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Zusammenhang des Pragmatismus
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Charles Sanders Peirce hat für Literatur- und Medienwissenschaften, aber gerade auch für die Soziologie bislang vor allem in zwei Aspekten Attraktivität entwickelt: In erster Linie als Schöpfer einer avancierten Semiotik, wozu dann zweitens ein Interesse an seiner Grundlagenarbeit zur Logik kam, wie sie den Begriff der ›Abduktion‹ entwickelt oder Vorläufer für den Formenkalkül Spencer-Browns wurde. In dieser Rezeption traten der größere Zusammenhang seiner pragmatistischen Philosophie und damit auch die Verbindungen zu anderen Pragmatisten wie William James, John Dewey und George Herbert Mead leicht in den Hintergrund (während Vergleiche mit den semiotischen Ansätzen Charles William Morris’ näher lagen).
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Der langjährige Peirceforscher und -übersetzer Helmut Pape hat nun ein Buch vorgelegt, das sowohl als Einführung in den frühen Pragmatismus als auch als systematische Fortführung seiner Philosophie dient und dabei die Verbindungen zwischen Peirce und James in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt.
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Überblick
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Dabei wird über die Darstellung hinaus ein doppeltes Ziel verfolgt:
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In der Verknüpfung der Entwicklung der pragmatistischen Theorie mit der historischen Diskussion
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zwischen Peirce und James soll zum einen einer Reihe von Interpretationen und Vorurteilen widersprochen werden,
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die den Pragmatismus als Abwendung von komplexer Theoriebildung oder als reinen Utilitarismus verstehen; ebenso jenen, die zwar zugestehen, dass der Begriff ›Pragmatismus‹, wie James immer wieder betont hat, von Peirce geprägt wurde, die aber ansonsten die philosophische Methode gleichen Namens wesentlich als Schöpfung von James und anderen Nachfolgern betrachten.
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Zum anderen will Pape zeigen, welch vielfältige Anschlussmöglichkeiten der Pragmatismus für gegenwärtige Diskussionen bietet. Dabei dient die Auseinandersetzung der Positionen und Argumente von Peirce und James vor allem dazu, aus Papes Perspektive unfruchtbare oder irrtümliche Weiterentwicklungen bei James durch eine begründete Rückkehr zu den Peirceschen Alternativen zu korrigieren, dabei jedoch das Kontinuitätsargument wesentlich im Sinne von James’ stream of consciousness zu erweitern und schließlich eine neue, beide Entwürfe übergreifende systematische Zusammenführung unter einem Pragmatismus als ›alltäglichem Idealismus‹ vorzuschlagen. Diese neue Konzeption versteht sich dabei nicht zuletzt als Einlösung einer Forderung von Peirce nach einem »objektiven Idealismus«, der die »einzig verständliche Theorie des Universums« sei.
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Pape konzentriert die Entwicklung zwischen Peirce und James auf zwei Etappen: Eine frühe Station, in der sich der Ursprung des Pragmatismus zunächst in Peirce’ Konzeptionen um 1877 / 1878 finden lässt und dann von James 1898 – 1900 aufgenommen und popularisiert wird; und eine zweite Station, in der beide immer wieder im Austausch miteinander ihre Positionen – der eine in Richtung der Semiotik, der andere in Richtung der Psychologie – fortentwickeln. Der dritte und letzte Teil des Buchs widmet sich der Verbindung der jeweils stärksten Argumente in der neuen, idealistischen Konzeption des Pragmatismus, die Pape als Konsequenz vorschlägt.
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Von der Praxis zur Theorie und zurück: Ursprünge des Pragmatismus
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Pape situiert die frühesten Schriften zum Pragmatismus in Peirce’ Biographie und weist auf Einflüsse verschiedener Vorgänger und Zeitgenossen hin. In einer genauen Lektüre der beiden Peirce-Aufsätze »Fixation of Belief« und »How to Make Our Ideas Clear«, in der er insbesondere die »Festlegung« überaus plausibel gegen zahlreiche Angriffe und unvollständige Interpretationen verteidigt und als ein zusammenhängendes Gedankengebäude rekonstruiert, betont Pape drei Aspekte, die zur Profilierung gegen Kritiker, aber auch gegenüber James’ Positionen dienen:
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1. Die entscheidende Rolle des besonderen Objektbegriffs: »Der fruchtbare Kern des klassischen Pragmatismus liegt in dem Versuch, die Objektivität und die Normativität in der semiotischen Ontologie der Erkenntnis durch den Begriff des Objekts aufeinander zu beziehen« (S. 73).
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2. Die Überzeugung als ›Nexus‹ von Denken, Wahrnehmung, Handeln und Wirklichkeit, wie in der von Pape formulierten ZIP, der »zentralen Idee des Pragmatismus«, festgehalten: »Der Wirklichkeitsbezug unserer Überzeugungen ist nur durch Handeln herstellbar« (S. 81).
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3. Und schließlich die Gerichtetheit dieses Wirklichkeitsbezugs, wonach im Wechsel zwischen Überzeugung, Zweifel und korrigierter Überzeugung der »klassische Pragmatismus«, und das heißt für Pape: Peirce’ Pragmatismus, »das Verstehen der Praxis für die Theorie nutzt – und nicht umgekehrt« (S. 85).
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Wenn dieser letzte Punkt Peirce’ frühe Pragmatismusschriften deutlich vom Instrumentalismusvorwurf sowie von Reduktionen auf reine Bedeutungstheorien absetzt, so distanziert er Peirce auch von James: Indem Peirce’ Interesse auf logische und epistemologische Fragen gerichtet ist, für die der Wirklichkeitsbezug als Korrektiv eingeführt wird, bewegt er sich laut Pape an ähnlichen Begriffen entlang in eine andere Richtung als James’ humaner Pragmatismus, der die Theorie auf die Praxis zurückbezieht.
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Letzterer soll Theologie und Philosophie stärker an empirischen und gewöhnlichen Zusammenhängen des Alltags orientieren und dabei zugleich einen rein empirischen Determinismus dort abwenden, wo dieser die ethische Dimension der Willensfreiheit
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zu verschlingen droht: Es gilt, die »moralische Seite von Erfahrung zur Grundlage einer Klarheit zu machen, die theoretische Objektivität mit der moralischen Selbstbestimmung und Selbstvervollkommnung des Individuums verbindet« (S. 124). Pape hat einige Zweifel an James’ Lösungen für dieses Problem; gegen den Vorwurf des Instrumentalismus sieht er einzig einen Rückzug auf Peirce’ etwas andere Konzeption als mögliche Verteidigung (S. 132 – 134), und James’ Festhalten an seinem – nach pragmatistischer Umformulierung recht idiosynkratischen – Gottesbegriff kann er nur »aus dem religiös geprägten geistigen Klima Neuenglands seiner Zeit« verstehen (S. 136). Dennoch: »Peirce hat James’ ethischem Projekt einer Suche nach einer Begründung moralischer Selbstbestimmung nichts Vergleichbares entgegenzusetzen« (S. 140).
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Als zentralen Unterschied zwischen Peirce’ und James’ frühem Pragmatismus arbeitet Pape schließlich ihre Einstellung zu Universalien heraus. Damit kündigt sich der idealistische Abschluss dieser Untersuchung bereits an: Während für James in einem strengen Sinne der Wissende ein Handelnder ist und daher Erfahrung und Handlung nicht getrennt werden, beschränkt sich der Wirklichkeitsbezug bei Peirce auf die Prüfung nach möglichen, denkbaren praktischen Dimensionen eines Begriffs: Er bezieht sich nicht auf die konkrete einzelne Handlungssituation eines einzelnen menschlichen Individuums (S. 152). Entsprechend lässt Peirce in seiner ›konkreten Vernünftigkeit‹ in viel weitergehendem Maße Universalien und andere abstrakte Begriffe zu, die James für seine Orientierung an individueller Erfahrung ablehnen muss.
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Semiotik und Bewusstseinsstrom: Späte Positionen
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In der Behandlung der späteren Positionen beider Philosophen rücken nun jeweils die systematischen Voraussetzungen in den Mittelpunkt von Papes Interesse: Für Peirce sind das Kategorienlehre, relationalistische Logik und vor allem der späte, groß angelegte semiotische Entwurf; für James die besondere Methodologie seiner ›Psychologie der kontinuierlichen Erfahrung‹ und das erweiterte Kontinuitätsargument.
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Pape hatte schon früher mehrmals sowohl die Peircesche Kategorienlehre als auch die relationalistische Logik dargestellt.
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Er betont einerseits wiederum die Hinweise auf einen idealistischen Ansatz: Dass »die Kausalität und Ordnung geistiger Beziehungen nicht vollständig von der Kausalität und Ordnung der physikalischen Tatsachen determiniert« sei (S. 173), konstituiere einen Bezug »von Erfahrung auf eine denkunabhängige Wirklichkeit« als »nichtreduzierbare, intensionale Relationalität« (S. 175).
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Besondere Aufmerksamkeit verdient hier Papes vorsichtig-kritische Einstellung zur Verwendung formallogischer Kalküle: »Keine Angst«, so entwarnt er den Leser nicht nur ironisch:
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Wenn von Logik und von der Übertragung mathematischer Begriffe in die Kategorienlehre und den Pragmatismus die Rede sein soll, dann geht es nicht darum, einen uninterpretierbaren Kalkül – anders gesagt: ein rein formal beschreibbares System der Notation logischer Beziehungen – zu entwerfen. (S. 176)
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Zwar hatte er Peirce’ Akzeptanz von Universalien zuvor fest mit seinem Blick für formal notierbare Rekurrenzen verbunden: »Denn das exakt Formale macht an der einzelnen Erfahrung die allgemeinen Anteile zugänglich, die sie formal mit anderen für uns möglichen Erfahrungen verbindet« (S. 158). Werde »Logik als formales System« gedacht, »für das mathematische Kriterien wie Widerspruchsfreiheit, deduktive Vollständigkeit und syntaktische Definierbarkeit gelten«, so drohe jedoch ein reiner Formalismus, der »die grundlegenden Bedingungen menschlicher und wissenschaftlicher Kommunikation« verfehle (S. 55 f.). Stattdessen schlägt Pape vor, bei Peirce einen ›selektiven Konstruktivismus‹ zu erkennen, der als ein ›interner Fallibilismus formaler Mittel‹ fungiere und also nicht zulasse, dass durch die Adoption eines bestimmten formalen Systems bereits Bedingungen für sag- und beweisbare Gegenstände angenommen würden, sondern dass vielmehr jeder Formalismus scheitern, auf sein Scheitern überprüft und dann wieder abgeschafft werden können müsse (S. 178).
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Vor diesem Hintergrund kann Pape die Kriterien für den ›Beweis‹ des Pragmatismus, den Peirce mittels der Semiotik in immer wieder neuen Anläufen antrat, sehr locker fassen: Die Vereinbarkeit mit dem späten semiotischen Großentwurf lasse sich immerhin zeigen, der Pragmatismus sich in den Begriffen der Semiotik aussprechen. Pape rekapituliert die Begriffe der Erstheit, Zweitheit und Drittheit und der verschiedenen Zeichenklassen, um schließlich auf den logischen oder finalen Interpretanten einzugehen, der in seiner Ausrichtung auf Zukünftiges, auf einen Endzustand der Wirklichkeit, Pragmatismus und Semiotik kohärent verbinde.
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James’ sich fortschreitend weiterentwickelnde psychologische Positionen fasst Pape unter dem Problem der Verbindung zwischen Empirie und Introspektion zusammen: Einerseits besteht James auf der physiologischen, mithin neurologischen Erforschung und Überprüfung psychologischer Behauptungen; andererseits zählt er zu den wahrnehmbaren Erkenntnissen in diesem Bereich in einem annähernd cartesianischen Argument auch Introspektion im Sinne einer ›Selbstwahrnehmung‹ und insbesondere ›Körperwahrnehmung‹.
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Zwischen Geist und Körper gibt es für James angesichts der physiologischen Firmierung aller Bewusstseinstätigkeit keine eindeutige Trennung; die idealistische Position, die Pape vorbereiten will, bedarf hier einer besonderen Auseinandersetzung zwischen Peirce und James. Pape formuliert diese an der Unterscheidung zwischen ›transitiven‹ und ›substantiellen‹ Teilen des von James konzipierten Bewusstseinsstroms: Seine Kontinuität werde gerade durch diese Doppelung aus konstanten und veränderlichen, ja weiter verweisenden Elementen garantiert. Damit zerfällt der stream of consciousness in durchsichtige und undurchsichtige Teile, in kaum erfahrbare Begriffe von Relationalitäten und sehr wohl zu erfassende Objekte. Für Peirce versucht Pape zu zeigen, dass ein emphatisch prozesshafter Ansatz vorliegt, der jedes Einzelding für prozessontologisch analysierbar hält.
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Dem entspricht zwar bei James die Möglichkeit, ganze propositionale Gehalte durch den prospektiven, teleologischen Entwurf des in Handlungen als Bedeutungen gipfelnden Bewusstseinsstroms als Objekte zu beschreiben. Es bleibt jedoch »[z]wischen Semiotik und Psychologie [...] ein Spannungsverhältnis« (S. 304). Pape will es durch eine umfassende Rekonstruktion des Symbolisierungsvorgangs in James’ Konzeption lösen:
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Die psychische Bedingung für das Verstehen der intentionalen Natur der Symbole besteht darin, dass jedes Symbol ein Streben der Beziehung der wechselnden Empfindungen zu einem Endzustand vermittelt. (S. 311)
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Damit wird das Denken bei beiden Philosophen dem Primat des Kontinuums untergeordnet: Bewusstseinsvorgänge, die für Peirce rein emergente Sekundärphänomene aus semiotischen Vorgängen, bei James dagegen wesentlich mit Wissen und Handlung identisch waren, sind in beiden Fällen durch »die Konzeption der Kontinuität und – damit zusammenhängend – der Relation, die in beiden Philosophien ein elementarer Begriff ist«, bestimmt (S. 314). In beiden Fällen finden wir also ein »prozeßtheoretisches Verlaufs- und Gleichgewichtsmodell des Übergangs zu finalen Zuständen« (S. 315). Das offene Problem, wie diese finalen Zustände denkbar werden sollen, ohne dabei die essentiellen Eigenschaften des Bewusstseins bzw. der Semiose aufzugeben, insbesondere was den kontingenten Gehalt der erfahrbaren Wirklichkeit in der immer unabschließbaren fortverweisenden Kette angeht, wird am Ende der historischen Darstellung zur Fragestellung für die Fortentwicklung des Pragmatismus, für die Papes abschließender Entwurf eines systematischen Pragmatismus als Idealismus des Alltags ein erster Schritt sein könnte:
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Dem ›dramatischen, flimmernden Reichtum der konkreten Welt‹, auf den James hinweist, steht eine erhebliche, obwohl nicht ganz so dramatische Vielfalt theoretischer Erklärungsmöglichkeiten und menschlicher Motivationen gegenüber, die sich auf verwirrende Weise verbinden können. Vielleicht liegt die größte philosophische Leistung eines künftigen Pragmatismus darin, erklären zu können, wie sich der Reichtum konkreter Erfahrung mit der Vielfalt theoretischer Deutungen verknüpfen läßt, ohne eines gegen des andere auszuspielen. (S. 330)
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Pragmatistische Darstellung: Der Erzähler
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Es gehört zum besonderen Reiz von Papes historischer Darstellung, dass er den pragmatistischen Blick auf die Situierung dieser Philosophen und der von ihnen angestellten Überzeugungen so ernst nimmt, dass er ihre historische Einbettung immer und ohne jede Zweiteilung sowohl auf Vergangenes wie Zukünftiges hin beschreibt. Immer erscheinen nicht nur Vorläufer, deren Begriffe und Erkenntnisse Handlungsvoraussetzungen, Mittel und Bedingungen für Peirce und James waren, sondern im selben Atemzug auch jene Nachfolger, die denselben Erkenntnis- und Handlungszusammenhang fortsetzen, die Peirce und James wiederum zu ihren Handlungskonditionen zählen und die damit erst ein pragmatisches Ganzes komplettieren (freilich nicht abschließen), das in dieser Vollständigkeit vielleicht überhaupt erst einen, auf jeden Fall aber: einen anderen Sinn ergibt, anderes damit zu tun und zu sagen erlaubt, als es in einer Beschreibung möglich wäre, die bei Peirce’ und James’ Zeit anhält und diese wie eine statische Vorgabe beschreibt, die von jedem an ihr angreifenden Prozess getrennt wäre.
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Damit zeigt sich eine potentiell unabschließbare Kette immer fortweisender Relationen, und der Anspruch einer vorrangig historischen Beschreibung etwa im Sinne einer temporal wohlgeordneten history of ideas soll damit nicht erfüllt werden. Gerade daraus ergibt sich ein fast immer erheblicher Erkenntnis- und Verständnisgewinn, wenn etwa Peirce’ Rückgriff auf Duns Scotus und dessen haecceitas-Begriff, der im Entwurf der ›Zweitheit‹ verallgemeinert wiederkehrt, nicht als Rezeption und Rezipiertes binär einander gegenübergestellt, sondern sofort wieder zu Gliedern einer Kette werden, die nicht zuletzt mit Heideggers Versuchen in derselben Richtung als Teil desselben pragmatischen Nexus fortfährt (vgl. S. 18).
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So wird auch das Verhältnis von Peirce und James auf eine grundlegend pragmatistische Formel gebracht, die von Verwendungszusammenhängen und dem Gelingen von Handlungen redet:
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Der Pragmatismus ist ein Gemeinschaftswerk von Peirce und James. In der Zeit von 1870 bis 1878 spielt Peirce den aktiven, konzipierenden Part und veröffentlicht jene beiden Aufsätze, die häufig als Gründungsdokumente des Pragmatismus bezeichnet werden [›The Fixation of Belief‹ (1877) und ›How to Make Our Ideas Clear‹ (1878), S.P.]. Dann, viel später, in der Zeit von 1898 bis 1907, verwendet William James den Namen ›Pragmatismus‹ als Bezeichnung für eine neue Art des Philosophierens mit großer Resonanz öffentlich in Vorträgen und Publikationen. Er entwickelt eine geist- und humorvoll vorgetragene, ebenso klare wie originelle Auffassung philosophischer Probleme, welche deren Konsequenzen für das Leben, für die religiöse wie die alltägliche Erfahrung herausarbeitet. James gelingt es, mit seinem Vortrag von 1898 ›Philosophical Conceptions and Practical Results‹ jene Problemfelder zu definieren, auf denen der Streit um die Berechtigung des Pragmatismus in den kommenden Jahren ausgetragen werden sollte [...]. (S. 33)
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Die potentielle Unabschließbarkeit einer solchen Darstellung, in der sich für jeden Kontext immer weitere behandelbare Kontexte anbieten, ist mit dem ordnenden ›Nexus‹ zwischen Handlung, Denken, Wahrnehmung und Wirklichkeit nur unscharf beschränkt. Der Drang, Thesen und Argumente durch die Schilderung von Handlungskontexten verständlich, ja überhaupt erst bedeutsam zu machen, führt Peirce selten, James häufiger in einen narrativen Duktus, bei dem gerade der dramatische konkrete Reichtum der Schilderung desorientierend wirken kann.
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Peirce zieht immer wieder verschiedenfarbige Bohnen aus Säcken, wenn er die Zusammenhänge von induktivem, abduktivem und deduktivem Schließen erörtert:
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Das ist die Summe des von ihm beschriebenen Handlungskontexts, in dem Überzeugungen als Gewohnheiten bestehen. James hat bereits ein erzählerisches Interesse daran, etwa die Picknickgesellschaft auch atmosphärisch zu schildern, die sich darüber streitet, ob einer ein Eichhörnchen umrundet, wenn er einen Baum so umrundet, dass das Eichhörnchen immerzu auf die andere Seite des Stammes klettert und der Baum so stets zwischen den beiden bleibt: James erzählt, er habe die Gesellschaft belehrt, dies lasse sich nur mit einer pragmatistischen Unterscheidung lösen, und teilweise habe sie sich von ihm nicht beeindrucken lassen, sondern die Lösung als Spielverderberei abgelehnt.
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Pape erzählt an einer Stelle über zweieinhalb Seiten hinweg (11 – 13), wie er in Frankreich ein altes Bauernhaus renoviert hat, um am Ende aufzulösen, dass er nur durch die Einbettung des Hauses in seine seit der Erbauung unveränderte Umgebung erkennen konnte, wie es angesichts seiner natürlich Baumaterialien und der Ansprüche des Hangs, an dem es steht, diese Form erhalten konnte: Eine pragmatistische Erkenntnis. Zugleich eine erzählerische Bereicherung seines Textes in der Tradition von James, der es gelingen kann, philosophische Fragen ansprechend im besten Sinn zu popularisieren.
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So ist es kein Zufall, wenn die Leitfrage für den dritten und letzten Teil von Papes Buch lautet:
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Wie unterscheidet sich die Geschichte, die der Pragmatismus über den Menschen und seine Welt erzählt, von der Geschichte, die uns andere, traditionelle Richtungen des Philosophierens erzählen? (S. 341)
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Systematischer Pragmatismus und objektiver Idealismus
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Pape wehrt sich gegen Behauptungen, wonach der Pragmatismus eine skeptizistische, gar eine ›Antiphilosophie‹ oder nur eine wirklich rein methodologische Konzeption anstelle einer eigenständigen, neuen Philosophie sei. Selbst wenn der Pragmatismus traditionelle metaphysische Begriffe ablehne und an einer eindeutigen einheitlichen Wirklichkeit zweifle, seien dies wiederum starke metaphysische Positionen; und die Verwerfung einer substanztheoretischen, essentialistischen Wirklichkeitskonzeption sei kein rein negativer Vorgang, sondern unmittelbar mit einer prozessontologischen Konzeption von Wirklichkeit verbunden. Ja, wenigstens für Peirce gelte wenigstens für die Kategorien und die »logische Struktur, die über den Ereignissen liegt« (S. 339) ein ontologisches Primat.
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Eine systematische Einheit formuliert Pape für den Pragmatismus in einem einzigen »Kriterium für den klassischen Pragmatismus«:
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Die systematische Rolle der semantischen Unabhängigkeit von Handlungen [wonach die Faktizität einer Handlungsmöglichkeit vor jeder weiteren Bedeutung, also etwa der Wünschbarkeit einer Handlung, Vorrang genießt, S.P.] gegenüber dem Dualismus von Geist und Materie und jenem von Tatsachen und Zwecken ist das besondere Kennzeichen, von dem abhängt, was als klassischer Pragmatismus gelten kann und was nicht. (S. 344)
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Damit ist freilich der Dualismus selbst nicht abgewiesen. Ja, Pape argumentiert gar, dass alle klassischen Pragmatisten in diesem Sinne idealistische Positionen vertreten: Eine empiristische Reduktion nämlich unterschritte die Beziehung auf das Handeln, durch die die »Realität des Geistes für grundlegend und nicht aufhebbar« (S. 347) erklärt wird: »Indem der klassische Pragmatismus [...] die entscheidende semantische Rolle dem Handeln zuschreibt, vertritt er eine idealistische Auffassung des Verhältnisses von Geist und Wirklichkeit« (S. 351).
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Hiermit bleibt für den in vielen Schriften Peirce’ behaupteten radikalen Realismus jedoch der Universalienrealismus, der die Kategorien und die Qualitäten der ›Erstheit‹ als wirklich annimmt: »Röte, Tugend, Dreieckigkeit, das Gravitationsgesetz« (S. 360).
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Fazit
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»Man kann die ersten vier Kapitel dieses Buchs auch als Einführung lesen.« (S. 25; ähnlich S. 189). –»Womit jedoch nicht der Anspruch erhoben werden soll, dass dieser Band eine Einführung in den Pragmatismus liefert.« (S. 7). Das Buch ist problematischer Weise an manchen Stellen mehrfach adressiert: Teils wendet es sich als eine Einführung an Leser, die den Pragmatismus erst noch kennenlernen wollen. Es argumentiert an anderer Stelle gegen bestimmte Deutungen und Verwendungen in der Forschungsliteratur. Darüber hinaus weist es auf zahlreiche philosophiehistorische Verbindungen und Ereigniszusammenhänge hin und stellt zuletzt ein in dieser Form neues, idealistisches System des Pragmatismus vor. Die Darstellung bewegt sich daher in einer doppelten Alternation zwischen Peirce und James ebenso wie zwischen dominant historischen und dominant systematischen Abschnitten.
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Größtenteils gelingt
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dieser ›Nexus‹ und leitet sinnvoll und in gegenseitiger Erhellung das Frageinteresse, weil mit wirklich pragmatistischer Methode stets der Handlungszusammenhang, die praktische Dimension in der Entwicklung jedes Begriffs und jeder Überzeugung im Vordergrund steht. Gleichzeitig empfindet wohl fast jeder denkbare Leser in einigen Passagen, dass er nicht zur angesprochenen Zielgruppe gehört. Dass dabei auch jene, die sich bereits für Kenner des Pragmatismus halten, die Entwicklung der Grundbegriffe noch einmal in Papes spezifischer Rekonstruktion lesen und so die Grundlagen für seinen eigenen systematischen Entwurf als auch die Argumente gegen andere Lesarten von Anfang an folgerichtig präsentiert bekommen, ist sicher im Sinne des Erfinders und letztlich ein Gewinn.
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