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Technologische Grundlagen der (Buch-)Malerei

Authentisches Wissen, Magie und tradierter Unfug

  • Anna Bartl u.a. (Hg.): Der 'Liber illuministarum' aus Kloster Tegernsee. Edition, Übersetzung und Kommentar der kunsttechnologischen Rezepte. Stuttgart: Franz Steiner 2005. 833 S. 6 s/w Abb. Gebunden. EUR (D) 64,00.
    ISBN: 978-3-515-08472.
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Worum es in diesem Buch geht, sagt der Titel unmissverständlich: »Edition, Übersetzung und Kommentar der kunsttechnologischen Rezepte« aus dem Liber illuministarum.

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Die Quelle

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Die kodikologischen Angaben zum Liber illuministarum, der in der Bayerischen Staatsbibliothek in München unter der Signatur Cgm 821 aufbewahrt wird, hat Manfred Lautenschlager zusammengestellt (S. 49–52). Er weist erhebliche Verluste zu Beginn des Codex nach, trennt einen älteren Teil aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (foll. 13r–44v) und einen jüngeren von 1512 (foll. 45r–238r). Der Grundbestand enthält kunsttechnologische Rezepturen und wurde im bayerischen Benediktinerkloster Tegernsee mit einer thematisch weiter gefassten Sammlung vereinigt, die vor allem von Konrad Sartori (gestorben 1531) geschrieben wurde. Dieser war Schreiber und Bibliothekar in Tegernsee und wird einmal (Nr. 279) auch als »illuminista« bezeichnet. 1

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Der Codex ist in seiner Bedeutung seit 1873 bekannt und wurde oft ausgebeutet, jedoch nie umfassend gewürdigt. Dies geschieht nun in einem von Doris Oltrogge verfassten Abschnitt (S. 27–48), in dem sie die Stellung des Liber illuministarum innerhalb der Überlieferungstradition kunsttechnologischer Rezeptsammlungen untersucht. Sie stellt die Zusammenhänge des Grundstocks mit der »Straßburger Textfamilie« dar, der unter anderen auch das Amberger 2 und das Prager Malerbuch 3 angehören (Konkordanzen S. 40–48). Der jüngere Teil des Codex weist hingegen Verbindungen zu Clm 20.174 auf, einem ebenfalls aus Tegernsee stammenden, zwischen 1464 und 1473 entstandenen Codex, der auch schon Parallelüberlieferungen zu Abschnitten im Grundstock aufwies.

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Auswahl der Rezepte

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Der Codex wurde nicht als vollständige Quelle ediert, die Auswahl der Textteile wurde jedoch bewusst weit gefasst. Neben Rezepten zur Farbherstellung finden sich auch solche über alle möglichen Kunsttechniken – also keineswegs nur zur Buchmalerei, wie der Titel vermuten ließe. Bei den chemischen und alchemistischen Rezepturen wurden jene ausgewählt, die Bezüge zu den kunsttechnologischen Teilen aufweisen (zur Auswahl siehe S. 13). Medizinische, mathematische, magische oder rein hauswirtschaftliche Angaben sind durch ihr Incipit und durch eine Inhaltsangabe in einem Anhang erfasst (S. 425–504). Die ausgewählten Texte werden transkribiert, aus der Sprache des Originals (frühneuhochdeutsch beziehungsweise lateinisch) in heutiges Deutsch übertragen und kommentiert 4 . Die buchstabengetreue Abschrift und die Übertragung stehen einander dabei jeweils gegenüber, ergänzt durch zwei Fußnotenapparate einer mit den editorischen Angaben, der zweite mit einem Sachkommentar (S. 56–423).

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Erschließung des Textes

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Wer vom Text ausgeht, wird durch die Sachfußnoten auf die Abschnitte zu einzelnen Kunsttechniken verwiesen: Die Fachkommentare von Anna Bartl und Doris Oltrogge behandeln Metallauflagen (S. 505–535), Farbmittel (S. 535–573), Bindemittel (S. 574–603), Tinten und Tuschen (S. 631–637, Christoph Krekel), Leder, Pergament und Papier (S. 650–657), Metall (S. 663–672) sowie Glas, Edelsteine, Bein und Horn (S. 673–678, Christoph Krekel, Manfred Lautenschlager). Neben diesen von den Materialien ausgehenden Kommentaren gibt es solche zur Maltechnik (S. 604–611), zu Textausstattung und Ornamentik (S. 612–630) und zur Färbetechnik (S. 638–649, 658–662).

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Wer die Publikation als Nachschlagewerk benützen will, dem stehen verschiedene Hilfsmittel zur Verfügung:

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Ein Glossar (S. 679–738) enthält vor allem materialkundliche (chemische beziehungsweise biologische) Angaben. Im Glossar finden sich aber auch philologische Hinweise zu den verwendeten Bezeichnungen und Angaben über die Anwendung der Materialien. Vereinzelt finden sich auch Stichworte, die über die verwendeten Materialien hinausreichen: zum Beispiel florieren, Grundierung, Inkarnatfarbe, Lombarden, Preßbrokat, puschieren, Rubrik, temperieren.

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Ein Register des lateinischen beziehungsweise des deutschen Fachwortschatzes (S. 778–817) 5 mit den in der Quelle verwendeten Termini und ein Sachregister mit den heutigen Bezeichnungen (S. 818–831) ergänzen einander.

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Abgeschlossen wird der Band durch ein Namensregister (S. 832 f.), in dem die wenigen Autoritäten und anderen Personen aufgeführt sind, die im Liber illuministarum genannt werden. Diese werden von Doris Oltrogge auf Seite 31–34 behandelt, worauf im Register bedauerlicher Weise nicht verwiesen wird. 6 So erschließt sich etwa die Bedeutung des Konrad Sartori (siehe oben) nur, wenn man diesen und die daran anschließenden Abschnitte liest (vor allem S. 35, 37). Hier wird auf die Situation in Tegernsee detailliert eingegangen und auch untersucht, ob die Rezepte tatsächlich anwendbar waren (S. 38 f.).

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Die Probe aufs Exempel

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Wie diese Erschließungshilfen zu verwenden sind, hat der Rezensent an den Stichworten mit dem Buchstaben O ausprobiert. Das Sachregister weist neben anderen Materialien (von Ohrenschmalz bis Olivenöl) zum Beispiel das mineralische Farbmittel Ocker an zahlreichen Stellen nach; die jeweiligen Originalbenennungen (dt.: oger [ocer, ocker, ogergel]; lat.: ogra [oger]) finden sich in den Listen des Fachwortschatzes wieder, ergänzt um die Synonyme (sil; flauus). 7 Ocker dient vor allem als Beigabe für Grundierungen (meist für Blattvergoldungen) sowohl in der Buch- als auch in der Tafelmalerei (Träger Holz) und auf anderen Materialien wie Stein. 8 Außer Materialien tauchen auch Sachbegriffe wie Oblaten, Ölmalerei oder Ölvergoldung auf.

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Angeregt durch das häufige Vorkommen des Begriffs ›puschieren‹ bei Eintragungen, die auch ›Ocker‹ enthalten, suchte der Rezensent nach der Bedeutung dieses ihm unbekannten Wortes: Sehr nützlich sind die Erläuterung in den Sachfußnoten (Modellieren von Inkarnat) und der Hinweis im Glossar, dass Theophilus den Begriff für die grüne Modellierung von Inkarnat (die wir vor allem aus der italienischen Buchmalerei kennen) verwendet. Alle Nachweise sind diesmal in der deutschen Wortliste versammelt, im Sachregister fehlen der Begriff und somit auch der Querverweis auf das Glossar.

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Fleuronnée

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Die Eintragungen 32–35 stehen unter der Überschrift ›ad florisandum‹. Auch auf diesen Fund wurde ich durch meine Ocker-Suche aufmerksam, und so findet man unverhofft einen Hinweis, der mit Goldfleuronnée zu tun hat. Die Sachfußnote beschreibt das erste Rezept als ›Herstellung einer goldgelben Florierfarbe‹. Im Glossar findet sich ein philologischer Hinweis auf flôren und flôrieren als lateinisch-französische Lehnwörter im 13. Jahrhundert, die »den Bereich des künstlerischen Ausschmückens ab(decken)«, und weitere bemerkenswerte Hinweise zum Wortgebrauch im Mittelalter. 9

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Alle Nachweise (über 15) finden sich in den Wortlisten (lat.: florisare; dt.: floriren, florisieren). Der Begriff kann bei jenen Rezepten sicher mit jenem gezeichneten Dekor identifiziert werden, den wir heute als Fleuronnée bezeichnen, die besonders dünnflüssige, mit der Feder zu schreibende Farben nennen (zum Beispiel Nr. 32, 48, 55, 64: »klain aus der federn get zu floriren«). Über eine Sachfußnote zu diesem Eintrag findet man dann einen instruktiven Abschnitt im technologischen Kommentar auf S. 616 f.: »Weitere Farben für Textauszeichnung und Fleuronné«.

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Das Rezept 447 klärt schließlich, wie jene Passagen zu verstehen sind (Nr. 4, 6, 32, 33), bei denen mit Grundierung geschrieben beziehungsweise Fleuronnée gezeichnet wird. Die Fußnote verweist auf Abschnitt 6.1.1., wo dann auf S. 512 (mit Anm. 22) die Technik des Transfervergoldens beschrieben wird, die – bezogen auf Schrift und nicht auf Fleuronnée – in Rezept 435 erläutert wird: Das auf Leinwand (heute Seidenpapier) haftende Blattgold bleibt an jenen Stellen auf dem Pergament haften, auf die Grundierung aufgetragen wurde, überall anders ist die Haftkraft auf dem Träger des Blattgoldes stärker, und das Gold löst sich nicht von diesem.

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Diese beliebig herausgegriffenen Beispiele zeigen, wie materialreich diese Arbeit ist. Sie sollte im Grunde im Bücherregal keines Bearbeiters illuminierter Handschriften fehlen, denn immer wieder wird man auf Begriffe stoßen, zu denen man hier weiterführende Informationen findet. 10 Diese kleine Gruppe von Spezialisten war aber offenbar gar nicht so sehr als Zielgruppe im Blick der Herausgeber als vielmehr die Restauratoren mittelalterlicher Codices.

 
 

Anmerkungen

Ob Sartori als Buchmaler wirklich fassbar ist, ist freilich höchst zweifelhaft; vgl. U. Merkl: Buchmalerei in Bayern in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Spätblüte und Endzeit einer Gattung. Regensburg 1999, S. 517–522 (Kat. 141 f.).   zurück
Amberg, Staatliche Provinzialbibliothek, Ms. 77 (Bayern, um 1492).   zurück
Prag, Nationalbibliothek, Cod. XI D. 10 (Böhmen, um 1477).   zurück
Eine Beurteilung der Transkription ist nur bei den drei kurzen Abschnitten möglich, die S. 55 abgebildet sind; hier gibt es nichts auszusetzen. Eine Beurteilung der Übertragung muss Philologen überlassen werden. Für den Benützer ist die klare, leicht verständliche Sprache entscheidend.   zurück
Die Wortlisten sind nach Sprachen getrennt, verfügen aber über Querverweisen auf die jeweils andere Sprache bzw. auf Synonyme in derselben Sprache.   zurück
Somit gehen auch alle Verweise Oltrogges auf weitere Personen verloren. Sie nennt z. B. eine große Anzahl an Tegernseer Mönchen, die als Schreiber, Rubrikatoren und Buchmaler gearbeitet haben.   zurück
Welch ungeheure Probleme die Erstellung der Register bereithalten, wird an diesem Synonym deutlich, das man zwar in der deutschen (ogergel vel flauus) und in der lateinischen Wortliste findet, nicht aber neben ›sil‹ als Synonym beim lateinischem ›ogra‹. Der invers geschriebene Beleg (murago – ogarum) im zweiten Rezept entging der lateinischen Wortliste. Als mineralisches Pigment (Farberde) ist Ocker auch nicht in Oltrogges Kommentar zu den Farbmitteln enthalten. Der Verweis auf die chemischen Hinweise im Glossar (das hier als lat. Bezeichnung beigefügte ›ochra‹ im Text und in den Wortlisten nicht vorkommend) findet sich in den Wortlisten jedoch nicht im Sachregister. Anderseits entgeht es dem Sachregister keineswegs, dass in Rezept 62 (für ein Pigment, mit dem die Farbe des Haares wiedergegeben werden kann) das Wort Ocker übersprungen wurde und bloß in der Übersetzung und einer textkritischen Fußnote vorkommt.   zurück
Ocker als Bestandteil von Grundierungen (z. B. für Goldgründe) kommt im entsprechenden Abschnitt des Kommentars vor (S. 508, 510, 514–519) was jedoch keinen Eingang in das Sachregister fand.   zurück
Vgl. den Artikel ›Fleuronné‹ im Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 9, Lieferung 105/106 (1996/97, Sp. 1113–1196; zum Wortgebrauch Sp. 1114 f. (W. Augustyn).   zurück
10 
Weiterführende Informationen gibt es dann auch in der Datenbank mittelalterlicher und frühneuzeitlicher kunsttechnologischer Rezepte in handschriftlicher Überlieferung: URL: http://db.re.fh-koeln.de/ICSFH/forschung/rezepte.aspx (Datum des Zugriffs: 07.01.2007).   zurück