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Standeswidrige Zumutung des
Götzen Öffentlichkeit

Ein Tagungsband zur
Publikumstauglichkeit der Historiker

  • Olaf Blaschke / Hagen Schulze (Hg.): Geschichtswissenschaft und Buchhandel in der Krisenspirale? Eine Inspektion des Feldes in historischer, internationaler und wirtschaftlicher Perspektive. (Historische Zeitschrift. Beihefte 42) München: Oldenbourg 2006. X, 240 S. Broschiert. EUR (D) 49,80.
    ISBN: 978-3-486-66642-7.
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Der Band gibt die Referate einer Trierer Tagung vom März 2004 wieder. Im Mittelpunkt steht die Frage nach der Spannung zwischen den beiden Bereichen Wissenschaft und Öffentlichkeit oder Wissenschaft und Markt. Hagen Schulze nennt im Vorwort das zentrale, im Vergleich mit anderen Ländern, deutsche Problem: »Erreichen eigentlich die Produkte der Historiker ihr Publikum? Sollen sie es überhaupt?« (S. VII) Dazu muss man aber von vornherein feststellen, dass sich das eng auf die Historiker zugeschnittene Problem nicht nur für diese stellt, sondern auch die anderen geisteswissenschaftlichen Fächer betrifft. Wie Hagen Schulze feststellt, wird in der akademischen Welt die Hinwendung zu einem größeren, gebildeten Publikum über den geschlossenen Fachdiskurs hinaus häufig noch als »standeswidrige Zumutung« empfunden, die dem »Götzen Öffentlichkeit« huldige. (S. VII) Für die Verlage, die die Schriften der Historiker verbreiten sollen oder wollen ergibt sich dadurch oft eine kaum zu überwindende Hürde. Die Akzeptanz bei den nicht-universitären Lesern, die die Publikation eines Buches überhaupt erst rentabel macht, wird von der latenten hermetischen Abkapselung vieler Historiker blockiert. Schulze bringt es in Anlehnung an Kurt Tucholsky und seine Forderung »Macht unsere Bücher billiger!« auf die Formel »Schreibt bessere Bücher«. Aber dies muss hinzugefügt werden, ist gerade an den deutschen Universitäten eine sehr wenig gepflegte Kunst, die nicht erst durch die Überfüllung oder die heute knappen Mittel vernachlässigt wurde.

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Krisensemantik und Marktgängigkeit

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Der Band widmet sich einem Thema, das die Veränderungen auf dem Buchmarkt als »Krise« beschreibt. Wie aber an den verschiedenen Beiträgen zu sehen ist, handelt es sich um ein altes Problem der historischen Wissenschaft(en). Die Kluft zwischen dem akademischen Zirkel und den interessierten Laien, die oft selbst »dazu gehörten«, ist tief. Dies dürfte auch die Folge eines staatlich voll finanzierten Wissenschaftssystems sein. Der als selbstverständlich angenommene Geldsegen auch von Drittmittelgebern hatte jeden Gedanken an Förderer, Sponsoren, Stifter oder Alumni, ohne die z.B. in den USA keine herausragende Forschung möglich wäre, verkümmern lassen. Aus dieser Mentalität heraus erscheinen die gegenwärtigen Veränderungen leicht als Bedrohung. Die Wurzeln dazu liegen aber nicht nur in den sich verändernden staatlich-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Mit der Praxis der sicheren Druckkostenzuschüsse bestand auf Seiten der Universitäten kein Anlass, sich einem nicht-akademischen Publikum anzunähern. Aber auf der anderen Seite bestand für die Verlage kein Anlass, eine Dissertation mit einem noch so entlegenen Thema nicht zu drucken, da die Bücher ja bereits weitgehend vorfinanziert waren. Für die angehenden Akademiker, die auf eine entsprechende fachliche Aufmerksamkeit und auf eine Karriere hofften, waren dies ideale Bedingungen, um sich in einem geschützten Biotop nach oben zu bewegen. Heute aber bestehen die beiden Welten, die Universität und der Markt, nicht mehr getrennt von einander, sondern sind in einem neuen, vielleicht schmerzlichen Erfahrungsprozess zunehmend auf einander angewiesen.

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Die durch die veränderten wirtschaftlichen Grundbedingungen verschobenen Koordinaten reflektieren die Beiträge in unterschiedlichen Aspekten wie den »Historischen« oder »Internationalen« oder den »Marktperspektiven«. Olaf Blaschke geht in seinem einführenden Beitrag über »Schlechte Zeiten für Geschichtsbücher?« auf die Spannung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit ein, vor allem aufgrund seiner eigenen Erfahrungen durch einen Studienaufenthalt in Cambridge. Er untersucht die Unterschiede in den beiden Publikationssystemen mit der Frage des Verhältnisses von Wissenschaft und Markt in England und Deutschland. Blaschke beschreibt die ins Schwanken geratene Balance zwischen den wissenschaftlichen Verlagen und den auf den Markt drängenden Historikern, von denen aber in Deutschland – trotz seines Erfolges – niemand auf dem »Niveau von Guido Knopp« schreiben möchte (S. 5). Auch für englische Historiker ist der Weg zum Erfolg mühsam, denn der Markt allein ist nicht die ausreichende Legitimation für die Qualität wissenschaftlicher Forschung, es sei denn es kommen zwei Dinge zusammen, Qualität und öffentliches Interesse. Die »Krisensemantik« des Buchhandels ist wiederum nicht neu, sie gehört sogar zu seinen Konstanten. Sie beschreibt auch die Umwandlung mittelständischer Familienbetriebe in größere Mischkonzerne und deren Folgen, wie es an André Schiffrins Buch Verlage ohne Verleger abzulesen ist.

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Historische Perspektiven: vom »Bücher-Streit« über die »Bücherkrise« zum »Strukturwandel«

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Im ersten Segment des Bandes »Historische Perspektiven« werden die unterschiedlichsten Beiträge gebündelt. Alexandra Fritsch untersucht diese Problemkonstellation in der Spiegelung des Kaiserreichs, am »Bücher-Streit« von 1903. Dieses Thema ist nun allerdings alles andere als neu, weshalb ihm die Autorin zwar einige weitere Details, aber keine weiterführenden Erkenntnisse abzugewinnen vermag. Die Krönersche Reform von 1888 hatte zwar theoretisch den festen Ladenpreis, d.h. den Verzicht auf überzogene Rabatte zur Kundenbindung, durchgesetzt, der Rabatt war aber bei Wissenschaftlern auch nach 1900 noch immer üblich. Dieses Rückzugsgefecht, bei dem der von Karl Bücher gegründete »Akademische Schützverband« die Interessen von intensiven Buchkonsumenten durchsetzen wollte, endete mit der bekannten Einführung des Rabatts für wissenschaftliche Bibliotheken. Der Sprung der Autorin zur Buchpreisbindung nach heutiger Begründung ist allerdings wenig einleuchtend.

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Florian Triebels Beitrag »Krisenmanagement in der ›Bücherkrise‹. Der Eugen Diederichs Verlag 1930 – 1933« ist ein Kurzreferat seiner 2004 erschienenen Dissertation. 1 Nun ist schon die Titelformulierung nicht ganz korrekt, denn bekanntlich war die »Bücherkrise« eine Folge der bereits im Ersten Weltkrieg einsetzenden Inflation, also ein Phänomen der zwanziger Jahre. Die finanzielle Knappheit der frühen Dreißigerjahre, die sich in allen Bereichen, auch dem Buchhandel zeigte, verknüpft Triebel mit dem Wechsel in der Verlagsleitung nach dem Tod von Eugen Diederichs im Jahr 1929. Die Geschichte des Diederichs Verlags ist inzwischen mehrfach dargestellt worden, nicht zuletzt anlässlich des Verlagsjubiläums 1996, als der Verlag nur noch als Imprint von Hugendubel existierte. Triebel versucht zu zeigen, wie sich die neuen Verleger den »Zeitströmungen« anpassten und nicht nur spätere Lieblinge des NS-Systems förderten wie Hans-Friedrich Blunck, Agnes Miegel oder Josefa Berens-Totenohl, sondern auch ansonsten »genehme« Schriften publizierten. Dass sie dabei profitierten und nicht existenzbedrohenden Bücherverboten ausgesetzt waren wie S. Fischer, übergeht Triebel durch seine rein unternehmensgeschichtlich verengte Perspektive. Das Programm passte fatalerweise in weiten Teilen zu den Anforderungen des neuen Regimes. Durch die Fokussierung der wirtschaftlichen Sicht wird die kulturelle und gesellschaftliche Seite völlig ausgeblendet. So wird die Diederichs-Geschichte zu einem Teil des wirtschaftlichen Erfolgsbooms im Dritten Reich, an dem auch andere Unternehmen wie VW oder Bertelsmann partizipierten. Es bleibt also die Erkenntnis, dass hier eine wirtschaftliche »Krise« konstruiert wird, die tatsächlich aber nicht durch wirtschaftliche Maßnahmen, sondern durch politische Anpassung beseitigt wurde, während dem Verfasser die intellektuelle Krise aus den Augen gerät.

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Dagegen trifft der Beitrag von Christoph Cornelißen über die publizistische Karriere des bekannten Historikers Gerhard Ritter zwischen 1923 und 1967 genau die Fragestellung. In dieser Zeit war Ritter ein Erfolgsautor der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung, die sich auch an ein bürgerliches Publikum wandte. Die Konzentration auf die großen historischen Persönlichkeiten verlor aber mit der sozialgeschichtlichen Wende in den siebziger Jahren an Interesse. Hinsichtlich des Tagungsthemas ist dies ein Paradebeispiel für die inzwischen »verlorene« Harmonie von Wissenschaft und Verlag. Ritter war ohne Ansehensverlust bei der Historikerzunft ein erfolgreicher Autor. Seine Luther-Biographie von 1923 wurde bis Mitte der sechziger Jahre in 30.000 Exemplaren verkauft. Auch die Lebensbildnisse des Freiherrn vom Stein oder Friedrichs II. von Preußen kamen auf 12.000 Exemplare, die von Carl Goerdeler auf 17.000 Exemplare. Diese Geschichtsschreibungskultur wurde durch ein Beziehungsgeflecht zu einzelnen wissenschaftlichen Verlagen gepflegt wie Oldenbourg, dem Hausverlag Ritters, Vandenhoeck & Ruprecht, Steiner oder Mohr/Siebeck. Deren Lektoren unterhielten einen intensiven Kontakt mit ihrem Autor. Materiell lohnte sich die Arbeit für Ritter in bescheidenem Maße, gemessen an heutigen Phantasiehonoraren einzelner Autoren. Das Interesse an Ritters Büchern ließ nach, als sich das Leser- und Generationsmilieu in den siebziger Jahren änderte.

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Hans Altenhein, früher Verlagsleiter von Luchterhand, und der Verleger Wulf D. von Lucius sahen die »Krise« differenzierter. Altenhein zieht die Verbindung von der tatsächlichen »Bücherkrise« der zwanziger Jahre zur Gegenwart mit den gravierenden Umbrüchen in der Verlagslandschaft durch die Konzentrationsprozesse. Wulf D. von Lucius dagegen fokussiert die Folgen der gegenwärtigen Veränderungen speziell für die kleineren wissenschaftlichen Verlage, die nicht zu einem Konzern gehören. Grundsätzlich weicht er als Verleger von der Krisenmetaphorik ab und beschreibt die Veränderungen zutreffender als »Strukturwandel«, eine Tendenz, die auch Altenhein bevorzugt. Von Lucius’ Beispiel der unterschiedlichen Gewinnerwartung eines auf kurzfristigem Umschlag angewiesenen Molkereibesitzers und eines langfristig kalkulierenden Waldbesitzers erhellt die Situation sehr deutlich. Der wichtigste Einschnitt im Verlagswesen ist der Übergang vom Inhaberverleger zum Management. Die angestellten Manager arbeiten vorsichtiger mit fremdem Geld auf kurzfristige Optimierung der Umsätze, verschlanken deshalb das Programm, während der Inhaberverleger auf eine Langfristenstrategie setzen kann. Angesichts der weitaus überschätzten neuen Publikationsmöglichkeiten (DTP usw.) und den damit verbundenen optimistischen Erwartungen wie dem geforderten allgemeinen Zugang zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen (open access) stellt von Lucius fest, dass es immer noch auf die Leistungen eines Verlags ankommt, um auf dem Markt zu bestehen, dass der Wettbewerb entscheidet, welche Leistung sich durchsetzt. Also hier keine Krise in Sicht.

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Internationale Perspektiven: Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Deutschland, England und Frankreich

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In der Sektion »Internationale Perspektiven« wird besonders die Situation in England und Frankreich thematisiert. Olaf Blaschke spezialisiert sich auf den Vergleich der Publikationen zur Geschichte in Deutschland und Großbritannien seit 1945 vor. Schon die reinen Produktionszahlen differieren. In beiden Ländern ist die Gesamttendenz jedoch expansiv, wenn auch mit Schwankungen. Für Großbritannien ist sogar seit den Achtzigerjahren ein deutlicher Aufschwung zu sehen, nicht zuletzt deshalb, weil sich neben der universitären Historiographie auch populäre Darstellungen der Amateurhistoriker etabliert haben. Großbritannien und Deutschland bieten sich als »Fälle« an, obwohl die Struktur des Verlagswesens weit differiert. In England ist z.B. eine Fragmentierung der Verlage nach konfessioneller oder politischer Richtung unbekannt. Auch die Zielrichtung – hier an kunstvoller Unterhaltung und Orientierung am Buchmarkt, dort am professionellen Feld – lässt unterschiedliche Entwicklungen erkennen, denn die Zahl der in England erschienenen Biographien ist neunmal so hoch wie in Deutschland. Dies wirkt natürlich auf die Verlage zurück, die ein steigendes Angebot von Manuskripten nach Qualitätskriterien sichten müssen. Dennoch ist die traditionelle und auch noch heute ausgeübte Rolle der »kreativen« Verleger durch den direkten Einfluss auf die Disziplingeschichte, etwa durch die Stimulation von Themen, nicht zu unterschätzen. Für die öffentliche Wahrnehmung eines Buches ist in der Geschichtswissenschaft – und nicht nur dort – der Name eines renommierten Verlags von großer Wichtigkeit. Dem entspricht die Häufigkeit der Rezensionen. In der Historischen Zeitschrift (HZ) werden die Titel von Steiner, Oldenbourg und Beck am meisten besprochen, was aber im umgekehrten Verhältnis zur Produktion steht, denn der Verlag Peter Lang veröffentlicht mit Abstand die meisten historischen Titel, wird aber nur wenig beachtet. In Großbritannien ist die Monopolisierung noch größer, die Titel der Oxford und Cambridge University Presses erregen die meiste Aufmerksamkeit bei den Rezensenten. Es hat sich offensichtlich eine unausgesprochene »Wertehierarchie« mit »Distinktionszeichen« entwickelt. Die Bedeutung von Verlagsnamen und Signet hat sich zwar verändert, dennoch kommt den Verlagen als »gatekeepern« weiterhin eine wichtige Rolle zu.

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So sehr Blaschkes Thesen zu unterstützen sind, so sehr sollte aber auch ein Aspekt deutlicher berücksichtigt werden: Ein fundamentaler Unterschied zwischen dem englischen und dem deutschen Verlagswesen besteht für die Historiker darin, dass es in Deutschland nicht das System der Universitätsverlage gibt (oder gab), d.h. Unternehmen, die von der Universität finanziert werden. Die Selektion der Titel verläuft hier nach ganz anderen Kriterien als bei einem Privatunternehmen, da hier die wirtschaftlichen Fragen nicht im Vordergrund stehen müssen, sondern die Universität mit herausragenden Arbeiten ihre eigene Qualität unter Beweis stellt. Die Bedingungen für Beck z.B., sich auf dem Markt zu behaupten und daher Rücksicht auf die Produktionskosten (Umfang, Fußnotenapparate etc.) oder Lesbarkeit nehmen müssen, sind andere als die für Oxford University Press. So ist Beck – anders als es Blaschke behauptet – kein reiner Wissenschaftsverlag, sondern ein Unternehmen, das sich notwendigerweise an einem größeren Publikum orientiert. Die Reputation des Universitätsverlags ist also von vornherein gegeben, die des Privatverlags erst mühsam erworben. Insofern hat der Vergleich zwischen den beiden Ländern eine gewisse Schieflage.

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Lutz Raphael und Nicole Reinhardt widmen sich dem französischen Buchmarkt unter dem Aspekt der »nouvelle histoire« und der Adaption fremder Forschung auf dem Übersetzungsmarkt. Seit 1970 gibt es in Frankreich ein gesteigertes Interesse an Überblicksdarstellungen, die sich auch in Fernsehsendungen manifestieren. Große Historiker sind in mehreren Medien tätig, so war Georges Duby Präsident des Kultursenders La Sept – was auf die feste Beziehung von Buchmarkt, Verlagen, medialer Präsentation und Geschichtswissenschaft hinweist. Diese Entwicklung basiert auf dem Aufstieg der Annales-Strömung seit den dreißiger Jahren, die sich um die Zeitschrift Annales d’histoire économique et sociale ab 1929 mit großen Persönlichkeiten wie Lucien Febvre und Marc Bloch entfaltete. Es war zunächst ein kleiner Kreis, der sich durch Braudel auf die Erforschung der bisher vernachlässigten Wirtschafts- und Sozialgeschichte spezialisierte. In den fünfziger Jahren weitete sich das Spektrum zu Themen der Gegenwart und stieß nach dem Ausbau des Bildungswesens und dem Anstieg der Studentenzahlen auf einen anwachsenden wissenschaftlichen Markt. »Ideengeschichtlich war die Etablierung dieser beiden neuen Segmente de französischen Buchmarktes verbunden mit dem Aufstieg der Sozialwissenschaften zu Lasten der Philosophie und Literatur.« (S. 129) Aber im Unterschied zu Deutschland blieb die Orientierung am »allgemeinpolitischen Mandat des Intellektuellen« erhalten.

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In Frankreich differenzierte sich das schnell gewachsene Historikerfeld auf dem Buchmarkt nach entsprechenden Vorlieben. Gerade die Vertreter der Annales fanden eine Vielzahl von Verlagen für ihre immer spezialisierten sozialhistorischen Studien. Sie erschienen in hauseigenen Reihen oder aber in großen Verlagen wie Gallimard und Le Seuil. Auch hier konnten nur wenige Autoren den Rang eines Bestsellers erreichten. Ähnlich wie Blaschke stellt Raphael das gleiche Phänomen fest, dass »die Krise des alten universitären Wissens und der Zusammenbruch der alten akademischen Verhaltensregeln dazu bei [trug], dass auch die zwischen dem Ideal trocken-nüchterner Berichterstattung und literarischen Stilnormen der Klassik schwankende ältere Rhetorik der Geschichte Gestaltungskraft einbüßte und die Entformalisierung und Politisierung der universitären Welt auch sprachliche Folgen zeigte« (S. 134). Das hatte zur Folge, dass die nüchternen Sachverhalte der Sozialgeschichte sich nicht mehr in Tabellen und Reihen erschöpften, sondern »erzählbar« wurden.

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Wie sehr die kulturellen Räume von einem inhärenten »Nationalismus« bestimmt sind, untersucht Nicole Reinhardt. In den Geistes- und Sozialwissenschaften geschieht dies hauptsächlich in institutionalisierter Weise. Die Überschreitung der nationalen Grenzen spielt dabei eine entscheidende Rolle, denn es geht nicht etwa um den einfachen Ideenaustausch, sondern dies ist »von Institutionen, Herrschafts- und Kräfteverhältnissen« abhängig. (S. 139) Sie entscheiden über die Auswahl der übersetzten Texte. So herrschen im Verhältnis von Frankreich zu Deutschland die alten Muster vor, denn Frankreich tritt als »Exporteur« auf, während Deutschland »Ideen« importiert. Im Verhältnis zu den USA und Großbritannien verhält es sich genau umgekehrt. Das Desinteresse der französischen Verleger an Deutschland wird von der Vorstellung gespeist, dass deutsche Belletristik und wissenschaftliche Literatur »langweilig« sei, besonders die der DDR. Aber auch Übersetzungen aus dem Englischen haben es schwer, sie reüssieren am ehesten, wenn sie auf universitären Lektürelisten stehen, wie einige Titel von Eric Hobsbawm. Ansonsten ist den Verlegern das Risiko zu groß – es sei denn, es könne ein Druckkostenzuschuss eingeworben werden. Eine Einrichtung wie das Fernand Braudel 1963 gegründete »Maison des sciences de l’homme« (MSH) und der daran angeschlossene Wissenschaftsverlag sollten den gegenseitigen Austausch verbessern. Ermöglicht wurde das durch Subventionen staatlicher Stellen wie dem Centre National du Livre (CNL), das den gesamten Buchsektor fördert. Diese Institution ist durch die zinslose Vergabe von Krediten an förderungswürdige Projekte einzelner Verlage eine europäische Rarität. Für das Übersetzungsprogramm bildeten sich Kooperationen der MSH, in England mit der Cambridge University Press, in Deutschland mit dem Campus Verlag in Frankfurt. Bis 2003 konnten insgesamt 83 Titel auf Englisch und 80 auf Deutsch erscheinen. Auf der anderen Seite war die Übersetzungstätigkeit vom Deutschen ins Französische trotz der Hilfe des Goethe-Instituts mit 77 Titeln nicht so rege, die deutsche Geschichtswissenschaft mit nur 27 Titeln erregt in Frankreich wenig Neugier, größer ist das Interesse an deutscher Philosophie. So wurden zwar Titel von Odo Marquard rezipiert, die von Niklas Luhmann aber nicht. Die Verfasserin stellt denn auch ernüchtert fest, »dass der französische Buchmarkt über alle Maßen nationalistisch ist« (S. 153). Dazu trägt nicht wenig die verschulte Universitätsausbildung bei, die auf die Reproduktion des vorgegebenen, eng nationalen Kanons zielt. Dieses Beispiel verdeutlicht die immanenten Probleme der französischen Geschichtswissenschaft, aber von einer »Krise« in der gegenseitigen Rezeption zu sprechen ist wohl nicht ganz richtig. Es handelt sich eher um einen Dauerzustand, der sich ohne Mühe bis weit ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen ließe.

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Marktperspektiven: Kommerzialisierung, mangelnde Qualitätskontrolle und das Modell des »mittleren Buches«

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In der dritten Abteilung »Marktperspektiven« kommen zwei Universitätsangehörige und zwei Verlagspraktiker zu Wort. Dietrich Kerlen legt eine sehr grobe, offensichtlich unfertige Skizze der Marktstrukturen und Staffelung der Verbreitungsmöglichkeiten durch die unterschiedliche Preisgestaltung und Ausstattung bei wissenschaftlichen Büchern vor. Bei Reihen wirkt sich zudem auch der Einfluss der Herausgeber, der »Peers« aus. Hier öffnen sich durch das Netz und besondere Portale neue Wege jenseits horrender Druckostenzuschüsse, Gewinne der Verlage oder Eitelkeit von Doktoranden, die ihr Werk gern gedruckt und verbreitet sehen. Da der Beitrag nur eine allgemeine Entwicklung nachzeichnet, geht er auf die Frage einer »Krise« nicht ein. Man hätte dem 2004 verstorbenen Kerlen vielleicht einen größeren Gefallen getan, sein unüberarbeitetes Tagungsmanuskript nicht zu publizieren.

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Gründlicher geht Andreas Fahrmeir vor, der eine tatsächliche Krise durch die sich verändernde Rolle der Wissenschaftsverlage, speziell bei der Kommerzialisierung wissenschaftlicher Ergebnisse gegeben sieht. In Deutschland haben sich die meisten Wissenschaftsverlage inzwischen darauf reduziert, druckfertige Vorlagen in ein Buch zu verwandeln und auf die traditionelle Aufgabe der Qualitätssicherung durch ein Lektorat zu verzichten. Ein Anzeichen dieser speziellen »Krise«, die aber im Strukturwandel ihre Ursache hat, ist, dass der Verlagsname keine Qualitätsgarantie mehr bietet. Auch die Verbreitung stößt auf immer größere Schwierigkeiten, sodass auf Dauer über eine Direktvermarktung nachgedacht werden muss, denn der Buchhandel bedient diesen Spezialmarkt fast nicht. Eine Bedarfsweckung wird kaum betrieben und der Markt ist durch Vorschriften (Preisbindung) reguliert. Es entsteht ein »Scheinmarkt«, der nicht nach den Marktgesetzen funktioniert. Erst die Kürzung von Druckkostenzuschüssen angesichts leerer Kassen wird eine Veränderung bewirken, denn dann müssen die Verlage versuchen, »aus geeigneten Qualifikationsschriften ›mittlere Bücher‹ zu machen«. Dieser Weg, so zeigten bereits andere Beiträge, wird in Frankreich und England schon lange beschritten. Der alte Einwand, dass die Hinwendung zu einem Publikumsmarkt die Qualität der Inhalte gefährde, ist nicht mehr stichhaltig, im Gegenteil, die Verringerung der Distanz von Wissenschaft und (interessierter) Öffentlichkeit kann von Vorteil sein kann. Historische Publikumsbücher verkaufen sich gut, auch wenn gern das Schreckgespenst Guido Knopp beschworen wird. Bei der jetzigen Wissenschaftspraxis in Deutschland wirken die Historiker durch ihre »Marktabgewandtheit« kaum auf die politisch aktive Öffentlichkeit, die vor allem vom »mittleren Buch«, beeinflusst wird. Die fachwissenschaftlichen Untersuchungen erreichen nur einen »Scheinmarkt«, was zur Folge hat, dass der Kontakt zwischen der Wissenschaftsorganisation, den Verlagen und dem Publikum gestört ist, was tatsächlich ein Phänomen der »Krise« ist.

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Der S. Fischer-Lektor Walter H. Pehle berichtet aus der Rückschau von über 30 Jahren Verlagsarbeit über das Programm für Geschichte und Zeitgeschichte, besonders über die von ihm betreuten Buchreihen Europäische Geschichte und die Schwarze Reihe, die sich am Markt unterschiedlich behaupteten. Die Europäische Geschichte wollte mit großflächigen Darstellungen ein breiteres Publikum erreichen, während sich die Schwarze Reihe schwerpunktmäßig dem Thema des Nationalsozialismus annahm. Für die letztere wurden viele Rechte von ausländischen Autoren gekauft, was zu großen finanziellen Belastungen führte, es kamen auch die Agenturen ins Spiel, mit dem Ergebnis, dass zu teuer eingekauft und zu wenig verkauft wurde. Pehles Erfahrungen decken sich mit den bereits in anderen Beiträgen deutlich gewordenen Positionen: Die Autoren schreiben an einem durchaus vorhandenen Markt vorbei, die Arbeiten werden immer spezieller und umfangreicher, also unverständlich und nicht verkäuflich.

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Auch Detlef Felken, Lektor bei Beck in München, betont weniger die Krise als den Strukturwandel. Er führt den Begriff des »mittleren Buches« ein, den andere Referenten aufnahmen. Dieser Typus liegt zwischen dem Fachbuch und dem Bestseller. »Damit sind jene Bücher gemeint, die durch die Breite ihres Themas oder ihre Fragestellung deutlich über den Charakter einer Spezialstudie hinausgehen.« (S. 215) Gerade diese Werke aber erhalten die Geschichtskultur lebendig. Zur Positionierung des »mittleren Buchs« sieht Felken folgenden Maßnahmen notwendig: Erhaltung der Preisbindung für die »Artenvielfalt«, Akzeptanz eines gerechten Buchpreises, Annäherung der kulturellen Eliten, Einmischung der Historiker in aktuelle Debatten und Berücksichtigung der Form (Schreibweise) neben dem Inhalt, ein durchgehender roter Faden in den Beiträgen.

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Gangolf Hübinger fasste die angesprochenen Probleme in historischer Perspektive zusammen: Krise oder Boom. Dies heißt, Erwartung der Historiker an die Verlage oder Hoffnung der Verlage auf die Historiker.

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Fazit

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Das Fazit dieses Tagungsbandes bleibt widersprüchlich. Die diagnostizierte Krise oder Krisenspirale rekurrierte auf eine bestimmte Sicht und diagnostizierte Verkaufmöglichkeit von Büchern mit historischen Themen. Als immer wiederkehrendes Element schälte sich der Konflikt zwischen dem Akademismus der deutschen Historiographie und ihrer Probleme, sich einem größeren Publikum ohne Substanzverlust zu näheren, sowie die Frage eines staatlich reglementierten und finanzierten Sondermarkts heraus. Dass sich die Sicht der Verleger und Verlagslektoren von der der Wissenschaftler unterscheidet, wurde besonders deutlich, neigten doch die Historiker eher zu einem Krisenszenario als diese. Hier liegt der Verdacht einer akademischen Nabelschau nahe. Gerade der Vergleich mit England und den USA zeigte, dass die Öffnung zum interessierten Publikum nicht eine Absenkung der Qualität bedeuten muss, sondern eher eine neue Schreib- und Darstellungsweise erfordert, die in deutschen Universitäten seit Jahrzehnten vernachlässigt wurde.

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Als ironisches Aperçu bleibt noch zu sagen, dass in einem Band, der sich so intensiv mit Verlagen und ihrer Position in der Öffentlichkeit beschäftigt, diese in den Literaturangaben nicht genannt werden. Der Weg auf einander zu ist doch wohl noch sehr weit.

 
 

Anmerkungen

Florian Triebel: Der Eugen Diederichs Verlag 1930 – 1949. Ein Unternehmen zwischen Kultur und Kalkül. (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 13) München: Beck 2004.    zurück