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Die Kunst des Mordens

  • Dennis Uhlemann: Kreatives Töten im Splatterfilm der 80er Jahre. Eine filmwissenschaftliche Untersuchung. (Filmwissenschaft 12) Köln: Teiresias 2004. 133 S. 28 s/w Abb. Paperback. EUR (D) 17,90.
    ISBN: 3-934305-45-8.
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Filmästhetische Horrorfilm-Analyse
als Forschungsdesiderat

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Was haben Kettensägen, Fernsehantennen, elektrische Bohrmaschinen, Schlittschuhe, Gartenscheren, Schaschlikspieße und Radspeichen gemeinsam? Sie alle »ergeben einen abwechslungsreichen Fundus an kreativen Mordmöglichkeiten« (S. 113 f.). Unbeeindruckt von naheliegenden moralischen Implikationen des Themas möchte Dennis Uhlemann am Beispiel des »Splatterfilms der 80er Jahre« das ›Töten als filmästhetisches Motiv‹ analysieren.

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Dieses Vorhaben macht neugierig, dominiert doch nach wie vor die Orientierung an Methoden der quantitativen Inhaltsanalyse 1 und wirkungsorientierten Rezeptionsforschung 2 die wissenschaftliche Literatur zu ›Gewalt in den Medien‹. Zwar haben inzwischen ethnomethodologische Fanstudien im Gefolge der ›Cultural Studies‹ im Bereich der Publikumsforschung viele pauschale Kausalitätsunterstellungen zurecht rücken können, indem sie ohne den üblichen kulturkritischen Impetus den Gründen für die ungebrochene Popularität des Horror-Genres bei ihren (zumeist jugendlichen) Fans nachgingen. 3 Genuin filmästhetische Untersuchungen zum Horrorfilm-Genre, wie sie der Autor in Aussicht stellt (vgl. S. 24), sind jedoch immer noch ein Forschungsdesiderat. Denn nur sehr wenige werkorientierte Arbeiten, sieht man einmal von populärwissenschaftlichen Beiträgen 4 zum Thema ab, rücken die Filme als ästhetische Werke ins Zentrum ihrer Analysen. Denn in der Regel dienen diese ›inhaltistischen‹ Filmanalysen dazu, das Genre anschließend entweder moralisch zu verteufeln 5 oder umgekehrt als Hort der Subversion zu idealisieren, 6 es gar zur letzten Bastion der Gesellschaftskritik zu erklären. Damit gelingt es aber beiden Zugängen nicht, die Filme als das ernst zu nehmen, was sie primär sein wollen: als Unterhaltung mit genrespezifischen Charakteristiken. Die Unterhaltungsfunktion erscheint diesen Beobachtern als so banal, dass sie sie unbedingt durch ›seriösere‹ Diskurse ersetzt sehen wollen.

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Detail- statt Narrationsanalyse

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Von derlei bombastischem Überbau ist die Arbeit Uhlemanns erfreulicherweise relativ frei. Auch das bei einigen Apologeten des Genres häufig anzutreffende Argument, Kritiker würden einfach nur einzelne, aus dem Zusammenhang gerissene Szenen zitieren, wird von Uhlemann – wenn auch eher implizit – geschickt konterkariert: denn nicht auf den Erzählzusammenhang komme es beim Splatterfilm an (vgl. S. 56), 7 sondern genau auf diese einzelnen spektakulären Mord-Szenen, um die herum die Handlung meist gestrickt werde (S. 92).

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Wohl nicht zu Unrecht unterstellt der Autor den – idealistischen Kunstauffassungen verpflichteten – Kritikern des Genres »einen heftigen Affekt gegen ein Kino der dekorativen Einstellungen« (S. 11). In der Tat kommt man der Faszinationskraft dieses Subgenres nicht auf die Spur, wenn man sie mit herkömmlichen Methoden der Narratologie analysiert – hier kommt es eher auf die Untersuchung der »Intertextualität« (S. 46) an. Der Autor kann am Beispiel der wichtigsten Paratexte für den ›Blut und Ekel‹-Film, Kinoplakat und Videocover (S. 95), diese These überzeugend untermauern und versäumt es in diesem Zusammenhang auch nicht, auf die Bedeutung der Zeitdimension für dieses Genre hinzuweisen: »Innovation« findet hier vornehmlich auf der Ebene der »Gewaltinszenierung« statt (S. 71).

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Von seinem Ansatz ist der Autor aber offensichtlich selbst nicht so ganz überzeugt, denn erst auf Seite 80 der insgesamt 133 Seiten umfassenden Arbeit kommt er endlich auf seinen eigentlichen Untersuchungsgegenstand, die »kreativen« Variationen der im Splatterfilm dargestellten Tötungsarten, zu sprechen. Zuvor werden kreuz und quer, ohne einen rechten Zusammenhang, Stichpunkte aus der Literatur zum Horror-Genre kompiliert. Ganz abgesehen davon, dass hier viele einander widersprechende Thesen kommentarlos aneinandergereiht werden – für das Erkenntnisinteresse der Arbeit ist der Großteil dieses anderswo sehr viel konziser dargebotenen Forschungsüberblicks einfach irrelevant: Der »Gender«-Diskurs etwa ist zwar ein beinahe obligatorischer Gesichtspunkt der Forschung zu diesem Genre, für Uhlemanns Vorhaben ist er aber völlig überflüssig, und doch widmet er diesem Punkt ein eigenes Kapitel. Andererseits wird Manches, was für die anvisierten Analysen wichtig sein könnte, der Aspekt der »Serialität« etwa (S. 67 ff.), später nicht angemessen gewürdigt. Gerade am Beispiel der Serialität ließe sich der für das Genre insgesamt charakteristische Variationsdruck überzeugend vorführen. In seiner Untersuchung zum fünften Teil der Friday, the 13th-Saga greift Uhlemann diese Option, obwohl sie sich geradezu aufdrängt, leider nicht richtig auf.

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Überhaupt entpuppen sich die Detailuntersuchungen anhand der ausgewählten fünf Filme als schlichte, wenn auch sehr plastische Szenen-Beschreibungen (S. 99–115). 8 Angeblich wurde den Analysen ein Fragenkatalog zugrundegelegt (S. 21), jedoch wird keine dieser Fragen bei den späteren Analysen systematisch berücksichtigt. Von »Einstellungs- und Sequenzprotokollen«, wie sie auf dem Klappentext angekündigt werden, kann bei diesen kurzen Impressionen auch keine Rede sein. Zudem fragt man sich, warum ein offensichtlicher Kenner der Materie – der Autor positioniert sich gleich im Vorwort als Fan des Genres (S. 7), auch die Herausstellung zahlreicher, oftmals in die Fußnoten verbannter Querverbindungen zwischen einzelnen Filmen zeugen von Kennerschaft – die Inhaltsangabe eines Films aus einem Filmlexikon 9 abschreiben muss, und dies auch noch falsch (S. 104),

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Missglückte Begriffsarbeit

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Überrascht ist man auch über die Pointe der Begriffsarbeit: Der Autor möchte den für die Untersuchung zentralen Begriff des ›kreativen Tötens‹ »wissenschaftlich«, wie er auffallend häufig betont (S. 13, 18, 28, 118), definieren. An entscheidender Stelle dient Uhlemann jedoch allen Ernstes die zum »Ansatz« stilisierte Brockhaus-Definition von Kreativität als Ausgangspunkt für die eigene Begriffsbestimmung: »Der Bezug zur Lösung eines Problems, für den Splatterfilm also die Darstellungsweise des Tötens, kann aus der Brockhaus-Enzyklopädie herausinterpretiert werden« (S. 81).

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Obwohl der Begriff des »creative death« bzw. »creative killing« (S. 97) von anderen Autoren 10 sehr wohl definiert wird, wenn auch eher operational, nämlich anhand von Beispielnennungen, ist Uhlemann mit solchen Definitionsanstrengungen offenbar nicht zufrieden. Eine völlig andere Definition erarbeitet er freilich auch nicht, orientiert er sich letztlich doch am »Definitionsversuch von Nikele« (S. 84), denn: »Erst Nikele entfernte sich von dem englischsprachigen Begriff [...]«(S. 97). 11 Sind das die Ansprüche, an denen man künftig die Beiträge zur Wissenschaft beurteilen soll: die Eindeutschung angelsächsischer Begriffe?

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Enorme formale Mängel

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Was Uhlemann neben diesen methodologischen Mängeln seinen Lesern auf der formalen Ebene seiner Arbeit zumutet, ist ebenfalls bemerkenswert. Dass Sätze nicht zu Ende geschrieben werden (z.B. S. 35), kommt in den besten Arbeiten vor; auch dass ein nicht gerade kurzer Fußnotentext zwei Mal hintereinander platziert wird (S. 41), kann passieren; über die zahllosen Tautologien wie »untergeordnetes Subgenre« (S. 64) oder »todbringende Mordinstrumente« (S. 98) kann man hinwegsehen; dass »konstituieren« mit ›konstatieren‹ verwechselt wird (S. 99), statt von ›Lebensabschnitt‹ von »Lebensunterbrechung« die Rede ist (S. 7) – alles nicht weiter schlimm. In der Arbeit wimmelt es jedoch dermaßen von grammatikalischen, logischen und stilistischen Fehlern, dass man große Probleme hat, dem Text zu folgen.

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Stilistisch hat die Arbeit in etwa das Niveau eines Schüleraufsatzes, über weite Strecken wirkt sie gar wie eine Parodie auf wissenschaftliche Texte. Hier einige Kostproben: »Für die Stichprobe wurden nur Filme gesichtet, deren Produktionsjahr in den 1980er Jahren lag« (S. 22). Nur zwei Zeilen weiter heißt es: »Als nachteilig erwies sich dieser Weg der Eingrenzung jedoch bei Filmen der 1990er und frühen Jahre des neuen Jahrtausends«. Wer hätte das gedacht! Die Nachahmung des wissenschaftlichen Jargons führt fast immer zu schwer verständlichen Stilblüten:

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Die Faszination der Darstellung des (realen) Tötens, hervorgerufen durch menschliche Aggression, änderte sich im Laufe der Jahrhunderte nicht. Ihr oblag es vielmehr, durch die Erfindung des Kinematographen, in einem anderen Medium neu zur Geltung zu kommen – hier allerdings in fiktiver Form. (S. 18)
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Wem oder was oblag hier etwas? Der Faszination? Was wird »durch menschliche Aggression« hervorgerufen: die Faszination an der Darstellung des Tötens oder das Töten selbst? Auch der folgende Exkurs über die Erfindung der Guillotine ist an unfreiwilliger Komik kaum zu überbieten: »Als perfekte Exekutionsform war die mechanische Enthauptung ein großer gesellschaftlicher Erfolg, wenngleich sie auch als extrem feucht auf Grund der Blutfontänen empfunden wurde« (S. 85).

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Fazit

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Dass filmwissenschaftliche Arbeiten inzwischen kein publizistisches Schattendasein mehr fristen müssen, dass jedes noch so exklusive Thema auf diesem Gebiet eine publizistische Plattform findet, ist für den Interessierten ein erfreuliches Phänomen, keine Frage. Aber man ist schon erstaunt, dass diese filmwissenschaftliche Untersuchung (so der Untertitel der Studie) ohne jedwede Überarbeitung erscheinen konnte. An einer Stelle (S. 24) seiner Arbeit moniert Uhlemann, dass »im deutschsprachigen Raum über viele Jahre nur unzulängliche Bücher zu dem Thema veröffentlicht« wurden. Sein Buch macht da leider keine Ausnahme. Das ist angesichts des überaus interessanten Themas und der äußerst sympathischen Ausgangsprämisse des Autors sehr schade.



Anmerkungen

Vgl. nur die aufsehenerregende Studie von Jo Groebel / Uli Gleich: Gewaltprofil des deutschen Fernsehprogramms. Eine Analyse des Angebots privater und öffentlich-rechtlicher Sender. Opladen: Leske + Budrich 1993.   zurück
Als ersten Überblick über die eigentlich kaum überschaubare Forschungsliteratur zu diesem Thema: Michael Kunczik: Gewalt und Medien. 4., aktual. Aufl. Köln u.a.: Böhlau 1998.   zurück
Siehe als eine der ersten deutschsprachigen Publikationen, die sich den Horror-Fans widmet: Waldemar Vogelgesang: Jugendliche Video-Cliquen. Action- und Horrorvideos als Kristallisationspunkte einer neuen Fankultur. Opladen: Westdeutscher Verlag 1991. Vgl. auch die grundlagentheoretisch ambitioniertere Monografie von Rainer Winter: Der produktive Zuschauer. Medienaneignung als kultureller und ästhetischer Prozeß. München: Quintessenz 1995.   zurück
Exemplarisch erwähnt sei hier die vielzitierte essayistische Genreuntersuchung von Stephen King: Danse Macabre. Die Welt des Horrors in Literatur und Film. München: Heyne 1988.   zurück
Vgl. als Extrembeispiel für diese Position Werner Glogauer: Kriminalisierung von Kindern und Jugendlichen durch Medien. Wirkungen gewalttätiger, sexueller, pornographischer und satanischer Darstellungen. 4. Aufl. Baden-Baden: Nomos 1994.   zurück
Vgl. etwa Werner Faulstich: Der Spielfilm als Traum. Interpretationsbeispiel: George A. Romeros ›Zombie‹. In: medien + erziehung, 29. Jg. (1985), H. 4, S. 195–209. Das Subversive des Phantastischen allgemein gehört spätestens seit Rosemary Jacksons wegweisender Studie zum Topos auch der Literaturwissenschaften; Rosemary Jackson: Fantasy. The Literature of Subversion. London / New York: Methuen 1981. Auch Philip Herdina gilt das Phantastische (neben Satire und Utopie) im Sinne Michel Focaults als eine Form des »Gegendiskurses«; Philip Herdina: Methodenprobleme der Literaturwissenschaft (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Sonderheft 78) Innsbruck: Institut für Sprachwissenschaft 1991, S. 141–190.   zurück
Hier zeigt sich, dass selbst Autoren, die mit dem Horror-Genre sympathisieren, in der Regel eine ›Zwei-Kulturen-Theorie‹ vertreten, in der Splatterfilme pejorativ vom avancierten Horrorfilm abgegrenzt werden. Typisch sind Äußerungen wie: »Die wesentliche Frage ist nicht die, ob Gewalt dargestellt wird oder nicht, sondern ob sie Selbstzweck ist oder innerhalb eines Handlungsablaufes eine Funktion hat«; siehe Hans D. Baumann: Horror. Die Lust am Grauen. Weinheim / Basel: Beltz 1989, S. 24.   zurück
Neben dem erwähnten Friday, the 13th Part 5: A New Beginning (1985) gehören zum Untersuchungskorpus von Uhlemann noch Happy Birthday To Me (1981), Lo Squartatore Di New York (1981), Anthropophagus 2 (1981) und Intruder (1988) – müßig zu erwähnen, dass es sich bei diesen Werken allesamt um indizierte Filme handelt (vgl. auch S. 23).   zurück
Ronald M. Hahn / Volker Jansen: Lexikon des Horrorfilms. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe 1989.   zurück
10 
John MacCarty: Movie psychos and madmen: Film psychopaths from Jekyll and Hyde to Hannibal Lecter. Secaucus: Carol 1993 und Rüdiger Dirk / Claudius Sowa: Teen Scream. Titten und Terror im amerikanischen Kino. Hamburg / Wien: Europa 2000.   zurück
11 
Bezug genommen wird hier auf Manuela Niekele: Horrorfilme als kultisches Phänomen der Gegenwart: Eine medienpädagogische Betrachtung. Alfeld: Coppi-Verlag 1996.   zurück