Wolfgang Struck

Festgestellte Verwandlung

Friedmann Harzers Archäologie literarischer Metamorphosen




  • Friedmann Harzer: Erzählte Verwandlung. Eine Poetik epischer Metamorphosen (Ovid - Kafka - Ransmayr). (Studien zur deutschen Literatur 157) Tübingen: Max Niemeyer 2000. VIII, 231 S. Kartoniert. EUR 38,00.
    ISBN: 3-484-18157-5.


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Verwandlung und Erzählung

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Wenn in der Tradition von Aristoteles‘ Poetik erzählte Geschichten verstanden werden als das, was sich zwischen einem Anfang und einem signifikant davon unterschiedenen Ende entspannt, dann verkörpert die erzählte Metamorphose gleichsam das Urprinzip des Erzählens – so die ebenso prägnante wie einleuchtende Grundidee von Friedmann Harzers Studie über Erzählte Verwandlung. Daß dennoch nicht jede Geschichte als Geschichte einer Metamorphose erscheint, liegt an einer grundsätzlichen Vorentscheidung Harzers, die man als ›realistisch‹ bezeichnen könnte: Metamorphosen sind demzufolge nur solche Veränderungen, die mit dem Realitätsprinzip der erzählten Welt nicht – jedenfalls nicht ohne weiteres – in Einklang zu bringen sind. Die ihnen unterworfenen, sich verwandelnden Objekte sehen sich über Grenzen versetzt, die etwa zwischen der belebten und der unbelebten Materie gezogen sind oder zwischen Mensch und Tier, aber auch zwischen Mensch und Gott oder zwischen profaner und heiliger Existenz, und die zu überschreiten »so irreal wie irrational« (S. 24) erscheint.

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Daß eine solche Beschreibung immer noch recht nah mit der des ›Ereignisses‹ verwandt ist, wie es beispielsweise die Erzähltheorie Jurij Lotmans ins Zentrum des narrativen Textes rückt (ein Ereignis besteht in der Überschreitung einer Grenze, die eigentlich nicht zu überschreiten ist), 1 ist auch bei Harzer greifbar, denn letztlich ist diese Nähe wohl die Voraussetzung für das von ihm beobachtete metapoetische Potential epischer Metamorphosen. Diese berichten nicht allein von besonders spektakulären Ereignissen, sie tun dies auch auf eine spektakuläre Weise, wobei hier durchaus die visuelle Dimension, die dem Begriff des Spektakels zugrunde liegt, mitzudenken ist. Und eben daher sind sie geeignet, die Aufmerksamkeit ihrer Leserinnen und Leser auf das Erzählen selbst, auf dessen Möglichkeiten und Beschränkungen zu lenken.

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Poesie vs. Philosophie:
Die Eigenständigkeit literarischer Metamorphosen

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Damit sind grob der Objektbereich und das systematische Interesse der Studie umrissen. Es geht um »epische Texte« als »für die Darstellung von Metamorphosen privilegierte[n] Ort[en]« (»Ausgangsthese«, S. 2), die in den selbstreflexiven Dimensionen »ihrer narrativen Metaphorologie und narrativen Poetik« die »poetische Anschauungsform der Metamorphose modellieren« (»zweite These«, S. 3) und die schließlich damit »einen narrativen Spielraum eröffnen, in dem Metamorphose-Anschauungen aus außerliterarischen Kontexten problematisiert werden« (»dritte These«, S. 3 f.). Entwickelt werden diese Thesen vor allem in der Lektüre prominenter literarischer Metamorphose-Erzählungen: in erster Linie sind das die Metamorphosen Ovids, mehrere Erzählungen Franz Kafkas und Christoph Ransmayrs Roman Die letzte Welt, daneben finden sich Seitenblicke auf Rainer Maria Rilkes Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, verschiedene Erzähltexte Carl Einsteins und Steffen Menschings Pygmalion.

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Bereits bevor diese Thesen formuliert werden, stimmt jedoch gleich eine ganze Reihe von Motti ein auf eine Pendelbewegung zwischen einer Universalisierung des Metamorphose-Konzepts und seiner skeptischen Beschränkung. Auf Ovids klassische Formel »Omnia mutantur« folgen Versuche der kritischen Eingrenzung, der Warnung, der Definition, repräsentiert durch Kant, Goethe und Cassirer, bevor im Übergriff über Jahrtausende und Weltkulturen der Meister des Zen-Buddhismus Shunryu Suzuki wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrt: »Alles wandelt sich«.

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Glaubt man aber, mit dieser Formel sei ein zeit- und kulturübergreifender Rahmen benannt, in dem dann die philosophischen und naturgeschichtlichen Argumentationen eingefügt sind, sieht man sich getäuscht. Weder ist die Auseinandersetzung mit außerliterarischen Metamorphose-Kritikern ein vorrangiges Interesse Harzers, noch wird auch nur das einleitende Ovid-Zitat im Verlauf der Arbeit so stehen bleiben. Denn es ist, wie Harzer in einer eingehenden Lektüre des Pythagoras-Kapitels der Metamorphosen ausführt (S. 98–105), keineswegs umstandslos dem Autor Ovid zuzuschreiben, sondern einer Figur, die, weit davon entfernt, ein Sprachrohr ihrer Autors zu sein, eher dazu geschaffen scheint, die philosophische Rede über die Metamorphose grundsätzlich zu problematisieren, wenn nicht zu denunzieren. Zumindest verfehlt die Rede des Philosophen bei Ovid in entscheidenden Punkten gerade die »identitätslogische[n] Paradoxien« (S. 41), die die zuvor erzählten Metamorphosen zur Anschauung bringen. Denn entweder berichten diese von Verwandlungen, die auf einen nicht mehr revidierbaren Endzustand hinauslaufen, an dem sich also durchaus nicht mehr ›alles wandelt‹, oder sie problematisieren gerade die Idee einer sich durch die verschiedenen Zustände erhaltenden Substanz.

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Ex negativo bestätigt Ovids Pythagoras so die grundlegende These Harzers, daß es sich bei Metamorphosen, selbst dort, wo sie in außerliterarischen Kontexten auftreten, um eine »poetische Anschauungsform« handelt, die sich philosophisch-abstrahierendem Denken entzieht. Dieser Gedanke bildet einen roten Faden, der Harzers Untersuchungen durchzieht, so formuliert er etwa im Hinblick auf Goethes naturphilosophische Studien: »Selbst auf dem Gebiet der ›Naturforschung‹ ist der Dichter das privilegierte Subjekt der Imagination von Metamorphosen, welche in der Literatur als Fiktionen erscheinen. In Metamorphose-Dichtungen wird der unanschauliche Prozeß einer Verwandlung zwar nicht sicht-, aber immerhin lesbar.« (S. 27)

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Maske und Spiegel:
Die Verschränkung von Erzählung und Metapoesie

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Dementsprechend ist es das Programm von Harzers Untersuchungen, erzählte Verwandlungen gleichsam nachzulesen, das heißt, er entwickelt seine Argumentation grundsätzlich in der Lektüre literarischer Texte. Diese Analysen bestechen durch Genauigkeit und Detailfreude, ohne sich jemals gegenüber der grundlegenden Fragestellung zu verselbständigen.

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So argumentiert auch der erste, der ›theoretische‹ Teil der Studie nicht losgelöst von konkreten literarischen Texten. Ausgangspunkt – und zugleich Vorgriff auf den nach Ovids Metamorphosen zweiten literarhistorischen Schwerpunkt, die deutschsprachige Literatur der Moderne – ist die Analyse einer ›Szene‹ aus Rilkes Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, in der das kindliche Spiel mit alten Kostümen unversehens in einen Strudel der Verunsicherung von Ursprung und Identität hinübergleitet. Bereits hier zeigt sich die von Harzer als Spezifikum der ›erzählten Verwandlung‹ herausgestellte Verschränkung von Erzählung und poetologischer Reflexion: indem von den Verwandlungen Maltes erzählt wird, erweisen sich die auf ›dämonische‹ Weise anthropomorphisierten Requisiten des anfänglichen Spiels, Kostüm und Maske einerseits, ein Spiegel andererseits, als Sinnbilder einer »amimetischen Poetik« (S. 24), der die Grenze von Urbild und Abbild ebenso prekär wird wie die von Medium und Inhalt.

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Repräsentiert also die Maske den inhaltlichen Aspekt der Verwandlung, so verweist der Spiegel auf den darstellungslogischen. So wird schließlich nicht nur die Identität, die der junge Malte unter den wechselnden Vermummungen immer weniger wiedererkennen kann, zum Problem, sondern auch eine Mimesis, die überwuchert wird von einer Phantasie, »die neben und außerhalb der sog. Realität einen Bereich mit eigenen Gesetzen etabliert«: »Metamorphosen sind so irreal wie irrational; sie führen in ein, wie es im Text [Rilkes] von den Masken heißt, ›phantastisches Ungefähr‹«(S. 24).

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Klassifikationen:
Koordinaten auf dem Feld der Verwandlungen

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Die Gleichzeitigkeit von Erzählung und Metapoetik reflektieren auch die anschließend vorgeschlagenen Kategorien, die das Feld der Metamorphosen mit verschiedenen Koordinatenachsen überziehen und so eine grundsätzliche Klassifikation von Metamorphosen ermöglichen sollen, da sie sowohl erzählerische wie erzähltheoretische Optionen beinhalten.

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So lassen sich Metamorphosen differenzieren nach ihrer narrativen Prozessualität in kontinuierliche, das heißt in einer relativ dichten Kette von Übergangsstufen vermittelte (und mit einem organologischen Prozeßdenken in Einklang zu bringende), und diskontinuierliche, sprunghaft und plötzlich (und damit in der Regel schockartig) sich vollziehende; nach ihrer narrativen Motiviertheit in kausal, das heißt ›von vorne‹, und mythisch, ›von hinten‹ motivierte; nach ihrer figurativen Grundlage in metaphorische – hier wird beispielsweise ein dominanter Charakterzug in einer physischen Verwandlung zum Ausdruck gebracht, etwa wenn der ›wolfsgleiche‹ König Lycaon in den Wolf verwandelt wird, auf den sein Name bereits verweist – oder metonymische, in deren häufig weniger gradlinig motivierten Verwandlungen sich ein »Spielraum für identitätslogische Paradoxien« (S. 41) eröffnet, dem Harzer sich im folgenden bevorzugt zuwendet. So geraten etwa Figuren wie Ovids Actaeon, der in einen Hirschen verwandelte Jäger, der von seinen eigenen Jagdhunden zerfleischt werden wird, aber auch Kafkas Gregor Samsa, in ein »identitätslogische[s] Dilemma«, in dem die Verwandelten für sich selbst und für die Rezipienten der Texte noch als Verwandelte, das heißt als andere Form des ›Ursprünglichen‹ erkennbar sind, nicht aber für ihre Umwelt. Neben solchen in der Physis ihrer Protagonisten / Opfer ausgetragenen (›verkörperten‹) Verwandlungen finden sich aber bereits in der Antike Modelle psychischer Verwandlungen, etwa in den auch bei Ovid aufgearbeiteten Mysterien-Kulten.

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Eine selbstbewußte Poesie:
Ovids klassische Metamorphosen

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Entfaltet wird dieses Spektrum möglicher Verwandlungen wiederum im Vorgriff auf die literarischen Konkretionen, denen der zweite Hauptteil gewidmet ist. Zunächst werden hier Ovids Metamorphosen als »Modell einer in ihrer Komplexität nicht wieder erreichten narrativen Poetik« (S. 61) präsentiert; eine Einschätzung, die begründet wird in erster Linie im Blick auf das »polyperspektivische Erzählverhalten« (S. 72), das durch die mehrfache Rahmung die erzählten Verwandlungen in einen imaginären Raum verweist, in dem die Frage nach dem Wahrheitsanspruch sich im Ungewissen verliert, das dafür aber immer wieder das Erzählen selbst zum Thema und zum Gegenstand der Reflexion werden läßt.

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Was Harzer an verschiedenen Episoden der Metamorphosen herausarbeitet, pointiert eine anschließende »Zwischenüberlegung« (S. 105–108) zu einem Nebeneinander unterschiedlicher »Vorstellungen von Autorschaft«, die, auch im Vorgriff auf die folgenden Kapitel seiner Untersuchung, klassifiziert werden als »modernistische« und »postmodernistische« Verfahren. Die Frage, ob diese – sich an Umberto Eco anlehnende – typologische Adaption (literar-) historischer Kategorien terminologisch besonders glücklich ist, scheint mir dabei weniger interessant als die anschauliche Identifikation der damit in erster Linie benannten Verfahren, »welche den Traditionsbezug innerhalb eines poetischen Textes entweder mit Mitteln innovativer Überbietung oder aber ironischer Wiederholung herstellen« (S. 106).

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Unter diesen Optionen lassen sich nicht nur literarische, sondern auch kulturgeschichtliche Text-Kontext-Bezüge herstellen. So erscheint etwa Ovids Auseinandersetzung mit den »zu einer gleichsam esoterischen Mode geworden[en]« (S. 77) römischen Mysterienkulten als aufklärerische Kritik, formuliert nicht mit Hilfe philosophischer Argumentation, sondern aus der Perspektive einer selbstbewußten – nämlich sich ihrer Verfahren ebenso wie ihrer Kraft bewußten – Poetik. Die nutzt etwa die Differenz von Figuren- und – distanzierter – Erzählerperspektive, um die kultisch stimulierte Metamorphose als »Wahnsinn« auszuweisen (S. 78).

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Regressive Verwandlung:
Metamorphosen in der Moderne

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Eine analoge Figur findet Harzer dann im folgenden Kapitel in Kafkas Auseinandersetzung mit dem Kulturzionismus Martin Bubers. Der naheliegende Zusammenhang wird von Harzer neu interpretiert, etwa indem er den Bericht für eine Akademie nicht – oder jedenfalls nicht allein – als eine Satire auf das assimililierte Prager Judentum liest (ein bereits von Max Brod vorgegebenes Deutungs-Paradigma), sondern ebenso als »narrative Polemik gegen jenes Konzept einer psychisch-diskontinuierlichen Selbstverwandlung [...], wie sie Buber in seinen frühen kulturzionistischen Schriften konzipiert hat« (S. 155). Die Metamorphose des Affen in einen Menschen, wie auch andere von Kafka erzählte Verwandlungen, führt in eine aporetische Situation, in der weder ein Ziel erreichbar noch ein Rückweg offen wäre.

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Kafkas Verwandlungserzählungen erscheinen somit als pessimistisches Korrektiv gegenüber einer ›Verwandlungseuphorie‹, die weite Teile der kulturellen Moderne prägt. Zum Zeugen dafür dient Harzer neben Buber und Kierkegaard in erster Linie Carl Einstein, dessen Bebuquin-Roman sowie die unter dem Titel Verwandlungen zusammengefaßten kurzen Erzählungen er im Hinblick auf eine surrealistisch inspirierte »Poetik der Selbstentgrenzung durch Verwandlung« (S. 125) liest, die sich den mit Hilfe der Kritischen Theorie formulierten Einwand gefallen lassen muß, weder die Differenz von Kunst und Lebenswelt noch die »Totalisierungstendenzen [...] einer irrationalen Mimesis völligen Ichverlusts« hinreichend reflektiert zu haben (S. 125).

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In der stark normativ aufgeladenen Gegenüberstellung einer optimistischen und einer pessimistischen Variante von Metamorphosen-Modellen scheint sich die Liste der Klassifikationskriterien um eine Paarung erweitert zu haben, die Harzer auch im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts verfolgt, wobei die optimistische Variante grundsätzlich unter den Verdacht eines leichtfertigen Irrationalismus gerät. So wird in der zweiten »Zwischenüberlegung« Elias Canettis Konzept des Dichters als »Hüter der Verwandlung« einer »regressiven Poetik« zugeschrieben, während Harzer dann im abschließenden Kapitel wiederum für eine pessimistische Lesart von Ransmayrs Roman Die letzte Welt optiert, der hier ausschließlich als Geschichte einer Apokalypse erscheint, einer Versteinerung, die durch keine Metamorphose mehr zu revidieren ist.

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Ob das tatsächlich das letzte Wort der Letzten Welt ist, ließe sich diskutieren, und auch sonst provozieren die Analysen Harzers auf der Ebene der Einzeltexte gelegentlich zu Widerspruch; aber gerade das macht die Qualität seiner Studie aus. In dem durch das Metamorphose-Konzept gestifteten Zusammenhang, der insbesondere den Text Ovids und dessen Kontexte in die germanistische Diskussion einspielt, gelingen ihm konzise, originelle und in jedem Fall anregende Neu-Lektüren kanonischer Texte.

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Nachfragen

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Nachfragen provoziert aber auch das, was Harzer nicht oder nur am Rande thematisiert. Zum einen betrifft das die unterstellte Festschreibung des Metamorphose-Konzepts auf literarische, epische Texte, zum anderen den langen Zwischenraum zwischen der augusteischen Antike und der europäisch-deutschen Moderne. Zwar ist explizit keine Geschichte der literarischen Metamorphosen intendiert (S. 4), und dieser Verzicht ist ohne weiteres nachzuvollziehen, bietet er doch erst die Voraussetzung für das erhellende Beziehungsspiel, das die Analysen entfalten. Aber zugleich läßt er die Frage nach der Repräsentanz der gewählten Paradigmen aufkommen. Insbesondere scheint mir das relevant im Hinblick auf die ›realistische‹ Unterstellung, das heißt die Annahme, daß Metamorphosen grundsätzlich nicht mit dem Konzept menschlicher Identität zu vereinbaren sind; finden sie dennoch statt, eröffnen sie, Harzer zufolge, einen Bereich des Imaginären, oder, wenn der, wie in den emphatischen Verwandlungskonzepten der Moderne, mit der Realität verwechselt wird, einer regressiven Irrationalität. Nun finden sich aber durchaus Kulturen und Wissensformationen, deren Identitätsvorstellungen ein höheres Maß an Flexibilität zulassen. 2 Unter dieser Perspektive wären auch die Verwandlungen Carl Einsteins etwas anders zu akzentuieren. 3

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Zu Nachfragen regt auch die in der Auseinandersetzung Kafkas mit dem frühen Film entwickelte Behauptung an, Metamorphosen würden sich jeder filmischen oder auch theatralischen Visualisierung entziehen (S. 136 ff.), da nur die Literatur zu einer »Darstellung der Undarstellbarkeit von Metamorphosen« (S. 140) im Stande sei. Das in frühen Filmen immer wieder verhandelte Phantasma scheint aber weniger die Verwandlung einer Figur innerhalb einer Filmhandlung zu betreffen, als die grundsätzlichere Verwandlung eines menschlichen Körpers in ein bewegtes Bild – eine Metamorphose, die die Pygmalion-Erzählung zum einen in gleichsam umgekehrter Richtung und zum anderen aus der Perspektive der Statue verfolgen würde. 4

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Solche ›Leerstellen‹ sind jedoch das notwendige – und fruchtbare – Korrelat eines Vorgehens, dem es in bewundernswerter Ökonomie und Klarheit gelingt, im Zusammenspiel einzelner Textanalysen einen Rahmen aufzuspannen, der weitere Fragestellungen überhaupt erst ermöglicht. So wird Harzers Studie dem Anspruch einer »Archäologie poetischer Imagination« (S. 4) in vorbildlicher Weise gerecht.


PD Dr. Wolfgang Struck
Universität Kiel
Institut für Neuere deutsche Literatur und Medien
Leibnizstraße 8
DE - 24118 Kiel

Ins Netz gestellt am 11.08.2004

IASLonline ISSN 1612-0442

Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Prof. Dr. Norbert Otto Eke. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Lena Grundhuber.

Empfohlene Zitierweise:

Wolfgang Struck: Festgestellte Verwandlung. Friedmann Harzers Archäologie literarischer Metamorphosen. (Rezension über: Friedmann Harzer: Erzählte Verwandlung. Eine Poetik epischer Metamorphosen (Ovid - Kafka - Ransmayr). Tübingen: Max Niemeyer 2000.)
In: IASLonline [11.08.2004]
URL: <http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=1062>
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Anmerkungen

Jurij M. Lotman: Die Struktur literarischer Texte. München 1972.   zurück
Daß selbst die physische Verwandlung des menschlichen Körpers nicht von allen Kulturen so grundsätzlich aus dem Bereich des Möglichen ausgeschlossen worden ist, wie Harzers Formulierungen (»so irreal wie irrational«) es nahelegen, könnte etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, Stephen Greenblatts Diskussion des Hermaphrodismus in der Renaissance belegen: Fiction and Friction. In: Stephen Greenblatt: Shakespearan Negotiations. Berkeley / Los Angeles: Univ. of California Press 1988, S. 66–93. Ein weit weniger ›pessimistisches‹ Konzept der Verwandlung zeichnet etwa auch, um noch ein etwas näherliegendes Beispiel zu nennen, Waltraut Wiethölters Lektüre von Goethes Wahlverwandtschaften nach, die den Rückgriff auf das Wissenssystem der Alchemie als Konzept einer umfassenden Metamorphose analysiert: Legenden. Zur Mythologie von Goethes Wahlverwandtschaften. In: DVjs 56 (1982), S. 1–64.   zurück
Vgl. etwa Helmut Lethen: Die Masken der Authentizität. Der Diskurs des ›Primitivismus‹ in Manifesten der Avantgarde. In: Hubert van den Berg / Ralf Grüttemeier (Hg.): Manfeste: Intentionalität. Amsterdam 1998, S. 227–258   zurück
Vgl. dazu beispielsweise: Wolfgang Struck: Männerbilder. Zur Konstruktion von Männlichkeit in der Weimarer Republik. In: Martina Kessel (Hg.): Kunst, Geschlecht, Politik. Männlichkeitskonstruktionen in der Moderne. Frankfurt / M.: Campus (voraussichtlich 2004).   zurück