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Liebende, Gemahlinnen, Blaustrümpfe
und gelehrte Frauenzimmer

Weiblichkeitsentwürfe und weibliches Schreiben
im 18. und 19. Jahrhundert

  • Gudrun Loster-Schneider / Gaby Pailer (Hg.): Lexikon deutschsprachiger Epik und Dramatik von Autorinnen (1730-1900). Mit CD-ROM. Tübingen, Basel: Francke 2006. XII, 492 S. Gebunden. EUR (D) 128,00.
    ISBN: 978-3-7720-8189-7.
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Das neue Werklexikon stellt 343 dramatische und epische Werke von 170 Autorinnen vor und bietet somit schon allein auf Grund des Umfangs, der Vielfalt und des gewählten Gegenstands ein einzigartiges Lexikon. Neben der Funktion als Nachschlagewerk kann dieses Lexikon außerdem auch als Materialsammlung oder als Einstieg dienen, um einen Einblick in Weiblichkeitsentwürfe und weibliches Schreiben im 18. und 19. Jahrhundert zu gewinnen, denn bei der sukzessiven Lektüre der einzelnen Werkartikel entfaltet sich ein facettenreiches, bislang größtenteils unbekanntes literarhistorisches Panorama. Es ist eindeutig ein Gewinn für die Forschung, viele unbekannte und oftmals auch schlecht verfügbare Texte hier kompakt und kompetent referiert zu bekommen. 1

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Aufbau

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Das Lexikon orientiert sich beim Aufbau der einzelnen Werkartikel am Klassiker der Werklexika: Kindlers (Neues) Literatur Lexikon. Alphabetisch sortiert nach Namen der Verfasserin und Werktitel – und ergänzt durch verschiedene Register, u.a. mit Verweis auf Pseudonyme – ist jede Autorin und jeder Text leicht auffindbar. Die einzelnen Artikel bestehen aus folgenden Teilen: Namen der Autorin mit Lebensdaten, Titel und gegebenenfalls Untertitel des Werks mit Datum des Erstdrucks, Inhaltsangabe, Analyse des Aufbaus und Kommentierung, Literaturverzeichnis. Diese vorgegebene Struktur ist sinnvoll und wird auch von allen Beiträgern durchweg eingehalten. Aber gelegentlich ergibt sich hieraus eine gewisse Irritation für den Nutzer. Kindlers Neues Literatur Lexikon bietet im ersten Satz des jeweiligen Artikels zusätzlich Kurzinformationen zu Gattung und Entstehung des Werks, beide Informationen vermisst man im vorliegenden Lexikon dann und wann schmerzlich.

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Zur Erläuterung: Zwar ist immer das Jahr des Erstdrucks angegeben, doch liegen insbesondere bei Dramen Entstehung und gelegentlich auch Aufführung oft deutlich vor dem Druckdatum, so dass eine zusätzliche Erwähnung dieser Daten zur besseren Orientierung und literarhistorischen Einordnung durchaus hilfreich gewesen wäre. Des Weiteren scheint eine Gattungsbezeichnung am Anfang des Artikels nur zu erfolgen, wenn diese durch die Dichterin selbst im Untertitel angegeben war. Der Entschluss, keine Gattungszuweisungen durch die Verfasser der Artikel am Anfang vorzunehmen, ist zwar durchaus nachzuvollziehen, da jede spätere Gattungszuordnung bereits eine Form von Interpretation darstellt, der Nutzer vermisst diesen Informationsgehalt aber gelegentlich. Zum Beispiel las die unwissende Rezensentin mit Spannung die Inhaltsangabe von Sophie Bernhardis nicht weiter gekennzeichnetem Werk Die Brüder. Eine komplexe Handlung mit einer Unmenge von Figuren, einer Vielzahl von Schauplätzen, Aktionen wie einer Schifffahrt, Zweikampf, Pferden und einem von einem Felsen herabstürzenden Reiter wird entfaltet. In der Erwartung, es auf Grund der Komplexität und der ereignisreichen Handlung mit einem dicken Abenteuer- und Liebesroman zu tun haben, kam die im Kommentarteil nachgereichte Information, es handele sich um ein Schauspiel mit Gesang, völlig überraschend. Die Frage, wie Sophie Bernhardi diesen Stoff denn nun dramatisch und dialogisch gestaltet hat oder vielleicht sogar bühnentechnisch vermitteln wollte, bleibt unbeantwortet, denn durch die strikte Trennung von Inhalt und Kommentarteil bleibt die gattungsspezifische Umsetzung gelegentlich unklar.

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CD-ROM

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Das komplette Lexikon ist außerdem auf einer CD-ROM abgespeichert, die beigefügt ist. Die Bedienungsoberfläche orientiert sich an dem sicherlich vielen Nutzern bekannten Aufbau der Literatur-CDs der Digitalen Bibliothek und ist ohne Anleitung leicht zu verstehen. Die CD-ROM bietet zusätzliche Nutzungsmöglichkeiten zum gedruckten Lexikon. Mit Hilfe der Volltextrecherche können schnell systematische Suchen vorgenommen werden: So findet man beispielsweise in Sekundenschnelle heraus, dass zwei Singspiele im Lexikon vorgestellt oder 118 Werke auktorial erzählt werden.

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Durchführung

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Das Lexikon zeichnet sich durch eine einheitliche Gestaltung der einzelnen Artikel und eine Durchführung auf hohem Niveau aus. Die Inhaltsangaben sind präzise und gut verständlich, der Kommentarteil bietet formale Analysen und literarhistorische Einordnungen und Bezüge, ohne zu stark interpretatorisch oder wertend einzugreifen. Schwerpunkte sind dabei außerdem intertextuelle Bezüge zwischen den Werken der Autorinnen sowie zu den Kanonwerken anderer Autoren. Man begegnet wiederholt bekannten Motiven, Stoffen oder Figuren, die nunmehr aus einer anderen, aus einer weiblichen Perspektive literarisch gestaltet werden. Insgesamt stehen in den behandelten Werken selbst ebenso wie im Kommentarteil verstärkt die weiblichen Figuren im Vordergrund, deren Handlungen, Konflikte und Probleme in der Gesellschaft ihrer Zeit geschildert werden. Neben den in der Literatur omnipräsenten Liebespaaren gibt es hier auch differenzierte Darstellungen von Ehefrauen, Müttern oder Witwen; Themen wie Erziehung, Bildung, Geschlechterkonzepte, Eigenständigkeit oder Berufstätigkeit von Frauen – insbesondere die immer wieder von Autorinnen auch aus eigener Erfahrung problematisierte Doppelrolle als Frau und Schriftstellerin – werden aufgegriffen. Somit bringt das Lexikon nicht nur wenig beachtete Werke von Autorinnen in die literaturwissenschaftliche Forschung neu ein, sondern legt außerdem auch das Fundament für eine auf breiter Basis ausgerichtete Forschung zu Geschlechterkonzepten und -konstellationen in Literatur und Gesellschaft im 18. und 19. Jahrhundert.

 
 

Anmerkungen

Die Gefahr besteht natürlich – wie bei jedem Werklexikon –, dass der Werkartikel das entsprechende literarische Werk und seine Lektüre zu ersetzen droht. Nicht umsonst ist Kindlers Neues Literatur Lexikon vor allem bei Studierenden beliebt, die oftmals mangelnde Lektürebereitschaft durch eine Durchsicht des entsprechenden Artikels zu kompensieren versuchen.   zurück