Jörg Robert

Performativer Klassizismus

oder: Klopstock übersetzt die Antike




  • Stefan Elit: Die beste aller möglichen Sprachen der Poesie. Klopstocks wettstreitende Übersetzungen lateinischer und griechischer Literatur. (Die Antike und ihr Weiterleben 3) St. Augustin: Gardez! 2002. 492 S. Paperback. EUR 49,90.
    ISBN: 3-89796-077-X.


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Wandler zwischen den Welten:
Klopstock macht Epoche – oder nicht?

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Friedrich Gottlieb Klopstock zählt fraglos zu jenen Erscheinungen der Literaturgeschichte, die sich Kategorien wie ›konservativ‹ und ›progressiv‹ beharrlich entziehen. Schon die Zeitgenossen bewerten seinen epochalen Status zwiespältig. Sieht Goethe mit Klopstock einmal »die Zeit (ge)kommen, wo das Dichtergenie sich selbst gewahr würde«, eine Figur, die geeignet ist »Epoche zu begründen«, 1 so attestiert er ihm andererseits, daß ihm »das Wesentlichste zu einem epischen und dramatischen Dichter, ja man könnte sagen, zu einem Dichter überhaupt gefehlt habe«. 2 Lessings berühmtes ›Sinngedicht‹ bringt diese Aporie auf die viel zitierte Frage: »Wer wird nicht einen Klopstock loben? Doch wird ihn jeder lesen? – Nein.« 3 Klopstocks schwankendes Bild in der Evolution der modernen Poetik zählt denn auch zu den notorischen Topoi der Forschung. Fraglos ist die Verankerung Klopstocks in der Tradition frühneuzeitlicher rhetorischer Poetik: »a non plus ultra in the assimilation of poetics to rhetoric, and of poetry to oratory«. 4 Gerade die neuere Forschung hat jedoch mit Nachdruck den ›progressiven‹ Klopstock gegenüber dem Nachlaßverwalter alteuropäischer Poetik zu profilieren gesucht, am entschiedensten Menninghaus in seiner dekonstruktivistischen Annäherung an Klopstocks Verstheorie. 5

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Auch Stefan Elits Bonner Dissertation, die ihrem Thema zum Trotz als klassisch-philologische Arbeit entstanden ist, situiert sich mit ihrem rezeptionsgeschichtlichen Ansatz eher auf der Seite einer behutsam philologischen Klopstock-Deutung. Sie stellt eine Schrift in den Mittelpunkt, die bislang eher randständig war, schon weil sie in der großen »Hamburger Klopstock-Ausgabe« noch nicht greifbar ist. Gemeint sind die Grammatischen Gespräche (im folgenden abgekürzt als: GrGe) von 1794, die einen doppelten ›Wettstreit‹ der Sprachen in der Form des lukianesken Dialogs inszenieren: Einerseits streitet das Deutsche in der Tradition der Querelle mit den antiken Sprachen, die hier übersetzt und nötigenfalls ›verbessert‹ werden, andererseits sollen diese Übersetzungen aus dem Griechischen und Lateinischen die Vorzüge des Deutschen gegenüber dem Französischen und Englischen bezeugen. Mit der Frage nach der ›besten aller möglichen Sprachen‹ wie mit dem Wettstreitgedanken greift Klopstock dabei wesentliche Traditionen frühneuzeitlicher Poetik auf. Einerseits wird ein ins 16. und 17. Jahrhundert zurückreichender, an die Rezeption der Taciteischen Germania geknüpfter sprachpatriotischer und -metaphysischer Diskurs fortgeführt, 6 andererseits dienen die rhetorischen Schreibstrategien von ›imitatio‹ bzw. ›aemulatio veterum‹ dazu, Klassizität und Klassikfähigkeit des Deutschen zu erweisen. Daß sich dieses Unterfangen nicht nur aus heutiger Sicht »in manchem merk- bis fragwürdig« ausnimmt, konzediert der Verfasser selbst (S. 395).

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Elits Darstellung zerfällt in zwei große Teile. Zunächst wird ausgehend von den GrGe, aber auch über diese hinaus Klopstocks Projekt einer »wettstreitenden Übersetzung« vorgestellt und ideen- und literarhistorisch kontextualisiert. Das Zentrum der Arbeit bildet jedoch die nahezu 200 Seiten umspannende Detailanalyse der Übersetzungen, die Kriterien der Klopstockschen Übersetzungspoetik im akribischen Vergleich mit den jeweiligen Originalen erarbeitet. Diese werden in einem Auswertungsteil gebündelt und in einer Gesamtzusammenfassung am Ende noch einmal auf das Rahmenthema perspektiviert. Abgerundet wird dies von einem ca. 80 S. umfassenden Anhang mit Texten und Stellensynopsen der Übersetzungen. Ein Register findet sich – bedauerlicherweise – nicht. Materielle Grundlage sind die zwischen 1795 und 1801 in verschiedenen Zeitschriften und Almanachen veröffentlichten Übersetzungen lateinisch-griechischer Autoren, denen Elit als Gruppe »wettstreitenden Charakter« zuspricht. Ihr ursprünglicher Publikationsrahmen waren die GrGe (verfaßt 1793, gedruckt 1794), eine Spätschrift, die teilweise auf frühere Überlegungen seit der Gelehrtenrepublik (1774) zurückgeht. Weitere Schriften im »Vorfeld« (S.24) werden von Elit vergleichend und abrundend in die Untersuchung einbezogen.

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Elits Untersuchung setzt sich vor diesem Hintergrund das doppelte Ziel, 1. den allgemeinen Charakter der Rezeption antiker Literatur bei Klopstock zu beschreiben und dies 2. auf eine »philologisch-stilistische Analyse«, der einzelnen Übersetzungen zu beziehen. Als »Nachvollzug der übersetzungspraktischen Auswirkung der poetischen und übersetzungstheoretischen Kategorien« steht sie nach Umfang und Gewicht im Zentrum der Arbeit (S. 19). Die Analyse der Übersetzungen will dabei nicht nur Klopstocks Metrik und Poetik beleuchten, sie soll auch dazu beitragen, »die übersetzte Literatur und ihre Textur selbst besser kennenzulernen«, um auf diese Weise zu klären, »was ›eigentlich‹ im Original stehen mag« (S. 20).

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Leitend ist damit eine hermeneutische Voraussetzung der Rezeptions- und Lesertheorie: Der ›eigentliche‹ Sinn eines Werkes, seine Bedeutungspotentiale entfalten sich historisch-dynamisch in der Folge immer neuer ›Konkretionen‹. Dieser Prämisse folgt Elit, ohne dies jedoch zu explizieren (die Arbeiten von Iser und Jauss fehlen im Literaturverzeichnis). Die eine oder andere systematische Überlegung zum historischen Kontext wie zur philologischen Methodik, die sich in der Form von ›Exkursen‹ über die Untersuchung verteilen, hätte in der ›Einleitung‹ einen sinnvolleren Platz gefunden. Überhaupt hätte man gerne mehr über die diachronen ›Kontexte‹ von Klopstocks Klassizismus gewußt. Über seine Bindung an fundamentale Prinzipien alteuropäischer Poetik – die Theorie der imitatio, der die literarische Übersetzung als Grundstufe zugehört – wie überhaupt die Kontinuität frühneuzeitlicher Dichtungstheorie. Was bedeutet es andererseits, wenn Klopstock, der ›Lehrling der Griechen‹ (so der Titel einer frühen Ode von 1747), gegen Ende seines Lebens von seiner nationalen Phase eine Art Parallelaktion zur ›Weimarer Klassik‹ beginnt? Elit läßt solche Fragen des Klassizismusdiskurses und seiner Typologien eher unberührt, die neuere Literatur zum Klassizismus wird – mit Ausnahme von Vosskamp – nur selektiv einbezogen. Freilich läge hier ein Potential für die Klopstockforschung: Denn, dieser Eindruck verdichtet sich im Nachvollzug von Klopstocks Übersetzungsprojekt, hier liegt ein durchaus anderes, älteres (?) Klassikverständnis vor, das für die Pluralisierung des ›Klassizismus‹ um 1800 zu beschreiben wäre: ›Classicität‹ wird hier nicht geschichtsphilosophisch, sondern rhetorisch-performativ begründet und ›hergestellt‹. Klopstock erschreibt sich – ganz in der Manier des alteuropäischen Nachahmungsprinzips – seine Klassiker.

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Kürze – brevitas – Männlichkeit:
Klopstocks Sprachpoetik des Deutschen

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Die GrGe, die im Mittelpunkt des zweiten Hauptkapitels wie der Arbeit insgesamt stehen, werden von Elit als »eine besondere Form der Grammatik-Poetik« und eine »summa« seiner sprachpoetologischen Überlegungen gewürdigt. Geistesgeschichtlich stellten sie eine »Verbindung eines in der allgemeinen Tendenz bereits barocken thematischen Interesses in einer frührationalistischen (Dialog-)Form« dar (S.388). Die dialogische Inszenierung nach Lukian wird im ersten Gespräch (Die Grammatik) eröffnet, es treten die »für das mittlere und späte 18. Jahrhundert hauptsächlichen Instanzen des menschlichen Geistes als Allegorien bzw. Personifikationen auf, um von einer ebenfalls personifizierten Grammatik belehrt zu werden.« (S. 25 f.). Auf das wichtigste Vorbild, Lukians Iudicium vocalium, d.h. die »Klage [...], welche Mitlaut Sigma wider Mitlaut Tau vor den Selbstlauten erhob«, weist Klopstock selbst hin.

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Worin besteht nun die besondere »Wettstreitatmosphäre« des Werks? Wichtigstes Anliegen ist es, die grammatisch-poetologischen Eigenschaften des Deutschen im »Leistungsvergleich« der Sprachen zu erweisen. Hierin erkennt Elit völlig zu Recht eine aemulatio mit doppelter Perspektive. Sie richtet sich einerseits auf die griechischen und lateinischen Texte, die ›verbessert‹ und überboten werden, vor allem aber auf einen Agon mit dem Französischen, das im Dialog in den Personifikationen »Rivarolade« und »Palissotie« figuriert (S. 29). Die »deutliche Antipathie« der deutschen Vertreter (»Teutone«) ihnen gegenüber ist als Reflex der allgemein antifranzösischen Stimmung der Zeit leicht ersichtlich. Elit läßt an Zitaten aus der französischen Sprachdiskussion deutlich werden, daß das Deutsche hier aus der Defensive gegen eine sich selbst auf ›raison‹ und ›clarté‹ berufenden französischen Idealsprache definieren muß. Innerhalb der schwelenden Rangdebatte unter den Nationalsprachen und -literaturen sollten die GrGe zu einer »fiktionsgebundenen, endgültigen Entscheidung« im stellvertretenden Agon des lukianesken Dialogs führen (S. 32).

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Freilich: der Krieg zwischen den modernen Sprachen findet bei Klopstock nicht statt, obwohl angekündigt, wird er in den publizierten Teilen nicht fortgeführt. Um so mehr rückt der Wettstreit mit den Alten Sprachen –»Teutonens mit Hellänis« – in den Mittelpunkt. Der eigentliche Wettstreit vollzieht sich nach Art einer ›Blumenlese‹, zusammengetragen werden »Stellen, die die ›Vereinigung‹ möglichst kurz übersetzen muß« (S. 37). Die Meßlatte, die an Autoren wie Homer, Xenophon, Tacitus, Vergil, Ovid u.a. angelegt wird, ist aus der sprachpatriotischen Diskussion des 17. Jahrhunderts nur allzu vertraut: Sie heißt ›Kürze‹ – ›brevitas‹ und bezeichnet in kalkulierter Doppeldeutigkeit sowohl eine native Qualität des Deutschen als auch eine rhetorische Stilqualität. In einem Autor sieht Klopstock dieses Ideal in besonderer Weise realisiert: »allein Horaz ist allüberall kurz« (S. 39), gemeint sind vor allem die Carmina. Elit geht dem Sprachenwettstreit nach, wie er sich in den Schriften zwischen 1795 bis 1803 darstellt, insbesondere der als Teil der GrGe konzipierte Zweyte Wettstreit verdient Beachtung: »Ellipsis« kämpft hier mit der »Vereinigung«, Homer, Vergil und Thukydides sind die Autoren, an denen das Paradigma der ›Kürze‹ reflektiert wird. Theoretisch wird Klopstocks Projekt in Diskussionen mit den kritischen Lesern Gleim und Herder fortgeführt. Mit dem Engländer Joseph Charles Mellish tritt der Dichter sogar in einen realen Übersetzungsagon, über Karl August Böttiger bemüht er sich, die Übersetzungen bei Göschen als Sonderdruck unter dem Titel: brevitas Linguae Germanicae monstrata versis quibusdam locis Veterum zu publizieren.

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Klopstocks Poetik und Metrik trägt Elit in zwei ›Exkursen‹ nach (warum eigentlich ›Exkurse‹?). In groben Zügen wird der Gang der Poetik von Gottsched über die Schweizer skizziert, der Dichter des Messias »in den mittleren 1740er Jahren« als Nachfolger Bodmers und Breitingers hinsichtlich der »herzrührenden« bzw. »herzbewegenden«, d.h. »empfindsam-erhabenen« Schreibweise bezeichnet (S. 51 f.). Der ideen- und literarhistorische Kontext – Fragen terminologischer Epochenabgrenzung und -kategorisierung oder Klopstocks Verhältnis zum Pietismus – wird knapp, oft in Anmerkungen abgehandelt, Eckpunkte Klopstockscher Poetik (»Darstellung«) rekapituliert. Für das zunehmend an Bedeutung gewinnende Kriterium der »Kürze« wird kein eigener »Plausibilisierungsversuch« unternommen (S. 54 Anm. 138). Elit sieht hier doch nur »die ›pure‹, alte rhetorische brevitas« am Werk (S. 54) – ein Urteil, das ein wenig apodiktisch die ›sprachontologische‹ Bedeutung von ›Kürze‹ als Wesensmerkmal des Deutschen unterschlägt. Immerhin relativiert Elit die generelle Subsumtion der ›empfindsam-erhabenen‹ Schreibart unter das ›Kürze‹-Ideal (S. 55), in der Exaltation der ›Kürze‹ liege vielmehr eine spezifische »Spätform« vor (S. 56), die ältere Begriffsprägungen wie die »Karglautigkeit« ersetze. Zudem werde die ›alte‹ rhetorische ›brevitas‹ auf den »hohen Ton« bezogen und – auch dies entscheidend – ein isoliertes Stilprinzip zur alleinigen Norm der Poetik erhoben.

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Delikat und umstritten ist nun die Nachbildung der antiken Metrik: In zahlreichen Aufsätzen hat sich Klopstock mit diesem Thema beschäftigt. Elit nutzt auch hier naheliegenderweise die GrGe zum Einstieg in dieses, seit Menninghaus wieder kontrovers diskutierte Feld Klopstockscher Poetik. Im Agon mit den Antiken erweisen sich dabei die Nachahmer als wahre »Muster«, sofern etwa die vom Sprachcharakter des Deutschen erzwungene »Trochäenhäufung« im Gegensatz zu den Spondeen als Kennzeichen der deutschen Eigenart und Überlegenheit gewertet wird, schon weil die Trochäen sich – entsprechend Klopstocks Lehre vom »Mitausdruck« – dem Inhalt besonders gut anfügen. Deutsche und griechische Metren gelten, Elit weist darauf hin, schon qua Vergleich als äquivalent, das quantitierende Prinzip wird von Klopstock als Nebenbedingung auch in den eigenen Übersetzungen berücksichtigt. Der Tendenz nach bleibt Elit im Zentrum der rhetorisch-philologischen Klopstockdeutung, dezidiert setzt er sich am Ende von »Menninghaus’ eigenwilliger, etwas gewollt dekonstruktiver Relektüre« ab (S. 60 Anm. 159). Über das Kontextualisieren hinaus strebt Elit keine eigenen Überlegungen zu Klopstocks Metrik an, beide ›Exkurse‹ sind gemessen an der Bedeutung ihrer Gegenstände für das Unternehmen, knapp und rekapitulieren im wesentlichen den Forschungsstand.

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Der folgende Abschnitt widmet sich der Rezeption der von Klopstock übersetzten antiken Autoren – Homer, Vergil, Xenophon, Thukydides, Ovid schließlich Horaz im deutschsprachigen Raum. Als prägendes »diskursives Ereignis« hinter dem Übersetzungsklassizismus des 18. Jahrhunderts wird die berühmte Querelle des anciens et des modernes ausgemacht, die – darin folgt Elit Jürgen Fohrmann 7 – von einer »Querelle der Nationen« überlagert werde. Hier fällt dem Deutschen aufgrund seiner seit dem 16. Jahrhundert postulierten Verwandtschaft mit dem Altgriechischen eine Vorzugsstellung zu, die Abwertung des Römischen zugunsten des Griechischen findet eine linguistische neben der dominant kulturphilosophischen Begründung (S. 63 f.).

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Im folgenden skizziert Elit im Überblick die Rezeption der von Klopstock übersetzten Autoren. Gewürdigt wird jeweils die allgemeine Rezeption des Autors, schließlich seine Aufnahme durch Klopstock. Aufs Ganze gesehen sind es die Klassiker, die hier zum Zuge kommen: Vergil und Homer nehmen schon aufgrund ihrer – seit der Frühen Neuzeit, wenn nicht seit der Spätantike etablierten –»kontrastiven Bezogenheit« eine Sonderstellung ein. 8 Die Dialektik von »Naturdichter« Homer und »Kunstdichter« Vergil bestimmt, die wird ausführlich rekapituliert, die Diskussion mit variabler Wertung seit Scaligers Poetik. Folgt Gottsched Scaligers Präferenz für Vergil, so betont Breitinger den »Original=Character« Homers und leitet dessen Hochschätzung als ›Originalgenie‹ ein. Im Gegenzug wird das Römische, als das Proto-Romanische im Rahmen der ›Querelle der Nationen‹ stellvertretend abgewertet. Originalität und Nachahmung werden dabei als dialektische Pole begriffen (S. 69–75). Klopstock selbst thematisiert den Rangstreit der Epiker bereits in seiner Rede zum Abgang von Schulpforta, die in dem Diktum gipfelt: »Natura erat Homerus et Homerus Natura« (S. 76).

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Ambivalenter bleibt das Verhältnis zu Vergil. Klopstock eröffnet sogar den Zweyten Wettstreit der GrGe mit ihm, und überhaupt kann Elit hier ein »an sich positives Vergilbild« ausmachen. Im Messias stehen Vergilische und Homerische Reminiszenzen nebeneinander, ganz zu schweigen von Milton und den neulateinischen Bibelepikern (Sannazaro, Vida). In all dem erscheint Klopstock einerseits als »später Anhänger der anciens, andererseits aber auch als typischer ›Moderner‹«(S. 81). Ausführlich kommentiert Elit die noch wenig untersuchte, dafür um so intensivere Rezeption Xenophons im 18. Jahrhundert, die am Dichter der Anabasis vor allem ›einfache Grazie‹ und Schlichtheit (gr. aphéleia) schätzt. Daß Thukydides aufgrund seiner ›dichten Kürze‹ und ›Kargheit‹ für Klopstocks Ideal erhabener Empfindsamkeit relevant ist, leuchtet ebenso unmittelbar ein wie die Tatsache, daß Ovid als »Negativbeispiel in puncto ›Kürze‹«wie als Sinnbild des ›Übercultivierten‹ erscheint (S. 88). Klopstock steht nicht nur bei diesem Autor mit beiden Füßen auf dem Boden einer von Quintilian ausgehenden Linie der Literarkritik, deren Präferenzen er wie das 18. Jahrhundert insgesamt ausschreibt.

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Eine Sonderstellung kommt dem Horaz der Carmina zu, die Elit in die intensive Horaz-Rezeption des 18. Jahrhunderts, dokumentiert durch die Übertragungen Samuel Gotthold Langes (1747; 1752) einordnet. Klopstock fügt sich damit in eine lange Reihe frühneuzeitlicher Horaz-Imitatio, die Eckart Schäfer einst unter dem Generaltitel ›Deutscher Horaz‹ verhandelt hat (der Titel fehlt in der Bibliographie). 9 Diese Tradition wirkt fort, nun auf neuer Grundlage. Elit sieht mit dem Gros der Forschung Horazrezeption und die Entwicklung der empfindsamen Lyrik als kommunizierende Phänomene; dieser Abschnitt zählt zu den spannendsten und wichtigsten des Buches. Anhänger wie Gegner der ›herzrührenden Schreibart‹ (etwa Gottsched) fanden in Horaz eine Muster-Autorität, der Horaz der Oden wird, wie Elit zeigen kann, über die Parteien hinweg »zum zentralen programmatischen Teil eines (nationalen) ästhetischen Erziehungsprogramms« (S. 98). Auf der anderen Seite ist die frühe Horazbegeisterung der 50er und 60er Jahre (dokumentiert in der Schrift Von der Nachahmung des greichischen Sylbenmasses im Deutschen von 1756) einer differenziert-kritischen Haltung gewichen ist, die Elit einem agonalen Bedürfnis nach »nationaler Eigenständigkeit und Emanzipation« zuschreibt (S. 101).

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Die Reihe der von Klopstock ausgewählten Autoren ist nun keinesfalls zufällig, wie Elit in einem weiteren ›Exkurs‹ zu »Bedingungen literarhistorischer Kanonisierung« deutlich macht (S. 103–110). Mit der Kanonfrage ist ein zentraler Aspekt rezenter Klassizismusforschung berührt. Bezugnehmend auf Jan Assmann und Wilhelm Vosskamp hebt Elit an Klopstocks Kanonbildung die »Epochalität« (d.h. Epochengebundenheit) auf der einen, »Atemporalität« auf der anderen Seite hervor. Diese ist freilich alles andere als »eigentümlich«, verweist doch der restriktive »kleine Kanon« nur »zirkulär« auf Klopstocks eigenes Dichterideal zurück: Hier liegt die Scheidelinie zwischen einer historistisch-sentimentalischen und einer pragmatisch-rhetorischen Haltung gegenüber den Klassikern: Für Klopstock sind die ›Alten‹ weder Anlaß geschichtsphilosophischer Spekulation (wie für die immerhin kontemporanen Geschichtstypologien Schillers oder Friedrich Schlegels), noch philologische Studienobjekte – auf Klopstocks Antipathie gegen die Philologie und ihre »übertriebene Verehrung der Alten« weist Elit selbst hin. Sie sind vielmehr Gegenstand eines intertextuellen Agons, Material und Widerlager der eigenen Produktion. Klopstock steht damit in der Kontinuität der frühneuzeitlichen Nachahmungsdebatte, ihrer Prinzipien, Vorentscheidungen und Metaphern. Eines der wichtigsten wird von Elit betont, das Prinzip der Elektion, verdichtet seit Seneca in der Metapher von der »Blumenlese« (S. 107). Auf die Poetik der imitatio bezogen steht hier das sog. ›Bienengleichnis‹ im Hintergrund, eine Leitmetapher alteuropäischer Poetik, die Elit freilich nicht diskutiert. 10

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Übersetzen im 18. Jahrhundert
oder: zwischen ›Treue‹ und ›belle infidèle‹

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Das dritte Kapitel von Elits Buch situiert Klopstocks ›wettstreitende‹ Poetik vor dem Hintergrund der prosperierenden Übersetzungspraxis der Zeit (Die schiere Zahl der Übersetzungen verfünffacht sich gegenüber dem vorausgehenden Jahrhundert). Die alten Sprachen nehmen »ein Viertel« der gesamten Übersetzungsproduktion ein (S. 113–115). Das Interesse konzentriert sich dabei auf Klassiker wie Cicero, Ovid, Homer und Vergil, die auch Klopstock berücksichtigt. Von diesen knappen Bemerkungen zum Rezeptionsrahmen leitet Elit über zu den Tendenzen von Klopstocks eigener Übersetzungspraxis. Erhellend sind die Differenzen, die Elit aus dem Wandel der Horazübertragung zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert ableitet.

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Die Praxis des 17. Jahrhunderts – etwa bei Johannes Bohemus, Martin Opitz oder Andreas Heinrich Bucholtz und auch noch Johann Christoph Gottsched – interpretiert Elit noch als »brachiale Appropriation« (S. 119), bestimmt mithin von einem »stark eindeutschenden Stil« (S. 121). Damit ist der Befund zutreffend (wenn auch stark pejorativ) beschrieben, freilich noch nicht erklärt. Denn hier liegt ein grundsätzlich anderes Verständnis von Übersetzung zugrunde, das zu würdigen gewesen wäre. Übersetzung ist nämlich – zumal in den Jahren der Konstitution einer deutschen Literatursprache zwischen 1620 und 1650 – Form der imitatio bzw. der translatio. Hier geht es nicht um eine besondere ›Treue‹ zum Original, sondern um die literarische Gleichberechtigung des Deutschen gegenüber den autoritativen Sprachen der Prätexte. Erst mit Samuel Gotthold Langes Horazübertragung wird das Gebot der ›Treue‹ verpflichtend, übersetzen wird »der Bemühung eines getreuen Mahlers« vergleichbar, »der das Urbild, so gut er kann, genau nachzeichnet«. Auch Gottsched, so zeigt Elit in einem Abschnitt über die Theorie der Übersetzung im 18. Jahrhundert, geht es nicht um »eine (zumal historische) Individualität der Vorlage« (S. 128), sondern um imitatio bzw. aemulatio.

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Elit zeichnet damit zwei Tendenzen des Übersetzens nach, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts gegenüberstehen. Ist der ältere, freiere Umgang mit den Ausgangstexten durch die Praxis der französischen Klassik, die sog. »belle infidèle« bestimmt, die auf einem »starken Transponieren des Originals in eine an der Zielsprache orientierte Form« beruhte, so zielt Breitingers Insistieren auf Form- und Inhaltstreue auf ein »ausgangssprachenorientiertes oder dokumentarisches Übersetzen« (S. 129). Daß hinter beiden Schulen Prämissen der jeweiligen »Dichtungstheorie« stehen, versteht sich von selbst. Zweifellos liegt hier eine Ironie der Literaturgeschichte: So innovativ die ›Treue‹ der ›dokumentarischen‹ Übersetzung in der von Elit eröffneten Reihe scheinen will, so bedeutet sie doch auch Rückkehr zu Prinzipien, Kategorien, ja Bildern der strengen, wenn nicht ›sklavischen‹ Nachahmung.

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Wie sich diese Rahmenbedingungen zeitgenössischer Übersetzungstheorie und -praxis für die von Klopstock übertragenen Autoren auswirken, wird von Elit im folgenden nachgezeichnet. Als wichtigste Erkenntnis wird herausgearbeitet, daß neben dem allfälligen Homer auch Vergil zunehmend in Übersetzungen präsent ist, am prominentesten in Schillers ›transponierend‹-pathetisierender Übertragung von Aeneis II und IV (S. 137–142). Die folgenden Ausführungen zur Ovid-, Thukydides- und Xenophonrezeption bestätitgen in teils sehr detaillierter Form die Ambivalenz von dokumentarischer und transponierender Übersetzung. Analytisch wertvoller sind die Überlegungen zum Wettstreitcharakter des Übersetzens vor Klopstock. Hier kommt Elit nun kursorisch auf die frühneuzeitlichen, rhetorischen »Diskursfundamente« (S. 158) der Übersetzungstheorie zu sprechen. Die rhetorische Übersetzung implizierte dabei von jeher einen »nationalen und international vergleichenden Impetus« (S. 159). Dieser Punkt wäre weiter zu verfolgen gewesen, denn ›translatio‹ schließt schon kategoriell beides ein: Sprachliches ›Übersetzen‹ und Kulturtransfer. Man kann es nur nochmals betonen: Klopstocks ›wettstreitendes Übersetzen‹ steht in den langen Kontinuitäten rhetorischer Schreibpraxis mitsamt ihren kulturpatriotischen Voraussetzungen. Es ist daher sehr erhellend, wenn Elit darauf hinweist, daß Klopstocks erste Übersetzungen noch solche in die alten Sprachen darstellen. Sie entspringen der Schulpraxis und haben den Charakter von »Stilübungen« (S. 162–164). W ie sehr die Latinität noch den Maßstab der Poetik bildet, zeigt der Plan, den Messias ins Lateinische zu übertragen und so die Bibelepiker Vida und Sannazaro in deren eigenem Medium zu überbieten.

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Am Ende dieser Reihe historischer Kontextualisierung kommt Elit auf Klopstocks eigene übersetzungstheoretische Positionen zu sprechen (S. 165–169): Ihre Quintessenz ist (gegen die ›belle-infidèle‹) die Treue gegenüber dem »Geiste des Originals« und das Beibehalten des ursprünglichen Metrums gegen den »Uebelklang« des Reims. Auch hier ist das Herstellen von »Wirkungsäquivalenz« oberste Maxime (S. 167).

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Performative Philologie
– Übersetzungskritik im Detail

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Was nun folgt – die Würdigung von Klopstocks Übersetzungen antiker Autoren im Vergleich mit den Originalen – ist schon dem Umfang nach das Zentrum der Arbeit. Geklärt werden soll, »welche übersetzerischen oder stilistischen Spezifika diese über den Grundduktus von Klopstocks Übersetzersprache hinaus aufweisen« (S. 170). Um diese sichtbar zu machen, werden als Vergleichsfolie die Übersetzungen von Johann Heinrich Voß (teilweise auch aus dem German Museum) herangezogen. Elits Sammlung schließt dabei an eine vergleichbare Zusammenstellung von Klopstocks Nachlaßverwalter Clodius an und ergänzt sie um die Gedichte, die vor und außerhalb der GrGe entstanden oder erschienen. Analysiert wird zunächst eine Auswahl aus Horaz-Übertragungen, Sie bietet jeweils

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zuerst eine komprimierte Charakterisierung des Originals, vor allem auf stilistisch-tonaler Ebene, sodann eine erste Annäherung an die Übersetzung über ihren Kontext bei Klopstock, soweit dieser (explizit) vorhanden ist, und schließlich eine Detailanalyse mit kurzer abschließender Bewertung der Übersetzung. (S. 174)
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Alle analysierten Texte finden sich im Anhang der Arbeit vollständig abgedruckt, verbunden mit ihren Äquivalenten bei Voß und eingeleitet mit einer Synopse ihrer Fundorte bei Klopstock (S. 401–461).

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Die beinahe 200 Seiten überspannenden »Stellenanalysen« belegen die gediegene philologische Kompetenz des Verfassers, der mit sicherem Blick für poetische Strukturen und Ausdrucksnuancen dem je besonderen Charakter der sprachlichen Transformation nachspürt. Überflüssig zu unterstreichen, daß er sich dabei ohne erkennbare philologische Nachlässigkeit zwischen lateinisch-griechischem Original und deutscher Nachdichtung bewegt, mit korrekter Terminologie und detailgenauer Akribie jede einzelne Wendung und Umprägung syntaktischer und lexikalischer Art nachvollzieht. Hier zeigt sich in erfreulicher Weise eine Substanz klassisch-philologischer (vor allem auch: gräzistischer) Schulung, die selten geworden ist, dabei nichtsdestoweniger unerläßlich sein muß für ein adäquates Verständnis der Klopstockschen Poetik. Der poetische Umdichtungsprozeß wird in Elits Verfahren gleichsam philologisch umgekehrt. In diesem Verfahren liegt zugleich Stärke wie Schwäche des Ansatzes, gegen den sich als Haupteinwand die schiere Extension geltend machen läßt. Die Akribie der philologischen Synkrisis und Stilkritik überdehnt z.T. die Lektüre.

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Vielleicht wäre es ratsam gewesen, die Detailanalyse auf eine repräsentative Auswahl einzuschränken und in die Gesamtbetrachtung zu integrieren. In der vorliegenden Form ist ein gewisser Schematismus nicht zu vermeiden, auch bleibt der konkrete Nutzen fraglich, den der Vergleich der Argumentationsgänge jeweils erbringt. Syntaktisch-linguistisches steht dabei naturgemäß im Mittelpunkt, während Inhaltliches und Auswahlkriterien teilweise in »Zusammenfassungen der Haupteindrücke« am Ende der Einzelbetrachtungen oder im folgenden ›Auswertungsteil‹ nachgetragen werden. Wo Auswahlmotivationen nachgefragt wird, zeichnen sich sogleich die Erkenntnisgewinne ab. Dies gilt etwa für die Übersetzung der Pygmalion-Mythe aus Ovids Metamorphosen, die Elit auf die Dichotomie von Beschreibung und Darstellung im gleichnamigen Epigramm zurückführt (S. 313). Grundsätzlich ist der Wert der wiederholten »Charakteristik des Originals« in einer Arbeit über Klopstock diskutabel. Zumal diese – besonders auffällig in den Abschnitten über Xenophons Anabasis (S. 331 ff.) – vielfach Inhalte paraphrasiert oder sich in Probleme griechischer Grammatik verliert (etwa S. 339 f. Anm. 1013 u.ö.).

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Eine zweite Gefahr ist dem Vergleichsverfahren inhärent: die der stilkritischen Wertung und Be- oder Verurteilung nach Kriterien von ›Stimmigkeit‹ oder »Adäquatheit« (S. 364) (charakteristische, wiederkehrende Urteile sind: ›schief‹, ›Ungenauigkeiten‹, ›unpräzise‹, ›ein wenig glatter‹, ›umständlich‹, ›recht äquivalent‹). Hier wird der Philologe zum Lehrer, der Autor zum Prüfling (vgl. die Kritik an der Unverständlichkeit der Thukydides-Übersetzung S. 345 ff.). Wie gesagt: auch hier fehlt es nicht an erhellenden Einblicken in die konkrete Schreibarbeit des Autors, werden Fehldeutungen des Dichters und Varianten in den von ihm benutzten Ausgaben in großer Zahl ans Licht gefördert. Die Redundanz der Darstellung wird jedoch durch die eingestreuten, in sich wieder hierarchisch gestaffelten ›Fazits‹, ›Insgesamts‹ und ›Zusammenfassungen‹ nicht vermindert.

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Die lockeren Fäden der Einzelinterpretation werden schließlich in einer ›Auswertung‹ gebündelt und im Durchgang durch die Autoren (ein weiteres Mal) resümiert. Elit verweist dabei erneut auf Klopstocks »ausgangssprachlich orientierte [...] Übersetzungsmaximen«, seine »dokumentarische Approximation« (S. 363). »Treue im Geiste« geht dabei vor Treue im Wortlaut. ›Kürze‹ widerstreitet dem nicht, weil sie von Klopstock weniger als stilistische denn als innere, native Qualität der antiken Sprachen wahrgenommen wird. Deutlich wird vor allem der ämulative Aspekt des Unternehmens, das Streben nach weiteren »Ausdrucksverknappungen« und »Verbesserungen« (S. 366), aber auch die gleichberechtigte, durchaus unzeitgemäße Aufnahme der lateinischen Epiker, allen voran Vergils. ›Tonale Überformung‹, ›Tonhebung‹ und Redundanzkürzung sind hier, vor allem für den auch stilistisch ›verschwenderischen‹ Ovid, bestimmend. Dahinter steht freilich, wie Elit hier zum ersten Mal betont, Methode, nämlich die »schriftstellerischer imitatio und poetologischer Deutung«, denn »in seiner deutschen Fassung mußte daher nach Klopstocks Ansicht sozusagen ein horazischerer Horaz, ein homerischerer Homer oder xenophontischerer Xenophon gesehen werden« (S. 369).

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Klopstocks Unternehmen steht damit auf dem Boden »historischer Prämissen«, ist also kein lediglich »›skurriles‹, sehr kontingentes Einzelvorhaben« (S. 370). Freilich: Wie im Fall der Gelehrtenrepublik ist das Publikum irritiert, verwundert, befremdet, selbst Nahestehende und Schüler wie Voß äußern sich – freilich erst nach Klopstocks Tod – kritisch. Voß liefert gar eine eigene Version als Korrektiv mit. Auch sein Herausgeber Clodius kommt im Schlußwort der von ihm besorgten Erstedition der GrGe zu einem gemischten Urteil. A.W. Schlegel widmet den GrGe gar einen Die Sprachen betitelten Beitrag im ersten Band des Athenäum, der in satirischer Tendenz die allegorische Dialogform der Schrift parodiert, um sie gegen deren Prämissen zu wenden (S. 375–378).

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Am Ende des Darstellungsteils steht der (unvermeidliche?) Ausblick auf die »Vormodernität Klopstocks« (S. 378). Noch einmal wird die Frage des ›wettstreitenden Übersetzens‹ als spezifischer Form der Querelle aufgenommen. Als neu gegenüber vergleichbaren früheren Unternehmungen, etwa bei Opitz, erweist sich die »Internationalisierung des Wettstreits« (S. 378), während die Dialektik von Bindung und Absetzung gegenüber der Antike ganz an ein inneres »Dilemma« der Querelle des anciens et des modernes gebunden bleibt, dem Klopstock in seiner »stärker nationalen Phase« durch »nationale Eigenheit auch in der Fundierung« zu entkommen sucht (S. 380). Elit weist an dieser Stelle Gerhard Kaiser folgend auf eine überaus wichtige Voraussetzung des Unternehmens hin, den Glauben an die »prinzipielle Vergleichbarkeit« beider Sprachen, von der aus die Suche nach einer idealen »Sprache der Poesie« allererst sinnvoll werde (S. 381). Daß hier Leibniz’ Suche einer Ideal- und Universalsprache, einer »rationalistischen lingua exacta« (S. 384) im Hintergrund steht, kann Elit am Ende plausibel machen. Die Suche nach einer solchen ›lingua Adamica‹ läßt Klopstock indes hinter jenes Denken in Alteritäten zurückfallen, das die neuen ›historischen‹ Wissenschaften wie die klassische Philologie längst etabliert hatten.

[34] 

Fazit:
Ein Standardwerk mit kleinen Unebenheiten

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Alles in allem bleibt der Gesamteindruck der Arbeit – mit kleinen Einwendungen – positiv. Die Monenda betreffen zwei Aspekte. Die Präsentation der Ergebnisse sowie Methodik und Perspektivik der Untersuchung. Zunächst zur Darstellung. Manches im Erscheinungsbild des Buches ist diskutabel. Die Überhierarchisierung des Inhaltsverzeichnisses, die ein zweites, synoptisches Inhaltsverzeichnis nötig macht. Ein Register, das hier Ordnung schaffen und den Zugriff auf verstreute Themenstränge erleichtern könnte, fehlt. Die Ausweisung wichtiger historischer oder werkchronologischer ›Kontextualisierungen‹ als ›Exkurse‹, schließlich vermeidbare Wiederholungen in Fazits, Zwischenresümees, Auswertungen und Schlußzusammenfassung. Ein wenig disproportional ist der Mittelteil mit den Detailanalysen ausgefallen, heikel ist die Frageperspektive selbst. Dem rezeptionshistorischen Interesse zum trotz ist es problematisch, wenn die Klopstockschen Übersetzungen durchgehend von einem klassisch-philologischen, vermeintlich ›richtigen‹ Verständnis aus bewertet werden. Es gehört ja eben zur literarhistorischen Signatur dieses ›wettstreitenden Übersetzens‹, daß Klopstock wie auch Lange »den originalen Horaz nach dem eigenen, nur quasihorazischen Stil ›empfindsam-erhaben‹ hyperkorrigierten«. Mangelnde Adäquatheit zu unterstellen, mag auf den ersten Blick und aus der historischen Distanz einleuchten, setzt aber einen Olympischen Standpunkt voraus, der Rezeptionsprozesse als Geschichte(n) von ›Approximation‹ und Abweichung wahrnimmt und teleologisch den jeweils letzten Forschungsstand der Altertumswissenschaften zur definitiven Norm korrekten Sinnverstehens erhebt. Das kann auch nicht im Interesse der Rezeptionsgeschichte liegen. Manches klingt daher sehr subjektiv: etwa die »eher ›leise‹ Poetizität der Aeneis« (S. 366) oder Vergils Verankerung in einer »Kultur der intellektualisierten ästhetischen Wahrnehmung«, die »bei ihm die i.d.R. fein gesonderten Wahrnehmungsmomente« erklären kann (S. 367).

[36] 

Akzeptiert man jedoch solche Prämissen, eröffnen sich an vielen Stellen höchst aufschlußreiche Einblicke in Schreibstrategien, die den ›Modernen‹ Klopstock an oder besser auf der Schwelle zwischen Kontinuität und Innovation – wenn solche Teleologismen überhaupt sinnvoll sind – zeigen. Elits Arbeit schließt damit in der ausdifferenzierten Klopstockforschung eine bedeutsame Lücke. Mit den GrGe wird ein weniger beachteter, noch nicht in der Hamburger Klopstock-Edition greifbarer Text in die Forschung eingebracht. Andererseits unterstreichen die vielen kleinen, hier zu wenig gewürdigten Beobachtungen der Stil- und Übersetzungsvergleiche, daß Klopstocks Dichtung literarhistorisch nur dann beizukommen ist, wenn die Analyse nicht hinter die Kompetenzen des Dichters selbst zurückfällt. Elits Studie wird dieser Forderung jederzeit gerecht und stellt schon deshalb bei allen Unebenheiten ein Standardwerk zu Klopstocks Übersetzungstheorie und -praxis dar.


Dr. Jörg Robert
Universität München
Institut für deutsche Philologie, Sonderforschungsbereich 573
Schellingstraße 3
DE - 80799 München

Ins Netz gestellt am 22.09.2004

IASLonline ISSN 1612-0442

Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Prof. Dr. Gernot Michael Müller. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Natalia Igl.

Empfohlene Zitierweise:

Jörg Robert: Performativer Klassizismus. oder: Klopstock übersetzt die Antike. (Rezension über: Stefan Elit: Die beste aller möglichen Sprachen der Poesie. Klopstocks wettstreitende Übersetzungen lateinischer und griechischer Literatur. St. Augustin: Gardez! 2002.)
In: IASLonline [22.09.2004]
URL: <http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=195>
Datum des Zugriffs:

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Anmerkungen

Hamburger Ausgabe Bd. 9, S. 398.   zurück
Johann Wolfgang von Goethe: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Hg. von Friedmar Apel, Hendrik Birus u.a. 40 Bd. in 2 Abt. Frankfurt / M. 1985 ff., hier Bd. 39, S. 123.    zurück
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Hg. von Herbert G. Göpfert in Zusammenarbeit mit Karl Eibl, Helmut Göbel, Karl S. Guthke, Gerd Hillen, Albert von Schirmding und Jörg Schönert. 8 Bde. München 1970 ff., hier Bd. 1, S. 9.   zurück
Kevin Hilliard: Philosophy, Letters, and the Fine Arts in Klopstock’s Thought. (Bithell Series of Dissertations 12) London 1987, S. 187.   zurück
Winfried Menninghaus: Klopstocks Poetik der schnellen Bewegung. In: Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie. Dichtungstheoretische Schriften. Hg. von W. Menninghaus. Frankfurt / M. 1989, S. 259–361; W. M.: Dichtung als Tanz – Zu Klopstocks Poetik der Wortbewegung. In: Comparatio 2 (1991), S. 129–150.   zurück
Grundlegend für die frühneuzeitlichen Voraussetzungen ist die Arbeit von Andreas Gardt: Sprachreflexion in Barock und Frühaufklärung. Entwürfe von Böhme bis Leibniz. (= Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker N.F. 108) Berlin / New York 1994, die Elit freilich nicht zitiert. Auf Klopstock bezogen Renate Baudusch-Walker: Klopstock als Sprachwissenschaftler und Orthographiereformer. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Grammatik im 18. Jahrhundert. Berlin 1958, sowie die in Anm. 4 zitierte Arbeit von Hilliard.    zurück
Jürgen Fohrmann: Das Projekt der deutschen Literaturgeschichte. Entstehung und Scheitern einer nationalen Poesiegeschichtsschreibung zwischen Humanismus und Deutschem Kaiserreich. Stuttgart 1989.   zurück
Dazu neuerdings Gregor Vogt-Spira: Warum Vergil statt Homer? Der frühneuzeitliche Vorzugsstreit zwischen Homer und Vergil im Spannungsfeld von Autorität und Historisierung. In: Poetica 34 (2002), S. 323–344.   zurück
Das Werk wird von Elit nicht genannt: Eckart Schäfer: Deutscher Horaz. Conrad Celtis – Georg Fabricius – Paul Melissus – Jacob Balde. Die Nachwirkung des Horaz in der neulateinischen Dichtung Deutschlands. Wiesbaden 1976.   zurück
10 
Jürgen von Stackelberg: Das Bienengleichnis: Ein Beitrag zur Geschichte der literarischen Imitatio. In: Romanische Forschungen 68 (1956), S. 271–293; Andreas Kablitz: Nachahmung und Wahrheitsanspruch. Seneca – Petrarca – Montaigne. In: Mediävistische Komparatistik. Festschrift für Franz Josef Worstbrock zum 60. Geburtstag. In Verbindung mit Susanne Köbele und Bruno Quast hg. von Wolfgang Harms und Jan-Dirk Müller. Stuttgart 1997, S. 95–145   zurück