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Die geistlichen Waffen eines mittelalterlichen
geistlichen Ritterordens

  • Arno Mentzel-Reuters: arma spiritualia. Bibliotheken, Bücher und Bildung im Deutschen Orden. (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 47) Wiesbaden: Harrassowitz 2003. 451 S. Gebunden. EUR (D) 128,00.
    ISBN: 3-447-04838-7.
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Zur Rolle von Büchern und Literatur
im Deutschen Orden

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Die geistlichen Ritterorden des Mittelalters werden oft nahezu ausschließlich vor dem Hintergrund ihrer militärischen und politischen Aktivitäten betrachtet, selbst ihre Hospitäler treten dahinter zurück. Sie waren aber ebenso geistliche Institutionen, in denen sich auch die Ritterbrüder den Normen des monastischen Lebens unterwarfen und als Mitglieder des geistlichen Standes sahen, während die in einigen Häusern sogar zahlenmäßig überlegenen Priesterbrüder nicht nur Aufgaben innerhalb des Ordens wahrnahmen, sondern als Pfarrer oder sogar Bischöfe für die seelsorgerische Betreuung der Menschen in ihren jeweiligen Sprengeln zuständig waren. 1 Das gilt auch – und vielleicht sogar in besonderem Maße – für den Deutschen Orden, dem – ähnlich wie den Johannitern in der Ägäis – der Aufbau eines eigenen Territoriums, des Ordenslandes Preußen, gelang. Während der Orden dort in den großen Städten wie auf dem Lande über das Patronat von Pfarrkirchen verfügte und in drei von vier Bistümern die Mitglieder des Domkapitels stellte, das nach dem kanonischen Recht für die Wahl der Bischöfe zuständig war, hatte er auch in seinen anderen Besitzungen, insbesondere im Reich, Patronatsrechte und kontrollierte stiftische Institutionen. Wenn somit an vielen Orten die Priesterbrüder vielfältigen geistlichen Aufgaben nachgingen, kann es nicht überraschen, dass es in allen Häusern Bücher und Bibliotheken gab, die – auch angesichts der Kosten von Büchern im Mittelalter – die in erster Linie erforderlichen liturgischen und theologischen Texte zur Verfügung stellten. Das Interesse an Literatur beschränkte sich jedoch nicht auf diese Bereiche, ebenso wie nicht nur die Priester-, sondern auch die Ritterbrüder Bedarf an Büchern und Bibliotheken hatten.

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Die vorliegende Arbeit von Arno Mentzel-Reuters, eine Erlanger Habilitationsschrift, öffnet vor diesem Hintergrund den Blick auf eine weiträumige Bibliothekslandschaft. Gegenstand der Untersuchung sind nicht nur die Ordensbibliotheken in den Konventen, Häusern, Kapitelsburgen, Pfarreien und anderen geistlichen Einrichtungen des Ordenslandes, sondern auch jene in Livland, in den deutschen Balleien des Ordens sowie beim Generalprokurator an der römischen Kurie. Sie basiert auf der reichhaltigen Überlieferung, die neben den erhaltenen Bänden aus Ordensbesitz umfangreiche Inventare, Rechnungen und weitere Quellen einschließt. Anders als die – notwendigerweise – oft regional oder lokal orientierten Bibliotheksgeschichten gilt die Untersuchung somit einem Netz von Bibliotheken, die miteinander in enger Beziehung standen. Dies wird zum einen in den ähnlichen Anteilen lateinischer und volkssprachlicher Literatur fassbar, zum anderen in vergleichbaren Relationen zwischen dem liturgisch-theologischen und dem sonstigen Schrifttum. Die Arbeit kann sich vor diesem Hintergrund weit reichende Ziele setzen. Sie erschließt »ein eigenes zeitgemäßes und lebendiges geistiges Leben, dessen Schwerpunkte und Interessen sich fernab der großen Klosterschulen und Universitäten herausbildeten und die dort ausgetragenen Lehrmeinungen und Konflikte kaum zur Kenntnis nahm«, und gibt – unter den Voraussetzungen des Ordenslebens – einen Eindruck davon, »wie Personen, denen eine solide lateinische Schulbildung und erst recht ein Universitätsstudium verwehrt waren, sich um religiöse Erkenntnis und Wissen bemühten« (S. 15). Im Zentrum der Untersuchung steht somit ein oft vernachlässigter beziehungsweise schwer erschließbarer Bereich (spät)mittelalterlicher Bildung.

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Arno Mentzel-Reuters geht dafür in drei Schritten vor. Er beginnt mit einer Einführung in das Selbstverständnis des Ordens und die Bedeutung von Bildung im Orden, um sich dann im zweiten Teil den allgemeinen Regelungen und der Überlieferung für die Bibliotheken des Ordens zuzuwenden. Den »materiellen« Kern der Arbeit bildet eine umfangreiche Übersicht über den Buchbesitz und die Bibliotheken der einzelnen Ordenshäuser, die zusätzlich auch durch eine Datenbank erschlossen ist, die seit einiger Zeit über das WWW genutzt werden kann. 2 Die Ergebnisse der Untersuchung werden in zwei Abschnitten zur Lesekultur sowie zu Bildung und Klerikalisierung im Orden zusammengefasst.

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Selbstverständnis und Bildung
im Deutschen Orden

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Trotz mancher Unterschiede in der Entwicklung lässt sich der Deutsche Orden aus denselben Grundlagen verstehen, die bereits die beiden älteren der großen geistlichen Ritterorden prägten. Das gilt insbesondere für Das Lob der neuen Ritterschaft Bernhards von Clairvaux und für den Bezug auf biblische Vorbilder wie die Makkabäer, durch die das Selbstbild als Vorkämpfer der Christenheit bestimmt wurde. Das änderte sich durch die Verlagerung der Aktivitäten ins Baltikum kaum, zumal die Privilegien des Ordens den »Heidenkampf« als Stiftungsaufgabe des Ordens voraussetzten. Der Verfasser macht aber zu Recht darauf aufmerksam, dass sich in diesem Rahmen vielfältige Entwicklungen vollzogen. So gewannen neben den Formen »pragmatischer« Schriftlichkeit, die in den liturgischen und theologischen Büchern, Urkunden, Briefen, Rechnungsbüchern und so weiter ihren Niederschlag fanden, andere Formen von Literalität an Bedeutung, vielleicht vor allem im Zusammenhang mit den Vorschriften der Statuten zur Tischlesung. Seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurden im Orden deutschsprachige Bibeltexte rezipiert, und die Bibliotheken des Ordens entwickelten sich zu dem, was sich zu Recht als »Laienbibliothek« klassifizieren lässt, auch wenn sich zugleich ebenso das Spektrum lateinischer Texte erweiterte. Analog zur Ordensgeschichte insgesamt sieht der Verfasser dabei drei Umbruchphasen, geprägt durch den Verlust Akkons (1291), die Niederlage bei Tannenberg / Grunwald (1410) und die Säkularisierung Preußens (1525). Gewann zunächst das klerikale Element im Orden durch die »Inkorporation« der Domkapitel an Gewicht, führte der Erfolg der preußischen Herrschaftsbildung zu neuen Anforderungen an Bildung und Buchbesitz, etwa durch die Kontakte zur zeitgenössischen Volksfrömmigkeit und die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit juristischen Fragen. Das Ende des Ordens in Preußen – und bald auch in Livland (1561) – stellte dann die verbliebenen Ordenshäuser im Reich vor neue Probleme, die den Umgang mit dem überlieferten Buchbesitz bestimmten.

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Der Verfasser hebt zu Recht hervor, dass die Situation des Ordens außerhalb des Heiligen Landes Buchbesitz erforderlich machte, für Priester- wie für Ritterbrüder. Dazu trug die Rechtfertigung gegen äußere Kritik ebenso bei wie das daraus resultierende Bemühen um eine Ordensreform, das sich spätestens seit dem 14. Jahrhundert fassen lässt und immer wieder eingefordert wurde. Wie die Widmung der anonym überlieferten Geometria Culmensis am Beispiel des Hochmeisters Konrad von Jungingen erkennen lässt, verstanden sich einige der Ritterbrüder als Verfechter einer neuen Frömmigkeit, die Stefan Kwiatkowski zu Unrecht als ein dem Orden entgegengesetztes »Volkschristentum« interpretiert hat. Das geistliche Selbstverständnis dieses Hochmeisters ging zum Beispiel so weit, dass einige Zeitgenossen ihn eher als Abt sehen wollten. Entsprechend verwandelte der Abschluss der Christianisierung Preußens die Ordensburgen in klösterlich organisierte Zentren, an denen regulär die kanonischen Stundengebete und Messen gefeiert wurden.

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Vor diesem Hintergrund spielte Bildung eine eigenständige Rolle, auch wenn der Topos vom ungelehrten, aber kampfbereiten Ritterbruder noch lange gültig blieb und die Statuten keinerlei Lateinkenntnisse voraussetzten. Zwar war eine universitäre Ausbildung die Ausnahme – der Orden finanzierte einigen Priesterbrüdern und preußischen Untertanen im 15. Jahrhundert das Studium, insbesondere an den juristischen Fakultäten, um über kundige Rechtsvertreter verfügen zu können –, doch lassen sich zum Beispiel in einigen Ordenshäusern umfangreichere, qualitätsvollere und insbesondere weiteres lateinisches Schrifttum umfassende Buchbestände nachweisen, die wahrscheinlich der Ausbildung der Priesterbrüder dienten (bei den Kapiteln der Bistümer Pomesanien und Samland, in Marburg usw.), und die Statuten schlossen die (Weiter-)Bildung der Ordensmitglieder nicht grundsätzlich aus. Der Verfasser unterscheidet hier nach David N. Bell drei Stufen der Literalität: die Fähigkeit zum mechanischen Umgang mit lateinischen Texten ohne eigenes Verständnis; minimale Kenntnisse lateinischer Vokabeln und Syntax, die zu einem ersten Verständnis führen; schließlich Lese- und Schreibfähigkeit nicht-liturgischer Texte. Die Statuten forderten für Priesterbrüder nicht einmal zumindest die zweite Stufe, doch werden sie durch die äußeren Bedingungen vielfach darüber hinaus gelangt sein.

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Daraus ergibt sich der Grundbestand der Ordensbibliotheken: neben den Ordensstatuten vor allem liturgische Texte, Predigthilfsmittel sowie Literatur für die Tischlektüre, dazu Kalendarien für die Memoria. Dabei gewann die Volkssprache zunehmend an Bedeutung – verstärkt im 15. Jahrhundert, fassbar an Ritualbüchern wie an Predigthandschriften. Allerdings gibt es, wie der Verfasser zu Recht hervorhebt, nach neueren Forschungen keine »Deutschordensliteratur«, sondern vielmehr nur eine »an Laien gerichtete Strömung, die im Deutschen Orden auf fruchtbaren Boden fiel« (S. 63), und folglich ist auch der von der älteren Forschung bis in die 1990er Jahre immer wieder betonte Zusammenhang zwischen »Deutschordensliteratur« und Tischlesung keineswegs zwingend. Vielmehr machte sich der Orden zum Beispiel Bibeldichtungen wie die Hiob- und Daniel-Dichtung oder die Apokalypse Heinrichs von Hesler zu Eigen. Der Verfasser verweist ebenso darauf, dass die Texte – mit ihren Illustrationen – auch der persönlichen Meditation und als Hilfsmittel für Predigten gedient haben werden. Für die Tischlesung standen – wie in anderen geistlichen Gemeinschaften – die Bibel, das Passional und weitere Heiligenviten im Vordergrund. Von einem Vorherrschen gereimter Texte – oder gar von einem notwendigen Zusammenhang zwischen Tischlesung und Reimform – kann man dagegen nicht ausgehen. Das 15. Jahrhundert zeigt dann eine Ausweitung der Interessen auch in der volkssprachlichen Literatur, fassbar etwa an der stark rezipierten Epistola Presbyteri Johannis, von der eine deutsche Reimfassung entstand, oder an der Geometria Culmensis und geographischen Interessen. Der Verfasser behandelt in diesem Zusammenhang ebenfalls das Schulwesen in Preußen. Dabei argumentiert er plausibel (gegen die bisherige Forschung), dass die Pläne zur Gründung einer Universität in Preußen wohl deshalb fehlschlugen, weil man letztlich zur Auffassung gelangt sei, dass man die eigenen Bildungsziele durch die Vergabe von Domherrenstellen an etablierte Gelehrte besser erreichen konnte.

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Buchbesitz und Bibliotheken
im Deutschen Orden

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Die erhaltenen Handschriften vermitteln einen ebenso unvollständigen Eindruck von den Bibliotheken des Deutschen Ordens wie die Inventare, die in der Regel nur einen oder zwei Titel aus einem Codex verzeichnen. Zudem müssen die nur wenig homogenen Verzeichnisse in ihrem jeweiligen Kontext interpretiert werden. Dafür beginnt der Verfasser seine Einführung in die Bibliotheken des Ordens mit einer Quellenübersicht und diskutiert unter anderem die Problematik der Identifizierung (bis 1945) erhaltener Handschriften, die über die Ordensbibliothek in Tapiau nach Königsberg gekommen sein sollen, sowie der Verluste der Königsberger Bestände. Zudem verweist er auf »Unschärfen« in der Verzeichnung durch die mittelalterlichen Inventare und Kataloge: das Fehlen jeder Verzeichnung, die pauschale Verzeichnung (»6 deutsche Bücher«), die Verzeichnung unter wechselnden oder ungenauen Titeln, schließlich die Nicht-Verzeichnung weiterer Titel der Codices (nach den Schätzungen des Verfassers kann man aber bei nichtliturgischen Texten aufgrund erhaltener Bestände von drei bis vier Titeln je Band ausgehen, bei liturgischen Texten zumeist nur von einem Titel, so dass insgesamt immerhin rund achtzig Prozent der Handschriften in den Inventaren hinreichend erschlossen sein dürften). Darüber hinaus gibt es immer wieder Lücken in der Überlieferung zu den einzelnen Bibliotheken, etwa zwischen den Königsberger Beständen 1520 und der 1541–1543 fassbaren Tapiauer Bibliothek. Ungeachtet dieser und weiterer Probleme konnte der Verfasser jedoch Nachweise von mehr als 2400 Büchern aus den verschiedenen Quellen zusammenstellen.

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Für den Bucherwerb gab es keinen irgendwie geregelten »Etat«, vielmehr erhielten Brüder offenbar Mittel für Käufe oder erwarben »private« Sammlungen, die nach ihrem Tode an die Konvente und Häuser des Ordens fielen (nach den Statuten des 13. Jahrhunderts genauer an den Deutschmeister beziehungsweise die Landkomture, in deren Bereich wohl nur diese Art von Nachlässen erwartet wurde). In den Statuten wurde daneben mehrfach der Verkauf von Büchern ohne Genehmigung dazu verboten, und nahezu topisch forderten die Hochmeister in verschiedenen Privilegien und Urkunden immer wieder (so auch Heinrich von Plauen bei der Bibliotheksgründung an der Danziger Marienkirche oder Paul von Rusdorf in den Amtsartikeln von 1427), keine Bestände zu entfremden. Dies konnte jedoch den Verkauf von Büchern nicht verhindern. 1442 wurde im Rahmen der Erneuerung der Ordensstatuten verfügt, nachgelassene Bücher von Brüdern in den jeweiligen Ordenshäusern als Bibliothek zur Verfügung zu stellen, wobei die Entscheidung über ihren Erhalt beim jeweiligen Amtsinhaber lag. Wurden Bände oder ganze Buchbestände nicht übernommen, sollten sie an die Bibliothek des Haupthauses gehen, auf die Marienburg beziehungsweise die Sitze der jeweiligen Landkomture. Generell wurde die Zuständigkeit für die Nachlässe auch im Folgenden nach unten verwiesen – die Versuche der Hochmeister, dieses Recht an sich zu ziehen, schlugen fehl –, aber es kam insgesamt nie zu einer einheitlichen Praxis.

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Die Verwaltung der Buchstände in den Ordenshäusern erforderte kein eigenes Amt. Sie waren – abhängig von der Zahl der Brüder – zumeist recht klein und unterstanden anderen Amtsträgern wie dem Hauskomtur oder (auf der Marienburg) dem Glockmeister. Durchschnittlich verfügte jeder Konvent über 17 Codices, davon mindestens zehn rein liturgische. Die Bestände unterscheiden teilweise drei Gruppen: lateinische Bücher, Messbücher und deutsche Bücher. Der Verfasser bietet hier aufschlussreiche Vergleiche mit anderen Orden, bei denen zum Beispiel eigene »öffentliche« Bibliotheken für Laien bestanden. Bei der liturgischen Literatur überwiegen Missalia und Psalteria gegenüber Antiphonale und Graduale. An weiterer theologischer Literatur finden sich Bibeln mit Kommentaren, theologische Kompendien (wie die Historia scholastica des Petrus Comestor), Heiligenlegenden und wenigen kirchenrechtlichen Texten. Juristische Werke waren kaum vertreten, neben den Statuten sind vor allem Privilegiensammlungen und solche des Kulmer Rechts genannt.

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Der Verfasser unterscheidet daneben vier weitere Typen von Bibliotheken: die der inkorporierten Domkapitel, der Ordenshospitäler, der Pfarrkirchen unter Ordenspatronat sowie Büchersammlungen einzelner Brüder. Erstere bieten naturgemäß die größten Bestände, besaßen ihre Mitglieder doch die beste Ausbildung. So finden sich hier weitaus umfangreichere kirchenrechtliche Bestände, dazu einige römisch-rechtliche Schriften. Dagegen waren die Bibliotheken der Hospitäler für die dort wirkenden Priester bestimmt, so dass die erhaltenen Quellen keine medizinische Literatur verzeichnen (auch wenn sie anderenorts im Orden nachgewiesen ist). In den teilweise recht gut dokumentierten Pfarrbibliotheken stehen dagegen homiletische und katechetische Schriften stärker im Vordergrund als in den Ordenskonventen. Sie entstanden zumeist aufgrund weltlicher Stiftungen oder aus Nachlässen von Weltgeistlichen, erhielten sich deshalb aber zum Teil auch über die Ordenszeit hinaus. Der Besitz einzelner Brüder repräsentiert wohl das weiteste Spektrum von Literatur, da er oft auch Abschriften oder Käufe der Studienzeit oder aus anderen Regionen einschloss.

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Die Bibliotheken des Ordens waren vor allem durch die Kriege in Preußen bedroht, da sie – auf den Ordenshäusern gelegen – im Zentrum der Kriegshandlungen standen. Die größten Verluste, weit mehr als in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, traten dabei nach Aussage der Ämterbücher im Ständekrieg ein. Im Reich waren die Bestände vor allem durch die Verschuldung der Ordenshäuser gefährdet. Die Bücher wurden entweder neu erworben, das heißt gekauft oder für den Orden hergestellt, oder »umverteilt«, das heißt von anderen Häusern, auch einmal von anderen Orden übernommen. Bucherwerb und -produktion lassen sich insbesondere für die Marienburg um 1400 verfolgen, doch waren Teile der Bestände offenbar auch als Geschenke bestimmt. Für die Benutzung ist zwischen angeketteten Bänden, die nicht ausleihbar waren, und weiteren Bänden zu unterscheiden. Von ersteren finden sich 40 durchweg lateinische Manuskripte in den Kirchen beziehungsweise Sakristeien des Ordens. Dagegen waren andere wohl für den Gebrauch in den Zellen der Brüder bestimmt, auch die Ausleihe zwischen verschiedenen Ordenshäusern war möglich. Die Bücher für die Tischlesung könnten zusammen mit den Kirchenbüchern verwahrt worden sein, eine Aufbewahrung im Remter ist jedoch nicht nachweisbar. Die Bestände befanden sich oft in den Sakristeien der Ordenshäuser, teilweise in Truhen bei einzelnen Brüdern. Kleinere Ordenshäuser wurden teilweise gezielt aus den großen versorgt, Bücher an andere Institutionen oder Personen weitergegeben.

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Der Orden sah sich über seine europäischen Besitzungen hinweg auf sehr unterschiedliche Weise dem Buchwesen gegenüber, in Preußen sogar mit der Möglichkeit zum steuernden Eingreifen oder zur Einflussnahme auf die künstlerische Gestaltung, auch wenn diese nicht überschätzt werden sollte. Unter den Büchern des Ordens finden sich auch Drucke, wobei ordensspezifische Texte auf Liturgica beschränkt blieben. Der Verfasser widmet den Buchbeständen in den Ordenshäusern ein umfangreiches Kapitel, das – nach einleitenden Bemerkungen zu den preußischen Visitationen – für Preußen, Livland und das Reich ein vielgestaltiges Bild entwickelt, auch mit Hinweisen auf das weitere Schicksal der Bestände (S. 209–382).

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Schriftlichkeit und
Klerikalisierung

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Auf der Grundlage seiner Untersuchungen kommt der Verfasser abschließend zum interessanten Ergebnis,

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daß der Orden mehr als bisher vermutet an geistigen Entwicklungen Anteil nahm und seine Spiritualität sehr wohl in Kontakt mit den geistesgeschichtlichen Ereignissen stand. Der Orden handelte offenkundig weniger aus unmittelbarer Beteiligung heraus, sondern in einem fast einzigartigen Streben nach Assimilation [...]. Auf diese Weise sicherte er jahrhundertelang sein institutionelles Überleben, trotz der zahlreichen und gravierenden Veränderungen, die zwischen dem dreizehnten und sechzehnten Jahrhundert die europäische Welt bewegten. (S. 383)
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Für diese These kann der Verfasser auf die Aneignung aktueller Strömungen und Literaturgattungen durch den Orden hinweisen, zum Beispiel auf die der Verehrung der heiligen Elisabeth oder Dorotheas von Montau sowie auf die so genannte »Deutschordensliteratur«. Er kann dabei nachdrücklich klarstellen, dass die von der älteren Forschung betonte, aber nur scheinbare Einheitlichkeit dieser Überlieferung durch die Rezeption im Ordensland selbst und die dort produzierten Handschriften entsteht. Zudem muss auch die Bedeutung der Tischlesung relativiert werden, wenn zumindest in den Ordenshäusern im Ordensland seit dem 14. Jahrhundert – und vor einer durch die Kriege und Reformvorstellungen beeinflussten Reduktion auf liturgische Texte und Gebetbücher – Laienbibliotheken nachweisbar sind, die den Ordensrittern gedient haben dürften und dem Vorbild der Laienbibliotheken der Kartäuser nahe kommen. Neuere, humanistisch beeinflusste Strömungen fanden allerdings nur über einzelne Brüder, insbesondere über die Bischöfe und die Bibliotheken der Domkapitel, Eingang in den Orden. Letztere enthielten ohnehin die bedeutendsten Sammlungen, hinter denen selbst die auf die Seelsorge konzentrierten Bibliotheken der Priesterkonvente im Reich zurücktraten.

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Wenn man sich den einzelnen Brüdern zuwendet, lassen sich für die Priesterbrüder oftmals persönliche Züge entdecken oder selbst Rückschlüsse auf die Universität ziehen, an der sie ausgebildet wurden. Die Bibliotheken für den Gebrauch der Ritterbrüder orientierten sich vielleicht zunächst an den Dominikanern, dann auch – aufgrund ihrer relativ einheitlichen Anlage – an den Kartäusern. Der Verfasser sieht hier Tendenzen zu einer Stärkung des Priestertums im Orden wirksam, die sich aus dem Verlust des Heiligen Landes und Reaktionen auf den Templerprozess ergaben. Wahrscheinlich ging die Idee einer intensiveren geistlichen Versorgung der Ritterbrüder von den Priesterbrüdern aus, wie sie auch die literarische Produktion im Orden gestalteten. Unter Hochmeistern wie Luder von Braunschweig und Konrad von Jungingen verstärkte sich die Tendenz zur Klerikalisierung. In diesem Kontext lässt sich dann auch die Auseinandersetzung mit Texten wie der Heslerschen Apokalypse und den biblischen Texten besser verstehen. Ihr stand aber auch, wie der Verfasser aufzeigt, eine »Laikalisierung« des Klerus gegenüber, die gerade in den späteren Bischöfen wie Dietrich von Cuba oder Hiob von Dobeneck fassbar wird.

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Schon die Zusammenfassung macht deutlich, dass die vorliegende Untersuchung der Bibliotheken des Deutschen Ordens weit über bisherige Arbeiten hinausgeht. Das betrifft keineswegs nur die Erfassung der Bestände oder die Auseinandersetzung mit technischen Fragen wie den Quellengrundlagen oder der Verwaltung der Bestände, sondern führt in grundsätzliche Bereiche, die neue Einblicke in die Spiritualität und Vorstellungswelt der Brüder des Deutschen Ordens erlauben, weitab von stereotypen oder konstruierten Zuordnungen zu einer »Devotio antiqua« oder einem undefinierten »Augustinismus«, vielmehr erarbeitet aus einer intensiven Beschäftigung mit dem reichhaltigen Quellenmaterial selbst. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit nicht nur von den wenigen Spezialisten der Literaturgeschichte des Deutschen Ordens, sondern von der gesamten Breite der spätmittelalterlichen Forschung zur Geschichte der geistlichen Orden und ihrer Vorstellungswelt zur Kenntnis genommen werden.



Anmerkungen

Jürgen Sarnowsky: Identität und Selbstgefühl der geistlichen Ritterorden. In: Stefan Kwiatkowski / Janusz Małłek (Hg.): Ständische und religiöse Identitäten in Mittelalter und früher Neuzeit. Toruń 1998, S.109–130, hier S. 126–129.   zurück