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Der Schatz der Wörter in Glossen

  • Rudolf Schützeichel (Hg.): Althochdeutscher und Altsächsischer Glossenwortschatz. Bearbeitet unter Mitwirkung von zahlreichen Wissenschaftlern des Inlandes und des Auslandes. 12 Bände. Tübingen: Max Niemeyer 2005. LXXXVIII, 5851 S. 1 Abb. Leinen. EUR (D) 748,00.
    ISBN: 3-484-10900-9.
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»Das Glossenwörterbuch umfaßt über 27 000 Wortartikel aus mehr als 250 000 in fast 1300 Handschriften festgestellten Belegen« (unpaginiertes Vorwort des I. Bandes). Dieses reichhaltige Material, das in jahrzehntelanger Arbeit aufbereitet und von der Fachwelt lange erwartet wurde, verzeichnet volkssprachige Wörter in Textglossierungen, Textglossaren, Sachglossaren, Wörterbüchern, Marginalien und Federproben. Neben den vor allem durch Steinmeyer / Sievers’ Glossensammlung 1 seit langem bekannten Glossen werden auch bisher übersehene Glossen in schon bekannten Handschriften und bisher als Glossenträger unbekannten Handschriften erfaßt.

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Noch 1981 konnte der Herausgeber, im Vorwort der dritten Auflage seines Althochdeutschen Wörterbuchs, 2 das den Wortschatz der althochdeutschen literarischen Denkmäler verzeichnet, hoffen, den Glossenwortschatz und den der Einsprengsel in lateinischen Texten (etwa Volksrechten) zusammen in einem ›Ergänzungsband‹ nachzutragen, nun wirkt das Althochdeutsche Wörterbuch im Regal eher wie ein Ergänzungsbändchen zum monumentalen Glossenwortschatz.

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Neben dem Wortschatz enthält das zwölfbändige Werk kurze Bemerkungen zur Erfassung und Darstellung des Glossenwortschatzes (I, 1–6), eine Liste der Bibliotheken und ihrer Glossenhandschriften (I, 6–21), ein Verzeichnis der Hilfsmittel und Editionen (I, 22–49) sowie eine Aufschlüsselung der glossierten Texte nach Siglen (I, 49–52). Fast den gesamten XII. Band füllen wichtige weitere Verzeichnisse: die altenglischen Wörter (XII, 9–32), die ›unidentifizierbaren Einträge‹ (nur teilweise lesbare beziehungsweise unverständliche Glossen), geordnet nach den überliefernden Handschriften und in einem zweiten Teil nach dem vermutbaren lateinischen Bezugswort (XII, 33–89) sowie eine umfangreiche Liste der lateinischen und wenigen griechischen Bezugswörter (XII, 91–484). Auf den Seiten XII, 484–485 folgt graphisch unabgesetzt eine alphabetische Liste der volkssprachigen Wörter ohne direkten Bezug zu einem lateinischen Wort, was sich nur durch die Erläuterung auf Seite XII, 91 erschließt.

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Die nicht normalisierte, unscheinbar daherkommende Liste der lateinischen Bezugswörter im XII. Band erweist sich im praktischen Einsatz als höchst brauchbares Hilfsmittel, um schwer lesbare oder deutbare neue Glossenfunde (etwa bei Griffelglossen) bestimmen zu können, aber auch, um bei unklarem Bezugswort Vergleichsmaterial aus der Glossenüberlieferung heranziehen zu können. Eine Ausnahme bilden die mit dem Buchstaben f beginnenden Bezugswörter, da hier zwischen fêx und fharetra 51 versehentlich mit zwei f beginnende lateinische Wörter auftauchen (ffaba, ffagula etc.), die nur zum Teil unter der richtigen Form ebenfalls verzeichnet sind (XII, 237–238).

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Sehr zu begrüßen ist die Berücksichtigung der altsächsischen Glossen, da sich die Unterscheidung zwischen althochdeutsch und altsächsisch gerade im Bereich der Glossen öfter als schwierig erweist. Altsächsische Formen sind bei dem in normalisiertem Althochdeutsch gehaltenen Leitstichwort unter ihrer altsächsischen Grundform einsortiert, etwa »tosprekan (as.)« unter »<zuosprehhan>« (IX, 125).

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Artikelstruktur und
deren praktischer Ertrag

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Im folgenden sollen einige der knapp gehaltenen Angaben zur Artikelstruktur zitiert werden, woran sich jeweils eine Würdigung des praktischen Ertrags der befolgten lexikographischen Prinzipien anschließt.

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»Das aus dem jeweiligen Belegmaterial gewonnene Leitstichwort eines Wortartikels wird jedem Wortartikel vorangestellt, in Spitzklammern gebracht und damit überdeutlich als bloß angesetzt markiert, so daß es seine Ordnungsfunktion in der alphabetischen Abfolge ausüben kann, ohne mit den historisch wirklichen Belegen verwechselt zu werden.« (I, 4)
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Der geübte Benutzer von althochdeutschen Wörterbüchern hat gelernt, daß unter ›alphabetischer Reihenfolge‹ der Grundformen je nach Wörterbuch etwas anderes zu verstehen ist. In diesem Fall finden sich beispielsweise Wörter wie queman und quedan unter k; die genaueren Prinzipien, nach denen die Ansatzformen gebildet wurden, sind im übrigen die gleichen wie im Althochdeutschen Wörterbuch Schützeichels, ohne daß auf die dort gegebenen ausführlicheren Erläuterungen verwiesen würde.

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»Die Ansatzformen (unflektiert, Nominativ Singular oder Infinitiv, der einem Nominativ entspricht) werden aus der tatsächlichen Überlieferung übernommen und mit Hilfe des Gesamtbefundes einer Handschrift oder zusammengehöriger Handschriften gesichert. (...) Die Ansätze sind mithin überlieferungsgetreu.« (I, 5)
[11] 

In der Wörterbuchrealität wird aus dieser Verbindung von Überlieferungstreue und der Herstellung unflektierter Ansatzformen ein undurchsichtiges Konglomerat: Der Wortstamm wird möglichst handschriftengetreu geschrieben (Präterita wie salta stehen dabei unter sellen), selbst Korrekturen über der Zeile werden durch hochgestellte Buchstaben nachgebildet, ferner werden Einschaltungspunkte und sonstige Korrekturzeichen wiedergegeben. Da aber die Flexion beseitigt ist, weiß der Benutzer nie mit Sicherheit, welche Teile der Ansätze auf das Konto der Normalisierung gehen. Aus Ansatzformen, die nicht Fisch und nicht Fleisch sind, wird also nichts gewonnen außer der Unsicherheit, was denn nun in der Handschrift steht. Nichts deutet etwa darauf hin, daß hinter der Ansatzform capluazan (I, 443) die handschriftliche Form capleruzzi steckt, eine der seltenen präteritalen Formen mit -r- der ehemals reduplizierenden Verba.

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Zu fragen wäre ferner, warum nur der Stamm einer handschriftennahen Wiedergabe für würdig befunden wurde und nicht auch die (sprachgeschichtlich sicher mindestens genauso interessanten) Flexionsformen. So kann zum Beispiel kein einziges Verb daraufhin überprüft werden, ob es formal ein ‑ōn- oder ‑ēn-Verb ist. Wer also eine Arbeit schreibt, bei der es auf Flexionsendungen oder Suffixe ankommt (‑nissi, ‑nissī, ‑nassi, -nussi etc.), muß sich auf die vorgegebenen Zuordnungen verlassen und kann die Belege nicht gleich prüfen.

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Einige Beispiele für diese Problematik:

[14] 

Steinmeyer / Sievers IV, 259,1–2: Die lateinischen pepones (›Melonen‹) sind hier in verschiedenen Handschriften glossiert mit petheme, phedeme, phaeden (das e steht direkt über dem a) und pedinē. Die Belege petheme und phedeme sind bei Schützeichel in unveränderter Form als Belegansätze beim Leitstichwort <pfedema> F. einsortiert, und dann noch einmal, wie alle Belege mit unklarem Genus, unter dem Leitstichwort <pfedemo> swM., ohne daß durch Querverweise auf die verschiedenen Möglichkeiten verwiesen würde.

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Es gibt übrigens auch ein eigenes Leitstichwort <pedeme>, mit identischen Belegen als sw. F. beziehungsweise sw. M., mhd., was der sprachgeographischen Einordnung ›mittelniederdeutsch‹ bei Bergmann 3 , Nr. 1065, im übrigen widerspräche. Zugleich findet sich s.v. <pfedema> beziehungsweise <pfedemo> wiederum den Belegansatz pedeme (mnd.), diesmal aus anderen Handschriften gewonnen, so daß die Zuordnungsprinzipien hier rätselhaft bleiben. Durch die nicht aufeinander verweisenden Mehrfachzuordnungen von Belegen wird das Wörterbuch aufgeschwemmt und der suchende Benutzer in die Irre geführt, denn er erfährt nicht, daß der Beleg auch noch eine andere Interpretation erfahren hat. Leider finden sich auch sonst keine Verweisstrukturen. Wenn man einigermaßen sichergehen will, daß man alle möglichen Zuordnungen für ein bestimmtes Interpretament bei Schützeichel gefunden hat, sollte man anhand des Verzeichnisses der lateinischen Bezugswörter die dort genannten Ansätze der Wortartikel auf Mehrfachnennungen hin durchforsten.

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Das Interpretament phaeden (e direkt über a) der oben genannten Glosse ist bei Schützeichel als Belegansatz phaede (e direkt über a) unter <pfedema> beziehungsweise <pfedemo> zu finden, die Endung also quasi normalisiert, das Interpretament pedinē leicht verändert als pedine nur unter <pfedemo>. Zieht man nun noch das eigene Leitstichwort <bebano> (I, 278) hinzu, fragt man sich, warum der Belegansatz pepanno (StS III, 574,41), der bei Schützeichel nur s.v. <pfedemo> erscheint, nicht dort einsortiert wurde. Unter dem Leitstichwort <bebano> (I, 278) gibt es bei Schützeichel die Belegansätze bebenne, bebenno, bebeno, bêbeno, bêbêno und pebeno, unter <pepano> (VII, 244) bebino, pæpano, pebeno und pepano. Unter <bebinna> (I, 279) der Belegansatz bebinna, unter <pepinna> (VII, 244) bibenna.

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Ein anderes Beispiel: Es gibt im Glossenwortschatz die Leitstichwörter <langezenmānōd> (V, 459), <lengizinmānōd> (VI, 46) und <lenzinmānōd> (VI, 48). Man sollte meinen, die Zuordnung der Belege dürfte hier keine Schwierigkeiten bereiten. Unter ihnen finden sich indes folgende Belegansätze:

[18] 
<langezenmānōd>: Langezmanoth, lencemanoth, Lencinmanoth, Lengizinmanoht, lengizinmanoth, Lengizinmanoth, lengizmanoth, lentimanoth, Lentinmanod, lentinmanoth, lentitmanoth, lentzinmanoth, Lentzmonet, lenzemanot, lenzemanoth, lenzenmañ (gerader Strich über n), Lenzenmanoth, lenzimanot, lenzimanoth, Lenzimanoth, lenzinmanoht, lenzinmanoth, Lenzinmanoth und lenzmonet.
[19] 
<lengizinmānōd>: lentzinmanoth, lenzinmanoth, LENZINMANOTH (also versal wie in der Handschrift).
[20] 
<lenzinmānōd>: LENZINMANOHT, Lenzinmanoth.
[21] 

Während der jahrzehntelangen Entstehungsphase eines Wörterbuchs sind Inkonsequenzen natürlich unvermeidlich. Aber daß keine mit lengi- beginnende Form unter dem Ansatz <lengizinmānōd> auftaucht, statt dessen mehrfach unter <langezenmānōd>, und der Belegansatz lenzinmanoth (groß oder klein) unter allen drei Leitstichwörtern, macht den Benutzer doch einigermaßen ratlos. Und wohlgemerkt, anders als bei den oben zitierten Melonenhaufen handelt es sich nicht um Mehrfachnennungen des gleichen Belegs in verschiedenen Wortartikeln, jedes der drei Leitstichwörter versammelt andere Belege.

[22] 
»Nach einem Leitstichwort mit nach rechts ausgerückter grammatischer Bestimmung stehen alle Belegansätze in allen Vorkommen nach den Bedeutungen alphabetisch sortiert. Die Bedeutungsangaben (nach rechts ausgerückt) am Ende einer Ansatzvariantenreihe sind der entscheidende Ordnungsfaktor. Das ist eine erhebliche Verbesserung in der Darstellung eines solchen Wortschatzes.«
[23] 

Worin diese Verbesserung liegen soll, vor allem: wem sie dienen soll, erschließt sich mir nicht. Abgesehen davon, daß man sich öfters fragt, worin der Unterschied bei einigen Bedeutungsangaben liegen soll (etwa bei der Bedeutungsreihe ›Anordnung‹, ›Auftrag‹, ›Befehl‹, ›Bestimmung‹, ›Gebot‹, ›Verordnung‹, ›Vorschrift‹ bei gibot), setzt diese ›Verbesserung‹ voraus, daß der Wörterbuchbenutzer, der prüfen will, ob er eine handschriftliche Form korrekt bestimmt hat, selbständig die Grundform ermitteln konnte, sodann anhand der Schreibung des Stamms den passenden Belegansatz im Glossenwortschatz heraussucht und innerhalb des Belegansatzes anhand der vorher von ihm ermittelten Bedeutung seinen Beleg findet. Die Suche nach einem bestimmten Beleg kann sich mühsam gestalten, etwa bei <ziweiben>: Man versuche einmal, hier auf Anhieb den Ansatz zivueipen unter den folgenden Belegansätzen (X, 462–463) zu finden:

[24] 
ziuveipen, ziuveippen, zivueipen (›ausstreuen‹),
[25] 
ziuveipen, zivueipen (›sich zerstreuen‹),
[26] 
zivueipen (›vergehen‹),
[27] 
ziueipen, ziuueipen, ziuveipen, ziveipen, zivueipen (›verstreuen‹),
[28] 
ceuueiben, zeuueiben, [ziuu]eiben, ziuueipen, zivueipen, ziwaiben, ziweiben, zwiwelben (›zerstreuen‹).
[29] 

Wenn der Benutzer dies sowieso schon alles weiß, warum sollte er dann noch zum Wörterbuch greifen? Die Praxis sieht eher so aus: Der Benutzer sucht sich ein markantes, im Druck leicht auffindbares Merkmal seiner Belegdaten heraus (etwa eine fünfstellige Clm-Signatur oder eine längere Editionsangabe wie ›Siewert, Horazglossierung‹) und sucht, während der Zeigefinger über die Wörterbuchspalten der in Frage kommenden Leitstichwörter gleitet, geduldig nach diesen Merkmalen.

[30] 

Das Herausheben der Bedeutungsangaben durch Fettdruck gegenüber dem halbfetten Druck der Leitstichwörter und der Ansatzvarianten erschwert zudem die schnelle Orientierung. Bisweilen handelt es sich nur noch um eine Überstrapazierung des methodischen Prinzips: Unter den Belegen für <ana> (I, 145) gibt es innerhalb der alphabetisch sortierten Bedeutungen unter den Bedeutungen mit dem Anfangsbuchstaben P folgende: »Pferd an der rechten Hand«, zur Ansatzvariante »roß an der gerechtē hāt«, das heißt es wurde die Bedeutung der Wendung als Ganzes alphabetisch einsortiert, nicht die in ihr vorhandene, übliche Bedeutung ›an‹. Im übrigen handelt es sich um einen ›Neufund‹ aus Basel A VI 31, einer Vokabularhandschrift des 15. (!) Jahrhunderts mit im fortlaufenden Glossartext stehenden Glossen zu den Versus de volucribus, piscibus, bestiis, arboribus (fol. 12rb-13vb).

[31] 
»Innerhalb des Abschnittes einer Bedeutungsposition werden die aus den überlieferten Belegen gewonnenen Ansatzvarianten eines Wortes (halbfett gesetzt) wiederum in alphabetischer Abfolge sortiert. Sie sind immer nach links ausgerückt. Gleiche Ansatzformen aus verschiedenen Handschriften werden hinter einer Ansatzvariante versammelt. Die verschiedenen Handschriften sind nach ihrem Bibliotheksort alphabetisch gereiht.« (I, 5)
[32] 

Letzteres erleichtert vor allem bei hochfrequenten Wörtern das Auffinden eines bestimmten Belegs. Der Herausgeber und seine Mitarbeiter haben aufopferungsvoll jeden einzelnen Beleg dieser Wörter (etwa alle Belege für <in> auf 26 Seiten, V, 20–45) verzeichnet und nicht nur summarische Hinweise gegeben, das Prinzip der Vollständigkeit hatte hier also Vorrang vor dem Ziel einer leichten Benutzbarkeit.

[33] 
»Die Darstellung muß straff gehalten werden. Das wird auch dadurch erreicht, daß aller Ballast entfällt, also alle unnötigen Angaben wie Textausschnitte und dergleichen, die sich bei akribischer Forschungsarbeit ohnehin rasch als relativ wertlos erweisen. Zudem wäre der Aufwand in der Darstellung nicht zu vertreten und würde die Fertigstellung eines solchen Wörterbuches um Jahrzehnte hinauszögern.« (I, 5)
[34] 

Der dankbare Benutzer der bisher erschienenen Bände des Leipziger Althochdeutschen Wörterbuchs 4 reibt sich hier verwundert die Augen: Kontextangaben, die dem Benutzer erst deutlich machen, wie eine Bedeutungsangabe zustande kommt, einleitende Angaben zur Etymologie und zu vergleichbaren Wörtern in verwandten Sprachen, grammatische Bestimmungen, sprachgeographische Einordnungen: alles nur ›Ballast‹ und ›unnötige Angaben‹? Als ebenso unnötig empfand der Herausgeber offenbar Angaben zur Datierung der Belege: kein einziger Wörterbucheintrag enthält einen Hinweis auf das Alter der zitierten Belege. Selbst die Handschriftenliste (I, 6–21) kommt ohne Datierungen aus. Dabei wären solche Hinweise, anders als die alphabetische Reihenfolge der Bedeutungen, ein weitaus sinnvollerer Gliederungsgesichtspunkt gewesen, zumal der Glossenwortschatz durch die Mitberücksichtigung der Glossen vieler Handschriften des 12.–15. Jahrhunderts auf prekäre Weise mit nicht mehr als genuin althochdeutsch oder altsächsisch zu bezeichnendem Material durchsetzt ist (siehe dazu unten).

[35] 
»Die Belegstellen sind mit Handschriftensignaturen, Folioangaben und Zeilen genau notiert. [...] Danach folgen gegebenenfalls die Editionsangaben mit jeweiligem Kurztitel [...]. Nach den Editionsangaben stehen in runden Klammern Siglen, die auf den glossierten lateinischen Text weisen [...]. Daran schließen sich in ihren Grundformen die lateinischen Bezugswörter der volkssprachigen Glossen nach dem Zeugnis der Handschrift an. Die lateinischen Bezugswörter beanspruchen einiges Interesse. Sie werden im letzten Band vollständig versammelt.« (I, 5)
[36] 

Die für jede Glosse gegebene Information, in welcher Handschrift, auf welcher Seite, in welcher Zeile sie zu lesen ist, wird sich vor allem in späteren Jahrzehnten als nützlich erweisen, wenn Neueditionen von Glossen erschienen sein werden und der Benutzer trotzdem anhand dieser Angaben jederzeit die gesuchte Stelle identifizieren kann, ohne mühsam Konkordanzen von alten und neuen Ausgaben bemühen zu müssen. Wenn sich das lieferungsweise Erscheinen eines Wörterbuchs über Jahrzehnte hinzieht, kann es leicht passieren, daß sich die Editionsgrundlage mehrfach ändert, so daß sich Seiten- und Zeilenangaben in verschiedenen Bänden auf verschiedene Ausgaben beziehen. Diese Gefahr wurde hier durch den Druck des gesamten Wörterbuchs in einem Rutsch und durch den konsequenten Rückgriff auf die Stellenangabe in der Handschrift weitsichtig umgangen.

[37] 

Etwas irritiert fragt sich der Leser, der in der Forschungsliteratur der letzten Jahrzehnte immer wieder darauf hingewiesen wurde, daß in den Handschriften nicht selten eine althochdeutsche Glosse einem lateinischen Wort zugeordnet wird, dessen Übersetzung sie nicht wirklich ist, da im Lauf der abschriftlichen Überlieferung verschiedene Störfaktoren eingetreten sein können: Was versteht Schützeichel unter ›lateinische Bezugswörter der volkssprachigen Glossen‹: das ursprünglich übersetzte Wort oder das, dem die Glosse in der Handschrift zugeordnet ist? Es liegt ja nur für letzteres ein ›Zeugnis der Handschrift‹ vor. Prinzipiell wird das graphisch realisierte Bezugswort der Handschrift verzeichnet, mit der gleichen Mischung von handschriftennahem Stamm und normalisierter Endung, etwa V,123 s.v. <kāa> in der Form »phsitachus [= psittacus]«, doch findet sich in eckigen Klammern nötigenfalls auch noch die eigentlich übersetzte lateinische Entsprechung.

[38] 
»Stärkste Berücksichtigung und breiten [sic] Raum war den semantischen Prüfungen zu gewähren [...]. Es geht um die jeweilige aktuelle lexikalische Bedeutung.« (I, 4)
[39] 

Hierbei wurde auch der Kontext herangezogen. Im semantischen Bereich merkt man fast jedem Artikel die der Bedeutungsermittlung zugrundeliegende genaue Analyse an. Dies stellt einen enormen Gewinn gegenüber dem Althochdeutschen Glossenwörterbuch von Starck / Wells 5 dar, einer Pionierarbeit zu ihrer Zeit, durch die erst der im Vergleich zum Wortschatz der literarischen Denkmäler weitaus reichhaltigere der Glossen sichtbar wurde. Doch gründeten Starck / Wells ihre Bedeutungsangaben in der Regel auf die Lemmata der Handschrift oder die Grundbedeutung der lateinischen Vokabel, ohne die nicht mitüberlieferten, eigentlich übersetzten lateinischen Interpretamente oder die Bedeutung des Wortes im Kontext des glossierten Textes regelmäßig heranzuziehen. Bei hochfrequenten Wörtern wird die Analyse im Glossenwortschatz allerdings schwach. Im Artikel »in« wird nicht zwischen lokaler, temporaler, kausaler etc. Bedeutung der Präposition unterschieden.

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Soweit zur Lexikographie in Theorie und Praxis. Wenden wir uns nun einer Problematik zu, die während der Benutzung des Wörterbuchs bei fast jedem Wortartikel sichtbar wird.

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Ritter und Jungfrauen
samt Papagei

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»Die sorgfältige Durchsicht der bekannten Handschriften zeigte häufig bisher übersehene Einträge« (I, 2). Neufunde in bekannten Handschriften und Glossen in neu gefundenen Handschriften werden mit »(Neu.)« und dem abgekürzten Namen des Finders markiert. »Das bedeutet, daß eine Fülle von Glossen, darunter solche aus rund 60 bislang nicht edierten Handschriften, erstmals im vorliegenden Wörterbuch mitgeteilt werden.« (I, 5) Leider werden diese nicht für die einzelnen Handschriften gesondert verzeichnet, so daß wir weiterhin auf ihre Erstedition durch die mit Namenskürzeln bezeichneten Entdecker warten müssen. »Die Zahl der auf verschiedene Weise gefundenen Einzelglossen geht in die Tausende, zusammen mit den Glossen derjenigen Handschriften, die vorher noch nicht als glossentragend bekannt waren.« (I, 2) Der Freund althochdeutschen Wortguts horcht hier auf: Sollten auf sensationelle Weise tausende althochdeutsche und altsächsische Glossen bisher der Fachwelt verborgen geblieben sein? Doch die Ernüchterung kommt schnell: Anhand der beigegebenen Handschriftenliste lassen sich die ›neu gefundenen Handschriften‹ leicht ermitteln, ein nicht unbeträchtlicher Anteil entstammt Jahrhunderten, die man mit den Begriffen althochdeutsch und altsächsisch nicht sofort assoziiert, und ragt vor allem quantitativ hervor, da es sich meist um Sammelglossare handelt wie die Salomonischen Glossare, die Bibelglossare der Familie M oder das Summarium Heinrici. Einige der darin vertretenen Schweizer Handschriften hatte Heinrich Hänger 1972 neben vielen anderen in seinem Verzeichnis Mittelhochdeutsche Glossare und Vokabulare in schweizerischen Bibliotheken bis 1500 inventarisiert, aber die Glossen nicht ediert.

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»Verschiedene Handschriften gehören dem 14. und 15. Jahrhundert an. Die Masse der Überlieferung ist der Zeit vor 1300 zuzuordnen. Einen entsprechenden Einschnitt zu machen, würde Teilen der Überlieferung jedoch nicht gerecht. [...] Manche späte Überlieferung, die in alter Tradition steht, trägt Spuren ihrer jeweiligen Gegenwart in der Hereinnahme von Wortschatz jüngerer Gestalt und mit regionaler Bindung, was die lange Nutzung, insbesondere bei Glossaren, umso deutlicher machen kann. Eine Herauslösung solchen Wortgutes aus der tradierten Umgebung wäre wirklichkeitsfremd und verfälschend. Vorliegende gesonderte Untersuchungen zu Handschriften und Überlieferungskomplexen zeigen beachtliche Erträge für die Erforschung des jüngeren Wortschatzes.« (I, 3)
[44] 

Es gibt natürlich Glossen in jüngeren Handschriften (vor allem in Sachglossaren), die noch klar zeigen, daß sie aus älterer Vorlage abgeschrieben sind; dadurch ist bei den Glossen, anders als bei den Texten, die althochdeutsche Phase nicht mit der Mitte des 11. Jahrhunderts abgeschlossen. Diese Glossen wurden allerdings im Lauf der Überlieferung mit mittelhochdeutschem oder mittelniederdeutschem Wortgut vermengt. Hätten der Herausgeber und die mitwirkenden ›zahlreichen Mitarbeiter des Inlandes und des Auslandes‹ nach sorgfältiger philologischer Analyse hier nur das erkennbar ältere Sprachstufen reflektierende Wortgut erfaßt, hätte dies ihrer Meinung nach eine ›wirklichkeitsfremde‹ und ›verfälschende‹ Behandlung dieser Glossenhandschriften bedeutet. Da nun aber bei diesen sprachgeschichtlich inhomogenen Glossierungen auch die jüngeren Stufen vollständig in den Glossenwortschatz aufgenommen wurden, müssen sich der Herausgeber und seine Mitarbeiter eben diesen Vorwurf gefallen lassen: daß daraus nun eine wirklichkeitsfremde und verfälschende Darstellung des althochdeutschen und altsächsischen Glossenwortschatzes resultiert, und dies dürfte doch schwerer wiegen als eine eingeschränkte Erfassung der Glossen einiger später Handschriften.

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Da zudem kein einziger Beleg mit einer Datierung versehen ist, auch nicht bei diesen nach dem Prinzip ›Mitgefangen – mitgehangen‹ mitaufgenommenen eindeutig jüngeren Glossen, ist zu befürchten, daß man in Zukunft irrige Meinungen über die Erstbelege einiger Wörter in althochdeutscher beziehungsweise altsächsischer Zeit lesen wird. Ein einziges kleines typographisches Zeichen bei den entsprechenden Belegen hätte genügt, um den Benutzer auf diese Problematik hinzuweisen. Nur in seltenen Fällen liefert ein eingeklammertes »mhd.« oder »mnd.« hinter dem Belegansatz eine sprachgeschichtliche Bestimmung. Bedauerlicherweise wird dem Benutzer damit aufwendige philologische Arbeit, sozusagen unnötiger Ballast, aufgebürdet. Einige Beispiele:

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Die aus der mittelhochdeutschen höfischen Dichtung sattsam bekannte jungfrouwe ist in diesem Wörterbuch (V, 121) s.v. <jungfrouwa> mit drei als Neufunden markierten Belegen vertreten, diese entstammen sämtlich Handschriften der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Darauf folgt das <jungfrouwilīn> aus einer Handschrift des 12. Jahrhunderts, und auch das <jungfrouwūnhār>, ein Pflanzenname, findet sich nur in zwei Handschriften des 13. Jahrhunderts.

[47] 

Wo die jungfrouwe weilt, ist der ritter nicht weit: Eine ganze Spalte füllen die neunzehn Belege aus elf verschiedenen Handschriften für den <rītāri> (VII, 446–447) aus, doch alle diese Glossen wurden zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert notiert. Man ahnt schon, wie oft man in Zukunft lesen wird: »schon ahd. und as. reich belegt«. Ähnlich verhält es sich bei den Leitstichwörtern (VII, 448) <rittāri> (6 Belege, ab dem 4. Viertel des 12. Jahrhundert, die zwei Neufunde aus dem 14. Jahrhundert), <ritterbluoma> (1 Neufund des 14. Jahrhunderts), <ritterbluomo> (1 Neufund des 14. Jahrhunderts), <rittergaba> (1 Beleg des 14. Jahrhunderts), <ritterscaft> (1 Neufund des 14. Jahrunderts) und <rittersporo> (drei Belege, 14. bis 15. Jahrhundert). Beim <pfifferling> (VII, 273) entstammt der früheste der 5 angeführten Belege dem 4. Viertel des 12. Jahrhunderts, zwei Belege dem 14. und die beiden Neufunde einer Handschrift des 15. Jahrhunderts.

[48] 

Der <kabeliau> (V, 123) ist immerhin als mnd. qualifiziert, der Neufund entstammt einer Handschrift des 15. Jahrhunderts. Eine halbe Spalte füllen die Belege für <kamel> und <kameltior> (V, 138), von den 10 Belegen werden 8 als Neufunde angepriesen, doch diese wurden sämtlich erst im 15. Jahrhundert niedergeschrieben, auch die zwei bereits bekannten Belege aus Handschriften des 13. und 15. Jahrhunderts führen zeitlich nicht annäherungsweise in die althochdeutsche und altsächsische Kernzeit. Und berechtigt ein einziger Beleg einer Hs. um 1300 dazu, aus dem dortigen papigey auf die Grundform <papegai> zu schließen (VII, 235–236)? Was ist das im übrigen für eine Grundform: die der Zeit um 1300, im Sinne einer jüngeren Mitüberlieferung in Glossaren mit teils älterer Sprachstufe, oder eine dem Tatian-Lautstand rückangepaßte Grundform?

[49] 

Für die meisten der dankenswerterweise bereits vor ihrer Erstedition in den Glossenwortschatz aufgenommenen ›Neufunde‹ ist also dringend anzuraten, sich anhand der Handschriftensignatur genauer über den Zeitpunkt der Eintragung und die Sprachstufe zu informieren, was sich jetzt auf das bequemste mit Hilfe von Rolf Bergmanns Katalog (siehe den nächsten Abschnitt) durchführen läßt. Es ist sehr zu bedauern, daß all diese bisher unedierten Glossen, die in diesem Wörterbuch wie ein störender Fremdkörper wirken, nicht in einer den Althochdeutschen Glossen Steinmeyers vergleichbaren Edition als Mittelhochdeutsche und mittelniederdeutsche Glossen gesondert ediert und lexikalisch erfaßt wurden.

[50] 

Die glossentragenden
Handschriften

[51] 

Die Liste der Bibliotheken und ihrer Glossenhandschriften im ersten Band des Glossenwortschatzes (I, 6–21) zeigt noch deutliche Spuren der früheren engen Zusammenarbeit des Schützeichel-Teams mit Rolf Bergmanns Unternehmen, die Trägerhandschriften althochdeutscher und altsächsischer Glossen zu katalogisieren. Nach dem Verzeichnis 6 und mehreren Nachtragslisten ist im August 2005 schließlich der ausführliche Katalog der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften 7 erschienen. Im Vorspann des Glossenwortschatzes werden die Vorarbeiten nicht erwähnt, nur im bibliographischen Verzeichnis der ›Hilfsmittel‹ erscheinen sie unter vielen anderen. Beispielsweise erscheinen mehrfach Handschriftensignaturen in Schützeichels Handschriftenliste in einer (im Vergleich mit der alphanumerischen Reihung der Bibliothek) gestörten Reihenfolge, und zwar genau in der Bergmannschen Reihenfolge, die, bedingt durch die nachträgliche Aufnahme von neu gefundenen Trägerhandschriften, ihrem eigenen System folgt. Daß beide Großunternehmen nicht aufeinander verweisen, ändert nichts an der Tatsache, daß sie für den Benutzer nun ein zugkräftiges Gespann bilden, mit dem sich vernünftig arbeiten läßt, da Bergmann zu Schützeichels Material die konkreten Daten wie Datierung und Lokalisierung der Glosseneintragung, sprachgeographische Einordnung, Glossentyp, Literatur etc. nennt.

[52] 

Einige Handschriftensignaturen sind bei Schützeichel nicht mehr auf dem neuesten Stand (etwa einige Fragmente der Bayerischen Staatsbibliothek sowie Handschriften in Dessau, St. Paul und Nürnberg), doch war dies kaum vermeidbar, schließlich ergeben sich bei den Signaturen von fast 1300 Handschriften fast täglich kleine Änderungen (und sei es, weil einige Bibliotheken meinen, eine BinnenMajuskel im BibliotheksNamen sei chic). Zudem läßt sich der aktuelle Stand nun leicht aus Bergmanns Katalog eruieren.

[53] 

Vergleicht man Schützeichels und Bergmanns Handschriftenlisten gründlicher, so stellt sich heraus, daß Bergmann auf den ersten Blick mehr Handschriften verzeichnet, und zudem alle, die bei Schützeichel ausgewertet wurden, bis auf den Clm 23479. Diese Handschrift des 11. Jahrhunderts mit dem lateinisch-deutschen Mischtext Contra paralisin stellt einen Grenzfall dar: im wesentlichen sind die althochdeutschen Bestandteile des Textes keine Glossen, allerdings gibt es »durch id est markierte Gegenüberstellungen von lateinischem Lemma und deutschem Interpretament«. 8 Daher sollte die Handschrift zunächst »unter der Nummer 710ab in den Katalog der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften aufgenommen« 9 werden, was dann aber doch nicht geschah. Dadurch hat Schützeichel nun eine Handschrift Überschuß gegenüber Bergmann.

[54] 

Die Handschriften, die Schützeichel im Vergleich mit Bergmanns Katalog zu fehlen scheinen, reduzieren sich bei näherer Betrachtung schnell. Bei Bergmanns Nummern 67a, 88, 106c, 123, 171a, 256d, 216, 384c, 437a, 801, 809, 1051 und 2000 handelt es sich um Codices, bei denen es früher Hinweise auf volkssprachige deutsche Glossen gab, die aber einer genaueren Überprüfung nicht standhielten, da sie etwa nur altenglisches Material oder überhaupt keine volkssprachigen Glossen enthalten. Dies gilt vermutlich auch für Bergmanns Nummern 710n und 1055.

[55] 

Die Aufnahme anderer bei Bergmann verzeichneter Handschriften ist offenbar daran gescheitert, daß die in ihnen enthaltenen Eintragungen nicht mehr unter dem Begriff Glosse zu subsumieren waren. Hier wäre meist eher von Einsprengseln zu reden. Es handelt sich um folgende Bergmann-Nummern:

[56] 

• 8a: Admont 393, Wörter in Wurmsegen

[57] 

• 138a: Engelberg 33, Segen mit 6 althochdeutschen Wörtern im Kontext

[58] 

• 162a: Freiburg 355, marginal deutsche Gebetsanweisungen zum Psalter

[59] 

• 226: St. Gallen 330, 1 isoliertes althochdeutsches Wort, möglicherweise eine Federprobe beziehungsweise ein Personenname: muazo. Das Wort erscheint bei Schützeichel auch nicht in der Liste der unidentifizierbaren Einträge im XII. Band.

[60] 

• 232: St. Gallen 552, ein Eintrag in bfk-Geheimschrift, nicht zweifelsfrei althochdeutsch: oia lxrfbrbnt.

[61] 

• 845c: Salzburg a VII 3, drei Wörter in einem lateinischen Bienensegen.

[62] 

• 1019e: Zürich Rh. 75, ein Kalender des 11. Jahrhunderts mit elf als Überschriften eingetragenen Monatsbezeichnungen.

[63] 

Diese Nichtberücksichtigung erschiene legitim, wäre sie konsequent angewandt worden. Dem steht allerdings die überbordende Menge an Belegen aus Einhards Vita Karoli Magni gegenüber, die hier ohne Rücksicht darauf, ob sie als glossarartiges Exzerpt der Monats- und Windnamen oder in normalen Abschriften des gesamten Textes im Kontext auftreten, als Neufunde mitgeteilt werden (merkwürdigerweise taucht von den vier Einhard-Handschriften des 9. Jahrhunderts nur eine im Glossenwortschatz auf).

[64] 

Einige unedierte Glossen fanden nicht den Weg ins Wörterbuch, da die Handschrift unzugänglich oder verschollen ist:

[65] 

• 1067: Burgsteinfurt Privatbesitz, unveröffentlichte Lektionarglossen des 10. Jahrhunderts.

[66] 

• 1068: Eton 204, eine medizinische Sammelhandschrift des 12. Jahrhunderts mit gleichzeitigen, bisher unedierten Glossen.

[67] 

• 1027: Feldkirch, eine verschollene Vergil-Handschrift, nie ediert.

[68] 

• 289: Jena, ein nicht mehr auffindbarer Pergamenteinband mit nicht edierten altniederdeutschen Glossen.

[69] 

Weitere Handschriften aus Bergmanns Inventar wurden wohl als zu spät aussortiert, wobei hier wiederum der Vorwurf der Inkonsequenz naheliegen könnte:

[70] 

• 256g: St. Gallen 914, Regula Benedicti, interlineare deutsche Glossen, allerdings der frühen Neuzeit.

[71] 

• 710a: Cgm 572, 32 Kontextglossen in der Erzählung über Herzog Ernst, eingetragen in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, laut Bergmann reichen sie »jedoch wohl mindestens bis in das 12. Jahrhundert hinab«. Gleiches gilt für die Parallelhandschrift Bergmann-Nr. 710b (Clm 850).

[72] 

• 836g: Vatikan, Pal. lat. 1779, 15. Jahrhundert, Vocabularius Ex quo.

[73] 

• 875f: Stuttgart, HB XII 21, eine Boethius-Hs. des 15. Jahrhunderts mit unedierten Glossen, wohl nicht mehr althochdeutsch.

[74] 

Wohl ebenfalls als zu spät empfunden wurde die Handschrift, die Bergmann zu Nr. 373 vermerkt, Oxford Junius 116d, eine späte Abschrift durch Franciscus Junius des sechsten Teils der Leidener Handschrift VLO 15.

[75] 

Nicht in Schützeichels Handschriftenliste, wohl aber im Wörterbuch tauchen die Glossen folgender Handschriften(-Teile) auf:

[76] 

• Bergmann-Nr. 1066: München, Stadtarchiv Hist. Ver. Ms. 18/VIII, das Fragment gehört zu Nr. 706 = Clm 29585/2, Formulae S. Emmerammi; vier der sechs Glossen stehen im Fragment des Stadtarchivs, bei Schützeichel tauchen aber alle sechs unter der Signatur des Clm auf.

[77] 

• Bergmann-Nr. 712: München, UB 8° 479, dieses Bruchstück gehört zu den Waltharius-Fragmenten Berlin Fragm. 61 und Innsbruck, Fragmente 89 und 90, nur diese beiden werden in Schützeichels Liste genannt.

[78] 

Die zwölf bekannten Glossen in Bergmanns Nr. 957h verzeichnet Schützeichel nicht. Der Codex Wien 721, eine seit dem 19. Jahrhundert verschollene Handschrift, enthält Glossen zum Sachglossar Lingua ignota der Hildegard von Bingen, davon sind zwölf Belege in einer alten Beschreibung der Handschrift ediert, vgl. Steinmeyer / Sievers III, 390, Anm. 2.

[79] 

Addenda und Colligenda

[80] 

Schützeichels Glossenwortschatz stellt, 15 Jahre nach dem Althochdeutschen Glossenwörterbuch von Starck / Wells, eine wichtige Aufbereitung des bis dato bekannten Glossenmaterials dar. Dies muß aber nicht bedeuten, daß nicht weiterhin Glossen aus ihrem interlinearen Versteck ans Licht geholt werden könnten, besonders, wenn es sich um Griffelglossen handelt, von denen noch längst nicht alle entdeckt und entziffert werden konnten.

[81] 

So können schon kleine Hinweise in Bernhard Bischoffs Katalog 10 zu bisher unentdeckt gebliebenen Glossen führen. Er verzeichnet etwa für die Handschrift Karlsruhe Aug. CXX (Bergmann, Katalog Nr. 300) auf fol. 34v eine althochdeutsche Glosse (drei andere sind schon bekannt). Bergmann (2,679) berichtet über eine Nachprüfung dieser Angabe: »bei der Autopsie wurden auf f. 34v nur lateinische Glossen festgestellt«. Nun findet sich dort jedoch interlinear die Erklärung idē suedi, und zwar über stomachum. Wenn es dieses auch nicht direkt glossieren kann, so ist doch zu beachten, daß im Kontext des heftig korrigierten lateinischen medizinischen Textes von einem Umschlag (swad / swedī) die Rede ist.

[82] 

Von den bisher unedierten Gregorglossen des ebenfalls bei Bischoff als Träger althochdeutscher Glossen genannten Freiburger Fragments 1122,3 verzeichnet Schützeichel zwar frāqueman (V, 420; in der Handschrift steht frāquimit über lat. prosilit), nicht aber gameit über lat. stultum, das sich ebenfalls noch mit hinreichender Sicherheit lesen läßt, während bei Schützeichel nur stultum ohne einen Entzifferungsversuch in der Liste der unidentifizierbaren Einträge (XII, 36) auftaucht. 11

[83] 

Weder bei Bergmann noch bei Schützeichel wurde Bischoffs Hinweis zur Handschrift

[84] 
Cambridge, Fitzwilliam Museum, McClean Bequest 6
[85] 

aufgegriffen. Unter dem Katalog-Eintrag I.822 heißt es dort: »Ahd. Glossen«; es handelt sich um einen Octateuch, »wohl Westdeutschland, IX. Jh., Ende«.

[86] 

Das Gleiche gilt für Bischoffs Nummer I.1865: Koblenz, Landeshauptarchiv, Best. 701 Nr. 759. Es handelt sich um ein Fragment einer Handschrift der Philosophiae consolatio des Boethius aus dem 9. Jahrhundert, zu dem es heißt: »Glossen glz. u. s. X / XI (auch ahd.)«. Das Fragment ist in Koblenz schon seit längerem nicht auffindbar und wird im 2002 erschienenen Katalog, den Eef Overgaauw bearbeitet hat, nicht einmal erwähnt: Mittelalterliche Handschriften im Landeshauptarchiv Koblenz 2: Die nichtarchivischen Handschriften der Signaturengruppe Best. 701 Nr. 191–992. Glücklicherweise ist im Nachlaß Bernhard Bischoffs wenigstens die (in Koblenz hergestellte) Abbildung von zwei Seiten des Doppelblattes erhalten, auf denen drei bisher völlig unbekannte Glossen zu entdecken sind. Zwei zur Consolatio sowie eine altsächsische zu einem lateinischen Gedicht umstrittener Autorschaft, das im dritten Band der Poetae Latini aevi Carolini 1886 durch Ludwig Traube im Appendix ad Iohannem Scottum unter dem Titel Versus Romae ediert wurde (p. 555–556), ohne daß er das Koblenzer Fragment gekannt hätte. In der Handschift steht über Cessit in der vierten Gedichtzeile Cessit et ad grecos nomen honosque tuus die Glosse giuuek. Althochdeutsch ist lat. cedere öfter mit giwīhhan glossiert (vgl. Glossenwortschatz XI, 128 f.). Auf die Versus folgte in der Handschrift die Consolatio, von der hier nur Teile von Kapitel I, 4 erhalten sind. Über Prouincialium lesen wir landliudio, über publicis die Glosse frono (jeweils I, 4, 34). Bischoff vermerkte auf der Rückseite der Abbildung die Zugehörigkeit zu einem heute in Trier aufbewahrten Consolatio-Fragment (I, 1–3) mit bereits edierten althochdeutschen Glossen, siehe dazu Bergmann, Katalog Nr. 883 (I). Ich danke an dieser Stelle Birgit Ebersperger und Monika Köstlin für ihre freundliche Unterstützung bei der Einsichtnahme von Bischoffs Nachlaß.

[87] 

Im Pariser Teil der zusammengehörigen Fragmente

[88] 
Bern 756/64 und Paris lat. 10403 (Priscian, Institutiones grammaticae, 9. / 10. Jh. oder 10. Jh., 1. Hälfte)
[89] 

findet sich auf fol. 9v, über surculos das bisher unentdeckte althochdeutsche Pendant snitilinga. 12

[90] 

In einer

[91] 
Priscian-Handschrift des Halberstädter Domschatzes mit der Inventar-Nummer 468
[92] 

ist auf fol. 106v über dem lateinischen Wort gummi die Glosse fliet (ahd. fliod ›Harz, Gummi‹) bisher unentdeckt geblieben, obwohl gerade diese Seite die einzige der Handschrift ist, von der bisher in der Literatur eine Abbildung existiert (die anderen Seiten enthalten keine weiteren althochdeutschen Glossen). 13 Die Handschrift entstammt dem Anfang des 10. Jahrhunderts.

[93] 

Untersucht man Priscian-Handschriften des frühen 9. Jahrhunderts aus dem Gebiet um Tours, findet man Glossen, deren Zugehörigkeit zum althochdeutschen, mittellateinischen oder altromanischen Sprachschatz noch zu diskutieren wäre. So ist lateinisch asser ›Stange, Latte‹ im

[94] 
Vat. lat. 1480, 33v
[95] 

glossiert mit quod rustici dicunt latta. In der Parallelhandschrift

[96] 
Autun S 44 (34v)
[97] 

kürzer mit latta. 14

[98] 

Über mergo merges (›ich tauche, du tauchst‹, hier in der Glosse etymologisierend verknüpft mit merges F. ›Garbe‹) steht im Vaticanus (29r) teils tironisch in einer Glosse ligatura messis quae garbam rustici uocant. 15 Das im Althochdeutschen seit dem 8. Jahrhundert belegte Wort garba (soviel, wie man mit einer Hand an Korn fassen kann) ist hier aber möglicherweise als Lehnwort ins Lateinische übernommen worden.

[99] 

Fazit

[100] 

Der Glossenwortschatz erweist sich durch seine vollständige Dokumentation des bisher gehobenen Glossenmaterials als brauchbares Nachschlagewerk für den Glossenspezialisten, genauer gesagt als Hilfsmittel zum Prüfen und Vergleichen für den ausreichend mit Vorwissen versehenen Experten, es enthält dagegen zu wenig Informationen, um als ausschließlicher Wissenslieferant, etwa bei der Suche nach Erstbelegen, zu dienen. Außerdem sollte er nicht als Grundlage für eine Korpuserstellung herangezogen werden. Kurz gesagt: Fürs Edieren und Interpretieren neuer Glossen ist er brauchbar, für lexikologisch-sprachhistorische Fragestellungen indes nicht gedacht.

[101] 

Man wird begrüßen, daß hier auch der Glossenwortschatz des Altsächsischen aufgenommen wurde. Freilich leistet dies auch, ohne daß der Titel es vermuten ließe, bereits das Leipziger Althochdeutsche Wörterbuch, das den altsächsischen Wortschatz der kleineren literarischen Denkmäler und Glossen des Altsächsischen verzeichnet. Derzeit ist es beim Buchstaben L angekommen, so daß Schützeichels Glossenwortschatz hier noch einige Zeit seinen Zweck erfüllen wird, auch wenn er, wie der Titel besagt, einen Wortschatz darstellt, aber kein Wörterbuch mit einer vollständigen lexikographisch-lexikologischen Aufarbeitung, wie es die Leipziger Wörterbuchmacher anstreben.



Anmerkungen

Elias Steinmeyer / Eduard Sievers: Die althochdeutschen Glossen. Bd. I–V. Berlin 1879–1922, Nachdruck Hildesheim 1999.   zurück
Rudolf Schützeichel: Althochdeutsches Wörterbuch. 3., durchgesehene und verbesserte Auflage. Tübingen 1981 (zuletzt erschienen: 5., überarbeitete und erweiterte Auflage, Tübingen 1995).   zurück
Katalog der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften. Bearbeitet von Rolf Bergmann und Stefanie Stricker unter Mitarbeit von Yvonne Goldammer und Claudia Wich-Reif. Fünf Textbände und ein Tafelband. Berlin, New York 2005.   zurück
Althochdeutsches Wörterbuch. Auf Grund der von Elias von Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig begründet von Elisabeth Karg-Gasterstädt und Theodor Frings, herausgegeben von Gotthard Lerchner, unter der Leitung von Brigitte Bulitta. Bd. I–V (7. Lieferung). Berlin 1952–2005.   zurück
Althochdeutsches Glossenwörterbuch (mit Stellennachweis zu sämtlichen gedruckten althochdeutschen und verwandten Glossen). Zusammengetragen, bearbeitet und herausgegeben von Taylor Starck und J. C. Wells (Germanische Bibliothek. Zweite Reihe: Wörterbücher) Heidelberg 1972–1990.   zurück
Rolf Bergmann: Verzeichnis der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften. Mit Bibliographie der Glosseneditionen, der Handschriftenbeschreibungen und der Dialektbestimmungen (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung 6) Berlin, New York 1973.   zurück
Rolf Bergmann et al. (Anm. 3).   zurück
Stefanie Stricker: Latein und Deutsch in der Rezeptüberlieferung. In: Rolf Bergmann (Hg.): Volkssprachig-lateinische Mischtexte und Textensembles in der althochdeutschen, altsächsischen und altenglischen Überlieferung. Mediävistisches Kolloquium des Zentrums für Mittelalterstudien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg am 16. und 17. November 2001, S. 97–129, hier S. 107.   zurück
Stefanie Stricker (Anm. 8), S. 107.   zurück
10 
Bernhard Bischoff: Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen). Teil I: Aachen – Lambach. Wiesbanden 1998. Teil II: Laon – Paderborn, aus dem Nachlaß herausgegeben von Birgit Ebersperger. Wiesbaden 2004.   zurück
11 
Pupilla namque oculi nigra uidet, albuginem tolerans nil uidet, quia [Hs. Quia] uidelicet sensus humanae cogitationis si stultum se peccatoremque intellegit, cognitionem intimae claritatis apprehendit. (Gregor der Große, Regula pastoralis 1,11). Freiburg im Breisgau, UB Hs. 1122,3, fol. 1r, Z. 11. Der Text ist durch Randbeschnitt teils nicht erhalten, teils auf dem Mikrofilm unleserlich.   zurück
12 
GL II, 267,16: Cicero in II de oratore: cum familiaris quidam quereretur, quod diceret uxorem suam suspendisse se de ficu, amabo te, inquit, da mihi ex ista arbore, quos seram, surculos.   zurück
13 
GL II, 283,5: Vocales, ut ›poeta‹, ›monile‹, ›gummi‹, ›frugi‹, ›virgo‹, ›cornu‹. Die Abbildung in: Edith Rothe: Buchmalerei aus zwölf Jahrhunderten. Die schönsten illuminierten Handschriften in den Bibliotheken und Archiven der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin 1966, Tafel 10. Ich danke Jörg Richter, Domkustos in Halberstadt, für die Ermöglichung einer Autopsie sowie Anton von Euw für Auskünfte zur Handschrift.   zurück
14 
GL II, 151,14: alia vero omnia masculina sunt, ut ›hic pater‹, ›frater‹, ›asser‹, ›passer‹, ›cancer‹.   zurück
15 
GL II, 130,10: In ›es‹ correptam pauca inveniuntur denominativa: ›equus eques‹, ›pes pedes‹, et verbalia: ›tego teges‹, ›mergo merges‹.   zurück