›Klammer‹ der Diskursformation Romantik innerhalb eines systemtheoretischen Settings. Die nur sehr schwache Konturierung des Begriffs der ›Diskursformation‹ in Reinfandts Studie weist schon darauf hin, dass hier eine Schwierigkeit der Arbeit liegt. Letztlich deutet sich an, dass Kommunikation, die ihren ›Fluchtpunkt‹ in der kulturellen Relevanz subjektiver Erfahrung hat, immer nur parasitär funktionieren kann: als Nebenprodukt der Evolution des Kunstsystems oder – in der populären Kultur – als Effekt einer Orientierung an künstlerischen Vorgaben.


Till Dembeck, M.A.
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Deutsches Institut
DE - 55099 Mainz

Ins Netz gestellt am 06.08.2004

IASLonline ISSN 1612-0442

Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Dr. phil. habil. Johannes Endres. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Lena Grundhuber.

Empfohlene Zitierweise:

Till Dembeck: Romantische Kommunikation? Eine 'Diskursformation' zwischen Kunst und populärer Kultur. (Rezension über: Christoph Reinfandt: Romantische Kommunikation. Zur Kontinuität der Romantik in der Kultur der Moderne. Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2003.)
In: IASLonline [06.08.2004]
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Datum des Zugriffs:

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Anmerkungen

Jerome McGann: The Romantic Ideology: A Critical Investigation. Chicago: University of Chicago Press 1983.   zurück
Antony Easthope: Poetry as Discourse. London / New York: Methuen 1983.   zurück
Aleida Assmann: Die Domestikation des Lesens. Drei historische Beispiele. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 57/58 (1985), S. 95–110.   zurück
Vgl. Urs Stäheli: Exorcising the ›Popular‹ Seriously: Luhmann’s Concept of Semantics. In: International Review of Sociology 7 (1997), S. 127–145.   zurück
An dieser Stelle wären allerdings Luhmanns Untersuchungen zum System der Massenmedien zu berücksichtigen, die das Populäre durchaus behandeln: Niklas Luhmann: Die Realität der Massenmedien. 2., erweiterte Auflage. Opladen: Westdeutscher Verlag 1996.   zurück
Beispielsweise wird behauptet, dass das gesellschaftliche »Bedürfnis nach ›authentischenAusdrucksformen [...] in der Alltagserfahrung der [...] psychischen Systeme gründet« (S. 293). Oder es wird »als Motor der Evolution des literarischen Materials« das folgende »Wirkungsproblem« identifiziert: »Wie [...] kann ein schriftlicher Text in einer zunehmend auf Prozesse der Individualisierung umgestellten Kultur individuelle Expressivität objektivieren und mit einem Anspruch auf allgemeinere Relevanz versehen?« (S. 219 f.) – Formulierungen wie diese lassen an fragwürdige Annahmen aus Reinfandts Dissertation denken, auf die auch immer wieder verwiesen wird: Auf der Leistungsebene seien Funktionssysteme nicht nur auf andere soziale Systeme bezogen, sondern auch auf psychische Systeme – ein Vorschlag, der mit Luhmanns Theorievorschlag kaum zu vereinbaren ist. Vgl. Christoph Reinfandt: Der Sinn fiktionaler Wirklichkeiten. Ein systemtheoretischer Entwurf zur Ausdifferenzierung des englischen Romans vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Heidelberg: Winter 1997, insbesondere S. 29–41.   zurück
Siehe Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt / M: Suhrkamp 1995, S. 65–72.   zurück
Vgl. Siegfried J. Schmidt: Die Selbstorganisation des Sozialsystems Literatur im 18. Jahrhundert. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1989.   zurück
Siehe z. B. Gerhard Plumpe / Niels Werber: Literatur ist codierbar. Aspekte einer systemtheoretischen Literaturwissenschaft. In: Siegfried J. Schmidt (Hg.): Literaturwissenschaft und Systemtheorie. Positionen, Kontroversen, Perspektiven. Opladen: Westdeutscher Verlag 1993, S. 9–43. Auf die Arbeiten von Plumpe und Werber beruft sich Reinfandt u.a.   zurück
10 
Vgl. die Ausführungen zur Evolution des Literatursystems in Reinfandts Dissertation, die deutlich angreifbarer, aber angesichts der vielen Verweise offenbar auch für die Habilitation noch gültig sind (wie Anm. 6, S. 106–122).   zurück
11 
Vgl. Luhmann (Anm. 7), S. 222–242. Auch apostrophiert die ›Weltautonomie‹ des Kunstwerks eine Form (systemischer) Schließung, die zwar nicht beschrieben, aber vielleicht ›erlebt‹ werden kann. Vgl. Dirk Baecker: Die Adresse der Kunst. In: Jürgen Fohrmann / Harro Müller (Hg.): Systemtheorie der Literatur. München: Fink 1996, S. 82–105. Zum Begriff der ›Weltautonomie‹ siehe: Luhmann: Weltkunst. In: N. L. / Frederick D. Bunsen / Dirk Baecker: Unbeobachtbare Welt. Über Kunst und Architektur. Bielefeld: Verlag Cordula Haux, S. 7–45.   zurück
12 
Urs Stäheli: Die Wiederholbarkeit des Populären: Archivierung und das Populäre. In: Hedwig Pompe / Leander Scholz (Hg.): Archivprozesse. Die Kommunikation der Aufbewahrung. Köln: Dumont 2002, S. 73–83, hier S. 73.   zurück