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Irrungen, Wirrungen

gender-bending in theoretischer und literarischer Inszenierung

  • Eveline Kilian: GeschlechtSverkehrt. Theoretische und literarische Perspektiven des gender-bending. Königstein/Taunus: Ulrike Helmer 2004. 354 S. Broschiert. EUR (D) 30,00.
    ISBN: 3-89741-160-1.
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Von Transvestiten, Transsexuellen
und anderen Geschlechter(ver)wirrungen

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Im Zentrum der Habilitationsschrift von Eveline Kilian stehen verschiedenste Formen des gender-bending, das sie als »Überschreiten von Geschlechtergrenzen und Spiel mit ambivalenten Geschlechtszuordnungen« (S. 8) definiert. In einem Aufeinandertreffen von Romanen, die Maskeraden, Transsexualität, und endlos scheinende Variationen von Geschlechterrollen in Szene setzen, und den theoretischen Diskussionen um die verschiedenen Geschlechterkonzepte etabliert sie jenen Dialog, den der Titel programmatisch ankündigt.

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Das Interesse der Studie liegt, wie Kilian betont, dabei nicht in der Darstellung einer historischen Entwicklung. Vielmehr geht es um eine wechselseitige Durchdringung von Positionen des Geschlechterdiskurses einerseits und von literarischen Entwürfen einer Verunsicherung der Geschlechtergrenzen andererseits. Die Eckpfeiler der Untersuchung bilden neben der literarischen Darstellung des gender-bending die Verknüpfung von Identität, Geschlecht und literarischem Schreiben sowie die Möglichkeiten von Identität jenseits der beiden entgegengesetzten Pole humanistischer Autonomie und konstruktivistischer Ohnmacht.

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Maskerade und Transvestismus erhalten ihre Brisanz und Faszination scheinbar vor allem durch die komplexe und meist gegensätzliche Beziehung von sex und gender, die sie ins Werk setzen. Eveline Kilian allerdings legt nicht dieses Begriffspaar zu Grunde, sondern eine Trias, die programmatisch als Analyserahmen für ihre Untersuchung dient: sex, gender und sexuelle Orientierung. In einem konzisen Forschungsüberblick zeigt sie zunächst, dass vor allem historisch konzipierte Studien wie die von Thomas Laqueur 1 die Gegensätzlichkeit von biologischem und kulturellem Geschlecht insofern in Frage stellen, als sie deren gegenseitige Verflechtung nachzeichnen: Im Hinblick auf das two-sex-model bedeutet das, dass erst ein diskursiv geprägtes Wissen um Zweigeschlechtlichkeit und deren Begründung in anatomischen Differenzen den Körper überhaupt mit Bedeutung hinsichtlich solcher Geschlechtsunterschiede versehen. Begriffe wie ›Norm‹ und ›Natur‹ lassen sich so als Effekte, nicht als Voraussetzung des Diskurses bestimmen.

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Begriffs-Trias:
gendersex – sexuelle Orientierung

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Trotz dieser Dekonstruktion entscheidet sich Kilian, anders als etwa Judith Butler, für eine Beibehaltung der konzeptuellen Unterscheidung von sex und gender. Dies geschieht zum einen aus methodischen Gründen, zum anderen, wie sie überzeugend darlegt, auch aufgrund der Bedeutung dieser Unterscheidung im pragmatisch-lebensweltlichen Bereich, der für das argumentative Gerüst der Studie eine besondere Rolle spielt. Die Sprengkraft von gender ergibt sich genau aus jener Verankerung im asymmetrisch strukturierten sozialen Geflecht, die bei einem Geschlechtswechsel »eine komplette gesellschaftliche Relozierung notwendig macht« (S. 23). Die Bedeutung des biologischen Geschlechts wird vor allem im Fall von Transsexualität sichtbar, wenn erst eine Anpassung des biologischen Körpers den Geschlechtswechsel vollkommen zu machen scheint (S. 27).

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Um auch der Bedeutung des (geschlechtlichen) Körpers Rechnung zu tragen, rekurriert Kilian in einer ersten Kritik an Butler auf das Modell der feministischen Philosophin Cornelia Klinger, die den Begriff der ›symbolischen Konstruktion‹ von Geschlecht prägte. Diesen unterscheidet Klinger wiederum in eine soziale Konstruktion von gender einerseits und den kulturellen Entwurf einer Natur von Geschlecht andererseits (S. 27). Mit dieser Differenzierung hofft Kilian, einer Essentialisierung des Körpers als vordiskursivem Geschlecht den Boden zu entziehen, dabei aber nicht – wie sie bei Butler kritisiert – gender und sex ineins zu setzen.

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Schließlich führt sie die Kategorie der sexuellen Orientierung als »Scharnierstelle von sex und gender« (S. 28) ein: Das two-sex-model konstituiert sich maßgeblich über Heterosexualität und Heteronormativität, die ein Subjekt nicht nur an eines der beiden Geschlechter koppeln, sondern es zudem in eine auf das jeweils andere Geschlecht fokussierte Begehrensökonomie einbinden. Ein Auflösen der Geschlechtergrenzen, eine Verunsicherung hinsichtlich der Geschlechtszugehörigkeit eines Individuums oder eine Veränderung des sexuellen Begehrens betrifft innerhalb dieser Trias immer auch die beiden anderen Parameter und verändert diese.

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Geschlecht als Schicksal?

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Die Verknüpfung von Geschlecht und Identität stellt eine der Säulen in Kilians Untersuchung dar. In einem Rekurs auf Michel Foucaults Theoreme wird die Verbindung der Diskurse über den Sex und deren spezifische Art der Wahrheitsproduktion nachgezeichnet, die spätestens seit dem 19. Jahrhundert als zentrale Subjektivierungsstrategien fungieren. Am Beispiel ›des Homosexuellen‹, der erst in den diskursiven Formationen des 19. Jahrhunderts über einen ›Wesenskern‹ entlang seiner Sexualität konzeptualisiert wurde, stellt Kilian sowohl die historische Bedingtheit dieser Koppelung als auch den gewaltsamen Aspekt solcher Subjektivierungsstrategien heraus.

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Vor dem Hintergrund einer gewissen ›Geschlechterblindheit‹ der Theorien Foucaults greift Kilian auf Butler zurück, um die Verflechtung von Geschlecht und Identität näher zu beleuchten. Mit Butler betont sie, dass »sich die Subjektkonstitution selbst auf der Grundlage der Geschlechterdifferenzierung vollzieht und Geschlecht damit zum unveräußerlichen Bestandteil des Subjekts wird.« (S. 36) Der Rekonstruktion von Butler fehlt an dieser Stelle allerdings die erhoffte Komplexität, da Kilian mit keinem Wort auf den psychoanalytischen Hintergrund dieser Theorie auch bei Butler eingeht oder diesen in ihre Argumentation mit einbezieht.

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Kilian hebt das aus dem Bewusstsein der Veränderbarkeit entstehende Potential der Subversion von Geschlechterordnung hervor, zweifelt die von Butler formulierte Radikalität dieser Widerstandsmöglichkeiten jedoch an. Butler nämlich, so Kilian, ignoriere den Spielraum für Abweichungen, der gerade im Rahmen von Geschlechterdiskursen bereits einkalkuliert scheine und diese so nicht grundsätzlich gefährde. Kilian bezieht damit die sozialen Bedingungen von Widerständigkeit in ihre Argumentation mit ein und differenziert Möglichkeiten des Widerstandes genauer aus, als dies bei Butler geschieht.

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Geschlecht (das heißt in diesem Fall sex ebenso wie gender) erscheint weiterhin als fundamentale Komponente menschlicher Identität; dabei benennt Kilian die Faktoren Kontinuität und Kohärenz als besonders wichtig, und für ihre weitere Analyse auch tragend. Im Kontext des Zweigeschlechtermodells als zentralem Organisationsprinzip von Gesellschaften erscheint darum gerade die Transsexualität als radikaler Bruch mit diesen Normen. Sie gefährdet somit nicht nur das Zweigeschlechtermodell selbst, sondern auch die Stabilität der eigenen, innerhalb dieses Modells konturierten Identität.

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Acht literarische Entwürfe
des gender-bending

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Kilians erster Textanalyseteil umfasst die Lektüre von acht Romanen, allesamt aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Anordnung der Texte nach »steigender Komplexität […] in bezug auf das Verhältnis […] zur zugrundeliegenden Geschlechterordnung« (S. 41) lässt allerdings nicht nur in der Rubrizierung von Patricia Dunckers Roman James Miranda Barry (1999) unter die Kategorie »einfacher Wechsel vom einen in das andere Geschlecht« Zweifel aufkommen. Die Aufteilung irritiert auch insofern, als sie zunächst den Anschein vermittelt, die narrativ-textuelle Komposition werde ausgeblendet, obwohl diese vor allem in den Lektüren der Romane von Brophy und Carter eine entscheidende Rolle spielt.

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Die autobiographische Erzählung Conundrum (1974) von Jan Morris liest Kilian als teleologisch organisierten Text, dessen Höhepunkt mit der Geschlechtsumwandelung des Protagonisten erreicht wird. Zugleich wird das ›Zielgeschlecht‹ der Frau in mythisch angehauchten Transzendentalphantasien zu einem Ideal überhöht, für das der männliche Körper des Protagonisten zum zentralen Störfaktor wird. Conundrum zeigt so eine umgekehrte Hierarchie von sex und gender: Nicht das biologische Geschlecht ist der Ausgangspunkt für das kulturelle Geschlecht, sondern der Körper wird entlang des psychischen Geschlechts modelliert und damit auch de-essentialisiert. Gender wirkt damit normativ und formativ zugleich. Kilian wertet den Roman aufgrund der Identifikation seines Protagonisten mit einer absolut klischeehaften Weiblichkeit denn auch überzeugend als Fortschreibung eines heteronormativen Zweigeschlechtermodells und nicht als eine Auflösung desselben.

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Mit James Miranda Barry wird die im Einleitungskapitel herausgestellte Wandelbarkeit von Geschlechterverhältnissen in die Argumentation miteinbezogen, da Patricia Duncker sich an der historischen Figur des Militärarztes James Miranda Barry orientiert und ihre Handlung ins 18. Jahrhundert verlegt. Kilian stellt mit diesem Roman beispielhaft heraus, dass auch ein graduelles Modell wie das one-sex-model Macht-asymmetrisch strukturiert ist, und »Geschlechterdifferenz […] im Kontext dieses Romans in erster Linie Status- und nicht Körperdifferenz« (S. 60) bedeutet. Sowohl bei James Miranda Barry als auch in Jackie Kays Roman Trumpet (1998) ist der durch Verkleidung erreichte Geschlechtswechsel nicht einer psychischen Notwendigkeit, sondern einer sozialen Motivation (das heißt der Ausübung eines ihnen als Frauen verschlossenen Berufes) geschuldet. Er wirft daher auch andere Fragen hinsichtlich der geschlechtlichen Identität der Protagonisten auf. Obgleich im Falle von Patricia Dunckers Roman die These des aufrechterhaltenen Machtgefälles und der sozialen Konsequenzen des Geschlechterwechsels durchaus zutrifft, überzeugt gerade angesichts der intrikat miteinander verwobenen Begehrensstrukturen die Einordnung des Textes nicht vollständig. Diese Komplexitäten werden hier, for the sake of the argument, zunächst vollständig ausgeblendet, und erst zu einem weitaus späteren Zeitpunkt und dann nur in einzelnen Textabschnitten, in die Argumentation miteinbezogen.

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In der Lektüre von Trumpet liegt der Akzent vor allem auf der textuellen Konstruktion von Identität, die am Beispiel von Colman und dessen Vater, dem schwarzen Jazz-Trompeter und Transvestiten Joss Moody, vorgeführt wird. Zugleich zeigt Kilian hier eine Verschiebung des Fokus vom biologischen wie kulturellen Geschlecht als zentralem Parameter von Identität hin zu Kategorien wie Nationalität und künstlerischem Ausdruck. Mit der Lektüre der Romane von Patrick White, Angela Carter und Brigid Brophy potenzieren sich die Geschlechter(ver)wirrungen schließlich: Whites The Twyborn Affair (1979) stellt mehrere, geschlechtlich verschiedene Selbstentwürfe gleichberechtigt nebeneinander, die sich in einem Kaleidoskop der Inszenierungen gegenseitig brechen, aber nicht hierarchisierbar sind. Auch Eve in Carters The Passion of New Eve (1977) verliert sich auf der Suche nach der eigenen Identität in einer Vielzahl idealisierter, fetischisierter und mythischer Weiblichkeitsbilder fast vollkommen. In Brophys In Transit (1969) schließlich kann die Hauptfigur sich nicht mehr an das eigene Geschlecht erinnern, so dass der Roman eine Entkoppelung von Geschlecht und Identität über die endlose Suche nach diesem Geschlecht und ständig wechselnde Selbst- und Fremdwahrnehmungen inszeniert.

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Gerade für die beiden letztgenannten Romane stellt sich, so Kilian, die Frage nach der Verklammerung von Identität und Geschlecht auf andere Weise: Während die Suche nach Ursprüngen und Originalen, nach essentieller Weiblichkeit in The Passion of New Eve wiederholt scheitert und »Identität […] ein Begriff [ist], der auf die Figuren im Text nicht wirklich anwendbar ist« (S. 90), werden traditionelle Konzepte von Identität bei Brophy in einem kartesianischen Akt selbst angezweifelt und von der sprachlichen Verfasstheit des Subjekts unterhöhlt.

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Die narrative Reise zum Ich
oder: Man is the story-telling animal

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Ausgehend von der Theorie der Identitätskonstruktion über narrative Elemente und Erzählungen als anthropologischer Grundkonstante bei Paul Ricoeur schlägt Kilian eine Brücke zwischen den theoretischen und den literarischen Perspektiven des gender-bending. Dabei stehen die bereits diskutierten Parameter von Kohärenz und Kontinuität insofern im Vordergrund, als unterschiedlichste narrative Verfahren identifiziert werden, mittels derer die identitätskonturierenden Momente Kohärenz und Kontinuität erreicht werden können. Die Rückbindung der einzelnen Varianten des emplotment (S. 118) an die vorgestellten Romane lassen ein breites Bild von Identitäts(re)konstruktion über textuelle Verfahren aufscheinen: Von der klimaktisch organisierten Dramatisierung des Geschlechtsumwandlungsprozesses in Conundrum über die Stilisierung von Ursprungsmomenten in Rose Tremains Roman Sacred Country (1992), die Fragmentierung der Erzählung bei Brigid Brophy oder die über das bewusste cross-dressing überhaupt erst verwirklichten Lebensentwürfe in Trumpet und James Miranda Barry.

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Die unterschiedlichen Formen des Geschlechtswechsels allerdings bedrohen genaue jene Kohärenz und Kontinuität, die über komplexe textuelle Strukturierung erreicht werden sollen. Diesen unterschiedlich stark akzentuierten Auflösungserscheinungen stehen in allen Texten zumindest ein durchgängiges Bewusstsein und eine bleibende Erinnerung der erzählenden Person gegenüber, die »die Bedingung für die Schaffung von Kontinuität zwischen den verschiedenen Teilen des Lebensverlaufs« (S. 124) herstellen kann. Kilian verbindet die narrativen Verfahren der Identitätskonstruktion mit dem weiter gefassten Konzept der Kultur als vielschichtigem textuellen Gewebe, das Identität ebenso erst ermöglicht, wie es von ihrer Herausbildung verändert wird. Ricoeurs Begriffspaar von ›Sedimentierung‹ und ›Innovation‹ stützt dabei ihre Argumentation einer palimpsestartigen Identitätsformation in Conundrum, The Twyborn Affair und auch Leslie Feinbergs Stone Butch Blues (1993).

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Als ein weiteres narratives Element nennt Kilian das in der Tradition von Bildungs- und Entwicklungsroman stehende Reisemotiv. Das Motiv des zielorientierten Reisens spiegelt sich in Bildern von Identitätssuche als Weg zu sich selbst wieder, das auf der Handlungsebene der Romane häufig mit einer tatsächlichen Reise gekoppelt ist. Kilian unterscheidet hier teleologisch strukturierte Romane, die meist in der Vollendung des Geschlechtswechsels kulminieren (zum Beispiel Conundrum und Sacred Country), und solche, in denen teleologische Phantasien zwar aufgerufen, letztendlich aber dekonstruiert werden. Die Reise gerät so zum Sinnbild für eine unabschließbare Bewegung, wie beispielsweise in der »Heimatlosigkeit des geschlechtsambigen Subjekts« (S. 139) in The Twyborn Affair.

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Mit der jeweiligen Erzählsituation diskutiert Kilian eine weitere wichtige Komponente der narrativen Strukturierung von (Geschlechts-)Identität. Das Aufbrechen der autodiegetischen Erzählsituation in multiperspektivische Konstellationen ermöglicht zum Beispiel eine Dezentrierung von Identitätskonzepten und eine Bezugnahme auf die soziale Komponente von Identitätsbildung. Demgegenüber steht erneut die Kontinuität eines erzählenden Ichs, dessen Organisation seiner eigenen Lebensgeschichte bereits eine Kohärenz der eigenen Identität voraussetzt und schafft – was Kilian in Anlehnung an Foucault als »Technologie des Selbst« (S. 144) beschreibt.

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Animal sociale:
Geschlecht und soziale Interaktion

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Mit einem weiteren theoretisch orientierten Kapitel bindet Eveline Kilian die Fäden zusammen, die bereits in den vorangegangenen Kapiteln zwischen Individuum und kultureller Ordnung gespannt wurden. Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit erscheinen dabei als zentrale Faktoren sozialer Interaktion (S. 150), die in dieser Interaktion sowohl hergestellt als auch in Frage gestellt werden können. Jene Kategorien, die die Geschlechtsattribution an ein Gegenüber stützen, sind kulturell und historisch veränderbar – sie festigen sich erst durch eine wiederholte ›Zitation‹ und bestätigen damit Butlers »Vorstellung von Geschlecht als einer durch ständige Wiederholung von Darstellungsmustern produzierte und gefestigte Entität.« (S. 152)

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Die soziale Interaktion beschreibt Kilian mit dem soziologischen Modell der Interdependenz von Darstellung bestimmter Geschlechtsmerkmale und deren Attribution durch ein Gegenüber. Sie exemplifiziert dies nicht nur in Bezug auf Geschlechtszugehörigkeit, sondern auch in Bezug auf die unter anderem in Stone Butch Blues verhandelten (Rollen-)Begriffe von butch und femme, die ein weiteres Mal Geschlecht und sexuelle Orientierung verknüpfen. Auch die unterschiedlichen Formen von Geschlechter-Maskerade entfalten ihre ganze Komplexität in der sozialen Interaktion, was James Miranda Barry nicht nur für seine Hauptfigur, sondern auch für den gesamten Bereich des Theaterspielens vorführt. Nach den Einzellektüren diskutiert Kilian das Maskeraden-Konzept erneut, schwächt ihre eigene Interpretation aber insofern, als sie dies weder hier noch dort entscheidend vor dem Hintergrund differenziert, dass im Falle von James nicht Weiblichkeit, sondern Männlichkeit das ›Ziel‹ der Maskerade ist. 2

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Why Literature matters

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Spezifisch auf die soziale Interaktion bezogen beschreibt Kilian schließlich auch (in Anlehnung an Erving Goffmann) Möglichkeiten des ›Stigma-Managements‹, das besonders für geschlechtsambige Personen in der Begegnung mit anderen Personen eine wichtige Rolle spielt. Überschreitungen von Geschlechtergrenzen stellen immer auch Überschreitungen jener Machtpositionen dar, die innerhalb einer heteronormativen Kultur etabliert werden. Die Risiken, die sich aus solchen Transgressionen ergeben, identifiziert Kilian dabei zu Recht als blinden Fleck in der Theorie von »Identitätssubversion« bei Butler. Subversion ist daher nicht bloß in der parodistischen, zitathaften Wiederholung entsprechender Normen zu lokalisieren, sondern auch im Potential des literarischen Textes, der – wie im Falle von In Transit – einen bestimmten Freiraum der Imagination bietet und die Mechanismen von Normativität und Formativität entlarven kann.

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Solche produktiven Möglichkeiten des literarischen Textes stellt Kilian als ›diskursive Konstruktion von Geschlecht‹ im Rahmen von drei Romanlektüren exemplarisch dar. Dabei greift sie auf die bereits angesprochenen Romane von Carter und Brophy zurück und stellt diesen noch Jeanette Wintersons Roman Written on the Body (1992) an die Seite. Während im Fall von Brigid Brophy die sprachliche Konstruktion von Identität und Geschlecht auch thematisch ins Zentrum rückt und über Mehrsprachigkeit und exzessive Intertextualität einen wahrhaft polyphonen und polysemen Text kreiert (S. 179), erscheint Geschlecht bei Angela Carter als Konstruktion aus dem freien Spiel der Signifikanten, das keinerlei Ursprung kennt. Mit Written on the Body schließlich wird die Konstruktion des Geschlechts auf die Leser-Ebene verlagert, indem Winterson konsequent das Geschlecht der Erzählstimme in der Schwebe lässt. Die vielfältigen Hinweise hinsichtlich des Geschlechts lassen für den Leser dabei die eigenen Vorannahmen (Heteronormativität ebenso wie unverrückbare Zweigeschlechtlichkeit) deutlich werden und als formative Prinzipien zutage treten.

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Beyond Gender Trouble

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Trotz einiger kritischer Kommentare lässt Eveline Kilian ihre Leser lange warten, bis sie ihre eigenen Schlüsse aus einer Relektüre von Butler zieht. Übertitelt als »Die Unhintergehbarkeit des Körpers und der materielle Effekt der diskursiv verfaßten Realität«, präsentiert das sechste Kapitel ihrer Studie zunächst die heftige Diskussion um Gender Trouble im deutschsprachigen Raum und macht dabei vor allem Butlers Ausklammerung einer möglichen leiblichen Erfahrung als zentralen Kritikpunkt aus. 3 Kilian schreibt sich insofern in diese Debatte ein, als sie einerseits die mangelnde Historisierung bei Butler, andererseits ihre Vernachlässigung des empirischen Subjekts beklagt: »Butler bekräftigt zwar die Materialität des Körpers, reflektiert aber nicht, wie sich diese Materialität für die einzelne und den einzelnen realisiert«. (S. 205)

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Hier schließt sich der Kreis zu den Hauptanalysekriterien von Kilians eigener Studie, die die Konstruktion und Subversion geschlechtlicher Identität immer wieder in den sozial und leiblich erlebten Kontext des Subjekts zu stellen sucht. Kilian entwirft in einer größeren Ausdifferenzierung als Judith Butler vier ›Modi‹ des Geschlechts: (1) das anatomische Geschlecht als materielle und kulturell intelligible Verfasstheit des Körpers, (2) das leibliche Geschlecht als sinnlich erfahrbaren Körper, (3) das psychische Geschlecht als Wissen um und Bezug zur eigenen, kulturell verankerten Geschlechtszugehörigkeit und schließlich (4) das soziale Geschlecht als intersubjektive Dimension der Geschlechtlichkeit (S. 208–211). Dieses Modell basiert sowohl auf dem Modell von Klinger als auch auf den Theorien von Ricoeur, die beide die besondere Stellung des leiblichen Erlebens für die menschliche Subjektivität betonen.

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Daran schließt sich für Kilian die bereits eingangs thematisierte Frage nach der Handlungsfähigkeit des Subjekts an, das einerseits diskursiv geformt ist, andererseits aber gerade in seinem leiblichen Empfinden ein mögliches Widerstandspotential gegenüber diskursiven Konstruktionen besitzt. Teresa de Lauretis’ Begriff der eccentric subjectivity versucht, diese beiden Pole zu vermitteln und geht davon aus, dass »das Bewußtsein von der einschränkenden Kraft des Diskurses […] das Subjekt möglicherweise dazu [veranlaßt], das Potential der Widerstandspunkte auszuloten.« (S. 233)

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In einer letzten Lektüre erprobt Kilian dieses Konzept in Hinblick auf die Problematik des gender-bending und findet in Maureen Duffys The Microcosm (1966) einen Text, der in experimenteller Weise diskursive Verfasstheit von Geschlecht und sexueller Orientierung einer Subversion dieser Diskurse durch das Subjekt gegenüberstellt. Dieser Roman führt ihre These vom Innovationspotential literarischer Texte vor und bestätigt diese »im Vordenken von Bedeutungsstrukturen und noch nicht oder nur marginal realisierten Möglichkeiten, […] die durch ihre textuelle Präsenz in die Zirkulation existierender Wirklichkeitsentwürfe eintreten.« (S. 251)

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Ausblick

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Das Verdienst der Studie von Eveline Kilian liegt in der Einlösung jenes Versprechens, das der Titel gibt: In der Verschränkung theoretischer und literarischer Entwürfe des gender-bending, die in ihrer Koppelung hohes Spannungspotential entfalten. Die geschickte Verflechtung von sex, gender und sexueller Orientierung eröffnet dabei auf beiden Ebenen neue Perspektiven und Analysemöglichkeiten für eben jene Zwischenmomente, die unter dem Begriff des gender-bending zusammenkommen.

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Vor allem der Aufbau der Studie aber macht es der Leserin nicht leicht, die Schlagkraft dieser theoretischen Trias in Verbindung mit dem differenzierten Modell von Geschlechtlichkeit zu erkennen und – wichtiger noch – als produktives Analyseinstrumentarium für literarische Texte auszumachen. Manch komplexe textuelle Formation fällt dabei jener Anordnung der Texte zum Opfer, die nach Innovativität der Geschlechterverwirrungen etabliert wird. Und manchmal schleicht sich trotz der intensiven textuellen Anbindung der Verdacht ein, die literarischen Texte wehrten sich, ganz im Sinne der These von Eveline Kilian selbst, gegen die normierenden Label und Kategorisierungen, um die auch diese Studie bisweilen nicht herumkommt.

 
 

Anmerkungen

Siehe Thomas Laqueur: Making Sex. Body and Gender from the Greeks to Freud. Cambridge: Harvard UP 1990.   zurück
Die Problematik einer einfachen Übertragung des Maskerade-Konzepts auf Männlichkeit diskutiert programmatisch der von Claudia Benthien und Inge Stephan herausgegebene Sammelband Männlichkeit als Maskerade. Kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Wien: Böhlau 2003.   zurück
Siehe hierzu vor allem die Debatte in den Feministischen Studien 11:2 (November 1993).   zurück