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Kleine Studie zum größten Buch- und Zeitschriftenkonzern des Nationalsozialismus

  • Thomas Tavernaro: Der Verlag Hitlers und der NSDAP. Die Franz Eher Nachfolger GmbH. Wien: Edition Praesens 2004. 171 S. Paperback. EUR 28,00.
    ISBN: 3-7069-0220-6.
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Die Franz Eher Nachfolger GmbH war im Dritten Reich neben rund 70 Gau-, Partei- und SS-Verlagen der Zentralverlag der NSDAP und einer der größten deutschen Buch- und Zeitschriftenkonzerne überhaupt. Das Verlagsprogramm umfasste neben dem Völkischen Beobachter alle Sparten, so etwa Romane, Straßenkarten, Liederbücher, Kalender, NS-Verordnungen bis hin zu rassenhygienischen Schriften. Auch Hitlers Mein Kampf erschien seit 1925 in diesem Verlag in mehreren Auflagen und Millionen Exemplaren.

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Trotz der großen Bedeutung des Unternehmens für die mediale Verbreitung der NS-Propaganda wissen wir heute nur wenig über Aufstieg, Programmpolitik, Bilanzen und Managemententscheidungen des Eher-Konzerns. Eine Aufarbeitung dieser Firmengeschichte ist von zentraler Bedeutung für die Buchhandelsgeschichte des Dritten Reichs. Im Wiener Verlag Edition Praesens erschien eine Studie von Thomas Tavernaro, die Licht in das Dunkel bringen will.

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Zur Methodik und Anlage der Studie

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Die Verlagsgeschichte ist das Ergebnis einer vierjährigen Forschungsarbeit. Trotz des relativ langen Erarbeitungszeitraums tritt uns mit 102 Seiten Darstellung und einer sich daran anschließenden Quellen- und Literaturliste (S. 103–145) sowie einem Fußnotenanhang (S. 146–167) eine vergleichsweise kleine Studie entgegen. Der Autor begründet dies mit der Vernichtung fast aller Primärquellen infolge des Zweiten Weltkriegs. Die archivalischen Zugangsschwierigkeiten werden in einem einleitenden Kapitel »Quellenkritik« verdeutlicht.

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Der Autor wählte den chronologischen Ansatz als Ordnungsprinzip. Sowohl Ansatz als auch Gliederung offenbaren einen Mangel, der darin besteht, keine präzisen Leitfragestellungen formuliert und keine inhaltlich-thematischen Schwerpunkte unterhalb dieser Chronologie herausgearbeitet zu haben. Die Gliederung sieht wie folgt aus:

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Kurzer Literaturüberblick (S. 9–12)

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Quellenkritik (S. 13–17)

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Die Geschichte der Vorläufer bis 1900 (S. 18–20)

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Der »Münchner Beobachter« und der Franz Eher Verlag 1900–1918 (S. 21–22)

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Die Jahre 1918–1920: Von der Thule-Gesellschaft zur NSDAP (S. 23–30)

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Der Parteiverlag der NSDAP 1920–1925 (S. 31–36)

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Der Eher-Verlag im Hintergrund 1925–1933 (S. 37–45)

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Der Aufbau des Pressekonzerns 1933–1938 (S. 46–60)

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Der Pressekonzern des »Dritten Reichs« von 1938–1945 (S. 61–80)

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Der Pressekonzern des »Dritten Reichs« in Österreich» (S. 81–92)

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Die Abwicklung des »Zentralverlags der NSDAP« nach 1945 (S. 93–100)

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Das Resümee (S. 101–102)

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Die Anfänge des Franz-Eher-Verlags

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Für die Anfänge des Eher-Verlags fehlen primäre Quellen fast vollständig. Somit musste sich die Untersuchung Tavernaros auf problematisches Material stützen, das während der NS-Zeit z.T. mit propagandistischem Hintergrund entstand. Der zweiseitige Abschnitt zu den Vorläufern des Eher-Verlags nennt einige Zeitungen, die seit 1868 den Namen Münchner Beobachter trugen. Es handelte sich um unbedeutende Münchner Stadtteilzeitungen für das kleinbürgerliche Publikum mit antisemitischen und antimodernen Inhalten.

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Franz Xaver (Josef) Eher, der Namensgeber des späteren Parteiverlags, wurde am 28. April 1851 in München geboren. Eher stieß um 1899 als Redakteur und neuer Verlagsinhaber zum Münchner Beobachter, dessen Untertitel nun Unabhängige Tageszeitung. Organ der östlichen Stadttheile lautete. Unter dem 6. Dezember 1901 wurde der Franz-Eher-Verlag in das Münchner Handelsregister eingetragen, den Eher bis zu seinem Tod im Jahre 1918 leitete. Damit endete eine wenig spektakuläre Phase der Unternehmensentwicklung.

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Aufstieg zum Parteiverlag der NSDAP

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In der Zeitspanne 1918 bis 1920 übernahmen radikale rechte politische Kräfte Münchens den Eher-Verlag. Detailreich belegt der Autor das sich um die Redaktion legende dichte Netz von Anhängern und Sympathisanten deutschvölkischer, rassistischer und antisemitischer Ideen, angefangen von der Thule-Gesellschaft, einem Münchner Ableger des 1912 gegründeten »Germanenordens«, dem Münchner Verleger rassekundlicher Schriften J. F. Lehmann und die Deutsche Arbeiterpartei (DAP), einer Vorläuferorganisation der NSDAP. Der Verlag gelangte schließlich in die Hände der NSDAP selbst.

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Tavernaro nennt die wechselnden Zeitschriftentitel, Inhaber und Münchner Firmensitze des Verlags und zitiert aus dem Gesellschaftsvertrag. Seit 1919/20 wurde der Münchner Beobachter in Völkischer Beobachter umbenannt. Das Blatt trug zur Popularisierung der NSDAP bei. Kontinuierlich wurde die bereits vorhandene politische Ausrichtung des Blattes durch die neuen Inhaber fortgetragen.

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1922 besetzte Adolf Hitler den Posten des Geschäftsführers mit Max Amann (1891–1957). Amann war während des Ersten Weltkriegs Unteroffizier im bayerischen Reserve-Infanterieregiment Nr. 16 und damit vier Jahre lang der direkte Vorgesetzte Adolf Hitlers gewesen (S. 32). Bereits während des Hitler-Putschs von 1923 spielte Amann eine wichtige logistische Rolle. 1933 wurde er zum Präsidenten der Reichspressekammer ernannt. Bis zum Ende des Dritten Reichs verblieb Amann in der Geschäftsleitung des Eher-Verlags. 1

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Im Jahre 1923 trat der Eher-Verlag erstmals als Buchverlag auf. Es schien Wilhelm Hügenells 47-seitige Schrift Schlageter. Broschüren und Bücher nationalsozialistischer Autoren wurden allerdings fortan nicht zwangsläufig vom parteieigenen Verlag produziert. So erschienen etwa Alfred Rosenbergs weltanschaulichen Schriften vorzugsweise im schon erwähnten J. F. Lehmanns-Verlag.

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Nach dem gescheiterten Hitler-Putsch und der Wiedergründung der NSDAP 1925 trat der Verlag neben dem Hauptprodukt Völkischer Beobachter in einem noch stärkeren Maße als Buchverlag in Erscheinung. Hitlers Mein Kampf war der mit Abstand erfolgreichste Titel. Er wurde seit 1925 zunächst in zwei Teilen, ab 1930 in einer Volksausgabe herausgegeben. Bis 1945 erschienen 9,8 Mio. Exemplare in deutscher Sprache. Das Buch, das bei Trauungen und anderen feierlichen Anlässen obligatorisch überreicht wurde, wollte später niemand gelesen haben. Der Autor bezog Honorare in Millionenhöhe. 2 Einen weiteren wichtigen Bestandteil des Verlagsprogramms stellten Broschüren sowie kleinere Zeitschriften nationalsozialistischer Gesinnung dar.

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Auflagenhöhe von Hitlers »Mein Kampf«

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Jahr

erreichte Auflagenhöhe

1923

23.000 Exemplare

1933

1.500.000 Exemplare

1935

2.500.000 Exemplare

1936

5.000.000 Exemplare

1942

8.250.000 Exemplare

1945

9.840.000 Exemplare

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Quelle: Hermann Hammer: Die deutschen Ausgaben von Hitlers »Mein Kampf«. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jg. 4 (1956), S. 161–178; Werner Maser: Adolf Hitlers Mein Kampf. Geschichte, Auszüge, Kommentare. 7. Aufl. Eßlingen 1983. (zit. von Tavernaro auf S. 38)

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Konzentrationen des Pressekonzerns nach 1933

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Seit der Machtergreifung konzentrierten die nationalsozialistischen Machthaber das deutsche Pressewesen in einem bislang nicht gekannten Maße. Um die Kerngesellschaft Franz-Eher-Verlag Nachfolger mbH bildete sich ein mächtiger Pressekonzern, der seit 1933 auch in Berlin firmierte. Hierzu liefert Tavernaro viele neue Erkenntnisse. Schließlich, 1944, bestand der Eher-Konzern aus vier großen Bereichen: der Standarte Druckerei- und Verlagsgesellschaft mbH, der Herold Verlagsanstalt GmbH, der Europa Verlags GmbH und acht weiteren Tochtergesellschaften. Eine Besonderheit bestand darin, diese z.T. umsatzintensiven Einzelunternehmen als Gesellschaften mit beschränkter Haftung zu führen, entsprechende Verordnungen fixierten diese Rechtsform (Erste Verordnung des Reichsleiters für die Presse, Punkt 3, zitiert bei Tavernaro S. 53). Laut Tavernaro war die Anhäufung von Tochtergesellschaften durch den Eher-Verlag eine Strategie des Geschäftsführers Amann, der sich so von Goebbels emanzipieren und nicht Gefahr laufen wollte, »auch die Kontrolle über die gleichgeschalteten deutschen Verlagsgesellschaften an den Reichspropagandaminister zu verlieren« (S. 57).

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Unter Leitung Amanns wurde die Monopolisierung des Parteiverlags vorangetrieben. Ab 1934 übernahm Wilhelm Baur (1905–1945), ein weiterer leitender Angestellte des Eher-Verlags, das Vorsteheramt des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler und wurde zugleich Vorsitzender des Bundes Reichsdeutscher Buchhändler (ab 1936 »Gruppe Buchhandel« in der Reichsschrifttumskammer). Damit wurden nach Ansicht des Autors die Ambitionen Amanns ersichtlich, zusätzlich auf den Verlagsbuchhandel Einfluss nehmen zu wollen. Baur war ein wichtiges »Bindeglied zwischen dem gleichgeschalteten Pressewesen und dem ebenso unterdrückten Buchverlagswesen« (S. 55). Ein weiterer Lenker des Verlagsimperiums war seit 1939 de facto Rolf Rienhardt. Max Amann, der nun breite Verantwortlichkeiten in der NS-Pressepolitik wahrnahm, zog von München aus die Fäden und ließ andere für sich bzw. die NSDAP arbeiten.

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In einem weiteren Abschnitt werden die Grundlinien der Unternehmensentwicklung bis 1945 nachskizziert. Tavernaro geht auf die Auseinandersetzungen des Eher-Verlags, insbesondere Amanns, mit anderen NS-Verlagen und Zensurbehörden des Dritten Reichs wie der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums ein. 3

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Ein gesonderter Abschnitt widmet sich dem Eindringen des Pressekonzerns in das österreichische Pressesystem seit 1938. Die Politik des Eher-Konzerns bestand im Wesentlichen darin, die auf dem deutschen Reichsgebiet bestehenden Konzernstrukturen auf das »Anschlussgebiet« zu stülpen. In Wien wurde eine Zweigniederlassung der Franz Eher Nachfolger GmbH gegründet, hinzu kamen weitere Geschäftsstellen etwa in Graz, Linz, Klagenfurt und in der Wiener Neustadt.

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Der durch die Faktenanreichung nicht immer leicht verständliche Text wird wiederholt durch längere Zitate, Dokumente und Firmenauflistungen unterbrochen, so dass der Lesefluss beeinträchtigt wird. Teile dieser Einschübe hätten besser im Anhang untergebracht werden sollen.

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Die Abwicklung des Eher-Verlags

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Der Eher-Verlag wurde auf Grund des Gesetzes Nr. 2 des Alliierten Kontrollrates für Deutschland vom 29. Oktober 1945 verboten, einem Treuhänder unterstellt und das Unternehmen schließlich abgewickelt. Im Ergebnis wurden die ehemaligen Münchner Verlagsgebäude und die Verlagsrechte der Münchner GmbH, einschließlich der Urheberrechte an Hitlers Mein Kampf, an das Land Bayern übertragen. Die Franz Eher Nachfolger GmbH wurde am 25. August 1952 aus dem Handelsregister des Amtsgerichts München gelöscht. Im Zeitraum von 1953 bis 1959 übertrug man Vermögenswerte, Geschäftsanteile und Guthaben einiger Tochtergesellschaften auf das Land Berlin und die Republik Österreich. Damit endet die Geschichte eines Unternehmens, das wesentlich dazu beigetragen hatte, die Herrschaft des Nationalsozialismus propagandistisch zu stärken und aus der Vermarktung der NS-Schriften ökonomischen Gewinn zu schöpfen.

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Fazit

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Tavernaro bietet mit seiner quellenorientierten Studie einen guten Ausgangspunkt zur Erforschung der Geschichte des Eher-Verlags. Seine akribische Recherche hat ein erstes verlässliches Faktengerüst entstehen lassen – das ist ein wesentliches Verdienst des Autors. Durch weitere Forschungen müssen die zu Tage geförderten Details allerdings noch geordnet, bewertet und in einen verlags- und medienhistorisch größeren Rahmen eingeordnet werden. Bleibt zu wünschen, dass die vorliegende Arbeit die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem NS-Pressekonzern nachhaltig beflügelt.



Anmerkungen

Vgl. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt / M. 2003, S. 14–15.   zurück
Vgl. Reinhard Wittmann: Geschichte des Deutschen Buchhandels. 2. Aufl. München 1999, S. 370.   zurück
Es handelte sich um eine Behörde, die vorzensorisch Buchtitel mit allgemein politisch-weltanschaulichen Inhalten überwachte. Vgl. Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im »Dritten Reich«. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder. Sonderdruck aus: Archiv für Geschichte des Buchwesens 40 (1993), S. 128.   zurück