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Apuleius in der Frühen Neuzeit

Eine neue Studie zur Rezeption
der Metamorphosen

  • Birgit Plank: Johann Sieders Übersetzung des »Goldenen Esels« und die frühe deutschsprachige »Metamorphosen«-Rezeption. Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte von Apuleius' Roman. (Frühe Neuzeit 92) Tübingen: Max Niemeyer 2004. VIII, 260 S. Leinen. EUR (D) 58,00.
    ISBN: 3-484-36592-7.
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Anlage, Ziel und
Voraussetzungen der Studie

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Die Abhandlung verfolgt ein doppeltes Ziel: Sie gibt Einblick in Johann Sieders Übersetzung von Apuleius’ Metamorphosen vom Manuskript bis zu den frühen Drucken, und sie stellt das Werk in Beziehung zu motivischen Überformungen in der deutschen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts sowie zur Entwicklung des Pikaroromans in Deutschland. Dank einer minutiösen materialen Beschreibung des Manuskripts und seiner Drucke liegt der Wert der Arbeit vor allem in einem differenzierten Verständnis der materialen Kultur und der Rezeptionsbedingungen, denen die Verbreitung eines herausragenden Werks der Spätantike im Laufe der frühen Neuzeit unterliegt.

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Nach einem knappen Überblick über Zielsetzung und Forschungsstand entfaltet das zweite Kapitel, »Die Voraussetzungen der frühen deutschen Metamorphosen-Rezeption«, einige zentrale Aspekte, die das Verständnis des Eselsromans seit der Antike geprägt haben. Ausgehend von spätantiken Deutungsangeboten bei Augustin, Fulgentius und Macrobius bis hin zur hochmittelalterlichen integumentum-Lehre des Bernardus Silvestris und Hinweisen zur Aufnahme bei Giovanni Boccaccio, Poggio Bracciolini und Lorenzo Valla widmet sich die Verfasserin dem Problem des mehrfachen Schriftsinns anhand der editio princeps durch Giovanni Andrea de’ Bussi (1469) und der reich kommentierten Bologneser Ausgabe von Filippo Beroaldo (1500). Apuleius’ Selbstverständnis als »philosophus platonicus« fand in einem dem Platonismus grundsätzlich aufgeschlossenen Ambiente ungeteilte Anerkennung. Für Beroaldo ist die Kenntnis der Magie als höchster Form der Naturbetrachtung ebenso wie die pythagoreische Seelenwanderungslehre Voraussetzung für den allegorischen Aufschluß des Eselsromans. Vor dem Hintergrund des um sich greifenden Ciceronianismus sind die oft inkriminierte Sprache und der Stil des Apuleius für de’ Bussi und Beroaldo geradezu auszeichnende Merkmale eines Textes, dem über die ausgefallene rhetorische Faktur eine Erkenntnisfunktion (eruditio) im Blick auf das menschliche Heil und die göttlichen Dinge zugesprochen werden muß.

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Die Metamorphosen-Übersetzung
Johann Sieders

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Im dritten, sehr leserfreundlich gegliederten und zugleich umfangreichsten Kapitel, »Sieders Metamorphosen-Übersetzung«, stellt die Verfasserin eine detaillierte materiale Analyse in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung. Vor dem Hintergrund der Übersetzung von Poggios Asinus durch Niklas von Wyle exponiert sie das Problem der Wort-zu-Wort-Übersetzung, den Charakter einer »Magie-Satire« sowie die Möglichkeit einer heilsgeschichtlichen Auslegung des Stoffes. Die Verfasserin unterrichtet eingangs über die wenigen Lebenszeugnisse des Übersetzers Johann Sieder. Es ist indes sicher übertrieben, die »Familie von Bibra«, aus der Sieders Dienstherr Fürstbischof Lorenz von Bibra stammt, »auf eine Stufe mit der Familie von Dalberg« zu stellen (S. 49). Nicht nachvollziehbar ist der Versuch, eine Bekanntschaft Sieders mit dem Widmungsträger Johann von Dalberg nachzuweisen (S. 50). – Eine sorgfältige Analyse von »Ausstattung« und »Entstehungsbedingungen« des Berliner Manuskripts von Sieders Übersetzung (Ms. germ. fol. 1239), des ersten Drucks durch Alexander Weissenhorn (Augsburg 1538) und des Drucks von Zacharias Palthenius (Frankfurt 1604) läßt dann die Textzeugen geradezu plastisch vor das Auge des Lesers treten.

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Anhand des materialen Befundes vermag die Verfasserin nachzuweisen, daß das einzig überlieferte Manuskript der Siederschen Übersetzung nicht die Vorlage für den Druck von 1538 gewesen sein kann (S. 62). Im Horizont des jeweiligen Verlagssortiments werden zudem mögliche Motive, die die Verleger zum Druck des deutschen Apuleius bewogen haben mochten, transparent. Nicht verwunderlich freilich ist die Tatsache, daß Palthenius das Buch in die Rubrik der »Historici [libri]« einordnet, und zwar nicht wegen dessen vermeintlicher »Historizität« (im Gegensatz zur möglichen »Fiktionalität« der Handlung, S. 82, anders S. 224), sondern aufgrund eines Fehlens einer Kategorie für den ›Roman‹. Noch in den Versteigerungskatalogen des späten 18. Jahrhunderts sind derartige Texte (wie übrigens Dichtung überhaupt) in den Rubriken der Historica (oder auch der Philologica) untergebracht.

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Zur Übersetzung Sieders
und ihren Kontexten

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Der vermutlich wertvollste Beitrag des Buchs zur Apuleius-Forschung dürfte der folgende Abschnitt des Kapitels sein: Dort handelt die Verfasserin über »Sprache und Stil«, über inhaltliche Aspekte sowie über die Interpretationsangebote, die das Manuskript Sieders und die beiden Drucke von 1538 und 1604 bereitstellen. In der fortlaufenden Gegenüberstellung der konkurrierenden Übersetzungen gewinnt die Geschichte der Übersetzung und ihrer Edition implizit ein kulturgeschichtlich vertieftes Relief. Besonders ertragreich sind die Beobachtungen zur Komplexitätsreduktion auf der Ebene von Lexik und Syntax, die, nach Sieders Versuch einer weitgehenden Wort-zu-Wort-Übertragung, das Verständnis der Handlung auch ohne Kenntnis des lateinischen Originals zunehmend fördert.

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Vergleichende Spezialanalysen enthalten Belege zum Umgang des Übersetzers und der Redakteure mit poetischen Wendungen und lateinischen Stilfiguren, mit Komik und Ironie, mit Erweiterungen und Kürzungen, mit religiösem, erotischem, misogynem und aktualisierendem Gehalt. Im Blick auf die Interpretationsangebote der drei Textzeugen untersucht die Verfasserin »Vorreden, Titelblätter und übrige Begleittexte«. Anhand von Augustins Beziehung auf den Roman des Apuleius in De civ. 18,18 rückt das problematische Verhältnis zwischen (verbürgter) Wahrheit und (poetischer) Fiktionalität von Verwandlungen in den Blick.

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Ich würde allerdings nicht so weit gehen, zu behaupten, daß »Sieders Wahrheitsdiskussion als pures Rollenspiel entlarvt« (S. 118) werden könne. Dieser Auffassung widerspricht, daß Sieder selbst in der Widmungsvorrede eine Reihe von Verwandlungswundern (die die Verfasserin bei ihrer übrigen Tendenz zur Vollständigkeit merkwürdigerweise nicht nennt) referiert, ohne sie im Sinne von Lukians Wahren Geschichten zu verspotten. Wie ich an anderer Stelle gezeigt habe, 1 hat diese Beobachtung weitreichende Folgen für eine ideen- und mentalitätsgeschichtliche Bewertung der Aufnahme des spätantiken Romans durch Sieder und seine späteren Bearbeiter. Im Hintergrund steht ja nicht nur die von der Verfasserin zurecht betonte Konjunktur gelehrter und populärer Dämonologien, sondern ebenso die Tradition der Aretalogien und Heiligenviten seit der Spätantike sowie die Diskussion der Geisterlehre im theologisch-dogmatischen Schrifttum der Zeit. Beide Aspekte werden in der vorliegenden Abhandlung nicht berücksichtigt. – Jeweils eigene knappe Betrachtungen sind dem berühmten Prolog, dem »Mythos« von Amor und Psyche und dem »›Isis-Buch‹« (11. Buch) gewidmet. Nach der gewissenhaften Beschreibung der materialen Überlieferung hätte man hier gerne mehr im Blick auf mögliche Interpretationsangebote der drei Textzeugen sowie ihrer zeitgenössischen Aufnahme auch im gelehrten Schrifttum erfahren.

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Überlegungen zur Rezeption
der Metamorphosen

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Das vierte Kapitel behandelt »Die Rezeption des antiken Eselsromans in Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert«. Die Verfasserin weist Wirkungen auf die Daemonomanie-Debatte, auf Hans Sachs, die Schwankliteratur und Überformungen von Ehebruchsgeschichten im Ausgang von Boccaccios Decamerone nach. Verhältnismäßig ausführlich wird das Programm »paganer Erbauung« anhand von Johann Ludwig Praschs Psyche Cretica (1674) herausgearbeitet. – Das fünfte und sechste Kapitel setzen den Roman des Apuleius zur »Tradition des Picaro-Romans«, zu Grimmelshausen sowie zu Wolfgang Caspar Printz ins Verhältnis. A-priori-Typologien sind stets mißlich, weil sie auf historisch vermittelte Sachverhalte nur sehr bedingt anwendbar sind. So hätte die verhältnismäßig breit ausgefallene Diskussion über die Gattungstypologie des Pikaroromans kürzer ausfallen können, zumal die Verfasserin am Ende selbst konstatieren muß, daß es durchaus Interessanteres gibt »als die Frage ›was ist ein Pikaro-Roman‹« (S. 185).

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Leider kommt das Verhältnis der Metamorphosen zu den spätantiken Aretalogien, Heiligenviten und Wundergeschichten, wie es seit der älteren altphilologischen ›Roman‹-Forschung immer wieder kontrovers aufgeworfen worden ist (Kerényi, Reitzenstein, Rohde), auch hier nicht zur Sprache. Gerade für die Situation im deutschen Sprachbereich, für den die Verfasserin richtig eine Betonung »religiöser Themen« im Zusammenhang mit Übersetzungen des spanischen Pikaroromans konstatiert (S. 186 f.), hätte diese Traditionslinie mit Gewinn verfolgt werden können. Die Frage, ob Grimmelshausen auf die Ausgaben der Siederschen Apuleius-Übersetzung zurückgreift, bleibt weiterhin offen. Bei dem ansonsten sorgfältigen Nachweis unmittelbarer Rezeptionsverhältnisse verwundert es, daß die Verfasserin für den Nachweis der Wirkung eines Textes aus Plutarchs Moralia auf eine moderne englische Übersetzung, nicht jedoch auf zeitgenössische Ausgaben zurückgreift (S. 197). Ein (sehr knapper) »Ausblick« (7. Kapitel) versucht eine gattungstypologische Einordnung in die »Literaturtheorie des 16. und 17. Jahrhunderts«.

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Fazit

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Die Abhandlung bietet eine gründliche Auseinandersetzung mit der materialen und sprachlichen Überlieferung der frühneuzeitlichen Übertragungen des Apuleius ins Deutsche. Die Erwartungen, die ein »Beitrag zur Wirkungsgeschichte« weckt, werden im Blick auf eine ideengeschichtliche Problematisierung der Rezeption der Metamorphosen jedoch nur im Ansatz erfüllt. Die irrige – von der Verfasserin wenige Seiten später selbst berichtigte (S. 76) – Behauptung, der Roman des Apuleius sei um 1500 »noch wenig« bekannt gewesen (S. 67), zeugt von einer gewissen Unsicherheit in Rücksicht auf den kulturgeschichtlichen Bezugsrahmen, ebenso die etwas schematische Konfrontation von Wahrheitspostulat und Fiktionalität. Unverständlich ist, daß die Verfasserin in den entsprechenden Abschnitten nicht nach den Originaldrucken der Ausgaben von de’ Bussi und Beroaldo zitiert, obwohl sie die einschlägigen Frühneuzeitsammlungen (München, Berlin, Wolfenbüttel) benutzt hat.

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Sowohl im Blick auf Buch- und Editionsgeschichte im engeren Sinn als auch in Rücksicht auf die übersetzungswissenschaftliche Analyse des Sprachgebrauchs und seiner Wandlungen ist der Ertrag des Buchs dennoch beträchtlich. Ein Anhang bietet eine Bibliographie mit diplomatischer Verzeichnung des Berliner Manuskripts und der beiden Drucke, weiterer – auch handschriftlicher – Quellen sowie ein solides Verzeichnis der Forschungsliteratur. 2



Anmerkungen

Ralph Häfner: Ein schoenes Confitemini. Johann Sieders Übersetzung von Apuleius’ ›Goldenem Esel‹ : Die Berliner Handschrift Germ Fol. 1239 aus dem Jahr 1500 und der erste Druck von 1538. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 125 (2003), S. 94–136.   zurück
Einige Corrigenda: S. 1, Z. 10: Photios war Staatsmann und Gelehrter. S. 22, Z. 7: philosophischen. S. 39, Anm. 94: Griechisch. S. 62, Z. 17 und 22: Vicenza. S. 69, Anm. 119: Albrechts von Halberstadt. S. 70, Z. 2: engl. facilitate. S. 173, Z. 16: Matthias Bauer. S. 178, Z. 14: Pseudo-. S. 223, Anm. 6: griech. Eta mit Zirkumflex.   zurück