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Eine Studie zu der literarischen Wahrnehmung
des Alpentourismus

  • Wolfgang Hackl: Eingeborene im Paradies. Die literarische Wahrnehmung des alpinen Tourismus im 19. und 20. Jahrhundert. (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 100) Tübingen: Max Niemeyer 2004. VI, 260 S. 16 s/w Abb. Kartoniert. EUR (D) 58,00.
    ISBN: 3-484-35100-4.
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Literatur zum Thema

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Die Alpen sind seit jeher ein wichtiges Sujet in der Literatur, der bildenden Kunst und der Philosophie. Die geistigen Bilder wie auch die Darstellung der Alpen haben, wie Wolfgang Hackls Studie Eingeborene im Paradies zeigt, wesentlich dazu beigetragen, dass die Alpen – einst als locus horribilis imaginiert – zum beliebten Reiseziel in Europa geworden sind. Das geht so weit, dass die Reise selbst, die erforderliche Infrastruktur und die Inszenierung des Reisens ebenfalls längst Thema der Literatur sind – insbesondere in der österreichischen Literatur, ein Land, in dem die Tourismusbranche seit den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg eine der größten und wichtigsten Wirtschaftssektoren ist.

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Es darf daher nicht verwundern, dass sich die literatur- und kulturwissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema Tourismus fast ausschließlich mit der österreichischen Literatur befassen. Ingo Thonhauser-Jursnicks Studie Tourismus-Diskurse zum Beispiel analysiert mit Hilfe des textlinguistischen Begriffs des Frames die Darstellung von Tourismus in verschiedenen Diskursen und zeigt den Wandel des Alpenraums vom »locus horribilis« zum »locus amoenus«. 1 Wolfgang Straub strukturiert seine Untersuchung Willkommen. Literatur und Fremdenverkehr in Österreich nach den unterschiedlichen, wiederkehrenden geographischen Topoi (zum Beispiel Berg, Tiroler Dorf, usw.) und liefert einen enzyklopädischen Überblick des Zusammenhanges zwischen Tourismus und Literatur in Österreich. 2 In meiner Dissertation Authenticity and the Critique of the Tourism Industry dagegen wird das Problem der Authentizität – ein zentrales Konzept in theoretischen Überlegungen zum Tourismus – als Leitbegriff in der Analyse der Kritik der Tourismusindustrie in der österreichischen Nachkriegsliteratur verwendet. 3 Gundolf Gramls (noch unveröffentlichte) Studie Remapping the Nation: Tourism, Space, And National Identity In Austrian Literature untersucht, mit Unterstützung von Performance Theory und Theorien der Nation, die Zusammenhänge zwischen Tourismus und nationaler Identität in diversen, überraschenden Text- und Performance-Beispielen – nicht nur in Literatur und Film, sondern auch anhand von Schüleressaywettbewerben sowie Reiseführungen zu den Plätzen des »Sound of Music« Filmes. 4

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Mit seiner Habilitationsschrift, Eingeborene im Paradies, hat der Innsbrucker Germanist Wolfgang Hackl, der in zahlreichen Artikeln schon früh zu diesem Forschungskorpus beigetragen hat, eine weitere Studie eingefügt, die, wie wir sehen werden, diese Forschung bereichert, wenn auch nicht unbedingt erweitert. Die weiteren Überschriften meiner Besprechung folgen den Kapitelüberschriften in Hackls Untersuchung.

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Literaturwissenschaft
als Kulturwissenschaft

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In diesem Kapitel beschreibt Hackl den inhaltlichen und methodologischen Rahmen seiner Arbeit. Sein Interesse »gilt weder einer stoff- und motivgeschichtlichen Erhebung noch der Perspektive der Reisenden, daher auch nicht der Wahrnehmung der Alpen und ihrer Bewohner in literarischen Standardwerken« (S. 8). Stattdessen interessiert ihn der »Perspektivenwechsel« (S. 9). Daher ist das Hauptanliegen seiner Arbeit die »Perspektive der Bereisten […] der Blick der Gastgeber auf die Gäste genauso wie die Inszenierungen der einheimischen Interessen« (S. 9). Um dieses Ziel zu verfolgen, verwendet Hackl – hier in Anlehnung an den New Historicism und die »thick description« des Ethnographen Clifford Geertz – einen breit angelegten Kulturbegriff und greift als methodische Orientierung die Diskursanalyse auf. Dieser Ansatz erlaubt ihm, sowohl kanonisierte als auch nicht kanonisierte Texte zum Gegenstand seiner Untersuchung zu machen und ein interdisziplinäres Verfahren anzuwenden, das die diversen Wissensgebiete einzufangen vermag, zu denen auch das Phänomen des Alpentourismus gehört.

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Dieses Kapitel enthält außerdem einen Exkurs zum Thema »Fremdheit« – ein Begriff, der für Hackls Studie zentral ist, weil er »Tourismus als temporäre Fremdheitserfahrung« (S. 13) sieht – sowohl für die Bereisten, als auch die Reisenden. Die Relevanz des Begriffes Fremdheit für Tourismus ist offensichtlich, und Hackls Überlegungen dazu sind solide, auch wenn dieser Begriff meines Erachtens nur unzureichend in seinen Analysen der Primärtexte angesprochen wird. Dort wird Tourismus zwar als Ort interkultureller Begegnung verstanden, aber nur abstrakt, was die spezifischen historischen und kulturellen Kontexte dieser Begegnung weitgehend außer Acht lässt.

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Bezüglich Hackls Textauswahl ergibt sich eine weitere Frage zum Thema Fremdheit. Mit nur wenigen Ausnahmen stammen alle Primärtexte von AutorInnen aus Österreich. Die politischen, kulturellen und historischen Bedingungen dieses spezifischen Raumes werden allerdings nicht reflektiert. Wenn Hackl »Fremdheit« als »Relationsbegriff« (S. 13) verstehen will, wäre zu erwarten, dass die Koordinaten (hier Österreich und die Herkunftsländer der Touristen), die diese Relation ausmachen, näher in Betracht gezogen werden. Doch diesen Aspekt lässt Hackl unberücksichtigt.

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Die Faszination der Alpen.
Ein kulturgeschichtlicher Abriss
zum Reisen in den Alpen

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Anhand zahlreicher Beispiele aus verschiedenen kulturellen und historischen Quellen skizziert Hackl, wie sich das Bild der Alpen langsam von einem furchterregenden Hindernis zu einem locus amoenus und einer Projektionsfläche des idealisierten Menschen wandelt. Hackls größtes Verdienst in diesem Kapitel ist es, dass er parallel zu diesem Wandel des Alpenbildes auch eine konzise Kulturgeschichte des Alpentourismus liefert – von den adeligen Kavalierstouren und Grand Tours im 16. und 17. Jahrhundert zu ihren bürgerlichen Nachfolgern im 18. und 19. Jahrhundert, von den frühen Alpinisten und möchtegern-alpinistischen Eroberern über die Sommerfrischler im späten 19. Jahrhundert hin zu den modernen Massentouristen von heute.

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Da dieses Kapitel als kurzer Überblick gedacht ist, darf man die Defizite nicht zu sehr bemängeln. Dennoch sticht eine Auslassung besonders ins Auge. Hackl widmet dem Skifahren zwar ein paar Sätze (S. 53), aber die Bedeutung der vielzähligen Attraktionen des Alpentourismus (vor allem im Wintersport) scheint mir zu kurz zu kommen, vor allem deshalb, weil die Mehrzahl der von Hackl besprochenen Primärwerke den Massentourismus reflektiert.

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Eine weitere Schwäche dieses Kapitels liegt in seiner Fokussierung beziehungsweise in seiner nicht klar definierten Fokussierung. Die früheren Beispiele in Hackls Kulturgeschichte konzentrieren sich naturgemäß auf die Schweiz, die späteren dagegen fast ausschließlich auf Österreich. Er geht aber auf die Besonderheiten und Bedingungen dieses geografischen Raumes nicht ein. So hätte Hackl doch Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Entwicklung des Alpentourismus in den verschiedenen Alpenregionen herausarbeiten und seine spätere Analyse von Texten österreichischer AutorInnen stärker fundieren können.

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Die Alpen als
literarische Landschaft

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Anhand literarischer Beispiele aus dem 19. und 20. Jahrhundert illustriert dieses Kapitel die Entwicklungen des Alpenbildes sowie des Alpentourismus’, die Hackl im vorhergehenden Kapitel identifiziert hat. Hackl beginnt mit Albrecht von Hallers Gedicht Die Alpen und einem kurzen Exkurs über Rousseaus Alpenbeschreibungen, um an zwei prominenten literarischen Werken die Umwertung des bis dahin herrschenden Alpenbildes aufzuzeigen. Weitere Untersuchungsschritte behandeln die Theaterstücke von Ferdinand Raimund, Bergnovellen von Adalbert Stifter, die »trivialen« Heidi-Romane Johanna Spryris, zwei Werke von Arthur Schnitzler, ein Stück von Ödön von Horváth und schließlich einen kurzen Ausblick (S. 94–6) auf Hermann Brochs Die Verzauberung.

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Am besten gelungen ist Hackls Interpretation von Raimunds Werken, hier insbesondere Der Verschwender (1828). Mit Verweisen auf den historischen Kontext und einleuchtenden Beispielen des damals gegenwärtigen Alpenbildes (illustriert mit einem Gemälde von G. F. Waldmüller) kann Hackl nicht nur die romantische Schwärmerei von Raimunds Hauptfigur entlarven, sondern auch die divergierenden Auffassungen der Alpen durch die Begegnung der reisenden Hauptfigur mit dem einheimischen »Weib« hervorheben, die sich in einem Satz kristallisieren: »Ah ja, s’ Gebirg wär schön. Wenn nur die Berg nicht wären! Man steigt s’ so hart« (S. 70). Mit dieser Stelle verweist Hackl auf die Kluft zwischen den Perspektiven der Reisenden und Bereisten.

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Bei einer Arbeit, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, hat es wenig Sinn, Defizite in der Textauswahl zu suchen. Zwei Punkte möchte ich dennoch erwähnen. Zum einen fehlt die Romantik in Hackls literaturgeschichtlichen Überblick. Hackl erinnert zwar daran, dass das Bild der Alpen in der Romantik schon ausgiebig besprochen wurde, doch die zentrale Bedeutung dieser Epoche für die geistige und literarische Auffassung der Alpen hätte mehr Platz in der Studie verdient. Zweitens befasst sich dieses Kapitel nur mit Literatur. Die gesamte Studie Hackls hingegen analysiert auch Werke aus anderen Medien. Was dieses Kapitel daher sehr bereichert hätte, wäre eine Auseinandersetzung sowohl mit den Bergfilmen vor und während der NS-Zeit als auch mit den touristisch angelegten (Heimat-)Filmen, die schon vor Beginn des Zweiten Weltkriegs eine gewisse Popularität erreicht hatten. Ein ideales Beispiel hierfür wäre Ralf Benatzkys Operette Im weißen Rößl aus dem Jahr 1930, die bereits1935 und schließlich mehrmals nach 1945 verfilmt wurde.

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»Eingeborene« und »Sommerfrischler«.
Die Alpen als Ort der Begegnung

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In diesem Untersuchungsabschnitt richtet sich Hackls Blick auf die Zeit der Jahrhundertwende. Mit seiner Untersuchung der satirischen Münchner Zeitschrift Simplicissimus sowie von Texten des Tiroler Autoren Reimmichl sowie Ludwig Thoma geht Hackl zum ersten Mal in seiner Studie näher auf die Problematik der Beziehung zwischen Gast und Gastgeber ein, die im fünften Kapitel um ein weiteres verifiziert wird.

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Hackls Interesse an der Zeitschrift Simplicissimus liegt darin, »Grundmuster des Verhaltens von Gästen einerseits und von Bereisten andererseits« (S. 114) aufzuzeigen. Mit verschiedenen Text- und Bildbeispielen lassen sich Muster erkennen, unter anderem bei der Kleidung und Sprache oder des Lebensstils, an denen die Perspektiven des Reisenden und des Bereisten deutlich werden. Dabei muss angemerkt werden, dass sich die Karikatur besser dafür eignet, ein satirisches Bild der Reisenden zu geben. Die Textbeispiele aus dem politisch-satirischen Blatt Simplicissimus erlauben Hackl daher nur einen sehr beschränkten Blick auf den Bereisten. So kann Hackl hier nur zeigen, wie die Gastgeber ihre Gäste als lächerliche Schwärmer sehen oder ihre Arglosigkeit ausnutzen.

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Die Begriffe »Gast« und »Gastgeber«, wie Hackl sie in diesem Kapitel benutzt, verweisen nochmals auf die bereits erwähnte Schwäche seiner Studie. Diese Beschreibungen schließen nämlich den kulturhistorischen Kontext der Beziehung (hier zum Beispiel zwischen Österreichern und Preußen oder Engländern) aus, also gerade diejenige, die Hackl doch eigentlich interessiert. In diesem Kapitel gibt es eine Unterüberschrift über »Exotik der Nähe« (S. 104–106), aber die Koordinaten dieses speziellen Verhältnisses werden, wie bereits erwähnt, nicht weiter erörtert. Erst im letzten Absatz des Kapitels schreibt Hackl, dass »der Tourismusdiskurs gerade im Simplicissimus oft überlagert ist von der Reflexion politischer Spannungen im Deutschen Reich zwischen Preußen, Sachsen und Bayern« (S. 115). Die Analyse dieses relativen Verhältnisses gelingt Hackl dagegen im nächsten Abschnitt.

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Der Gast als Bedrohung

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Texte des Autoren und Priesters Sebastian Rieger (a.k.a. Reimmichl) wie auch der Roman Altaich von Ludwig Thoma dienen Hackl als Untersuchungsgegenstand seines fünften Kapitels. Die Textbeispiele sowie ein kurzer Hinweis auf die Satire Fern von Europa von Carl Techet (a.k.a. Sepp Schluiferer) ermöglichen es Hackl, literarische Reflexionen aus der Perspektive der Bereisten zu beleuchten. Gerade am Beispiel Reimmichls können wir sehen, wie Tourismus und seine Infrastruktur als Bedrohung der einheimischen (in diesem Fall Tiroler) kulturellen Identität dargestellt werden. Es handelt sich dabei um eine Vorstellung, die sich in der Tourismuskritik ständig wiederholt. Reimmichls Idealisierung eines heilen, bäuerlichen Tirols mit seinem Nationalhelden Andreas Hofer erweisen sich, wie Hackl gekonnt zeigt, als Instrument eines konservativen Kulturkampfes gegen die Moderne und für die Erhaltung der Hegemonie der katholischen Kirche.

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Die Fremden kommen

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In diesem Kapitel widmet sich Hackl dem Phänomen Massentourismus in Österreich und den wirtschaftlichen, kulturellen und sozialpsychologischen Folgen für die Bereisten. Die literarische Auseinandersetzung mit dem Massentourismus »reflektierte und karikierte zum einen die Mechanismen der (medialen) Inszenierung des Alpentourismus und warf zum anderen einen kritischen Blick auf die ›Hinterbühne‹ dieser Inszenierung« (S. 152). Hackl illustriert diese Auseinandersetzung durch die Analyse verschiedener Texte aus den 1950ern bis 1990er Jahren. Hier werden Kabarettstücke von Helmut Qualtinger, kürzere und längere literarische Texte, ein Kurzfilm wie auch ein mehrteiliges Fernsehspiel gesichtet, wobei die Untersuchung dieser Werke oft mit Analysen anderer Texte als Gegenbeispiele oder Kontextergänzungen kombiniert werden. Diese vergleichende Betrachtung kann zu gewinnbringenden Einsichten führen, wie zum Beispiel die vergleichende Analyse von O. P. Ziers Satire mit einem Werbespott (S. 152–155), aber auch zu einer bloßen Aneinanderreihung ähnlicher Werke, so beispielsweise in der Diskussion über ein Poplied von Rainhard Fendrich im Zusammenhang mit Norbert Gstreins Erzählung Einer (S. 165–166).

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Obwohl Hackl sich bei der Auswahl der Literaturbeispiele unterschiedliche Textsorten berücksichtigt, sind die Ergebnisse nicht ganz zufrieden stellend. Die Texte, die in diesem Kapitel besprochen werden, setzen sich zweifellos alle mit dem Phänomen des Massentourismus’ auseinander. Doch Hackls Besprechung konzentriert sich vor allem auf die satirische Darstellung der touristischen Inszenierung und nicht, wie seine Kapitelüberschrift vermuten lässt, auf die Begegnung der Einheimischen mit den Fremden. Darüber hinaus leiden die Ausführungen an einer deutlichen Unebenheit und Uneinheitlichkeit der analytischen Vorgehensweise. Die Diskussion von Qualtingers Kabarett enthält eine relativ langatmige Erörterung des Themas Industrialisierung sowie der Anwendung des Tourismusbegriffs, während Norbert Gstreins Einer über weite Teile nur referiert wird. Kurzfilm und Fernsehspiel unterliegen aber beide einer strengen film- oder fernsehästhetischen Bewertung.

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Diese methodisch nicht schlüssige Herangehensweise Hackls hat Konsequenzen bei seiner Untersuchung des vierteiligen Fernsehspiels Die Piefke-Saga. Dieses wohl bekannteste Werk über Tourismus in Österreich wurde von Felix Mitterer geschrieben und von Wilfried Dotzel sowie Werner Masten verfilmt – ein struktureller Unterschied, der in Hackls Studie nicht deutlich wird. Hackl hebt zu Recht das Kolonialisierungsmotiv im Fernsehspiel hervor und verweist mit einer gewissen Berechtigung darauf, dass das Fernsehspiel oftmals klischeehafte Bilder für eine »belehrende Didaktik« nutzt (S. 173). Seine These aber, dass Die Piefke-Saga als satirisches Fernsehspiel letztendlich scheitert, weil dieses fernsehästhetisch zu konventionell bleibt, scheint mir weniger überzeugend. Hackls Argumente, die sich hauptsächlich auf den ersten Teil des Fernsehspiels beziehen, übersehen meiner Meinung nach die thematischen und formellen Unterschiede der vier Teile, hier Satire, Komödie, Tragödie, Dystopie. Darüber hinaus kann ich Hackls Ansicht nicht teilen, dass Mitterers Geschichte die Möglichkeiten der Mehrteiligkeit einer Fernsehsendung qualitativ nicht ausnutzt, weil hier keine Entwicklung, sondern nur eine »Aneinanderreihung von Episoden« stattfinde (S. 172). Die Piefke-Saga, so finde ich zumindest, bietet sehr wohl eine breit angelegte Entwicklung, an der man die verschiedenen Erscheinungen des Alpentourismus aus der Perspektive der Gäste und Gastgeber erkennen kann. Außerdem weist dieses Werk zahlreiche Parallelen mit anderen Literaturbeispielen aus Hackls Studie auf (zum Beispiel mit Brochs Verzauberung oder mit Reimmichls Kulturkritik), die durchaus konstruktive Vergleiche ermöglicht hätten.

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Der Schein trügt

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Wenn im vorigen Kapitel eine einheitlichere methodische Struktur von Nutzen gewesen wäre, kann man das nicht für die folgenden zwei behaupten. Was Hackls letzte zwei Kapitel methodologisch und inhaltlich teilen, sind textnahe Interpretationen und eine Untersuchung von Werken, die die Inszenierung, ja sogar Ausbeutung, der Natur durch den Tourismus und die Tourismuswerbung problematisieren.

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Kapitel 7 beginnt mit Hackls Überlegungen über die Beziehungen zwischen den Medien, vor allem von Film und Werbung sowie Literatur, wobei er das Potential der Literatur hervorhebt, welches darin liege, »die Strukturen und Mechanismen [der touristischen Inszenierung der Natur] kritisch zu hinterfragen und bloßzustellen« (S. 179). Dieses Potential illustriert Hackl in seiner Analyse der Lyrik von norbert c. kaser und Ernst Jandl. Am besten gelungen ist seine Besprechung von kaser, die dessen Einstellung zu Südtirol und zur Südtiroler Literatur beleuchtet, um dann seine Dekonstruktion der Naturmythen im Tourismus und im Südtiroler Selbstbewusstsein zu zeigen. Mit der Besprechung von Jandls Gedichten gastein: stubnerkogel und salzburger balkone kann Hackl darüber hinaus die touristische Demontage des Dichters herausarbeiten und sogar Verweise auf stilistische Traditionen des Expressionismus identifizieren.

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Nirgends das Echte
vom Bildschirm

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In ihrer Rolle zwischen enfant terrible und inzwischen auch grande dame der österreichischen Literatur hat Elfriede Jelinek mehrmals Alpenbilder und die Tourismusindustrie in ihren Werken thematisiert. Hackls abschließendes Kapitel widmet sich dem Werk Jelineks und konzentriert sich hierbei nicht nur auf ihre neueren Werke zu diesem Thema, sondern bezieht auch eines ihrer früheren Stücke, nämlich Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr (1986), ein. Hackl analysiert diesen Text im Rahmen von Jelineks Rezeption Theodor Adornos und vor allem Roland Barthes Mythen des Alltags. So kann Hackl Jelineks radikale Entmythologisierung der Natur erläutern, womit es ihm ferner gelingt darzustellen, wie Jelineks Mythenzertrümmerung nicht nur auf den Tourismus zielt, sondern auch auf die verklärenden Traditionen der Naturlyrik und auf die ihren LeserInnen schon bekannten Themen Antisemitismus und Verdrängung des Nationalsozialismus. Besonders wichtig finde ich hierbei Hackls Hinweis auf Jelineks Thematisierung der Frau im Tourismusbetrieb (S. 205–207), ein Thema, das – wie die tatsächliche Arbeit der Frauen in dieser Branche – in den vielen, hauptsächlich von männlichen Autoren geschriebenen literarischen Werken nicht sichtbar wird.

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Fazit

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Trotz meiner Einwände bezüglich Hackls Textauswahl und seiner gelegentlichen methodologischen Unschärfen möchte ich festhalten, dass Hackls Auseinandersetzung mit der literarischen Wahrnehmung des alpinen Tourismus zu einer interessanten Arbeit geführt hat, die wichtige Ergebnisse und neue Fragestellungen ans Licht bringt. Hackls Textauswahl, insbesondere die Einbeziehung von Texten der Gegenwartsliteratur, mag zwar nicht überraschend sein, aber seine Untersuchung kann doch einige durchaus wichtige Entdeckungen und Verknüpfungen mit Fragen anderer Disziplinen aufweisen. Ohne es explizit beabsichtigt zu haben, zeigt seine Studie schließlich, dass Tourismus ein zentrales Thema in der österreichischen Literatur- und Kulturgeschichte darstellt. Seine Studie hat daher zur Erweiterung des Forschungsgebiets der österreichischen Literatur wie auch zur Geschichte des Tourismus und seinen Folgen beigetragen.



Anmerkungen

Ingo Thonhauser-Jursnick: Tourismus-Diskurse: Locus amoenus und Abenteuer als Textmuster der Werbung, der Trivial- und Hochliteratur (Europäische Hochschulschriften. Band 1636) Frankfurt, Berlin, Bern: Peter Lang 1997.   zurück
Wolfgang Straub: Willkommen. Literatur und Fremdenverkehr in Österreich. Wien: Sonderzahl 2001.   zurück
Nikhil Sathe: Authenticity and the Critique of the Tourism Industry in Postwar Austrian Literature. (unveröffentlichte Dissertation) The Ohio State University 2003.   zurück
Gundolf Graml: Remapping the Nation: Tourism, Space, And National Identity In Austria After 1945. (unveröffentlichte Dissertation) University Of Minnesota 2004.   zurück