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In the darkest Alleys of Cyberspace

Terrorismus und Internet

  • Gabriel Weimann: Terror on the Internet. The New Arena, the New Challenges. Washington, D.C.: U.S. Institute of Peace Press 2006. 309 S. Hardcover. EUR (D) 24,95.
    ISBN: 9781929223718.
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Folgt man neueren Theorien, dann geht es terroristischen Strategien nicht primär um unmittelbare physische Gewalt, sondern um die psychischen Folgen der Gewaltanwendung. Terrorismus will nicht primär materielle Schäden verursachen; Terrorismus will durch die Folgen der Anschläge Angst und Schrecken verbreiten – und dazu braucht er Medien. Ohne Zeitungen, Radio oder Fernsehen, ohne ausgebaute »Mediendichte« 1 hätte der Terror – so lautet eine weit verbreitete These – wenig Chancen. 2

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Der moderne Terrorismus hat sich also offenbar von rein militärischen Operationsformen entfernt – und wird durch die »Verkoppelung von Gewalt und medialer Präsentation« 3 geprägt. Er ist eine »Kommunikationsstrategie« 4 und braucht die Medien, aber auch die Medien ›profitierten‹ von den Anschlägen. Zwischen Terrorismus und Medien herrscht, so etwa Bruce Hoffman, eine »symbiotische Beziehung« 5 . Peter Waldmann registrierte sogar »ein festes Symbioseverhältnis zwischen Terroristen und Medien«. 6

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Kein medienwissenschaftliches Thema

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Interessanterweise dominieren heute vor allem politikwissenschaftliche Theoriebildungen die Terrorismusdebatte. Die meisten Arbeiten kommen aus den USA, die deutschsprachige Medienwissenschaft hat das Thema überhaupt noch nicht entdeckt. Dabei macht schon die Tatsache, dass nur etwa zwei bis drei Prozent 7 aller Anschläge auch in die Medien kommen, deutlich, dass hier statt der Symbiose vielfältige mediale Selektionsmechanismen wirksam werden. Und überhaupt: Wer sind die Medien? Presse, Radio, Fernsehen sind Text-, Audio- beziehungsweise Bildmedien – und dies hat für die Wahrnehmung von Terrorismus vielfältige Folgen. Schließlich sind alle diese Medien auch noch in umfassendere gesellschaftliche Systeme eingebunden – und dies hat, so der Kommunikationswissenschaftler Gabriel Weimann von der Universität Haifa, Folgen: »The growing use and manipulation of the mass media by terrorist organizations led goverments and several media organizations to consider certain steps in response« (S. 6).

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Postmoderner Terrorismus

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Diese gesellschaftliche (Selbst)Kontrolle fehlt in dem neuesten (Massen)Medium Internet weitgehend. »Internet allow terrorist organizations to send messages more freely and easily than through other means of communication« (S. 43), schreibt Weimann nach achtjähriger Recherche in der ersten umfassenden Analyse des Verhältnisses von Terror und Internet. Er begab sich für diese vom »United States Institute of Peace« geförderte Arbeit »in the darkest alleys of cyberspace« (S. XIII) – die Homepages und Foren der Terroristen sind nicht so aufdringlich wie die Abendnachrichten nach einem Anschlag, sondern versteckt, das Internet »is not a broadcast medium with a few producers and many consumers« (S. 23).

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817.447.147 Internet-User gab es 2005 (S. 19), die Zuwachsraten sind immer noch enorm – und so sind die Terrorseiten absolut kaum und eben auch nur schwer wahrzunehmen. Immerhin: Weimann fand zwischen 1998 und 2005 (auf der Basis der US-Liste terroristischer Organisationen) mehr als 4.300 »sites serving terrorists and their supporters« (S. 5) und einen »postmodern terrorism« mit neuem Gesicht: »It is less centralized, less structured, and less organized, yet far more dangerous than the terrorism of the late twentieth century« (S. 5). Weimann geht es nicht um die Verurteilung des Internets oder um Alarmismus, er rekonstruiert vielmehr, wie technologische Innovationen auch die Kommunikationsstrategie Terror verändern – und auch für traditionelle Medien folgenreich werden.

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»Theatre of Terror«

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Moderner Terrorismus neigt dazu, »to communicate messages through the use of orchestrated violence« (S. 39), er produziert ein – so Weimanns originäre Theorie – präzises, perfekt choreografiertes »Theatre of Terror« (S. 38). Nur so werde er für die Massenmedien interessant. Erstmals wurde dieses »Theater« auf der Bühne der Olympischen Spiele 1972 in München aufgeführt – vor 800 Millionen Zuschauern weltweit. Am 11. September 2001 fand die »most powerful und violent performance of modern terrorism« statt, sie brachte »Hollywood-like horror fantasies into real life hell« (Brigitte Nacos) (S. 39) – und wurde rasch »the most-watched terrorist spectable ever« (S. 41). Wie nah die Theater-Metapher an der Realität ist, zeigte sich im Oktober 2002, als ausgerechnet in einem Moskauer Theater während eines Musicals über die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg eine Massengeiselnahme stattfand – und dann nochmals zum weltweiten Medienspektakel wurde.

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»The use of violence is justified as the only way to get world attention« (S. 38). Weimann geht nicht von einer einheitlichen Wirkung von Terrorakten aus, sondern hat vier unterschiedliche Öffentlichkeiten ausgemacht, an die sich Terroristen richten: »The supporters of the terrorist organisation«, »the populatation that the organisation purports to serve«, »the enemy« und »the international public opinion« (S. 38) – und entsprechend unterschiedlich fallen auch die Botschaften und die Reaktionen aus.

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Terrorismus ist vor allem eine Taktik – und dies macht Definitionen außerordentlich schwer. Die Wissenschaften bieten mehr als hundert Definitionen, terroristische Aktivitäten gibt es von Irland über den Irak bis nach Indonesien oder in die USA und auch politisch-ethnisch-religiös gibt es von IRA, ETA oder RAF bis zu al-Qaida, Ansar al-Islam (Irak) oder Jemaah Islamiya ein außerordentlich breites Spektrum. Weimann erwähnt mehr als 100 Organisationen, die im Internet präsent sind (oder waren), einige von ihnen sogar (zielgruppengerecht) mehrsprachig. Schon eine Zahl belegt die Dynamik der technisch ermöglichten neuen Kommunikationsformen: In den späten 1990er Jahren hatte al-Qaida eine Originalseite im Web, 2005 waren es mehr als 50. Die Ursprungsseite www.alneda.com bestand gerade mal von September 2002 bis April 2003 und wurde dann gehackt, neue Namen und ULRs traten an ihre Stelle. Der Terrorismus im World Wide Web ist also ein »very dynamic phenomenon« (S. 4).

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Weimans Untersuchung versucht erstmals den ebenso flüchtigen wie weltumspannenden und vielsprachigen Gegenstand «Terror on the Internet» zu erfassen. Sie »fills a conspicuous gap in the literature« (S. X), wie Bruce Hoffman im Vorwort betont. Dabei liegen die Schwerpunkte der Untersuchung auf den »Communicative Uses« und den »Instrumentel Uses of the Internet for Terrorists« (Data Mining, Networking the terrorists, Requirement, etc.).

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Terror und Internet ist ein ganz neues Thema – und offenbar ganz weit etwa von den deutschen Arbeiten über die RAF sowie Terror und Avantgarde entfernt. Hier kommen ganz andere Traditionen zum Tragen. »In the late 1990s terrorist movements made their first appearance on the Net« (S. 25) und es waren zunächst gerade die Gruppen, die von den traditionellen Medien wenig berücksichtigt wurden. Weimann zeigt, wie das Internet zunächst ganz unspektakulär und von der Öffentlichkeit unbemerkt, für die innere Kommunikation in den Terrororganisationen relevant wurde. »Communication, propaganda, marketing, fund-raising« (S. 50) – dies alles war per Netz offenbar äußerst effektiv und rasch zu bewerkstelligen. Erst Ende 2003 wurden diese Webangebote – vermittelt über Zeitungen und TV – auch in breiteren Öffentlichkeiten wahrgenommen. Denn diese Web-Seiten etwa im Irak veröffentlichten nun Bekennerschreiben für ihre Anschläge und »blurry videos of alleged attacks on U.S. forces« (S. 98), 2004 stellte eine Ansar-Web-Seite »the video of the shocking beheading of American civilian Nick Berg by a group of masked persons« (S. 99) ins Netz und wurde binnen Minuten »downloaded by a host of other jihadist Web sites« (S. 99). Wenig später brachten auch TV-Nachrichten und Zeitungen (»on front pages«) »all over the world« die Enthauptungsaufnahmen, die Bilder waren »downloaded from the web« (S. 110). Zwei Tage nach der Exekution wurde die Seite übrigens vom Server genommen – »because it could not handle the traffic« (S. 110). Es scheint also eine ganz bewusste Nachfragen zu geben.

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»Bridging Channel« Internet

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Damit aber kehrte der moderne Terrorismus erneut und neu aufgestellt auf die Bühne der ›alten‹ Massenmedien zurück. »Modern terrorists are communicating their messages to the conventional media via the Internet« (S. 108) – und von dort werden sie übernommen oder nicht übernommen. Die libanesische Hizbollah hat sich derweil sogar auch mit eigenen Medien selbständig gemacht. Sie betreibt ihr eigenes Radio und den Fernsehsender al-Manar (vgl. S. 88).

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Neben den traditionellen Berichterstattungswegen von Anschlägen und Terrorakten in Zeitung, Radio und Fernsehen, hat sich mit dem Internet ein neuer Kanal etabliert. Weimann registriert jedenfalls ein »increasing use of the Internet by reporters and journalists« – und sieht einen neuen »›two-step flow‹« (S. 109): Das Material geht von den Terroristen zu den Journalisten und von dort zu den Zuschauern. Schlechte (oder gar keine) Bilder muss es also nicht mehr geben. Das Internet ist in diesem Zusammenhang von Terror und Medien »a ›bridging‹ channel« (108).

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Wie diese Brückenfunktion tatsächlich funktioniert, wie die Internetangebote der Terrororganisationen (außer von Spezialisten) überhaupt gefunden werden können, was davon schließlich in den Radio- und TV-Programmen und in den Zeitungen übrig bleibt, analysiert Weimann nicht. Sein aufschlussreiches Buch endet mit der Analyse von Cyberterrorismus, den Möglichkeiten des ›Fighting Back‹ sowie mit Überlegungen zum Spannungsverhältnis von Sicherheit und Freiheit. Optimistisch freilich sind seine Perspektiven nicht: »Terrorism has been around for thousands of years (...) Modern societies will have to learn to live with some terrorism« (S. 13).

 
 

Anmerkungen

Herfried Münkler: Die neuen Kriege. Reinbek 2002, S. 194.   zurück
Etwa Peter Sloterdijk: Die Terroristen »dürfen sich darauf verlassen, dass die einzige Antiterrormaßnahme, die Erfolg garantierte, das lückelose Schweigen der Medien über neue Anschläge [...] von der Beharrung derselben auf ihrer Berichterstatterpflicht zuverlässig verhindert wird« (Peter Sloterdijk: Im Innenraum des Kapitals. Frankfurt/M. 2005, S. 283).   zurück
Münkler (Anm. 1), S. 198.   zurück
So Münkler, ebd., S. 175. Aber auch: Peter Waldmann: Terrorismus und öffentliche Wahrnehmung. In: Jörgen Klußmann (Hrsg): Terrorismus und Medien. Eine komplexe Beziehung. Bonn 2005, S. 9.   zurück
Bruce Hoffman: Terrorismus – der unerklärte Krieg. Frankfurt / M. 1999, S. 196.   zurück
Waldmann (Anm. 4), S. 10.   zurück
Siehe ebd., S. 12.   zurück