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Die Regeln der Regellosigkeit

Zu den normativen Grundlagen polemischer Metakommunikation

  • Walther Dieckmann: Streiten über das Streiten. Normative Grundlagen polemischer Metakommunikation. (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 65) Tübingen: Max Niemeyer 2005. IX, 318 S. Kartoniert. EUR (D) 58,00.
    ISBN: 3-484-22065-1.
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Polemik und Norm

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Die herkömmliche Verwendung des Begriffs reduziert ›Polemik‹ auf Aggression und Destruktion. Der Gegner wird (öffentlich) vorgeführt; er verliert seine gesellschaftliche Position und sein Ansehen in einer Auseinandersetzung, die entweder die moralische Integrität oder die intellektuelle Kompetenz des Kombattanten radikal in Frage stellt. 1 ›Polemisch‹ ist eine Auseinandersetzung also dann, wenn sie an sachlich angemessenen Reaktionen nicht interessiert ist. Zu ihren wichtigsten Mitteln zählen die Übertreibung, die Verdrehung, der permanente Wechsel der Strategien, der Argumente, der Stillagen oder die Beschimpfung. Ebenso wie ihr Gegenteil, die Lobrede, 2 personalisiert ›Polemik‹ den Gegner; dieser wird oftmals explizit benannt oder direkt angesprochen, 3 sodass der Text einen dialogischen respektive szenischen Charakter erhält.

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Für diese Ebene der Beschäftigung mit Polemik interessiert sich Walther Dieckmann explizit nicht – wenngleich er die maßgeblichen Untersuchungen zum Streit und zu dessen Strategien kennt, wie die souveräne Handhabung der entsprechenden Sekundärliteratur zeigt 4 (vgl. v. a. den kritischen Forschungsüberblick, S. 23–51, der u. a. eine Profilierung des bislang nur vage definierten »Halbterminus« Polemik zwischen Gattung, Texttyp, Stil, Schreibweise etc. unternimmt). Vielmehr beobachtet Dieckmann – nach der an Stenzel orientierten Explikation eines ›heuristischen Schemas‹ für die Analyse polemischer Kommunikation 5 – die Ebene der ›polemischen Metakommunikation‹ und geht der Frage nach, welche Forderungen im Streit selbst an das Streiten gestellt werden (zur Grundlegung vgl. S. 78–110). Im Mittelpunkt steht damit die »Rekonstruktion der in der polemischen Metakommunikation thematisierten Normen« (S. 275). Das Ergebnis ist verblüffend, legt es doch ein Streiten nahe, das in erster Linie den Geboten der Redlichkeit, Angemessenheit und Berechenbarkeit zu folgen hat, will es auf gesellschaftliche Akzeptanz stoßen.

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Der Hauptteil der Studie Dieckmanns liest sich demzufolge wie eine zeitgemäße Verhaltenslehre, eine Art Knigge des angemessenen Streitens (Kap. 5 und 6, S. 118–274). Dieckmann unterscheidet zwischen »Normen betreffend die Wahl des polemischen Objekts« (also des Gegners, S. 121–138), »Normen betreffend die Wahl des polemischen Themas« (also des Gegenstands, S. 139–149), »Normen betreffend Bewußtseinszustände des polemischen Subjekts« (u. a. die Absichten, die Gemütsverfassung des Streitenden, S. 149–167), »Normen betreffend die Herstellung des polemischen Textes« (S. 168–208) und »Normen betreffend die sprachliche Realisierung des Textes« (S. 209–223). Ausfälle gegen einen »wehrlosen oder schon geschlagenen Gegner« (S. 131) sind demzufolge ebenso verpönt wie die Auseinandersetzung um »Nichtigkeiten« (S. 139) oder Versuche, »die Person des Gegners zu diskreditieren« (S. 155), die Verfälschung des gegnerischen Standpunkts (S. 180), die wissentliche Lüge (S. 185) oder das Ausplaudern vertraulicher Informationen (S. 198). Dieckmann belegt die Normen an einer Fülle von Textbeispielen aus Poesie, Wissenschaft und Publizistik seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und schließt die einzelnen Abschnitte jeweils mit einem Kommentar zu den Texten.

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Nicht die Inhalte polemischer Verrisse oder Auseinandersetzungen spielen in Dieckmanns Darlegungen eine Rolle (sie werden in kurzen Paraphrasen eher vorausgesetzt als erläutert, was die Lektüre streckenweise etwas ermüdend macht), sondern die Erwartungen der jeweiligen Streitpartei an sachangemessenes Verhalten in der polemischen Auseinandersetzung. »›Pflicht eines literarischen Ehrenmannes ist es, solche kritischen Anonymitäten da, wo er kann, öffentlich zu enthüllen‹«, heißt es bei Theodor Mundt (zit. nach Dieckmann, S. 169), der damit die metakommunikative Norm »Verschweige nicht deinen Namen« (S. 168) bestätigt. So gesehen, wird in der Metakommunikation das Gegenteil dessen zur Norm, was die Polemik ausmacht. Da »Normverletzungen« demnach an der Tagesordnung sind, fehlt es auch nicht an metakommunikativen ›Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen‹ für diese Verstöße (S. 223–245): Eingeklagt wird das Recht eines persönlich Angegriffenen auf Verteidigung (S. 224) sowie der Anspruch, ›Gleiches mit Gleichem zu vergelten‹ (S. 229), also dem Normbruch mit einem Normbruch zu begegnen. Zudem finden sich Beispiele polemischer Texte, die ›Gefahren‹ für die Gesellschaft abzuwehren behaupten (S. 235) u.a.

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Polemik und Erfolg

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Ein für die literaturwissenschaftliche Streitkultur klassisches Beispiel stellt Heinrich Heines Polemik gegen August von Platen dar. Während Heines metakommunikative Einleitung von einer persönlichen Diskreditierung des Gegners abzusehen vorgibt, indem sie behauptet, das Persönliche den sachlichen Erwägungen immer unterzuordnen (vgl. Dieckmann, S. 193), zielt die sich anschließende Kampfschrift gegen Platen in erster Linie auf dessen gesellschaftliche, gleichsam physische Vernichtung: Im Vordergrund nämlich steht die Bloßstellung der homosexuellen Orientierung des Dichters. Zutiefst überzeugt davon, »daß Satire durchaus persönlich seyn muß« (Heine an Wolfgang Menzel, 9. Dezember 1830), entwirft Heine die Karikatur eines Poeten, der als prätentiöser eitler Geck durch die Straßen Erlangens ›lustwandelt‹, hinter dem »Dichter« aber nur mühsam den »warmen Freund« verbergen kann. 6 Dass Heine mit der Person Platens zudem dessen (aus Heines Sicht) defizitäre Poesie und Poesiologie bekämpft, die dem eigenen ›Naturlaut-Konzept‹ eben nicht entspricht, 7 ändert nichts an der offensichtlichen Verletzung der metakommunikativ selbst aufgestellten Normen in der polemischen Praxis. 8

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Wenn nun aber der Polemiker nicht selten eben diejenigen unlauteren Mittel einsetzt, die er auf der Ebene der Metakommunikation explizit ausschließt, dann stellt sich die Frage, ob auf diese Weise Kommunikationsabsicht und Publikumsreaktionen überhaupt zur Deckung zu bringen sind. Dass es Polemik gelingt, ein Publikum für sich (und eben nicht für die gegnerische Position) zu vereinnahmen, ist belegt – obwohl sie kaum davon ausgehen kann, das Publikum durch metakommunikative Beteuerungen vom Gegenteil überzeugt zu haben. Dieckmann bemerkt dazu völlig zu Recht:

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Mit der Metakommunikation wird nicht viel mehr als ein Gaze-Vorhang vor das Geschehen auf der polemischen Bühne gezogen, der zwar zu den Erfolgsbedingungen des Polemikers gehört, die Möglichkeit, mit Hilfe eines polemischen Textes sein Kommunikationsziel zu erreichen, aber nur unvollkommen zu erklären imstande ist. (S. 275)
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Weder also unterschätzt Polemik die Urteilskompetenz des Publikums, noch unterstellt das Publikum Fehler oder Inkonsequenzen in der Darstellung. Die eine Seite weiß, dass sie täuscht (sie prätendiert Gewaltlosigkeit, praktiziert aber eine gewalttätige Rede), die andere Seite weiß, dass sie getäuscht wird – ohne dieses offene Manöver übel zu nehmen. Warum ist das so? In seinem »Epilog«-Kapitel (Kap. 7, S. 275–284) offeriert Walther Dieckmann wichtige Lösungsansätze für dieses Problem. Zwar geht es dem polemischen Subjekt immer auch um eine ästhetische oder intellektuelle »Lust«, die einen als ›psychische Entlastung‹ zu bezeichnenden kathartischen Effekt zeitigen kann (S. 276–278); in erster Linie aber zielt Polemik nicht auf die Überzeugung des Gegners oder der gegnerischen Partei, sondern hat »von vornherein die eigenen Parteigänger im Auge«, zielt also darauf, »die Kohäsion in der Eigengruppe zu stärken« (S. 281). Die Lust des polemischen Subjekts etwa am gewitzten Spiel mit Regelbrüchen korrespondiert der Lust der polemischen Instanz (des Publikums) an eben diesem Vorgehen. Protest dagegen ist nicht zu erwarten.

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Polemik und Gewalt

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Auch Dieckmanns Untersuchung polemischer (Meta-)Rede bestätigt demnach: Polemische Rede trägt einen – gemessen an den metakommunikativ ausgehandelten Normen – unlauter geführten Wettstreit aus, und jeder Beteiligte weiß das. »Echte Polemik«, heißt es bei Walter Benjamin, »nimmt ein Buch sich so liebevoll vor, wie ein Kannibale sich einen Säugling zurüstet.« 9 Daraus lässt sich zweierlei ableiten: 1. Polemik hat mit Gewalt zu tun. Neben der hier von Benjamin bevorzugten Körpermetaphorik dominieren militärische Bildbereiche und Wendungen den polemischen Akt (Beispiele bei Dieckmann, S. 9). 2. Benjamins drastisches Bild von der Vorbereitung einer kannibalischen Vernichtung des offensichtlich unterlegenen Gegners – das sich im übrigen ebenso in Heines metakommunikativer Einleitung zur oben genannten Platen-Rezension findet – 10 legt sich auf das negative und verneinende Potential des polemischen Sprechens fest. Auf etablierte abendländische Grundwerte, auf universelle, historisch relationale oder strafrechtlich kodifizierte Normen (S. 255–274) baut die Behandlung des Gegners in der Polemik offensichtlich nicht auf. Polemik erledigt den Gegner demnach nicht nur, indem dieser ›mundtot‹ gemacht wird; der Gegner wird regelrecht einverleibt, etwa indem die Polemik dessen Positionen verdreht und unter anderem (zumeist negativem) Vorzeichen fortführt. Von der gegnerischen Meinung bleibt dabei im Wortsinn nichts mehr übrig, vielmehr stabilisiert diese den erfolgreichen Gegenpart, der sich umso effektiver – via Negation – zu positionieren vermag. Dass derjenige Recht habe, der sich durchsetzt – diese überkommene realpolitische Regel erhält in der Polemik eine gleichsam naturgemäße Ausdrucksform.

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Dennoch verwahrt sich der Polemiker (nach Dieckmann) zunächst einmal vehement gegen unlautere Redestrategien. Er tut dies m.E. aber nur, um sich eben jener – soeben verworfenen – Redestrategien im Anschluss umso unverfrorener zu bedienen. Wenn das so ist, muss dann nicht die Forderung nach Redlichkeit lediglich als eine weitere Strategie gelten, die das Gewaltpotential der Polemik bereichert? Kann man dann überhaupt von ›normativen Grundlagen polemischer Metakommunikation‹ im engeren Sinn sprechen? Sollte man nicht vielmehr von (wiederum polemisch – also unsachlich – motivierten) Simulationen solcher Normierungen ausgehen?

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Eristische Dialektik

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Um ein Beispiel zu geben: Nietzsches Basler Vorträge Ueber die Zukunft unserer Bildungsanstalten fingieren ein Gespräch zwischen einem (älteren) Philosophen und seinem (jüngeren) Begleiter über die derzeitige Situation im Bildungssektor sowie die zeitgenössische Bildungspolitik. Die eigentliche Kontroverse findet daher nur vermittelt statt: Der Gegner selbst ist abwesend, er ist nicht einmal recht greifbar: Sind es die so genannten ›Bildungsanstalten‹, ist es die Bildungspolitik, sind es deren einzelne Befürworter oder sind es allgemein die deutschen Bildungstraditionen, die (aus der Perspektive der Kritik) die Defizite des Bildungssystems verantworten und verwalten? An dieser Stelle setzt die Argumentationsführung des Textes an, denn metaphorisch erklärt sie bereits deren Unfassbarkeit zu einer polemischen Strategie der gegnerischen Partei – und macht auf diese Weise die eigene Darstellung zu einem polemischen Lehrstück:

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Der Angreifende hat nicht einen sichtbaren und festen Gegner zu zermalmen: dieser Gegner ist vielmehr maskirt[!], vermag sich in hundert Gestalten zu verwandeln und in einer derselben dem packenden Griffe zu entgleiten, um immer von Neuem wieder durch feiges Nachgeben und zähes Zurückprallen den Angreifenden zu verwirren. 11
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Die militärische Rhetorik der Polemik insinuiert ein sich unentwegt entziehendes, ein proteisches Gegenüber, dessen Verschleierungstaktiken Bestandteil einer unlauteren Kriegsführung sind; der ›Eristischen Dialektik‹ Schopenhauers zufolge ist die Kunst der Disputation eine Kunst der Rechthaberei und des Rechtbehaltens, 12 eine »Widerspruchskunst«, die, so Platon, einen »Wortstreit« exekutiere, wo sie mit der Intention der Wahrheitsermittlung angetreten sei – dieser nämlich müsste eine systematische Definition des verhandelten Gegenstands vorausgehen. 13 Eine Klärung also sei geboten (wenn es denn um ›Wahrheit‹ ginge), die Nietzsches Darstellung – wie jede Polemik – programmatisch unterläuft.

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So wenig greifbar wie die gegnerische Seite ist nämlich auch die Position der bildungspolitischen Vorträge. Nietzsches Bildungsbegriff muss größtenteils ex negatione erschlossen werden; und seine Vorschläge zu einer (in Abgrenzung zum zeitgenössischen Gymnasium und der Universität) adäquaten Vermittlung von Bildung geben sich als solche gar nicht erst zu erkennen. Der Text leitet diese Vorschläge nicht her, er listet sie nicht auf, sondern er vollzieht sie. An die Stelle des Bildungsprogramms tritt in den Basler Vorträgen die Bildungspraxis. Das heißt: Die gegnerische Verschleierungstaktik wird kritisiert (normierte Metakommunikation), übernommen (polemisch einverleibt) und produktiv gemacht für die Durchsetzung einer einzig gültigen (nämlich der eigenen) Position. Die Ebene der normierten Metakommunikation für sich zu betrachten, hat m.E. wenig Sinn, will man die Gesamtheit der polemischen Strategien in den Blick nehmen.

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Von der Logik der Disputation
zur Logik des Performativen

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Polemikgeschichtlich stellt die in der frühneuzeitlichen Akademie gängige disputatorische Ausbildung eine Vorlage für diesen Zusammenhang von Polemik und Gewalt bereit – weil sich Dieckmann auf Polemiken seit dem 18. Jahrhundert stützt (S. 8 u.ö.), bleibt diese Tradition in seiner Darstellung weitgehend ausgeklammert. Diese Lücke lässt sich auch hier nicht schließen. Immerhin sei daran erinnert, dass der von mindestens zwei Kombattanten mündlich und öffentlich geführte akademische Streit spätere Autoren zu Bildern und Motiven inspirierte, in denen die Verbindung von Polemik und Gewalt anschaulich wird. Es liegt in der Logik einer gelehrten disputatio, »bei welchem die eine Partei (der Opponent) das Gegentheil von dem zu behaupten sucht, was die andre (der Respondent oder Defendent) behauptet hat«, 14 dass die eigentlichen epistemologischen und didaktischen Intentionen des Wettbewerbs (dazu Belege bei Dieckmann, S. 10–15) vernachlässigt werden und statt dessen der eine Disputant den anderen materialiter (genauer mit seinen beiden »Kinnbacken«) ums Leben bringt. 15 Wenn eine Redeform schon von ihrer formalen Anlage her nicht auf Beförderung der Wahrheit und auf Erkenntnisfortschritt zielt, sondern auf die erfolgreiche Durchsetzung des Gegenteils einer Behauptung, bleiben Kriterien wie ›sachliche Angemessenheit‹, ›argumentative Redlichkeit‹ u.a. schon aus gattungsstrukturellen Gründen von vornherein ausgeschlossen. Die populäre Zuspitzung von Polemik als Bezeichnung für eine ›unsachliche‹, ›persönliche‹, ›unfaire‹ Auseinandersetzung (Dieckmann, S. 7; genauer S. 18–22) mag sich von diesem faktischen Einsatz jener überkommenen Denk- und Sprechweise ableiten, die besonderen Wert auf die gnadenlose Erfolgsorientierung einer – grundlegend kritischen – (Wider-)Rede legt.

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Polemiktheoretisch lässt sich m.E. die spezifische Qualität der sprachlichen Kodierung von Gewalt mit Judith Butlers Konzept des Performativen erklären, das sich an Foucaults Machttheorie orientiert. 16 Butler versteht Sprache nicht als Repräsentation von Macht, sondern als ein »modus vivendi von Macht selbst«. 17 Erst wiederholte Handlungen führen zu Effekten von Stabilität oder Substantialität, weil sie den Schein des Natürlichen (und damit u.a. körperliche Reaktionen) erzeugen. 18 Demnach verletzen Worte dadurch, dass sie die Unsicherheit des eigenen Ortes in der Ordnung der Dinge und Diskurse vorführen. 19 Das sprachlich inszenierte Machtgefälle beruht darauf, dass der verletzende Sprecher sich als Souverän einsetzt, den Verletzten aber zu einem Abhängigen macht. Zugleich ist auch der Sprecher bedroht. Zwar wird er erst durch den »Platz in der Sprache« zum Subjekt; die Sagbarkeit seiner Rede aber beruht darauf, dass sie eben nicht souverän, sondern abgeleitet ist: »Wenn das Subjekt auf unmögliche Weise spricht […], dann ist dieses Sprechen entwertet und die Fortdauer des Subjekts in Frage gestellt«. 20 Infolgedessen ist das Subjekt darum bemüht, »seine eigene Genealogie […] unsichtbar zu machen« 21 und »das Gefühl eines Machtverlusts« durch die »Figur einer souveränen Performativität« zu ›kompensieren‹. 22

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Zwar stellen Walther Dieckmanns Ausführungen über die ›normativen Grundlagen polemischer Metakommunikation‹ dergleichen Begründungszusammenhänge für das meistenteils konträre Verhältnis von polemischer Kommunikation und Metakommunikation nicht her, aber sie regen dazu an. Mit Dieckmanns »Streiten über das Streiten« liegt eine interessante und wichtige Studie vor, die dankenswerterweise den Blick von den Inhalten auf die Bedingungen der Möglichkeit des Streitens lenkt.

 
 

Anmerkungen

Sigurd Paul Scheichl: Polemik. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. von Jan-Dirk Müller. Band III. Berlin-New York 2003, S. 117–120, S. 117.   zurück
Vgl. dazu Rainer Paris: Die Politik des Lobs. In: ders.: Stachel und Speer. Machtstudien. Frankfurt/M. 1998, S. 152–194; insbes. S. 157–159.   zurück
Peter von Matt: Grandeur und Elend literarischer Gewalt. Die Regeln der Polemik. In: ders.: Das Schicksal der Phantasie. Studien zur deutschen Literatur. München-Wien 1994, S. 35–42; S. 40.   zurück
Für die Geschichte der Polemik aufschlussreich ist darüber hinaus der Artikel von Barbara Bauer: Aemulatio. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. von Gert Ueding. Band 1. Darmstadt 1992, S. 141–187.   zurück
Merkmale von Polemik in Stichworten (vgl. dazu S. 32–51): in Stil und Intention nicht künstlerisch; argumentativ und dennoch unsachlich bzw. persönlich; adressiert nicht an den Gegner, sondern an das Publikum; erfolgsorientiert etc.; vgl. dazu Jürgen Stenzel: Rhetorischer Manichäismus. Vorschläge zu einer Theorie der Polemik. In: Kontroversen, alte und neue. Akten des VII. Internationalen Germanisten Kongresses Göttingen 1985, hg. von Albrecht Schöne. Bd. 2: Formen und Formgeschichte des Streitens. Der Literaturstreit, hg. von Franz-Josef Worstbrock und Helmut Koopmann. Tübingen 1986, S. 3–11.   zurück
Heinrich Heine: Sämtliche Schriften, hg. von Klaus Briegleb. Band 2. 3., durchgesehene und ergänzte Auflage. München-Wien 1995, S. 451, 449.   zurück
»[…] der Graf Platen ist kein Dichter. Von einem Dichter verlangt man zwei Dinge: in seinen lyrischen Gedichten müssen Naturlaute, in seinen epischen oder dramatischen Gedichten müssen Gestalten sein« (ebda., S. 458).   zurück
Heines Versuch, Homosexualität und poetisches Versagen Platens eng zu führen (ebda., S. 457f.), um so die Kompatibilität von Norm und Durchführung zu erweisen – Persönliches darf demnach nur auftauchen, wo es der Argumentation in der Sache dient –, ist m.E. nicht ernst, sondern ironisch zu nehmen; vgl. dazu Dieckmann, S. 196f., 255.   zurück
Walter Benjamin: Die Technik des Kritikers in dreizehn Thesen. In: ders.: Gesammelte Schriften. Band 4.1, hg. von Tillman Rexroth. Frankfurt/M. 1981, S. 108.   zurück
10 
»[…] ich will ihn literarisch gleichsam herausfüttern, wie die Irokesen tun mit den Gefangenen, die sie bei späteren Festmahlen verspeisen wollen« (Heine: Sämtliche Schriften. Band 2, S. 450).   zurück
11 
Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie. Unzeitgemäße Betrachtungen I-IV. Nachgelassene Schriften 1870–1873. Kritische Studienausgabe, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Band 1. München 1999, S. 674.   zurück
12 
Vgl. die Kurzform in: Arthur Schopenhauer: Werke in fünf Bänden. Nach den Ausgaben letzter Hand hg. von Ludger Lütkehaus. Band 5: Parerga und Paralipomena. Kleine philosophische Schriften. Zweiter Band. Zürich 1991, S. 30–38 (aus: Vereinzelte, jedoch systematisch geordnete Gedanken über vielerlei Gegenstände. Kapitel II: Zur Logik und Dialektik, §26).   zurück
13 
Weil viele auch wider ihren Willen, wie mir scheint, ihr [der ›Widerspruchskunst‹, C. S.] anheimfallen und glauben nicht mit bloßen Worten zu fechten, sondern die Wahrheit zu ermitteln, weil sie nicht fähig sind den fraglichen Gegenstand nach richtiger Einteilungsmethode gemäß dem Artbegriffe zu betrachten, sondern bei Bestimmung des Gegensatzes zu dem fraglichen Begriff sich lediglich an das Wort halten, nur dem Wortstreit, nicht der Wahrheitsforschung in ihren Verhandlungen huldigend. (Platon: Sämtliche Dialoge, hg. und mit Einleitungen, Literaturübersichten, Anmerkungen und Registern versehen von Otto Apelt. Band V: Der Staat. Hamburg 1993, S. 182).
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14 
Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände. (Conversations-Lexikon.) In zwölf Bänden. Siebente Originalauflage (Zweiter durchgesehener Abdruck.). Band 3. Leipzig 1830, S. 308.   zurück
15 
Ludwig Achim von Arnim: Halle und Jerusalem. Studentenspiel und Pilgerabenteuer. Heidelberg 1811. In: Dramen von Clemens Brentano und L. A. von A., hg. von Paul Kluckhohn. Darmstadt 1969, S. 66 (Halle, fünfter Auftritt).   zurück
16 
Judith Butler: Haß spricht. Zur Politik des Performativen. Aus dem Englischen von Kathrina Menke und Markus Krist. Berlin 1998, S. 135, 150, 154, 174 u.ö.   zurück
17 
Ebda., S. 107.   zurück
18 
Ebda., S. 75.   zurück
19 
Ebda., S. 13.   zurück
20 
Ebda., S. 193.   zurück
21 
Ebda., S. 76.   zurück
22 
Ebda., S. 106.   zurück