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Während die Jesuiten die ärgsten Feindbilder der (nicht nur deutschsprachigen) Aufklärung darstellten, deren Auflösung durch Ganganelli 1773 enthusiastisch gefeiert wurde, während die Bettelorden der Franziskaner und Kapuziner mit Hohn und Spott als lüsterne, abergläubische und dumme Mönche lächerlich gemacht wurden, blieben die Benediktiner von solcher Wut und Verachtung weitgehend verschont. Die großen und ehrwürdigen Klöster im bayrisch-österreichischen Raum, meist landständisch und sehr begütert, ob Tegernsee oder Kremsmünster, St. Emmeram oder St. Peter, hatten schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts weitgespannte naturwissenschaftliche Interessen offenbart, ihre Bibliotheken waren meist sorgfältig gepflegt und der internationalen gelehrten Kommunikation angeschlossen, ja übertrafen teils die meisten fürstlichen Büchersammlungen. Hier waren auch die norddeutschen Aufklärer gerne zu Gast und äußerten sich mit schulterklopfender Freundlichkeit über die »würdigen Männer«.
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Johannes Frimmels Fallstudie, der eine 2000 eingereichte Dissertation bei Franz Eybl und Norbert Bachleitner zugrunde liegt, widmet sich dem 1089 gegründeten Benediktinerstift Melk. Noch heute ein stolzer Anblick am Hochufer der Donau, spielte es bei der Gegenreformation und Rekatholisierung Niederösterreichs eine wichtige Rolle. Hier gab es seit jeher eine »weitgehend autarke Hauskultur mit charakteristischen Formen der Religionsausübung, der Wissenschaftspflege und der Festkultur« (S. 13). Die Melker Äbte standen in enger Verbindung mit dem Herrscherhaus und der Wiener Kirchenhierarchie, gerade in der Reformperiode des aufgeklärten Absolutismus unter Kaiser Joseph II. Frimmels Erkenntnisinteresse gilt der Frage
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unter welchen spezifischen Verhältnissen die Auseinandersetzung mit der Aufklärung und ihren Institutionen in Melk stattfand, welche Kommunikationswege dafür offenstanden, wie sich die Modi der Rezeption wandelten, und unter welchen Bedingungen die Autoren literarisch tätig werden konnten. (S. 14)
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Das »gegenreformatorische Modell«
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Einleitend skizziert die Arbeit (S. 19–36) »Lesen, Schreiben und Publizieren in Melk: das gegenreformatorische Modell«. Lesen besaß seit der Regula Benedicti einen wichtigen Platz im monastischen Tagesablauf, sowohl individuelle Lektüre als auch gemeinsame Tischlesungen. Der externen Kommunikation dienten volkssprachliche Andachtswerke ebenso wie wissenschaftliche Publikationen – gerade in Melk hatte Bernhard Pez mit seinen Quelleneditionen ein europaweites Netz gelehrter Korrespondenzen aufgebaut.
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Klösterliche Festkultur wurde in Periochen und Predigten, Libretti und akademischen Thesenblättern, insbesondere Kasualdrucken zu Abtswahlen, -jubiläen und -begräbnissen repräsentiert, die teils von regionalen Druckern, teils auch von Wiener Verlegern veröffentlicht wurden. Die schriftstellerische Tätigkeit der Konventualen geschah unabhängig von den Bedingungen des Buchmarktes; sie wurden mit Freiexemplaren entlohnt, die sie in der Gelehrtenrepublik zirkulieren ließen. Jegliche Kommunikation stand unter strenger Kontrolle des Abtes, der (so bei Pez) Kontroversen zügeln konnte, die Lektüre der Mönche regelmäßig kontrollierte und beim Einsickern anrüchiger Texte hart durchgriff. Immerhin durfte in den 1740erjahren eine »informelle Lesegesellschaft« von Konventualen (S. 35) Gottscheds Schriften rezipieren – Frimmel wertet dies wohlwollend als »rudimentäre Form literarischer Öffentlichkeit«.
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Wirkliche Ansätze zu einem literarisches Leben, »das in Absetzbewegung von religiöser und staatlicher Funktionalisierung einen zumindest partiell autonomen Bereich darstellte« (S. 14), behandelt der Hauptteil (S. 39–157). Im Kapitel »Melk und die josephinische Aufklärung« (S. 39–52) werden des Kaisers Kirchen- und Klosterreformen vorgestellt, die die Autonomie der Stifte fortschreitend aushöhlten: das Klostergymnasium musste zum öffentlichen werden, die Konventualen wurden zur Pfarrseelsorge herangezogen, Kommendataräbte als externe Kontrollorgane bestimmt. Wichtigster Protagonist einer reformwilligen jüngeren Generation in Melk war Ulrich Petrak (1753–1814), der im Mittelpunkt von Frimmels Darstellung steht. Er ging er in Melk zur Schule, trat dort 1771 als Konventuale ein, wurde Professor am Stiftsgymnasium und 1786 zum Prior gewählt. Ab 1783 veröffentlichte er Gedichte, vor allem im Wienerischen Musenalmanach, und stand in regem Kontakt mit anderen Autoren, den er auch nach seiner Prioratszeit als Ökonomiepfarrer fortsetzte. Gleichgesinnte fand er in P. Gregor Mayer (1754–1820), Gymnasialprofessor, Bibliothekar, theologischer Autor, und in P. Maximilian Stadler (1748–1833), Theologielehrer und ab 1784 Prior, später Pfarrer in Wien und andernorts.
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Lyrik und »aufgeklärte Geselligkeit«
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Unter den »neuen Bedingungen des Schreibens, Lesens und Publizierens« (S. 53–98) – nämlich Josephs II. Literaturpolitik, Zensurreform, »Tauwetter« und Broschürenflut – entstanden neue Leserkreise wie ein neuer Autorentypus. Frimmel exemplifiziert dies an den literarischen Erzeugnissen der drei Melker Benediktiner. Petrak sandte ab 1782 seine Gedichte an den Wienerischen Musenalmanach, wo sie teils anonym, teils gezeichnet erschienen; der Mitherausgeber Ratschky zollte ihm Respekt: »In Melk hätte ich mir wohl nie träumen lassen, einen Verehrer der Musen, und noch vielweniger einen glüklichen Verehrer derselben kennen zu lernen.« (S. 62 f.). 1783 erschienen XII Lieder von Gellert für das Klavier in Musique gesetzt von Herrn P. Maximilian Stadler beim Wiener Musikverleger Toricella. Allerdings stammten die vertonten Gedichte keineswegs vom sanften Sachsen, sondern von Pater Petrak, mit einer Ausnahme – nämlich Goethes Mailied. Während sich Petrak hinter dem schon etwas angejahrten, doch in Wien noch zugkräftigen Namen Gellerts versteckte, zeichnete der Dritte im Melker Bunde, Gregor Mayer, 1785 seinen fiktiven Dialog Demea und Alcyphron. Eine Apologie fürs Frauenzimmer in zwei Gesprächen. Verfasset von F.E.G.M.B. mit seinen Initialen. Er betonte mit Recht, dass man »zwischen Auktor und Schrift einen sehr auffallenden Kontrast finden« werde, setzte also die Lüftung der Anonymität voraus.
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Die Verteidigung des weiblichen Geschlechts aus einer mönchischen Feder war allerdings ein ungewöhnlicher Beitrag zur Literatur der josephinischen Aufklärung.
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Frimmels Würdigung von Petraks Lyrik (S. 70–98) stellt diese Gedichte in die Gattungstradition der scherzhaften Dichtung Hagedorns und der Anakreontiker, die im katholischen Süden am Ende des Jahrhunderts nochmals eine Spätblüte erlebte, während sie im Norden bereits als obsolet galt. Unter dem »Kommunikationsideal aufgeklärter Geselligkeit« konnte sich auch der dilettierende klösterliche Autor als Unterstützer der josephinischen Reformen zu erkennen geben und sein Publikum in den literarischen Salons der Residenz finden. Kein Wunder, dass »der gesund denkende Wiener, der seinen Wieland, Uz, Leßing u. Hagedorn &c noch als claßische Muster schätzt« (so Leon an Böttiger, zitiert bei Frimmel, S. 75), um 1800 mit der Romantik wenig anzufangen wusste. Das gute Dutzend scherzhafter Gedichte Petraks in den Wiener Almanachen, das Frimmel genauerer Analyse unterzieht, preist launig klösterliche Trinkrunden (»Es wohnt der muntre Freudengott / Bey uns Kapitularen«), wagt galante Anspielungen (»Kriechet nur mit mir ein Mädchen / In ein grünend Zelt«), vereint empfindsame Einsprengsel mit Kritik an Wunderglauben, Moralaposteln sowie an Nicolais katholikenfresserischer Reisebeschreibung.
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Literarische Kommunikation im Josephinismus
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Anschließend wendet sich Frimmel dem Verhältnis des Klosters Melk zu den Institutionen der josephinischen Öffentlichkeit zu (S. 99–145): die traditionellen Regeln klösterlicher Kommunikation seien nun auf bemerkenswerte Weise »derartig umfunktioniert, dass sie den aufklärerischen Idealen von Geselligkeit entsprachen« (S. 100). Der poetisierende Prior Petrak lockerte die Klosterdisziplin und erleichterte die interne und externe Kommunikation. Er selbst ging durch seine zahlreichen Wienaufenthalte und den Empfang von Autoren wie Alxinger und Blumauer, aber auch Meiners und Spittler im Kloster mit gutem Beispiel voran. Konventualen gewährte er den Besuch einer Faschingstheateraufführung im Ort. Wie seine Vorgänger gelehrte und geistliche Korrespondenzen, kultivierte Petrak nun freundschaftliche Briefwechsel. Exemplarisch ist für Frimmel jener mit Georg Aloys Dietl.
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Dieser bayerische Geistliche und Volksaufklärer hatte sich in Vertrauten Briefen (1786) und Freundschaftlichen Briefen (1790) freimütig mit Zölibat und dem Mönchswesen befasst, aber auch ein schwärmerisch-empfindsames Gemüt sowie positive Kant-Rezeption offenbart. Dietls Räsonnements gingen mit der josephinischen Aufklärung konform – allein das Preßburger Generalseminar bestellte 300 Exemplare –, wurden jedoch im Bayern Karl Theodors von der Zensur verboten. Auch seine (im Anhang abgedruckten) Briefe an Petrak richten sich nicht an den Klosterprior, sondern den Privatmann und Freund, beherrschen das Repertoire des scherzhaften, digressionsgespickten Stils und parodieren die scholastische Kasuistik. Bezeichnend für den Generationenbruch ist auch, dass Dietl ein Faschingsspiel von Maurus Lindemayr, dem österreichischen Sebastian Sailer, als »elendes Machwerk« abqualifiziert.
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Zu den freundschaftlichen Briefen traten gesellschaftliche Auftritte: Petrak war häufiger Gast im Wiener Salon des Hofrats Greiner, wo er Literaten und Künstler traf und auch das kulturelle Prestige des Klosters repräsentierte. Als wichtigstes »Forum einer von Hof und Kirche emanzipierten Öffentlichkeit« (S. 132) sieht Frimmel die Freimaurerei. Immerhin sechs Ordensleute zählten zu den Wiener Logen, möglicherweise auch Petraks beide Vorgänger Thomas Pauer und Urban Hauer, vielleicht auch Petrak selbst. Dafür freilich sind trotz mehrerer maurerischer (wie auch alchemistischer) Manuskripte in der Melker Bibliothek konkrete Belege nicht (mehr?) zu finden. Als »neue Wege der Rezeption von Literatur« (S. 147–157) erscheinen der von 28 % auf 17 % sinkende Anteil theologischer Neuerwerbungen in der Klosterbibliothek und das gleichzeitige Anwachsen der Zeitschriftenabonnements, darunter Wielands Teutscher Merkur, Boies Deutsches Museum und gar Biesters Berlinische Monatsschrift. Nicht allein Richardsons Pamela und Grandison werden nun angeschafft, sondern auch die Kritik der reinen Vernunft. Der Konfiskation verfielen jedoch noch 1783 – ein letztes Rückzugsgefecht – private Erwerbungen wie der Werther und aliaque obscoenissima. Wenig später konnten Bücheragenten aus der Hauptstadt die privaten Lektürewünsche der Mönche befriedigen. Auch in Melk vollzog sich der Wandel des Leseverhaltens von der monastischen zur säkularisierten Rezeption.
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Ein kurzer Epilog (S. 161–178) konstatiert das Ende des josephinischen Tauwetters und Wiedererstarken der Zensur. Die Restauration traf in Melk auf einen geschrumpften und überalterten Konvent. Petrak wandte sich nach seinem Priorat der ländlichen Seelsorge zu, blieb dem aufklärerischen Impetus verpflichtet und veröffentlichte 1797 einen »Praktischen Unterricht den niederösterreichischen Saffran zu bauen«. Die »Generation der alten Josephiner« (S. 175) blieb sich treu; Gottlieb Leon sandte dem Pfarrer nun regelmäßig Wiener Neuerscheinungen zu, aber auch Schriften des Romantikgegners Garlieb Merkel, edierte seine Kirchenlieder und publizierte seine harmlosen Reime.
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Ein Anhang (S. 181–234) enthält eine Auswahl von Briefen an Petrak aus dem Stiftsarchiv, neben jenen von Dietl weitere u.a. von Ratschky, Blumauer, Alxinger, Haschka und eben Leon.
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Fazit
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Johannes Frimmel hat eine flüssig lesbare, angenehm unprätentiöse, mit aufschlussreichen Details gespickte
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Fallstudie vorgelegt, die ein wohl repräsentatives Beispiel eines österreichischen Klosters an der Schwelle der literarischen Neuzeit bietet. Erstmals wird hier mit der Untersuchung der literarischen Aufklärung ein Schritt getan über den bisherigen Forschungsstand hinaus, der sich auf die benediktinische und generell monastische Wissenschaftspflege der Aufklärungszeit konzentriert und diese von den früheren Klischees befreit hat.
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Seine Ergebnisse sind nicht spektakulär; aus Melk ist kein aufsässiger Novize entlaufen (wie Johann Pezzl, über den eine Monographie längst überfällig wäre), hier hat kein hoffnungsvoller Jüngling den Freitod gewählt (wie Nonnosus Gschall in Oberaltaich), geschweige denn sich zum Jakobiner radikalisiert wie Eulogius Schneider. Die Melker Literaten blieben dem staatsfrommen Josephinismus verhaftet. Offenbar spielte sich das Literarische Leben in Melk nur zu einem geringen Teil im Konvent selbst ab. Wenn der Rezensent recht sieht, waren die »vielen Proponenten der aufklärerischen Reformen« (S. 166) dort nur Petrak, Mayer, Stadler und vielleicht der nicht näher behandelte Bibliothekar Strattmann. Die Gesamtzahl der Konventualen wird übrigens nicht genannt; 1795 notierte der Prior, das Kloster bestehe, die Novizen ausgenommen, nur aus »einigen alten und gebrechlichen Stiftsgeistlichen« (S. 164). Dringlich wären Folgestudien zu weiteren Prälatenklöstern des bayerisch-österreichischen Raumes. Immerhin – ein Anfang ist gemacht.
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