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Verbrechen als Unterhaltung

Polizei, Presse und Publikum im Berlin der Jahrhundertwende

  • Philipp Müller: Auf der Suche nach dem Täter. Die öffentliche Dramatisierung von Verbrechen im Berlin des Kaiserreichs. (Campus Historische Studien 40) Frankfurt/M. / New York: Campus 2005. 424 S. Kartoniert. EUR (D) 39,90.
    ISBN: 3-593-37867-1.
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Das vorliegende Buch ist die leicht modifizierte Fassung der Dissertation, die Philipp Müller im Jahr 2004 am Europäischen Hochschulinstiut in Florenz verteidigt hat. Aus dem ursprünglichen Titel Ganz Berlin ist Hintertreppe wurde die Suche nach dem Täter. Diese Umbenennung zeigt an, dass es in Müllers Untersuchung nicht darum geht, eine sozialgeschichtliche Milieustudie der deutschen Hauptstadt während des Kaiserreichs zu erstellen. Im Zentrum steht vielmehr eine Analyse des komplizierten Verhältnisses von Polizei, Presse und Öffentlichkeit, das sich – so die These des Autors – in jenen Jahren grundlegend gewandelt habe. Müller untersucht, warum die »Suche nach dem Täter« um die Jahrhundertwende zu einem »sozialen Ereignis in der Metropole« (S. 16) wurde, das nicht nur die Kriminalpolizei, sondern auch die aufkommende Massenpresse sowie weite Kreise der Einwohnerschaft Berlins beschäftigte und zu Handlungen veranlasste.

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Die Untersuchung gliedert sich in zwei Teile: In einem ersten Abschnitt werden detailliert die Akteure der großstädtischen Verbrechensinszenierung sowie ihre Beziehungen zueinander vorgestellt. In einem zweiten Abschnitt wird anhand zweier Fallstudien konkret gezeigt, wie bei einzelnen »sensationellen« Fällen Bedeutungen ausgehandelt und Interessen verfolgt wurden.

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Müller knüpft methodisch und inhaltlich an eine Reihe von Untersuchungen an, die in den letzten Jahren die Inszenierung von Kriminalität und ihre gesellschaftliche Bedeutung im Kaiserreich untersucht haben. 1 Neu bei Müller ist eine systematische Erarbeitung der Bedeutung der Großstadtpresse. Im Unterschied zu älteren Arbeiten verwendet er die Quellengattung des Zeitungsartikels nicht nur als unerschöpfliche Materialsammlung, sondern untersucht sie auch systematisch. Müller fragt nach der sozialen Bedeutung der Berichterstattung von Verbrechen, ihren Entstehungsbedingungen sowie den hinter ihr stehenden Akteuren. Als Quellenmaterial wertet er neben vielen Berliner Tageszeitungen vor allem Polizei- und Justizakten aus dem Preußischen Geheimen Staatsarchiv und dem Landesarchiv Berlin sowie die Bestände des Heimatarchivs Berlin-Köpenick aus.

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Methodenvielfalt

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Der Autor postuliert wiederholt, dass seine Untersuchung nicht einer strengen Methode verpflichtet sei, sondern mit einem »Bündel heterogener methodischer und konzeptioneller Überlegungen« (S. 18) versuche, die Motivationen und Praktiken der verschiedenen Akteure offen zu legen. Konkret greife er auf »statistische und hermeneutische Mittel, diskursanalytische wie auch historisch-anthropologische Werkzeuge« (S. 27) zurück. Die Komplexität des Gegenstandes bedinge auch »methodische Grenzüberschreitungen«. Peter Fritzsches wichtiges Buch Reading Berlin 1900 2 bildet für Müller dabei einen der Referenzpunkte der eigenen Arbeit. Im Gegensatz zu Fritzsche, der die Stadt als Text lese und sich vor allem für Oberflächeneffekte interessiere, versucht Müller, die Stadt hinter den Texten sichtbar zu machen. Müllers besonderes Augenmerk gilt dabei den Machtbeziehungen. In Anlehnung an Foucault definiert er »Macht« als Produkt von Interaktionen. So verfüge der Staat keinesfalls automatisch über ein Machtmonopol, sondern müsse dieses immer erst durch Handlungen herstellen. Diese Grundentscheidung prägt Müllers Herangehensweise: Es geht ihm maßgeblich darum, auch die vermeintlich stimmlosen »Vielen« (so der von ihm verwendete Terminus für »Masse«) zu berücksichtigen und am Beispiel des Umgangs mit Verbrechen die Machtpotentiale der vermeintlich Machtlosen auszuloten.

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Die Entstehung der modernen Großstadtpresse

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Im ersten Kapitel seiner Untersuchung schildert Müller ausführlich die mediengeschichtliche Entwicklung Berlins zum unumschränkt größten und wichtigsten Zeitungsmarkt Deutschlands in den Jahrzehnten nach der Reichseinigung von 1871. Neben der Geschichte der drei großen Verlagshäuser Mosse, Ullstein und Scherl steht die Rolle der Leser im Mittelpunkt. Fritzsche folgend argumentiert Müller, dass sich in jenen Jahren das Zeitungslesen zu einem Massenvergnügen entwickelt habe. Auch bildungsferne Schichten konnten sich über die Lektüre lokaler Tageszeitungen als Teil der städtischen Gemeinschaft fühlen. Ihre Bedürfnisse veränderten wiederum den Zeitungsmarkt, in dem nun ein harter Kampf um niedrige Preise und Auflage geführt wurde. Am Beispiel der populär werdenden Gerichtsberichterstattung als »Teil der lokalen Ausrichtung der Zeitung« (S. 73) zeigt Müller, wie umkämpft der Anspruch breiter Leserschichten sein konnte. So galt eine oftmals als »sensationell« kritisierte Gerichtsberichterstattung den Juristen als Ärgernis, während viele Leser darin legitime Unterhaltung und die Einlösung des verbürgten Rechts auf Öffentlichkeit des Verfahrens sahen. Das Kapitel schließt mit der Feststellung, dass Nachrichten – wie bereits der Chicagoer Soziologe Robert Park Anfang des Jahrhunderts festgestellt hatte – ein »symbolischer Charakter« zugesprochen werden müsse, der eine »klare Unterscheidung von Wahrheit und Fiktion« aufhebe (S. 91). Entscheidend sei, an welchen Nachrichten sich die Leser orientierten.

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Die Polizei mit neuer Taktik

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Wegen der weiten Verbreitung der Zeitungen hatte die Berliner Polizei trotz aller Kritik an der journalistischen Berichterstattung ein großes Interesse an Kooperation. Deshalb, und um eine eigene Recherche der Journalisten möglichst zu unterbinden, ging sie schon in den 1850er Jahren dazu über, die Lokalpresse täglich mit »kriminalpolitischen Korrespondenzen« zu beliefern. Systematisch geschah dies allerdings erst 1884. Zwei Jahre später begann die Polizei eine Zusammenarbeit mit dem Wolff’schen Telegraphenbüro. Sie lernte schnell, ihre Berichte sachlich und anscheinend objektiv abzufassen, ohne dass sie ihre paternalistische Einstellung dem Lesepublikum gegenüber aufgegeben hätte. Die Polizei erstellte ihre Berichte nach Nützlichkeitskriterien, nicht nach dem Kriterium der Wahrhaftigkeit. Gezielte Desinformation war eher Regel als Ausnahme.

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Die Zusammenarbeit mit den Zeitungen brachte der Kriminalpolizei ein starkes Maß an Aufmerksamkeit. Die Polizisten nutzen diese, um an die Bürger Berlins zu appellieren, bei der Aufklärung besonders schwieriger Fälle mitzuwirken. Fehlende gesetzliche Verpflichtung erforderte aus Sicht der Beamten eine umso stärkere Suggestion einer sozialen und moralischen Bürgerpflicht, der Polizei verdächtige Vorgänge anzuzeigen. (S. 117)
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Für die Zeitungen waren insbesondere die sich über Wochen hinziehenden »Verbrecherjagden« ein willkommenes Mittel der Auflagensteigerung und der Leserbindung. Insofern profitierten sowohl Zeitungen als auch die Polizei von einer engen Zusammenarbeit. Wenn jedoch von Seiten Dritter Kritik an der Inszenierung von Kriminalität laut wurde, zeigte sich das doppelte Spiel der Kriminalpolizei. Gegen Vorwürfe wegen offensichtlicher Indiskretionen verteidigte sie sich, indem sie einen sensationslüsternen Zeitungsjournalismus als Schuldigen ausmachte und alle Anschuldigungen gegen die eigene Behörde zurückwies. Der »Reporter« wurde zum Sündenbock, wenn die polizeiliche Pressepolitik auf Widerstand stieß (vgl. besonders S. 136 – 137). Interessanterweise äußerten auch parteipolitische Zeitungen Kritik am »Sensationsjournalismus« der Massenblätter, nutzten aber die von der Polizei übermittelten Informationen zugleich für die Vermittlung ihrer politischen Überzeugungen.

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Sinnliche Aneignung

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Das dritte Kapitel handelt von der Aneignung dieser Texte durch die Leser. Das »crime drama« (S. 154) beschäftigte die Berliner von der Tat bis zu seiner gerichtlichen Aufarbeitung und bot ihnen oftmals Gelegenheit, selbst aktiv zu werden. Dies wurde besonders deutlich, wenn vermeintliche Straftäter von Umstehenden ›geschnappt‹ und in vielen Fällen auch körperlich misshandelt wurden. Müller spricht in diesem Zusammenhang von »emotionalem Engagement« (S. 159), ohne dem Zusammenhang von Verbrechensinszenierung und Emotionen allerdings systematisch nachzugehen. Vereinzelt provozierten die Zeitungsberichte auch Nachahmungstäter und –opfer: Verbrechen wirkten, so eine zeitgenössische Quelle, »psychisch ansteckend« (S. 162). Das Verbrecherdrama fand seine Fortsetzung im Gerichtssaal. Die Berliner strömten zu wichtigen Prozessen und verhielten sich dann wie in einem Theater. Diesem Umstand trug die Justiz Rechnung, indem sie beispielsweise Tatwerkzeuge im Gerichtssaal, quasi als Ersatz-Kulisse, aufstellte. Zeitweise gab es sogar einen Schwarzmarkt für Eintrittskarten (S. 167). Die Aneignung von Verbrechen und ihren Folgen war für die Berliner ein »sinnlicher« Prozess, 3 der nicht selten mit persönlichen Gewalterfahrungen korrespondierte.

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Fallstudien

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Im zweiten Teil seines Buches untersucht Müller zwei berühmte Kriminalfälle der wilhelminischen Zeit, das Verbrechen des Raubmörders Henning im Dezember 1905 sowie die noch heute populäre Hochstapelei des vermeintlichen Hauptmanns von Köpenick im Jahr darauf. Die Unterkapitel dieses zweiten Teils orientieren sich dabei an den Etappen des Modells des »sozialen Dramas« von Victor Turner, das der Autor bereits im ersten Hauptteil seines Buches eingeführt hat: Tat – öffentliche Ermittlungen – Überführung – Gerichtsverhandlung – Vollstreckung des Urteils (S. 153 ff.). Müller fragt nun danach, wie diese einzelnen Abschnitte medial kodiert wurden und in welchem Verhältnis die Akteure Kriminalpolizei, Presse und Leser jeweils zueinander standen.

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Zunächst stellt Müller die beiden Täter und die von ihnen begangenen Verbrechen ausführlich vor. Er vertritt die Auffassung, dass erst auf dieser Grundlage die »Dramatisierung der Presse« verstanden werden könne. Beide Taten hätten sich als Material für eine sensationelle journalistische Berichterstattung besonders angeboten, die die Fälle symbolisch überhöhte. Müllers Erklärung bleibt jedoch vage:

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Die Sensation der beiden Fälle resultierte aus ihrer möglichen Unmöglichkeit: Sie waren im zeitgenössischen Kontext als mögliches einbegriffen. Insofern förderten sie auch nichts neues zu Tage; es war ihnen allein in der Gestalt von News die Illusion des jamais vu eigen. Der von der journalistischen Repräsentation der Dinge erzeugte effet du réel blieb nicht ohne Folgen. (S. 184)
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Die Berichterstattung der Zeitungen nahm literarische Stilmittel der Kriminalgeschichte auf und setzte sie dramatisierend ein. In beiden Fällen wurde dem Verbrecher beträchtliche Sympathie entgegengebracht, während die Institutionen der Obrigkeit (Polizei und Militär) getadelt oder gar verspottet wurden. Wenn liberale Zeitungen den »Hauptmann von Köpenick« als »Erzieher des Volkes« (S. 200) bezeichneten, so legten sie die aufklärerische Wirkung seiner Tat offen, die das unhinterfragte Primat des Militärischen in der deutschen Gesellschaft ausnutzte. Konservative Zeitungen sprachen hingegen von einem Einzelfall und lehnten Konsequenzen für die gesellschaftliche Ordnung ab.

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»Verzauberung der Moderne«

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In seiner Schlussbetrachtung betont Müller, dass es der Charakter des Unwahrscheinlichen gewesen sei, der die beiden Kriminalfälle Henning und Voigt zu massenmedialen Ereignissen, zu »erstrangigen Lokalnachrichten« prädestiniert habe (S. 357). Die Kriminalpolizei schrieb an diesen »Storys« mit, war jedoch in ihrem Bemühen der verdeckten Presselenkung gerade bei Aufsehen erregenden Verbrechen nicht immer erfolgreich. Trotzdem änderte sie ihre Taktik im Laufe der Jahrzehnte nicht grundlegend. Die meisten Zeitungen kooperierten willig mit der Polizei, schufen sich jedoch auch Freiräume, besonders in der Frage der Darstellung der von der Behörde übermittelten Informationen. Beide Akteure verstanden sich als ordnende Kraft in der Metropole.

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Dagegen stellten sensationelle Verbrechen für die Leser eine der seltenen Chancen dar, sich in öffentliche Angelegenheiten einzumischen, wenn auch nur mit temporärem Erfolg (S. 363). Die Thematisierung von Kriminalität in den Zeitungen ermöglichte ihnen sowohl demokratische Teilhabe als auch »sinnliches« Vergnügen. In der Sensation zeige sich im Gegensatz zu Max Webers »Entzauberung der Welt« eine »Verzauberung der Moderne« (S. 366).

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Kritikpunkte

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Müller kann seinen Anspruch, die Politiken der »Vielen« differenziert zu betrachten, nur teilweise einlösen. Zwar ersetzt er den älteren Terminus »Masse« durch den der »Vielen«, arbeitet aber nicht von einer grundlegend neuen Perspektive aus. Seine »Vielen« behandelt er weiterhin als einheitlichen Block, ohne beispielsweise auf die soziale Schichtung der Stadt oder die politisch-weltanschaulichen Unterschiede der Zeitungsleser näher einzugehen. Durch das Ausblenden solcher Dimensionen erscheint Berlin als Ort dieser Mikrostudie seltsam unkonturiert, ja beinahe austauschbar. Da zudem auch jegliche Vergleichsperspektive, sei es zwischen Großstadt und Kleinstadt oder ein Vergleich Berlins mit anderen europäischen Großstädten fehlt, bleibt die Reichweite von Müllers Mikrostudie offen. Handelt es sich bei der vorgestellten Praxis der öffentlichen Verbrechensinszenierung um eine Besonderheit des wilhelminischen Berlins, oder werden am Beispiel dieser Stadt grundlegende Funktionsmuster des medialen Umgang mit Kriminalität herausgearbeitet, die auch für London, Paris oder – sagen wir – Cottbus gelten können?

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Bei den beiden ausführlichen Fallstudien lässt sich fragen, ob die Unterschiede zwischen beiden Verbrechen tatsächlich so »marginal« waren, wie Müller auf S. 180 angibt. Wie er selbst sagt, machte es gerade für die möglichen Inszenierungsmöglichkeiten in den Medien einen großen Unterschied, ob ein Verbrecher massive Gewalt gegen andere Personen einsetzte und auch tötete (wie Henning) oder auf die körperliche Schädigung anderer verzichtete (wie Voigt, der »Hauptmann von Köpenick«). Auch Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit, wie das des Kaufhauserpressers »Dagobert«, legen nahe, dass es gerade der Verzicht Voigts auf direkte körperliche Gewalt war, der ihm öffentlich Sympathien einbrachte. Dies zeigte sich auch in der unterschiedlichen Behandlung der beiden Täter vor Gericht: Beide wurden von der Presse als sympathisch-clever dargestellt; dennoch wurde Henning zum Tode verurteilt, während Voigt eine eher symbolische Strafe erhielt und schon 1908 von Wilhelm II. begnadigt wurde.

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In formaler Hinsicht fällt auf, dass es manchen Ausführungen an sprachlicher Präzision mangelt und stattdessen ein modischer Wissenschaftsjargon bemüht wird. Ärgerlich sind Passagen, die terminologisch überfrachtet sind und den Leser über die Ergebnisse des Verfassers eher im Unklaren lassen. Eine Kostprobe aus S. 91:

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Der symbolische Aufwand der Verlag [sic!] produzierte eine diskursive Präsenz, die abweichende oder gar gegenteilige Momente marginalisierte. Es genügt folglich nicht, den symbolischen Aufwand der Verlage zu reproduzieren, den die Zeitungen bereits für ihre eigenen Werbezwecke betrieben. Vielmehr ist er als ein strategisch symbolischer Einsatz innerhalb einer Gemengelage verschiedenartiger Praktiken zu sondieren. Erst dann erschließen sich die Brüche, Diskontinuitäten und alte Linien neben den avantgardistischen Gesten.
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Das Namensregister weist einige Fehler und Auslassungen auf. Auch werden zwischen den Dokumenten und Statistiken des Anhangs und dem Text der Untersuchung nur selten Bezüge hergestellt, so dass sich nicht immer erschließt, warum einzelne Quellen dokumentiert werden. Ein genaues Lektorat hätte zudem einige Wiederholungen streichen und dafür andere Stellen verständlicher machen können (vor allem in Kapitel 2 und 6). Auch bei den Fallstudien verwundert, dass der Verfasser einige Ungereimtheiten nicht aufklärt. So sagt er beispielsweise zunächst, dass das Opfer des Raubmörders Henning als mutmaßlicher Selbstmörder begraben worden sei (S. 180), um zwei Seiten später umstandslos mit der Berichterstattung über den »Raubmord« fortzufahren. Wann und wie aus dem »Selbstmord« ein »Raubmord« wurde, bleibt unklar.

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Fazit

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Philipp Müller hat eine umfangreiche Untersuchung vorgelegt, die mit großer Detailkenntnis das Zusammenspiel wichtiger Akteure bei der Verfolgung und Inszenierung von Verbrechen im Berlin des Kaiserreichs analysiert. Er macht überzeugend klar, dass der damals einsetzende Wandel hin zu einer modernen Mediengesellschaft als Zusammenspiel mehrerer Interessen, ihrer Träger und Institutionen betrachtet werden muss. Nicht allein die Presselandschaft wandelte sich entscheidend, sondern auch Obrigkeit und Publikum suchten nach neuen Wegen der Kommunikation und des Ausgleichs. Statt die zeitgenössische Verteufelung eines angeblich auf »Sensationen« fixierten Journalismus zu übernehmen, gelingt Müller die ›dichte Beschreibung‹ eines gegenseitigen Gebens und Nehmens.

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Einzelne Passagen des Buches werden dem selbst gestellten Anspruch der Untersuchung jedoch nicht gerecht, vor allem in methodischer Hinsicht. Dies gilt insbesonders für das Schlusskapitel, das die bisherigen Ergebnisse nur ungenau zusammenfasst und auf eine Kontextualisierung der Befunde gänzlich verzichtet. Wenn Müller abschließend die zeitweise Überbrückung von Interessengegensätzen als »Verzauberung der Moderne« bezeichnet (S. 368), so erklärt er nichts und flüchtet sich ins Metaphysische. Dies ist umso unverständlicher, als er zuvor durchaus dazu beitragen konnte, die komplizierten Mechanismen der Herstellung von Öffentlichkeit in einer modernen Metropole verständlich zu machen.



Anmerkungen

Vgl. Benjamin C. Hett: Death in the Tiergarten. Murder and Criminal Justice in the Kaiser’s Berlin, Cambridge: Harvard University Press 2004; Tanja Hommen, Sittlichkeitsverbrechen. Sexuelle Gewalt im Kaiserreich, Frankfurt a. M.: Campus 1999; Richard J. Evans: Tales from the German Underworld. Crime and Punishment in the Nineteeth Century, New Haven: Yale University Press 1998; Eric A. Johnson: Urbanization and Crime. Germany 1871–1914, Cambridge: Cambridge University Press 1995.   zurück
Peter Fritzsche: Reading Berlin 1900, Cambridge: Harvard University Press 1996.   zurück
Schwartz macht in ihrer Untersuchung zu Paris in der Belle Époque ähnliche Beobachtungen. Vgl. Vanessa R. Schwartz: Spectacular realities. Early mass culture in fin-de-siècle Paris, Berkeley: University of California Press 1998.   zurück