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Die elektrifizierten Grimms

  • Jacob Grimm / Wilhelm Grimm: Der Digitale Grimm. Elektronische Ausgabe der Erstbearbeitung für PC. Bearbeitet von Hans-Werner Bartz, Thomas Burch, Ruth Christmann, Kurt Gärtner, Vera Hildenbrandt, Thomas Schares und Klaudia Wegge. 2 CD-ROMs und ein Benutzerhandbuch. Frankfurt/M.: Zweitausendeins 2004. CD-ROM. EUR (D) 49,90.
    ISBN: 3-86150-628-9.
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Das Deutsche Wörterbuch der Gebrüder Grimm vorzustellen ist wohl kaum notwendig. Es ist so oft beschrieben, gelobt und in jüngerer Zeit auch gelegentlich getadelt worden, dass weitere Urteile nur wiederholen können, was bereits gesagt worden ist: Marcel Reich-Ranicki nannte es das »allerwichtigste Buch in deutscher Sprache«; die FAZ nennt es ein »Nationalheiligtum«, ja »das größte Sprachinventar, das je geschaffen wurde« und das Börsenblatt »das größte wortgeschichtliche Grundlagenwerk der deutschen Sprache, die umfangreichste Sammlung philologischer Forschung, die es je gab. Ein nationaler Besitz«. Da es in dieser Besprechung um die Übertragung ins elektronische Medium geht, sollen die Eckdaten des Wörterbuchprojektes genügen.

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Die grundlegende Geschichte im Kurzüberblick

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1838 können Jacob und Wilhelm Grimm, nachdem sie ihre Göttinger Stellen wegen des Protestes gegen die Aufhebung der Verfassung durch den neuen König von Hannover verloren hatten, gewonnen werden, das Projekt eines deutschen Wörterbuches zu realisieren.

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1846 verfasst Wilhelm Grimm seinen Bericht über das Deutsche Wörterbuch und stellt damit das Projekt erstmals vor. Als zeitliche Grenzen werden Luther bis Goethe angegeben.

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1854 erscheint der erste Band. Der Beginn wird bis 1450 vorgezogen, dem Beginn des Buchdrucks und damit einer ersten größeren Verbreitung der deutschen Schriftsprache.

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1960 Abschluss des Wörterbuchs mit insgesamt 16 Bänden in 32 Teilbänden und 320.000 Stichwörtern.

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1971 Quellenverzeichnis mit über 25.000 Titeln.

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2004 elektronische Fassung über das W3 verfügbar und offline bei Zweitausendeins.

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Intention der elektronischen Bearbeitung

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Die Bearbeiter der elektronischen Ausgabe verfolgen drei Ziele: Sie wollen das Deutsche Wörterbuch allen »an der deutschen Sprache und ihrer Geschichte Interessierte[n]« unabhängig von Bibliotheksöffnungszeiten verfügbar machen. Dazu dient einerseits die kostenfrei zugängliche Internetversion, 1 andererseits die Offline Version bei Zweitausendeins. Sie wollen darüber hinaus das Wörterbuch »in seinem ganzen Reichtum an Information« erschließen. Dazu dient

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eine Vielzahl von Recherchemöglichkeiten, die von der einfachen Volltextsuche im ganzen Wörterbuch bis zu gezielt auf einzelne oder mehrere Informationspositionen eingrenzbare Suchvorgänge reichen. Es kann außerdem als umfangreichstes rückläufiges Wörterbuch der deutschen Sprache ebenso benutzt werden wie als Morphemwörterbuch. 2
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Durch die Volltextdigitalisierung soll das Werk erweiterbar sein. So soll die Neubearbeitung der ältesten Strecken A-F in einer Neuauflage mit der Erstbearbeitung verknüpft werden.

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Anlage des Werks

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Ausstattung

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Der Digitale Grimm wird in einem bedruckten Pappschuber geliefert. Darin befindet sich ein in dunkelgrünem Leinen gebundenes Begleitbuch mit der goldener Aufschrift »Der digitale Grimm« und »Zwei-Tausend-Eins« auf dem Buchrücken. Eingelegt ist ein geklammertes Benutzerhandbuch von Vera Hildenbrandt und Tanja Wagner, das sehr anschaulich durch Installation und Benutzung führt. In U2 sind zwei grüne CD-ROMs mit roter und schwarzer Schrift eingesteckt, der Digitale Grimm. Das eigentliche Begleitbuch zeigt ein ganzflächiges Bild der Gebrüder 3 und enthält nützliche und informative Artikel:

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• Kurt Gärtner: »Einleitung«

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• Hartmut Schmidt: »Das Deutsche Wörterbuch. Gebrauchsanleitung«

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• Ecke Bonk: »random walk / random reading (Das DWB auf der Kasseler Documenta11)«

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• Hans-Werner Bartz, Thomas Burch, Ruth Christmann, Kurt Gärtner, Vera Hildenbrandt, Thomas Schares und Klaudia Wegge: »Wie das Deutsche Wörterbuch in den Computer kam«

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• Martin Weinmann: »Grimm-Bilderbogen«

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• Wilhelm Grimm: »Bericht über das Deutsche Wörterbuch (1846)«

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• Jacob Grimm: »Über das pedantische in der deutschen sprache (1847)«

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Die gesamte Ausstattung ist so geschmackvoll und edel gemacht, dass man den Kaufpreis von 49,95 Euro kaum glauben kann. Der digitale Grimm ziert das Bücherregal nicht nur, sondern nimmt sich gegenüber der gedruckten Ausgabe gleichzeitig unglaublich zierlich aus. 4

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Digitalisierung

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Die Digitalisierung des Deutschen Wörterbuches wurde in vier Schritten realisiert: Texterfassung: Alle Bände wurden bis auf wenige Ausnahmen (Hebräisch und Kyrillisch) in Nanjing, China, doppelt manuell erfasst (double keying). Dabei wurden auch erste Auszeichnungen vorgenommen. Textherstellung: Mit dem TUSTEP-Modul »Vergleiche« konnten die beiden manuell erfassten Textbasen verglichen werden. Durch Auswerten der nicht übereinstimmenden Textteile konnte eine verlässliche Textbasis rationell erstellt werden. Auszeichnung: Der Wörterbuchtext wurde dann mit Hilfe von TEI ausgezeichnet und in eine Datenbankstruktur überführt. Die DTD für Wörterbücher musste jedoch an das DWB angepasst werden. Datenbankanwendung: Schließlich wurden die Daten in eine Datenbank überführt, die einzelne Teile der Textbasis miteinander verknüpft darstellt (Lemmaindex und dazugehörige Artikel) und Suchen mit verschiedenen Optionen möglich macht.

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Installation

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Die Installation ist einfach und verläuft ohne Schwierigkeiten unter Windows 98, 2000 oder XP in circa sieben Minuten pro CD. Ebenso lässt sich die Software unter Linux installieren. Nachdem das Installationsverzeichnis bestimmt worden ist, werden beide CDs nacheinander komplett auf die Festplatte kopiert und belegen mit 830 Dateien in 30 Ordnern 1,28 GB. Ein stolzer Platzbedarf, welcher auf moderneren Rechnern jedoch meist zur Verfügung steht.

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Durch diese Komplettinstallation kann das Deutsche Wörterbuch ohne Einlegen der CD-Roms gestartet und betrieben werden, was besonders bei mobilen Rechnern ein großer Vorteil ist. Eine Minimalinstallation wird ebenfalls angeboten, jedoch nicht empfohlen. Bei ihr werden ca. 740 MB auf Festplatte fest installiert, der Rest kommt über CDR 2.

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Bei der Installation wird wie üblich ein Start-Icon direkt auf dem Desktop platziert und eine Programmgruppe im Startmenü angelegt. Die Dateien und Ordner werden sehr ordentlich und übersichtlich angeordnet. Außerhalb des festgelegten Installationsordners – außer der Programmgruppe – habe ich keine zugehörigen Dateien entdeckt.

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Ein Uninstall-Programm ist im Programmverzeichnis abgelegt und über das Startmenü erreichbar. Es entfernt zuverlässig und zügig alle DWB-Dateien. Es gibt keinerlei lästigen Rückstände wie Werbung oder einen Menürest, der dazu verführen soll, das Programm wieder zu installieren. Installation und Deinstallation verlaufen reibungslos und vorbildlich zuverlässig.

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Features

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Vorworte

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Das Register der Buchstaben beginnt mit einem »T.«, dem Titelblatt der elektronischen Ausgabe. Dann folgt »V.« mit den Vorworten zu den einzelnen Bänden. Alle Texte sind als Volltexte in diplomatischer Umschrift verfügbar. Das erste und umfangreichste Vorwort von Jacob Grimm (1854) ist zusätzlich mit einem verlinkten Inhaltsverzeichnis versehen, so dass eine rasche Orientierung im Text gegeben ist. Die Vorworte erscheinen in der Reihenfolge der Bände, nicht chronologisch; somit muss man sich die Erscheinungsfolge erschließen. Schön wäre es gewesen, die Jahreszahl im Inhaltsverzeichnis mitzuführen.

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Nachschlagen

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Die Navigation durch das Wörterbuch ist einfach, aber zunächst gewöhnungsbedürftig. Die Buchstabenleiste bleibt während der Arbeit immer sichtbar. Bei der Aktivierung eines Buchstabens springen zwei weitere, vertikal angeordnete Fenster an den Anfang der entsprechenden Buchstabenstrecke. Das linke Fenster zeigt die Lemmata, das rechte die Artikel. Klickt man auf einen Begriff im Lemma-Fenster, erscheint sofort der entsprechende Artikel im Textfenster. Das Lemma-Fenster ist mit einer Vertikalnavigation ausgestattet; die Knöpfe erinnern an einen Kassettenrekorder und sind so intuitiv verstehbar. Darunter findet sich ein Suchfenster, welches als Filter auf das Lemma-Fenster wirkt. So kommt man rasch auf das gewünschte Stichwort und den dazugehörigen Artikeltext. Nach wenigen Anläufen navigiert man schnell, sicher und mit Freude im Wörterbuch. Bei längeren Artikeln wird das vierte vertikal angeordnete Fenster wichtig. Es zeigt in der Standardansicht die Artikelgliederung. Durch Anklicken der Gliederungsebenen springt das Artikelfenster an die entsprechende Stelle.

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Recherchieren

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Der Umgang mit dem Wörterbuch ist durch die bereits beschriebene Fensterteilung einfach und bequem. Das elektronische Medium bietet zudem noch weitere Rechercheinstrumente: Das rechte Fenster bietet über eine Registerkarte »Suchen im Wörterbuch« an. Mit diesem Instrument kann nach beliebigen Stichworten im gesamten Text gesucht werden, auch wenn sie nicht lemmatisiert sind. Dabei sind zahlreiche Einschränkungen möglich, z.B. auf den Haupttext, die Beispiele, auf eine bestimmte Wortstrecke und vieles mehr. Die Ergebnisse werden in einer Liste angeboten, die per Klick abgearbeitet werden können. Die Suche funktioniert rasch und zuverlässig. Über die erwartbaren und heute üblichen Operatoren (Trunkierung mit * und logischen Operatoren) sowie nützliche zusätzliche Möglichkeiten wie die »Nachbarschaftssuche« oder die »Ähnlichkeitssuche« informiert ein eigener Menüpunkt mit anschaulichen Beispielen.

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Überaus anregend und nützlich ist der »rückläufige Wortindex«. Alle Lemmata sind zusätzlich rückläufig indexiert worden, so dass auch nach Endungen gesucht werden kann. Die Suchergebnisse werden durch diese Methode ebenso schnell erzielt wie beim gewohnten Verzeichnis. So kann man beispielsweise nach »werft« suchen und findet »Werft, Sandwerft, Schiffwerft, Bruchwerft, Weidenwerft, Bücherwerft, Zimmerwerft und Schiffswerft« aus den verschiedenen Buchstabenstrecken. Oder man kann sich alle 32 verschiedenen »-apparate« zusammenstellen lassen.

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Quellenverzeichnis

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Ebenso im rechten Fenster kann der Nutzer das Quellenverzeichnis aufschlagen und darin suchen. Das Deutsche Wörterbuch bezieht seine Qualität in der Hauptsache aus der Qualität seiner Beispiele, also der Quellen. Die Überprüfung dieser Quellen wird auf der CD-ROM angeregt und gleichzeitig ermöglicht.

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Lesezeichen

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Das elektronische Medium erlaubt die komfortable Verwaltung von eigenen Lesezeichen. Da das gesamte Wörterbuch auf der Festplatte abgelegt ist, können die Lesezeichen bequem dazu geschrieben werden. Durch Klick auf die rechte Maustaste kann jedem Abschnitt eines Artikels ein Lesezeichen zugefügt werden, hinter welches man auch Anmerkungen legen kann. Das Register dieser Lesezeichen und damit Anmerkungen wird alphabetisch nach Lemma geordnet. Die chronologische Reihenfolge des Anlegens bleibt über die Lesezeichenziffer erhalten.

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Wünschenswert wäre das Anlegedatum gewesen, da die Ziffern sich durch Löschen verschieben, eine eindeutige chronologische Referenz fehlt deshalb. So muss man sich selbst dazu zwingen, das Datum als Beginn einer Anmerkung selbst zu notieren. Technisch wäre es sicherlich ein Leichtes gewesen, dies automatisch erledigen zu lassen.

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Die Anmerkung kann gleich oder später geschrieben werden. Durch Klick auf das Lesezeichen (rote Ziffer) öffnet sich eine Textbox, welche die Anmerkungen aufnehmen kann bzw. in welcher bereits eingegebene Anmerkungen gelesen werden können. Mit Hilfe der Lesezeichen wird ein eigenes Register aufgebaut, was für die Arbeit mit dem Wörterbuch äußerst hilfreich sein kann.

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Random Reading

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Als Relikt der documenta11 von 2002 wurde Ecke Bonks Installation »random reading« in die CD-ROM integriert. Über den Menüpunkt »Extras« kann dieses feature ausgewählt werden. Es erscheint ein Popup-Fenster mit einem beliebig ausgewählten Lemma aus dem Wörterbuch. Der Leser kann das Stichwort direkt aufschlagen oder ein neues anzeigen lassen.

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Das feature ist natürlich ein Gag. Doch der Gag holt herein, was mit jedem guten Buch passiert: Der interessierte Leser blättert durch das Buch und schlägt eine beliebige Seite auf, um zu lesen. Entweder er liest sich sofort fest oder schweift weiter. Genau dies geschieht beim »random reading«. Es verführt zum Lesen, zum sich Festbeißen, zum Schmökern in einem zunächst einmal spröde wirkenden Buch.

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Fazit

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Die CD-ROM-Fassung des Deutschen Wörterbuchs ist insgesamt ein sehr funktionales und gleichzeitig geschmackvoll gemachtes Unternehmen von hohem Wert für alle, die mit der deutschen Sprache umgehen. Wenige Flaws sind in der Programmierung zu entdecken, wie zum Beispiel die Fenstersteuerung per Mausrad, bei der sich immer nur das Artikelfenster scrollt, statt wie üblich dasjenige Fenster, in das die Maus zeigt. Aber dies sind Kleinigkeiten und nur der Rede wert, da es sonst nichts auszusetzen gibt.

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Für eine kleine Klientel wäre das Angebot der Original SGML/TEI-Daten schön gewesen: Einerseits um aus der schier mustergültigen Arbeit zu lernen, andererseits um mit weiteren Projekten daran anknüpfen zu können.



Anmerkungen

Alle Zitate stammen aus der Einleitung des Projektleiters Kurt Gärtner im Begleitbuch.   zurück
Daguerreotypie von Hermann Biow, ca. 1850.   zurück
Design: Johannes Paus, Nördlingen; Einband: G. Lachenmeier, Reutlingen; Satz und Herstellung: Dieter Kohler GmbH, Nördlingen.   zurück