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Neues zum Paratext im barocken Buch

Eine Studie untersucht das Titelbild
im höfisch-historischen Roman

  • Jutta Breyl: Pictura loquens - Poesis tacens. Studien zu Titelbildern und Rahmenkompositionen der erzählenden Literatur des 17. Jahrhunderts von Sidneys »Arcadia« bis Ziglers »Banise«. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 44) Wiesbaden: Harrassowitz 2006. 301 S. 91 Abb. Gebunden. EUR (D) 98,00.
    ISBN: 3-447-05412-3.
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1989 ist Gérard Genettes Buch Seuils (frz. 1987) in deutscher Sprache erschienen. 1 Mittlerweile ist es mehrfach aufgelegt worden und hat auch dadurch ein germanistisches Nachdenken über Paratexte wirksam angeregt. Genettes Leistung ruht auf seiner Begriffslogik, die unterschiedliche paratextuelle Gattungen wie das Motto, den Titel, die Widmung und Vor- sowie Nachwort des Genaueren bestimmt und klassifikatorische Unterscheidungen dieser Formen vornimmt. Einzelstudien haben inzwischen an Genettes systematische Vorgabe Anschluss gesucht und sie verfeinert.

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So etwas wie eine zusammenhängende, literaturgeschichtlich orientierte Paratext-Forschung aus germanistischer Sicht hat sich daraus allerdings noch nicht entwickelt. Das liegt unter anderem daran, dass die historische Forschung, die Genettes systematischen Vorgaben nachfolgen kann, den langen Atem der Sichtung und Prüfung ihres jeweiligen Gegenstandes braucht. Und auch eine im Rahmen von Tagungen oder Forschungskooperationen institutionalisierte Paratext-Forschung steht erst am Anfang. Eine kleine Reihe bereits vorliegender Studien macht freilich schon jetzt deutlich, wie fruchtbar und aussichtsreich das Feld des Paratextes gerade auch für ihre historische Erschließung ist. Zu diesen Studien gehört die Arbeit von Jutta Breyl.

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Titelbilder und der Geltungsdrang eines Genres

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Gegenstand dieser Arbeit sind die paratextuellen Rahmenstücke des barocken höfisch-historischen Romans; wo es von der Sache her gerechtfertigt ist, werden außerdem Seitenblicke auf satirische und galante Romane des 17. Jahrhunderts und Rückblicke auf das 16. sowie Ausblicke auf das 18. Jahrhundert geworfen. Im Zentrum des Untersuchungsfeldes stehen die Titelbilder der Romane. Aber auch andere Rahmenstücke, insbesondere Widmungsschreiben und Vorreden, kommen vor allem dann in Betracht, wenn sie die Bedeutung dieser Titelbilder näher zu bestimmen vermögen.

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Die leitende Hypothese, von der Gegenstand und Fragestellung der Arbeit abhängen, entwickelt Breyl aus der Spannung zwischen dem geringen Rang, der dem Roman im Gattungssystem des Barock zugebilligt wird, und der Attraktivität auf dem Feld des literarischen Markts, die der Roman im Lauf des 17. Jahrhunderts zunehmend gewinnt.

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Die Gattung ›Roman‹ eignet sich in besonderer Weise für eine solche Untersuchung, da sie als sich etablierende Form der Literatur allererst ihren Platz sucht. Der Ort, an dem diese Auseinandersetzung um literarische Anerkennung stattfindet, der Schauplatz theoretischer und poetologischer Erörterungen der Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung dieses Genres ist in bevorzugter Weise die Rahmenkomposition. (S. 12)
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Dass das der Fall ist, weiß man bereits aus älteren Arbeiten zur Romanvorrede. Breyl behauptet nun ergänzend, dass dies auch im Medium des Titelbilds geschieht bzw. an ihm abzulesen ist.

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In Genettes Paratext-Buch, das Breyl zwar im Literaturverzeichnis erwähnt, aber sonst an keiner Stelle zum Referenztext ihrer Überlegungen macht, kommen Illustrationen und graphische Titelblattgestaltung nicht zu Wort. Insofern erweitert Breyls Studie das Blickfeld der vornehmlich auf typographische Rahmenstücke konzentrierten Paratext-Forschung.

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Der Vergleich als Methode

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Breyl ordnet ihr Material nach verschiedenen Gesichtspunkten und durchmisst ihr Untersuchungsfeld deshalb auf unterschiedliche Weise, stets aber vergleichend. Einmal macht sie einen Text (Sidneys Arcadia) und seine Übersetzungen zum Thema, dann verschiedene Exemplare einer Spielart des höfisch-historischen Romans, nämlich des politisch-allegorischen Romans (Barclays Argenis und Desmarets’ Ariane mitsamt den entsprechenden deutschen Übersetzungen), schließlich einen Text (wieder Barclays Argenis) und seine deutschen Filiationen. Auch die Rahmenstücke in solchen Texte werden vergleichend betrachtet, die aus den Kreisen der barocken Sprachgesellschaften hervorgegangen sind, dann auch die Rahmenstücke in solchen Romanen, die ein Thema (die höfische Liebe) oder ein Denkbild umkreisen (das Theatrum mundi).

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Das Vorgehen zielt auf Identifizierung und Darstellung von Veränderungen und Konstanten, die insbesondere die Titelbildgestaltung im barocken Roman betreffen. Und nicht nur dies. Auch das Verhältnis von Titelbild und Romantext kommt detailliert zur Sprache. Wie ja überhaupt die Untersuchung von Paratexten nicht bei diesen selbst stehen bleiben muss, sondern auch für das Verständnis derjenigen Texte fruchtbar gemacht werden sollte, die von diesen Paratexten umgeben werden. Breyls detailfreudige Analysen führen zu wichtigen Einsichten.

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Titelbild und Werbung

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In der Frühphase des barocken Romans – dargestellt an Sir Philip Sidneys wirkungsmächtigen Arcadia – stehen Titelblatt und Rahmenstücke im Dienst der Werbung für das Genre Roman. Aber schon die französische Ausgabe dieses Romans von 1624 und dann auch die deutsche Übersetzung von 1642/46 machen sich von der Anstrengung frei, dem Roman als Textgruppe zur Anerkennung verhelfen zu wollen; sie beziehen sich in ihren Titelbildern allein auf den individuellen Roman, dem sie jeweils vorweg stehen – für Breyl ein Zeichen dafür, dass sich der Roman als Form auf dem Markt bereits durchgesetzt hat und auf ein breites Leserinteresse trifft.

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Ganz ähnlich der Befund zu John Barclays Argenis. Die von Opitz besorgte deutsche Übersetzung (1626) dieses Musterbeispiels eines höfisch-historischen Romans steht noch ganz auf der Linie seiner humanistischen Vorgabe. Wie diese bezweckt auch Opitz’ Übersetzung die Verherrlichung des absolutistischen Staats. Das Titelbild ist Würdigung von landesherrschaftlicher Hoheit und Macht; die abgebildete statuarische Schauwand integriert Wappenkunst und stellt die Romanhelden schablonenhaft als ideales Herrscherpaar dar. So könnten sie im Titelbild auch anderer Romane der Epoche stehen. Nachfolgende Ausgaben der deutschen Argenis setzten an die Stelle des mit Säulen, symmetrischen Figuren und Insignien von Herrschaft und Macht ausgestatteten Architekturtitels die Szenenillustration; sie stellt den Bezug zum Romaninhalt her, mit einer Tendenz zur Unverwechselbarkeit. In solchen Titelbilder steht nicht die externe politische Funktion, sondern der werbende Verweis auf den Roman im Vordergrund.

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Szenenillustrationen

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Andere Texte in der Nachfolge der Argenis folgen diesem Muster und bringen ebenfalls Szenenillustrationen. Besonders interessant ist das Titelbild, das der Assenat (1670) des eigenwilligen Philipp von Zesen vorangestellt ist. Im Vordergrund sind Assenat und Josef während der Trauung abgebildet; Bildkomposition und -symbolik arbeiten in diesem Punkt mit konventionellen Elementen, die dem Leser vertraut sind. Der Hintergrund hingegen ist fremdartig; er zeigt eine unvertraute Isisstatue und allerlei Details einer orientalischen Welt. Zesen klärt den Gebrauch der Statue in einer seiner vielen gelehrten Anmerkungen, die er dem Roman beigegeben hat, auf: Es handelt sich um ein Bildzitat aus Athanasius Kirchers Oedipus Aegyptiacus, das um der Glaubwürdigkeit des Bildinhalts willen verwendet wird. Zesens Roman arbeitet ja überhaupt mit dem Mittel einer für exakt gehaltenen wissenschaftlichen Methode; in Anmerkungen dokumentiert Zesen durch Berufung auf Autoritäten, wovon der Roman spricht. Das soll die Wahrheit des Erzählten beglaubigen und Ausweis eines neuzeitlichen Interesses an der Geschichte sein. Dasselbe Muster der Quellenberufung kennzeichnet auch das Titelbild; es ist nicht nur der barocken Gelehrsamkeit geschuldet, sondern auch einem neu gewonnenen historischen Bewusstsein. Zesens Roman mag ein Sonderfall sein, er zeigt aber, dass das Titelbild allmählich frei für Innovationen wird. Breyls These: Diese Innovationen im Medium des Titelbilds sind Reflexe auf den Kampf um die Gunst des Lesepublikums, der sich im Lauf des 17. Jahrhunderts einstellt.

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Poetik des Romans im Titelbild

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An anderen Romanen (u.a. von Bucholtz, Grimmelshausen, Hagdorn, v. Birken, Anton Ulrich und Lohenstein) kann Breyl deutlich machen, dass und wie das Titelbild als Medium der Selbstverständigung eines Genres dient. In diesem Sinn zeigt das Bildelement in dem typographischen Titelblatt von Diederich von dem Werders Dianea Oder Räthselgedicht eine Muschel: ein Sinnbild für wohlgeformte Kostbarkeit und selbstbewusster Verweis auf die stilistische Pracht des Romans. Ebenfalls in diesem Sinn entwirft Zesen in seiner Adriatischen Rosemund ein poetologisches Programm des Liebesromans.

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Im Übrigen zeichnet sich der barocke Liebesroman dadurch aus, dass er Texte hervorbringt, die im Medium des Titelbildes eine profane Liebesthematik illustrieren (z.B. Kuffstein: Gefängnüß der Lieb, Ausgabe von 1660). Diese Themenwahl greift der Poetik vor, denn sie wird erst durch Pierre Daniel Huets Traité de l’origine des Romans (französische Ausgabe 1670, deutsche Ausgabe 1682) zur Anerkennung in der Theorie gebracht. Die profane Liebe im Titelbild nimmt bereits seit der Mitte des 17. Jahrhunderts auf die Bedürfnisse einer wachsenden weiblichen Leserschaft Rücksicht, die es zu stimulieren oder zu befriedigen gilt.

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Bemerkenswert sind die Rahmenstücke in der Asiatischen Banise des Lausitzers Heinrich Anselm von Zigler und Kliphausen, einem der ungewöhnlichsten und erfolgreichsten höfischen Romane des barocken Zeitalters. Zwischen Titel und Titelbild besteht eine eigentümliche Spannung. Der eine kündigt etwas an, wozu das andere auf den ersten Blick nicht gut passt. Der barocke Langtitel verspricht eine Helden- und Liebesgeschichte und bewegt sich damit ganz auf der Linie der Romane Anton Ulrichs und Lohensteins. Das Titelbild steht dem entgegen; es zeigt unter deutlichen Anleihen bei der Satire eine bunte Welt rund um die Liebesgöttin Venus. Damit wird von vornherein ein einfaches Verständnis der Banise als Staatsroman eingeschränkt. Die Kontrastierung des Disparaten – eine Eigentümlichkeit dieses Romans – wird in den Rahmenstücken des Romans nicht aufgelöst; erst bei der Lektüre des Romans wird sie verständlich. Die Banise nämlich ist als Ganzes genauso doppelperspektivisch angelegt wie ihre Paratexte: ein Roman, der einem würdigen höfischen Muster verpflichtet ist, aber auch Elemente von Ironie und Witz enthält. Auf diese Doppeltheit, die gewiss den Erfolg des Romans begünstigt hat, bereitet schon die strategisch auf die Weckung des Leserinteresses gerichtete Komplexität seiner Rahmenstücke vor.

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Anschauende Erkenntnis

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Der Anspruch, der Jutta Breyls Buch steuert, ist nicht aus systematischem Interesse gewonnen. Die Verfasserin sucht nicht den Bezug zu Genettes Paratext-Konzept. Und auch der Terminus der Rahmenkomposition, den Breyl ihrer Arbeit auf Schritt und Tritt zugrunde legt, wird nur im Ansatz diskutiert. Das ficht die Güte der literaturhistorisch ausgerichteten Studie allerdings nur bedingt an. Die eindringlichen und kenntnisreichen Beschreibungen der Titelbildkunst im höfisch-historischen Roman verwandeln die eingangs in der Arbeit formulierte Hypothese in eine gut begründete These. Die in klarer Diktion und unter reichhaltiger Beigabe von Bildmaterial entwickelten Beschreibungen haben darüber hinaus einen Wert in sich. Sie befriedigen eine auf Anschauung setzende Erkenntnis: sie lassen uns die barocken Romane besser sehen.

 
 

Anmerkungen

Gérard Genette: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1989.   zurück