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Eine neue Studie über Konrads von Megenberg 'Buch der Natur'

  • Ulrike Spyra: Das »Buch der Natur« Konrads von Megenberg. Die illustrierten Handschriften und Inkunabeln. (pictura et poesis 19) Köln / Weimar: Böhlau 2005. VI, 488 S. 113 s/w Abb. Gebunden. EUR (D) 64,90.
    ISBN: 3-412-15104-1.
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Einleitung

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Konrads von Megenberg um 1350 entstandenes ›puoch von den natürlichen dingen‹ gilt gemeinhin als eines der ersten, sicherlich als das prominenteste Naturkompendium deutscher Sprache. Bereits in handschriftlicher Form überaus weit verbreitet, avancierte das Werk bereits im letzten Viertels des 15. Jahrhunderts zu einem Bestseller des noch jungen Buchmarktes für Druckwerke. Die handschriftliche Überlieferung riss damit, wie das vielfach in der Zeit der Frühdrucke gerade bei besonders stark nachgefragten Werken beobachtet werden kann, keineswegs ab. Und so sind noch etwa 80 Handschriften und Fragmente auf uns gekommen, rund ein Drittel davon in unterschiedlichem Umfang bebildert. Sie haben schon vielfach und aus ganz unterschiedlichen Richtungen das Interesse der Forschung auf sich gezogen.

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Eine neuerliche Arbeit über dieser Handschriftenüberlieferung des ›Naturbuches‹ bedarf dann auch expliziter Rechtfertigung, denn die letzte Sichtung zumindest der handschriftlichen Überlieferungssituation durch Gerold Hayer ist kaum einmal ein Jahrzehnt alt. 1 Während es Hayer freilich vornehmlich um die Textgeschichte und die Abhängigkeiten der unterschiedlichen Textklassen untereinander bestellt war, nimmt Ulrike Spyra in der vorliegenden Untersuchung vor allem das Bildprogramm der illustrierten Handschriften in den Blick. Die Inkunabeldrucke geraten dabei – das sei vorweggeschickt – im Vergleich zur handschriftlichen Überlieferung dankenswerterweise nicht ins Hintertreffen. Bei allen Einschränkungen, die das Medium der Individualität des Bildprogramms diktiert, müssen sie dennoch als gleichberechtigte Überlieferungszeugen gelten.

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Der Untersuchungsteil (S. 4–247)

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Das einleitende Kapitel (S. 3–42) vermittelt Grundlageninformation und Forschungsstand zu Leben und Werk Konrads sowie zur Einordnung des ›Buch der Natur‹ in den Literaturhorizont des deutschen Spätmittelalters. Leider unternimmt Spyra nach dem Referat der unterschiedlichen gattungstypologischen Zuweisungsversuche keine eigenen Schritte in die Richtung einer literatursystematischen Einordnung des ›Naturbuches‹, sondern zieht sich – das freilich zu Recht – auf die Problematik der Quellenkritik zurück (S. 29 ff.).

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Betrachtet werden darauf die illustrierten Handschriften, wobei die Untersuchung sinnvoll auf jene Handschriften beschränkt wird, deren Illuminationen über eine rein ornamentale oder doch im höchsten Falle gliedernde Funktion (Drôlerien, Schmuckinitialen etc.) hinausgehen. Anhand von sechs Einzelstudien an konkreten Handschriften(-gruppen) sowie einem breiten Blick über die Bildüberlieferung der Inkunabeln sucht Spyra der oszillierenden Relation von Text und Bild auf die Spur zu kommen (S. 97–173). Für die handschriftliche Überlieferung ließen sich dabei zwei Tendenzen feststellen: Zum einen rückte die Bebilderung neben der stetigen künstlerischen Ausdifferenzierung (Hintergründe etc.) auch in ihrer Präsenz weiter in den Vordergrund. Die wachsende Größe der Bebilderung, die vom Rand des Textes in die Mitte bis hin zu ganzseitigen Darstellungen fortschritt, bot dabei auch neue Möglichkeiten nicht nur der Bildtiefe, sondern auch zur Ausgestaltung narrativer Szenen (S. 168). Besonders interessant bleibt Spyras Befund, die Illustrationen gingen von einer diametral anderen Naturvorstellung aus als Konrad selbst, der sein Buch ursprünglich (und möglicherweise auch deshalb) ohne Illustrationen konzipiert hatte. Die Illustrationen wiesen deutlich enzyklopädische Interessen auf, während Konrads Naturbegriff »weniger die Gesamtheit der von Gott geschaffenen Dinge, als vielmehr deren Eigenart und Wesen« umschloss (S. 169). Moralisch-allegorische Illustrationen aber spielten in den Handschriften des ›Buch der Natur‹ eine deutlich untergeordnete Rolle.

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Das vielfach zu beobachtende Eigenleben der Bilder gegenüber dem Text wiederum führt Spyra zur Frage nach Bildtypen und -vorlagen (S. 174–215). Betont werden dabei vor allem Bildtypen antiker Enzyklopädik, während einzelne Manuskripte, wie beispielsweise die Kameljagd in der Stuttgarter Handschrift (S. 196 f.), gar auf literarische Vorlagen zurückgreifen. Dass Bartholomäus Anglicus zu den literarischen Quellen Konrads gezählt werden muss, hat bereits Georg Steer dargelegt. 2 Spyra weist nun auch eine Verbindung zwischen der bildlichen Darstellung in den Handschriften, vor allem im Initialschmuck auf (S. 204 f.). Auch Bestiarien-Handschriften – das wiederum vermag weniger zu verwundern – zählen zu den Quellen der Darstellung. Mit Blick auf die inneren Verbindungen zwischen den Illustrationen der Naturbuch-Überlieferung kann Spyra die Holzschnitte der Inkunabeln auf die Bilder der Lauber-Werkstatt und des Heidelberger Cpg 311 zurückführen (S. 210 f.). 3 Andererseits kann die Verfasserin auch die bereits von Lieselotte Saurma-Jeltsch gemachte Beobachtung, dass nicht einmal für die Hagenauer Werkstatt Diebold Laubers ein einheitliches Bildprogramm der dort hergestellten Handschriften festzumachen sei, mit großer Sicherheit belegen (S. 128–144). Saurma-Jeltsch hatte die unterschiedlichen Wünsche der Auftraggeber als Grund vermutet. 4 Etwas knapp greift die globale Zuschreibung, sowohl das ›Naturbuch‹ als auch dessen Vorlage, der ›Liber de natura rerum‹, seien »von neuplatonischem Gedankengut« geprägt. Denn erschöpfte sich dieser tatsächlich darin, dass für Megenberg »die Merwunder keine exotischen Fabelwesen, sondern Sinnbilder der Menschen schlechthin« seien (S. 170), so liefe der Neuplatonismus Gefahr, rasch Allgemeinplatz zu werden.

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Mit der Frage nach der Rolle von Auftraggebern, Rezipienten und Lesern für das Bildprogramm der illustrierten Handschriften wirft Spyra ein interessantes Problem auf, dessen Beantwortung allerdings leider recht rasch an seine Grenzen stößt. Denn wenn beispielsweise die pfälzischen Wittelsbacher als Auftraggeber des Heidelberger Cpg 300 »eine Vorliebe für Vögel« in den Abbildungen gehabt haben mögen (S. 240), so ist diese Beobachtung zwar durch die auffällige Häufigkeit entsprechender Darstellungen im Lauber-Manuskript durchaus plausibel, führt allerdings auch nicht viel weiter. Im Einzelfall aber können die Bildbetrachtungen auch Aufschluss über Benutzer- und Auftragsgeberkreise vermitteln. Bereits Hayer hatte gezeigt, dass vor allem lateinunkundige Adelige und das städtische Patriziat zu den Auftraggebern und Besitzern von ›Naturbuch‹-Handschriften zählten. 5 Dieser Befund wird von Spyra übrigens auch für die nachweisbaren Besitzer von Inkunabeln bestätigt.

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Der Katalogteil (S. 248–410)

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Der eigentlichen Untersuchung folgt – etwas tiefstapelnd in den ›Anhang‹ verbannt – ein umfänglicher Katalog der Handschriften und Inkunabeln des ›Buch der Natur‹ sowie der Handschriften des ›Kräuterbuchs‹ Johann von Hartliebs (S. 334–344). Im Hinblick auf den Überlieferung des ›Buch der Natur‹ ist hier freilich nichts Neues zu erwarten; die aufgeführten Handschriften waren sämtlich auch schon Hayer (1998) bekannt. Die Bearbeitung ist dabei als ausgesprochen zweckmäßig zu bezeichnen und wird den Anforderungen an moderne Handschriftenbeschreibungen in vollem Umfang gerecht. Gleiches gilt für den Katalog der Frühdrucke. Lediglich für die Mitüberlieferung der vergleichsweise wenigen Sammelhandschriften hätte sich manch ein Leser sicher auch Hinweise auf die Literatur zu diesen Stücken gewünscht, die doch nicht selten Hinweise auf den Entstehungs-, Gebrauchs- oder Funktionshorizont der gesamten Handschrift zu geben vermögen. Das geschieht leider nur in den wenigstens Fällen und sehr global (S. 267), so dass der Weg über ältere Kataloge und Forschungsliteratur respektive das in dieser Hinsicht vorbildliche Verzeichnis bei Hayer in der Regel nicht erspart bleibt.

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Negativ ins Gewicht fällt freilich das Fehlen der durch eine breitenwirksame Ausstellung mittlerweile auch in weiteren Kreisen bekannten Kräuterbuchhandschrift im Museum Wasserburg Schloss Anholt 6 , die doch bereits Hayer im Vorwort seiner Untersuchungen als Ergänzung aufführte 7 und auch Spyra offenbar ebenso wenig zugänglich war (S. 334). Somit liegt also innerhalb kürzerer Zeit schon der zweite, noch immer aber kein wirklich vollständiger Katalog der Handschriften vor.

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Fazit

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Mit der vorliegenden Studie hat Spyra eine gewissenhaft recherchierte Untersuchung auf breiter Materialbasis vorgelegt. Trotz der einzelnen Kritikpunkte im Detail hält der Leser mit diesem Buch eine runde Darstellung der Überlieferungssituation, vor allem eine sorgsame Analyse des Bildprogramms in Händen. Positiv hervorzuheben sind auch die zahlreichen Nachträge und Hinweise auf zwischenzeitlich erschienene Literatur, die von der Verfasserin für den immerhin fünf Jahre nach Abschluss der Dissertation erfolgten Druck gewissenhaft beigefügt wurden – selbstverständlich ist das leider nicht mehr. So ist auch das ausführliche Literaturverzeichnis ein nützliches bibliographisches Referenzmittel zu Konrads Leben und Werk. 8 Späteren Forschungen an der handschriftlichen Überlieferung wird auch die Synopse der Illustration sowohl der Handschriften des ›Buchs der Natur‹ untereinander (S. 382–401) als auch mit jenen des ›Kräuterbuches‹ Johannes Hartliebs (S. 402–410) dienen. Ein ausgesprochen umfangreiches Register (S. 466–480) und ein ausführlicher, qualitativ hochwertiger, wenn auch leider nicht farbiger Bildteil runden die Studie ab.



Anmerkungen

Gerold Hayer: Konrad von Megenberg: ›Das Buch der Natur‹. Untersuchungen zu seiner Text- und Überlieferungsgeschichte (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, Bd. 110) Tübingen 1998; G. H.: Die Überlieferung von Konrad von Megenberg ›Buch der Natur‹. Eine Bestandsaufnahme. In: Volker Honemann / Nigel Palmer (Hg.): Deutsche Handschriften 1100–1400. Oxforder Kolloquium 1985. Tübingen 1988, S. 408–423.   zurück
Georg Steer (Hg.): Konrad von Megenberg. Von der Sel. Eine Übertragung aus dem Liber de proprietatibus rerum des Bartholomäus Anglicus (Kleine deutsche Prosadenkmäler des Mittelalters, Bd. 2) München 1966, S. 11–16   zurück
So auch bereits Claus Nissen: Die zoologische Buchillustration. Bd 2. Stuttgart 1978, S. 59.   zurück
Vortrag auf einer Tagung Münchner Tagung im Oktober 2003 – die Publikation des Tagungsbandes ist noch in diesem Jahr zu erwarten: Giesela Drossbach / Martin Kintzinger (Hg.): Das Wissen der Zeit. Konrad von Megenberg (1309–1374) und sein Werk (Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, Beihefte, Bd. 27).   zurück
Hayer: Konrad von Megenberg (wie Anm. 1), S. 435–440.   zurück
Anholter-Moyländer Kräuterbuch. Das Kräuterbuch des Johannes Hartlieb in einer um 1470 entstandenen Abschrift aus der Fürstlich Salm-Salm’schen Bibliothek der Wasserburg Anholt FSSB Ms. 46, 3 Bde. (Faksimile, Wissenschaftlicher Begleitband, Ausstellungskatalog) Bedburg-Hau 2004.   zurück
Hayer: Konrad von Megenberg (wie Anm. 1), S. VI.   zurück
Einzeltitel, wie beispielsweise Georg Hetzelein: Konrad von Megenberg. Ein aus den Quellen kurzgefaßtes Lebensbild (Die Fränkische Schatulle, o. Bd.) Nürnberg 1973, wären lediglich bei Anspruch auf Vollständigkeit zu ergänzen. Die wesentliche Literatur ist sämtlich erfasst.   zurück