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Die erste umfassende Rhetorik des Humanismus im Reprint

  • Luc Deitz (Hg.): Georgius Trapezuntius: Rhetoricorum libri quinque. [Paris 1538] Reprint. (Europaea Memoria, Reihe II: Texteditionen 3) Hildesheim: Georg Olms 2006. XXXII,676 S. Leinen. EUR (D) 88,00.
    ISBN: 978-3-487-11573-3.
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Georgius Trapezuntius Cretensis (1395–1472/73), dessen Vorfahren aus dem heute türkischen Trabzon am Schwarzen Meer stammten, wurde in Kreta geboren, kam als junger Mann nach Venedig und blieb in den folgenden Jahrzehnten als berühmter Gelehrter an verschiedenen Orten Italiens. Georg von Trapezunts Bekanntheit beruhte vor allem auf seinen großen Übersetzungen des Aristoteles ins Lateinische; zu seinen Werken zählen aber auch Übersetzungen Platons, des Ptolemäus und des Eusebius. Rhetorikhistorisch nimmt Trapezunt eine besondere Stellung ein, weil er 1433 mit seinen Fünf Büchern der Rhetorik ein humanistisches Initialwerk herausbrachte. Es stellt die erste originäre, umfassende lateinische Rhetoriktheorie eines Humanisten dar. »Was ist Rhetorik?« Auf diese Eingangsfrage des Ersten Buches seiner Rhetorik antwortet Trapezunt: »Rhetorik ist die den Bürger im Staatswesen betreffende Wissenschaft, mit deren Hilfe wir uns zu öffentlich relevanten Fragen äußern, um, nach Maßgabe des Möglichen, die Zustimmung der Zuhörer zu erlangen« (S. XXI; Faksimile S. 5). Die in seinem Werk ausgearbeitete zugehörige Theorie systematisiert Georg von Trapezunt neu. Dabei verbindet er die Lehre von den drei Stilarten (genera dicendi), wie sie die römische Tradition etwa eines Autor ad Herennium vermittelt, mit der Lehre von den vier Stilqualitäten (virtutes elocutionis), die »besonders das Bild der griechischen Tradition bis in die spätbyzantinische Zeit hinein prägte« (S. XII). Ihren Höhepunkt erreichte die genannte Lehre von den vier Stilqualitäten im Werk Über die Ideen des kaiserzeitlichen Redelehrers Hermogenes (ca. 160 bis etwa 225 n. Chr.). Trapezunt arbeitet sie (neben anderen Autoritäten) systematisch in sein Werk ein. Im Ergebnis schuf Georg ein eigenständiges, monumentales und bedeutendes Werk der Rhetorikgeschichte, dessen Wirkung der Herausgeber Luc Deitz (einer der verdienstvollen Mitherausgeber der bereits vorliegenden, zweisprachigen Ausgabe von Scaligers Poetik) wie folgt charakterisiert:

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Wie man den Einfluß, den die RLV [Rhetoricorum libri quinque] auf das rhetorische und dialektische Schrifttum der Renaissance ausgeübt haben, auch im einzelnen bewerten mag, so wird aus dem vorhergehenden doch zweifelsfrei klar, daß sie gelesen und ernst genommen wurden. Obwohl die Auseinandersetzung, sei es im Sinne der Übernahme, sei es in dem der Ablehnung, mit dem Werk in den meisten der zitierten Fälle eher punktuell als umfassend war, wird man Georg doch einen Rang zusprechen können, der dem der antiken Autoritäten nur um weniges nachsteht (S. XXIX).
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Mit der nun von Luc Deitz vorgelegten »Nachdruckausgabe« wird Trapezunts Rhetorik »zum ersten Mal seit über 450 Jahren wieder zugänglich gemacht« (S. VIII). Deitz stellt dem Faksimile ein instruktives Vorwort voran, bei dem er sich auf die richtungweisende Monographie Monfansanis zu stützen vermochte. 1 Er fasst zunächst kurz das Leben und Wirken Georgs zusammen. Sodann werden der Kern der rhetorischen Theorie und der Aufbau der Rhetorikschrift erläutert. Am Schluss finden sich Ausführungen zur Wirkungsgeschichte und zur Überlieferung des in 24 Handschriften und neun alten Druckausgaben (seit 1471) tradierten Werkes. Der gut lesbare Nachdruck basiert auf der mit Abbreviaturen relativ sparsam umgehenden Ausgabe des Valentinus Curio, Basel 1522. Es bleibt zu wünschen, dass Luc Deitz die Zeit findet, nach dem Vorbild seiner Scaliger-Ausgabe auch für dieses Werk eine zweisprachige Neuedition zu erarbeiten.

 
 

Anmerkungen

John Monfasani: George of Trebizond. A Biography and a Study of his Rhetoric and Logic. (Columbia Studies in the Classical Tradition 1), Leiden 1976.    zurück