Andreas Laubinger

Die Buchkultur der Kartausen: Forschungszugänge




  • Sönke Lorenz (Hg.): Bücher, Bibliotheken und Schriftkultur der Kartäuser. Festgabe zum 65. Geburtstag von Edward Potkowski. (Contubernium 59) Stuttgart: Franz Steiner 2002. VII, 495 S. Gebunden. EUR 96,00.
    ISBN: 3-515-08093-7.


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Einleitung

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Der von Sönke Lorenz herausgegebene und in der Reihe der Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte erschienene Sammelband über Bücher, Bibliotheken und Schriftkultur der Kartäuser versammelt als Festschrift zu Edward Potkowskis 65. Geburtstag insgesamt 24 Aufsätze. Sie gehen zurück auf Vorträge anlässlich zweier Tagungen über »Bücher, Bibliotheken und Schriftkultur der Kartäuser« in Warschau am 16./17. September 1996 bzw. zur »Schriftkultur bei den Kartäusern. Kulturaustausch im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa« vom 26. bis zum 30. Mai 1999 in Weingarten. Mit dem Werk liegen die teilweise bereits vor einigen Jahren auf Polnisch publizierten Untersuchungen nun in deutscher Sprache vor.

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Von einigen Ausnahmen abgesehen – hervorzuheben unter ihnen hier der Überblick über die vorwiegend aus französischen Kartausen stammenden »Kartäuserhandschriften in öffentlichen Bibliotheken Frankreichs«, den James Hogg auf Grundlage der Arbeiten von Dom Devaux liefert (S. 423–474) – bezieht sich die überwiegende Zahl der Studien auf Kartausen vor allem im Nordosten und Südwesten des Deutschen Reiches. Einzelne Texte betreffen dabei die Ordensniederlassungen von Basel, Erfurt, Freiburg, Danzig, Krakau, Prag, Rostock und Stettin; Buxheim und Güterstein sowie Rügenwalde und Stettin stehen im Zentrum jeweils mehrerer Untersuchungen.

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Die Kartause und ihre Kontakte

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Unter Einbeziehung der in den Beiträgen nicht berührten Häuser insbesondere Frankens und der nördlichen Provincia Rheni gibt der Herausgeber Sönke Lorenz im ersten Artikel des Bandes einen Überblick über die Ausbreitung des Ordens auf deutschsprachigem Gebiet (S. 1–19). Detaillierter mit der Geschichte der Provincia Saxonia befasst sich Rafał Witkowski (S.129–149). Obwohl ein spezifisch hansischer Charakter der nördlichen Ordenshäuser nicht ermittelt werden kann, gibt die auf Beutlers Typologie aufbauende Systematik des Artikels einen guten Überblick über Lokalisierung, Stifter und Kontakte der Kartausen.

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Wie die Strukturen der Ordensprovinz die Schriftkultur in den Kartausen entscheidend prägten, zeigt der erste Beitrag des Jubilars am Stettiner Beispiel auf. Als Grundlage des religiösen Schrifttums zieht sich dabei durch seinen Text der stete Rückbezug auf die in den Anfängen des Ordens formulierte Spiritualität, die Ulrich Köpf mit der der Zisterzienser vergleicht (S. 215–231). Obgleich etwa von den letzteren wesentliche Impulse auf die Kartäuser ausgingen, kennzeichnet das kartäusische Konzept die ungleich stärkere Betonung asketischer Ideale, die ein eremitisches Mönchtum implizierte. Die Abgeschiedenheit des Klosters tritt so zurück hinter die Einsamkeit der Zelle als Ort religiösen Lebens. Dass diese »Theologie der Zelle« (S. 231) keineswegs den völligen Abschluss des Kartäusers bedeutete, betont nun Edward Potkowski in seinem Artikel zur Schriftkultur der Stettiner Kartause ausdrücklich (S. 165–193). Vielmehr werde das sakrale Schrifttum des Ordens ergänzt um die pragmatische Schriftlichkeit, die mit der obligatorischen Abschrift der Chartae des Generalkapitels oder der Visitation durch Kontakte zwischen den Häusern innerhalb des Ordens mehr noch forciert wurde als durch das Gebetsgedenken für die externen Wohltäter.

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Die Struktur der Gönnerschaft konkretisiert der Beitrag Barbara Popielas-Szultkas für die Rügenwalder Kartause (S. 29–38). Auf Grundlage des Liber Beneficiorum werden die umfangreichen Verbindungen des Klosters deutlich, die in der Regel vermutlich auf personalen Beziehungen beruhten, sich aber gleichwohl überregional erstreckten. Leider bleibt ihr Profil vergleichsweise verschwommen, herausstechend ist jedoch die besonders enge Bindung an die Ortschaft Rügenwalde, die sich in der Zusammensetzung des Konvents klar manifestiert.

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Die prosopographischen Untersuchungen Piotr Olińskis (S. 255–268) zeigen weiterhin Unterschiede auf zwischen der idealtypischen Konstanz der Konventgröße in Rügenwalde und der insgesamt deutlich variableren Größe der Kartause bei Danzig, die der Artikel tabellarisch für jedes Jahrhundert aufführt. Allerdings bleiben aufgrund der Natur des zugrundegelegten Nekrologs Unschärfen, gerade bei der insgesamt beachtlich langen Zugehörigkeit zum Konvent. Mehr als die Hälfte der Mönche lebte über 20, immerhin mehr als ein Drittel über 30 Jahre im Kloster.

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Hält sich dort also die Hälfte der Mönche 26,6 Jahre oder länger in der Kartause auf, scheint die Annahme von Roland Deigendesch, in Güterstein hätten lediglich 35% der Konventualen nur durchschnittlich 27,6 Jahre im Kloster verweilt, vergleichsweise niedrig angesetzt, zumal sie sich ex negativo auf die bloße Annahme stützt, »daß die ca. 65% der Konventualen, für die keine verwertbaren Angaben […] vorliegen, zu einem überwiegenden Teil nur wenige Jahre dem Orden angehört haben«. Die auf dieser Grundlage stehende Übertragsrechnung, mit der die Untersuchung den Problemen der Memorialüberlieferung zu begegnen sucht, kann deshalb methodisch nur bedingt überzeugen. Aufschlussreicher ist die vorangehende Untersuchung der Gönnerschaft der Kartause, die zwar in den Grundzügen jener von Rügenwalde ähnelt, aber durch die genauere Analyse sehr viel spezifischer hervortritt. Entscheidend waren demnach bei Adel, Geistlichkeit wie Laien die Bezüge zu Grafschaft und Stifterfamilie. Die laikalen Schenker vermochten sich von ihnen am weitesten zu emanzipieren (S 269–287).

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Die Bibliotheken und ihre Bücherschenker

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Hinsichtlich des Themas des Bandes besonders interessant ist die Gruppe der Bücherstifter, die der gleiche Autor ausgehend von der Gütersteiner Bibliothek in einem weiteren Beitrag genauer beleuchtet hat (S. 93–115). Sie stellt sich in Güterstein relativ homogen dar und umfasst überwiegend Geistliche akademischer Bildung. Auch in Rügenwalde sind die geistlichen Schenker in der Überzahl, wie Edward Potkowski in seinem Artikel zum Rügenwalder Liber Beneficiorum bemerkt (S. 233–241). Laien fördern die Bibliothek hier zwar durch Geldgeschenke zur Anschaffung von Buchutensilien, nehmen damit aber, anders als die Bücherschenker, keinen direkten Einfluss auf die Zusammensetzung der Bibliothek. Ob und wie sich dieser Einfluss auf den Bücherbestand in Rügenwalde auswirkte, muss angesichts der Überlieferungslage offen bleiben. Günstiger sind die Verhältnisse in Güterstein. Hier entsprachen die Schenkungen im Wesentlichen der bei eigenen Anschaffungen verfolgten Strategie und damit wohl der erwünschten Zusammensetzung der Bibliothek.

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Dies war freilich nicht überall der Fall. In welch unterschiedlicher Weise die kartäusische Bibliothek von Buchgeschenken bestimmt sein konnte, demonstrieren im vorliegenden Sammelband die Basler und besonders die Freiburger Kartause.

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Dieter Mertens zeigt auf, wie sehr die Kartause bei Freiburg charakterisiert war von der engen Verwobenheit mit der Universität (S. 65–81). Nahm der Prior mit der Verwaltung von Stipendienstiftungen einerseits Aufgaben im akademischen Umfeld wahr, traten andererseits Mitglieder der Universität in die Kartause ein und prägten auch die Bibliothek des Klosters. Ihr Bestand kam wohl in großen Teilen aus den Büchereien, die beim Eintritt ins Kloster der Kartause vermacht wurden, ist aus den Überresten etwa in der Freiburger Universitätsbibliothek aber nur noch fragmentarisch zu rekonstruieren. Insbesondere »alle diejenigen Tätigkeiten, durch welche die Freiburger Kartäuser selbst die Zusammensetzung ihrer Bibliothek gestalteten, sind nur sporadisch zu erkennen« (S. 78).

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Erkennbar scheint immerhin der Büchertausch mit dem Basler Ordenshaus. Gelangten dabei Texte ausgeprägt kartäusischer Spiritualität nach Freiburg, demonstriert dies indes, dass auch ein durch Schenkungen aus dem humanistischen Umfeld wesentlich erweiterter Buchbestand wie der der herausragenden Basler Bibliothek in erheblichem Umfange theologische Werke enthielt. In seinem Abriss der Geschichte der Basler Kartause und ihrer Bibliothek skizziert Thomas Wilhelmi einleuchtend, wie fest auch dieses Haus im humanistischen Umfeld verortet war (S. 21–27).

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Exemplarische kartäusische Biographien

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Die aufgezeigten Strukturen verdichten sich individuell in einzelnen Biographien aus dem Kontext der Buxheimer Kartause. Wie ein ehemaliger Rektor der Basler Universität sich als Geistlicher über Jahre hinweg den Kartäusern annähert, zeigt der geradezu exemplarische Lebenslauf des Hilprand Brandenburgs von Biberach, den Oliver Auge in seinen Beitrag beschreibt (S. 399–421). Bei seinem schließlichen Eintritt in die Kartause Buxheim schenkte Hilprand dem Kloster unter anderem seine Bücherei, die den dortigen Buchbestand ganz erheblich erweiterte und beeinflusste.

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Jahre zuvor war dieser dem bislang vor allem als Übersetzer des ABC der göttlichen Liebe prominenten Johannes Mickel noch unzureichend erschienen, welchem Herrad Spilling zwei Untersuchungen widmet (S. 39–64; 325–381). Greifbar wird hier ein ausgeprägter, durchaus schwieriger Charakter. Besonders die erhaltenen Lektürelisten und –spuren erlauben höchst aufschlussreiche Einblicke in den individuellen Leseprozess eines Kartäusers, der sich trotz seines humanistischen Charakters dem Ideal des wiederholenden, verinnerlichenden Studiums verpflichtet sieht.

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Kartäusische Literatur

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Jenes studium, das das Prohemium Longum des Erfurter Bibliothekskatalogs propagiert und zu dem es so detailliert anleitet, wäre vor diesem Hintergrund daher genauer zu definieren. Zu Recht konstatiert Almuth Märker, die dem wichtigen Text wieder Aufmerksamkeit geschenkt hat (S. 383–397), die aus ihm sprechende grundlegende Bildungsfreundlichkeit der Kartäuser, in der das Studium Mittel gegen die Gefahren der Unwissenheit und des Irrglaubens ist.

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Überhaupt liegt der Irrglaube in Unwissen begründet, wie der gleichfalls in Erfurt beheimatete Jakob v. Paradies in seinem Traktat über die Macht der Dämonen ausführt, der zentraler Gegenstand des Beitrags von Krzysztof Bracha ist (S. 151–163). Die von ihm nachgezeichnete Argumentation entspricht trotz teilweise neuzeitlich anmutender Ansichten also durchaus dem zeitgenössischen Muster, erkennbar wird aber vor allem, wie sie zugleich Kritik am reformbedürftigen Klerus formuliert.

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Eine ähnliche funktionale Dimension kartäusischen Schrifttums erscheint auch bei Johannes Mangei (S. 289–316). Wie in seinem Überblick über die im Kartäuserorden tradierte Visionsliteratur deutlich wird, ist die Überlieferung hier wesentlich mitbestimmt von dem Maße, in dem die Texte eine Propagierung der Ordensziele insbesondere im Kontext der spätmittelalterlichen Reformen versprachen. Kartäusische Mönche und Nonnen scheinen mit eigenen Visionen nur ungern hervorgetreten zu sein. Während entsprechende Berichte daher besonders im Rahmen hagiographischer Textsorten etabliert wurden, machte sich die Überlieferung in erheblichem Umfange Visionsliteratur aus dem Umfeld anderer Orden zu eigen. Sofern diese nicht, wie die Visio Edmundi, ohnehin ausschließlich mit der kartäusischen Spiritualität korrelierte, wurde sie, etwa in den Revelationes Agnetis Blanbekin, entsprechend redigiert, falls nicht auf bestehende Assoziierungen zum Orden zurückgegriffen werden konnte, – beispielsweise bei der zahlreich überlieferten Vision des Tnugdal, dessen Zugehörigkeit zum Kartäuserorden spätestens seit dem 16. Jahrhundert diskutiert wurde.

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Dem Orden zugehörige, angesehene Visionäre konnten als Beglaubigung der Überlieferung dienen. In einem aufschlussreichen Exkurs zu der ›Reformextase‹ wird so deutlich, wie im Zuge einer rhetorisierenden Überarbeitung die zunächst anonymisierte Vision eines Kartäusers an den doctor ecstaticus Dionysius Cartusiensis angelagert wird, um der Forderung nach Reform der Kirche Nachdruck zu verleihen, die dem kartäusischen Visionär exklusiv geoffenbart wird. Da hier zum Ruhme des Ordens ein anonymisierter Bericht umgeformt wird, könnte die für den Artikel in Anschlag gebrachte Unterscheidung »zwischen Werken, die durch Visionen den Ruhm des Ordens zu erhöhen suchten […], und Visionsberichten, die verschwiegen […], anonymisiert […] oder nur privaten Aufzeichnungen anvertraut werden« (S. 316) allerdings noch weitere Ausschärfung vertragen. Der Bezugspunkt dieser Systematik scheint doch das jeweilige Textdokument, nicht die durch ihn tradierte Vision zu sein. Deutlicher ist im Beitrag die Gliederung nach der Funktion der Kartäuser als Empfänger oder Vermittler der Vision, mit der hier ein zweifelsohne interessantes Forschungsfeld erschlossen wird.

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Fazit

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Die Vielzahl der Forschungsfelder und methodischen Zugänge aufzuzeigen, ist zweifellos ein wesentliches Verdienst des Buches. Besondere Bedeutung erhält die Interdisziplinarität der versammelten Forschungen durch die Internationalität der Beiträger. Dass den Texten die Übertragung aus der Fremdsprache dabei teilweise anzumerken ist, ist ein Tribut, der dem deutsch-polnischen Projekt wohl zu zollen ist. Die Leser dieses Buches werden sicher auch in dem »Kreuzritterorden« (S. 143) den Deutschen Orden erkennen.

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Gerade angesichts des breiten Spektrums ist es aber bedauerlich, dass eine Zusammenfassung fehlt. Sie hätte formulieren können, was an den Schnittstellen der Beiträge aus unterschiedlichster Perspektive erkennbar wird, da sich gerade in der Vielfalt der Zugänge die Ergiebigkeit des übergeordneten Themas erweist. Über Bücher, Bibliotheken und Schriftkultur der Kartäuser wären in diesen Punkten so noch Aufschlüsse erbracht worden, wie sie die einigermaßen unverbundenen Einzelstudien kaum erzielen können. Unbestritten bleibt dabei im Einzelnen deren Wert und Notwendigkeit. Warum freilich ein Großteil der Beiträge die Geschichte der jeweils berührten Kartause mehr oder minder umfänglich abhandelt, erscheint angesichts des Themas allerdings fraglich.


Andreas Laubinger
MittelalterKolleg
IEMAN - Universität Paderborn
Warburger Str. 100
DE - 33098 Paderborn

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Ins Netz gestellt am 21.06.2004

IASLonline ISSN 1612-0442

Diese Rezension wurde betreut von unserer Fachreferentin Dr. Bettina Wagner. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Stephanie Becker.

Empfohlene Zitierweise:

Andreas Laubinger: Die Buchkultur der Kartausen: Forschungszugänge. (Rezension über: Sönke Lorenz (Hg.): Bücher, Bibliotheken und Schriftkultur der Kartäuser. Festgabe zum 65. Geburtstag von Edward Potkowski. Stuttgart: Franz Steiner 2002.)
In: IASLonline [21.06.2004]
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