Emmel über Ruth: Hermeneutica universalis

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Armin Emmel

Frankfurter Affinerie

  • Peter Ruth: Hermeneutica universalis. Die Entfaltung der historisch-kritischen Vernunft im frühen 18. Jahrhundert (Frankfurter Hochschulschriften zur Sprachtheorie und Literaturästhetik 12) Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 2002. 423 S. Kart. EUR (D) 60,30.
    ISBN 3-631-39524-8.


Die Geschichte der allgemeinen Hermeneutik im 18. Jahrhundert, zu der die Dissertation von Peter Ruth mit ihrem Titel einen Beitrag zu liefern verspricht, ist in den letzten Jahren zwar vergleichsweise intensiv erforscht worden, aber auch nach Werner Alexanders Hermeneutica Generalis 1 von 1993 sind genug Fragen nach den Gesetzmäßigkeiten des Gangs dieser Geschichte offen geblieben, um einer Untersuchung, die eine "Entfaltung" aufzeigen will, die Aufmerksamkeit der Fachleute zu sichern. Beim ersten Blick in das Inhaltsverzeichnis überrascht, daß ausführlich Autoren behandelt werden, die sich zur allgemeinen Hermeneutik nicht oder eher beiläufig geäußert haben, so Descartes, Leibniz und Alexander Gottlieb Baumgarten. Da Ruth sich offenbar bemüht, den philosophischen Keim zu finden, aus dem heraus die Entfaltung allein erfolgen konnte, wird es nützlich sein, zunächst seine Gegenstandskonstitution nachzuzeichnen und von dort aus die Struktur des Buches zu erhellen.

Das Hermeneutische

Die "hermeneutische[n] Problemgehalte" (S. 13), die Ruth interessieren, finden sich nämlich nicht ausschließlich, ja nicht einmal in erster Linie in den systematischen Lehrbüchern zur allgemeinen Hermeneutik, wie sie im 18. Jahrhundert u.a. von Chladenius und Georg Friedrich Meier vorgelegt worden sind. Ruth geht wie selbstverständlich von Gadamers Begriff des Hermeneutischen aus 2 und sieht die Probleme in erkenntniskritischen, ethischen und ästhetischen Schriften und in solchen zur Poetik und Historiographie verhandelt. Bekanntlich hat Gadamer in Wahrheit und Methode den hermeneutischen Zugang zur Welt vor allem gegen den methodisch-(natur)wissenschaftlichen abgegrenzt. Er hat sich dabei auch auf Aristoteles berufen, der in der Nikomachischen Ethik das auf menschliche Praxis zielende "sittliche Wissen der Phronesis vom theoretischen Wissen der (an der Mathematik orientierten) Episteme" 3 unterschieden hatte. Damit wird für Ruth jede Äußerung zur Ethik, in der Moralisches nicht nach dem in der Aufklärung angeblich herrschenden Modell einer cartesischen, mathematisch-logischen Einheitswissenschaft diskutiert wird, zum hermeneutischen Text.

Aber auch jede andere Kritik an Descartes' Konzeption von wissenschaftlicher Erkenntnis, nach der von unbezweifelbaren Grundsätzen aus methodisch in nachprüfbaren Schlüssen das Feld des Klaren und Deutlichen erweitert werden soll, fällt als >Erkenntniskritik< in den Einzugsbereich der Hermeneutik – zunächst natürlich Leibniz' explizite Kritik an Descartes' Formel von der klaren und deutlichen Erkenntnis. Und von hier aus auch die Bemühungen um eine ausführlichere Beschreibung der von Leibniz so genannten klaren und verworrenen Erkenntnis, 4 einmal bei Alexander Gottlieb Baumgarten unter dem Titel Ästhetik, dann bei Johann Martin Chladenius zur Grundlegung der Geschichtswissenschaft als Erkenntnis des Individuellen. Erinnert man sich schließlich daran, daß Lessing als Mitbegründer einer historisch-kritischen Poetik gilt, liegt es nahe, dort das relative Maximum der dem 18. Jahrhundert (vor Kant) zugänglichen Erkenntnis des Hermeneutischen finden zu wollen, zumal die ausgewählten poetischen Schriften Lessings (der Briefwechsel über das Trauerspiel und die Abhandlungen über die Fabel) um die angemessene ästhetische Darstellung moralischen Wissens kreisen.

Auch wenn man sich auf diese Vorentscheidungen einlassen will, kann man sich fragen, warum Philosophen des 18. Jahrhunderts, deren Distanz zum Rationalismus cartesianischer Prägung einschlägig bekannt ist, beispielsweise Christian Thomasius und Herder, nicht genannt werden. Ebenso offen bleibt, warum Arbeiten von Baumgarten, Chladenius und Lessing, die zwischen 1742 und 1759 erschienen sind, dem frühen 18. Jahrhundert angehören sollen.

Die kritische Würdigung skizziert im folgenden die meisten von Ruths Einzeldarstellungen in Schwerpunkten und knüpft Fragen und Einwendungen unmittelbar daran an.

Schlechte Wissenschaft

Aspekte der Philosophie von René Descartes werden von Ruth vor allem diskutiert, um später die echt hermeneutischen Bemühungen vorteilhaft davon abheben zu können. Sein Wirken wird als in jeder Hinsicht epochal beschrieben: Als wichtigster Vertreter der >Verstandesaufklärung< (S. 16) begründe er den Anspruch des selbstbewußten Subjekts "seine Geschicke eigenverantwortlich zu leiten" (S. 24), indem er es methodisch zu unbestreitbar gewisser Erkenntnis anleiten will. Damit werde freilich "die kreatürliche Einbindung des Menschen in die Einheit heilsgeschichtlicher Ordnung unwiederbringlich" aufgekündigt (S. 23) – unwiederbringlich auch deshalb, weil der Cartesianismus einen >europäischen Siegeszug< (S. 229) antrete und so insbesondere den Wissenschaftsbegriff bis heute nachhaltig präge. Mit Descartes' Grundsatzoption für zweifelsfreie Gewißheit falle aber der gesamte Bereich der historischen Erkenntnis, ja jede Frage nach der Verwirklichung des >ganzen Menschen< dem Irrationalismusverdacht anheim
(S. 17). Eine Texthermeneutik nach cartesischer Methode könne nur anstreben, jede Unsicherheit der Auslegung zu beseitigen, womit aber gleichzeitig Sprache als bloßes Mittel eindeutiger Kommunikation mißverstanden werde (ebd.).

Wenn man (im Gegensatz zu Ruth) die Grundzüge der cartesischen Methode als bekannt voraussetzt, bleibt seine Moralphilosophie relevant, die "eine unmittelbare Affinität zum Auslegungsproblem" (S. 35) aufweise, weil in der menschlichen Praxis auch nach Descartes vollständiges, bewiesenes und zweifelsfreies Wissen meist nicht zur Verfügung steht; Handlungsentscheidungen beruhen also auf Wahrscheinlichkeit (S. 37). Aus zwei Gründen schätzt Ruth dieses Zugeständnis an die Wahrscheinlichkeit aber nicht hoch ein:

  • Zum einen bewähre sich nach Descartes die moralische Gewißheit wie die methodische im Zusammenhang; wenn die Annahmen über die Folgen von Handlungen nämlich auch in komplexen Fällen zum Erfolg führen, ist ihr Gegenteil äußerst unwahrscheinlich (S. 39 f.). 5 Insofern gehe es Descartes immer um ein >Stillstellen< des Zweifels, respektive seines moralischen Pendants, der Reue (S. 37 f.).
  • Zum andern ergibt sich für Descartes eine allgemeine Pflicht, sich zu unterrichten, um Wahres von Falschem immer besser unterscheiden zu können. Darin sieht Ruth "eine Überlagerung des Praktischen durch den Verstand" mit fatalen Folgen: "Der Wille, sich im Handeln nach Kräften am gegenwärtigen Stand der Wissenschaft zu orientieren, distanziert das Handeln zugleich von jedem konkret menschlichen Bezug" (S. 41).

Der böse Wolff

Wie nicht anders zu erwarten, wird auch Christian Wolff als hervorragender Vertreter der einseitigen Verstandesaufklärung präsentiert. Ruth leitet die Beschränktheit der Wolffschen Konzeption von Verstehen aus den Grundzügen seiner Logik und dann näher aus der Zeichentheorie und dem damit verbundenen Sprachbegriff ab. Es ergibt sich, daß Auslegung für Wolff "Begriffsbestimmung auf rezeptivem Wege" sein müsse (S. 115). Ein Verstehen von dem bloßen Verstand grundsätzlich nicht Verfügbarem 6 kenne Wolff nicht (S. 108 f.). Sein Optimismus, prinzipiell sei jeder Begriff zur Klarheit zu bringen, erscheint Ruth im Lichte der über den Verstand hinausgehenden Vernunftbegriffe Kants (S. 111) oder der dialektischen Begriffe Hegels als so naiv, daß er Wolff "ein vorphilosophisches Niveau seines Verstehensbegriffs bescheinigt" (S. 109).

Konzentrieren wir uns aber auf Ruths Umgang mit explizit texthermeneutischen Aussagen Wolffs: Da Wolff sowohl in seiner Deutschen als auch in der Lateinischen Logik bloß das Verstehen historischer (d.h. einzelne Fakten berichtender) und dogmatischer (d.h. allgemeine Wahrheiten vermittelnder) Schriften behandelt, hat es Ruth leicht, die "Engführung" (S. 121) seiner Hermeneutik zu konstatieren. Um Wolffs Hermeneutik nun dennoch auch für den heutigen Leser fruchtbar zu machen, hätte es nahegelegen, diejenigen Theoreme aufzusuchen, die von Wolff zwar in verengter Perspektive betrachtet werden, sachlich aber für das ganze Feld der Hermeneutik relevant sein könnten. Dazu gehört sicher das Prinzip der hermeneutischen Billigkeit, das Ruth in Wolffs Text auch implizit vorfindet (S. 122). Anstatt nun aber Wolffs recht ausführliche Bestimmung 7 dieses Begriffs zu interpretieren, vergleicht er sofort einen allgemein "aufklärerischen Begriff hermeneutischer Billigkeit" (ebd.) mit Gadamers >Vorgriff der Vollkommenheit<.

Das Urteil über Wolff und Konsorten ist vernichtend: Mißlinge nämlich die geforderte Aufsummierung eines deutlichen Sinnes aus den Bedeutungen der einzelnen Zeichen, "öffnet die zeichentheoretische vom mündigen Verstand des Zeichenurhebers ausgehende hermeneutische Billigkeit der Sophisterei nach allen Regeln der Kunst die Tore", wer >hermeneutische Billigkeit< sage, führe eigentlich "bereits das kleinliche interpretatorische Ethos des Winkeladvokaten im Schilde" (ebd.). Die Zielrichtung der >aequitas in interpretando<, dem Autor nicht leichtfertig eine sachlich falsche Meinung zu unterstellen – so beschränkt die Wirkung dieses für historische und dogmatische Schriften formulierten Prinzips sein mag –, wird von Ruth schlicht ignoriert. Er diskutiert auch nicht die Möglichkeit, dieses Prinzip der Anerkennung der Rationalität des Autors auf Texte zu übertragen, die nicht den Regeln der Logik und der Sachverhaltswiedergabe folgen.

Trotz der konstatierten Schwächen stelle Wolffs Werk für die weitere Entwicklung der Hermeneutik einen Scheidepunkt dar:

Die um Neuformulierung bemühte Auseinandersetzung mit der Wolffschen Schulphilosophie mündet anschließend in zwei unterschiedliche geschichtliche Strömungen: einerseits diejenige, die den verkürzenden Ansatz eines szientifischen Rationalismus im Rückgriff auf Leibniz zu überschreiten bemüht ist und andererseits jene Strömung, die, dem cartesianischen Modell immanent bleibend, durch forcierte Anstrengungen auf diesem Gebiet dem hermeneutischen Problem Herr werden möchte. (S. 95)

Betrachten wir noch kurz eine der beiden >forcierten Anstrengungen<, die Ruth in den Blick nimmt, und übergehen wir das Kapitel zu Hermann Samuel Reimarus.

Willkürliche Zeichendeutung

Kaum verzichten kann eine Arbeit zur Hermeneutica universalis im 18. Jahrhundert auf eine Auseinandersetzung mit dem Versuch einer allgemeinen Auslegungskunst von Georg Friedrich Meier, der sich bei den neorationalistischen Hermeneutikern der Gegenwart so großer Wertschätzung erfreut, daß dieses Buch 1996 zum zweiten Mal im 20. Jahrhundert nachgedruckt wurde. 8 Ruth registriert zwar (S. 205) Meiers Ausführungen zur Auslegung in den Anfangsgründen aller schönen Wissenschaften (1754–59), beschränkt sich dann aber auf eine Diskussion der Thesen der Auslegungskunst, in der Meier das Prinzip der hermeneutischen Billigkeit zur Grundlage der Auslegungsregeln macht. Meiers zeichentheoretischem Ansatz steht er von Anfang an ausgesprochen skeptisch gegenüber (S. 206 ff.).

Ruth betont (S. 210 f.) Meiers Orientierung an der universalen Verweisungsstruktur des natürlichen Zeichens, die ontologisch durch den >allgemeinen bezeichnenden Zusammenhang< in der besten aller möglichen Welten gesichert ist. 9 Dieses Modell des fraglosen Zusammenhangs zwischen Zeichen und Bezeichnetem werde der Hermeneutik der menschlichen Rede (der >willkürlichen und künstlichen Zeichen<) zum Verhängnis:

Auslegung soll [nach Meier] lediglich die Aufgabe erfüllen, jedes Besondere durch ein aus hermeneutischen Axiomen deduktiv erworbenes Regelwerk stillzustellen und in ein wissenschaftliches Regelsystem einzubinden, dessen Affinität mit dem natürlichen Zeichen apriorisch vorausgesetzt wird. (S. 214)

Nun beruht diese >Affinität< darauf, daß auch dem Zeichenurheber mit endlichem Verstand eine kluge Wahl seiner Zeichen unterstellt werden kann – "bis das Gegenteil erwiesen wird". 10 Schon dieses methodisch wichtigen Vorbehalts wegen ist es nicht korrekt zu behaupten, daß nach Meier "der Sinn einer Rede und die Autorintention immer deckungsgleich mit dem zeichenmäßigen Sinn zu denken" (S. 220) sei.

Ruth wiederholt und verschärft schließlich (S. 220 f.) die Invektiven, die er schon gegen Wolffs Auslegungskonzept vorgebracht hatte; sein Fazit: "Hermeneutische Billigkeit in der Auslegung der Rede (willkürliche Zeichen) ist in der Konsequenz ein dem Text untergeschobenes interpretatorisches Prinzip, nach dem willkürliche Zeichen immer mit eindeutigen, abgemessenen Bedeutungen verknüpft vorgestellt werden müssen" (S. 221), läßt sich schlicht nicht mit der Tatsache vereinbaren, daß Meier neben dem >unmittelbaren< einen >mittelbaren Sinn< kennt und Regeln zu dessen Ermittlung angibt. 11 Gewiß ist es nicht Meiers Ziel, die Freiheit des Sprechers im Umgang mit der Sprache auf der einen Seite und die Freiheit des Auslegers auf der anderen zu betonen (vgl. S. 222); die relative Gewißheit der Auslegung resultiert für ihn vielmehr aus der Befolgung von Regeln auf beiden Seiten. Wenn Ruth aber meint, auf die hermeneutische Billigkeit gegenüber dem Autor theoretisch und praktisch verzichten zu können, dann zeugt die Meiers Text attestierte Dürftigkeit und Unbrauchbarkeit nicht von der Überlegenheit von Ruths Interpretationsweise, sondern von seiner dogmatischen Blindheit gegenüber den >verstandesrationalen< und regelhaften Zügen von Sprachverwendung.

Schönes und gutes Wissen

Die Opposition gegen das cartesische Ideal der Einheitswissenschaft und gegen eine einseitig formallogische oder naturwissenschaftliche Bildung beginnt in Ruths Darstellung mit Giovanni Battista Vico. Die Bedeutung seines Werkes für die Entwicklung des historischen Bewußtseins ist ja unbestritten und so bekannt wie sein Plädoyer gegen die Vernachlässigung der humanistisch-rhetorischen Bildungsgüter und Fertigkeiten. Gewiß sind Vicos Einwände gegen Descartes' Wahrheitsbegriff auch für die Verstehensproblematik relevant; Verstehen beginnt in der Tat nicht erst, wenn eine unbezweifelbare Wahrheit gewonnen ist (vgl. S. 44).

Aber anstatt beispielsweise den Hinweis auf die Rolle des >sensus communis< für die Erfassung der geschichtlichen Wahrheit bei Vico (S. 45) zu wiederholen, 12 wäre es im Hinblick auf die übrigen Themen von Ruths Dissertation viel spannender gewesen, Vicos Darstellung der geschichtlichen Rolle der (juristischen) Billigkeit in De nostri temporis studiorum ratione einmal näher zu untersuchen. 13 Hier zeigt Vico viel Sympathie für die Strenge des allgemeinen Gesetzes – und schreibt historisch eine solche Unerbittlichkeit keineswegs den Rationalisten der Neuzeit und ihrer verfehlten Ethik zu, sondern der Rechtsphilosophie der Römer. Diese Erörterung hätte Ruth davor bewahren können, für wahrhaft ethische Entscheidungen allein einen sensus communis oder in späterer Terminologie die >reflektierende Urteilskraft< zuständig zu halten. Auch für die Frage, ob und wie Vico auf die nachfolgenden deutschen Autoren eingewirkt haben könnte, interessiert sich Ruth nicht.

Leibniz
in mindestens zwei Labyrinthen

Im Gegensatz dazu unterstreicht er, wie der Fortschritt im Verständnis des Verstehensproblems bei Baumgarten, Chladenius und Lessing unmittelbar von Leibniz' Erkenntnistheorie, der Monadologie und seiner Zwei-Reiche-Lehre abhänge:

Erst auf der Basis des monadologischen Systementwurfs wird es der Aufklärungsphilosophie möglich, Gedankengänge zu entwickeln, die über den erkenntnistheoretischen Subjekt-Objekt-Gegensatz hinausreichen, damit auch Dichtung und Kunst ohne unstatthafte Methodenübertragung aus dem naturwissenschaftlichen Bereich diskutiert werden können. (S. 55)

Um die Monadenlehre für Ruths Zwecke tauglich zu machen, muß wenigstens der Geistmonade Leibniz' eine >geschichtliche Verfaßtheit< (S. 57) unterstellt werden. Als Beleg dafür genügt ihm, daß nach Leibniz jede "Substanz eine vollkommene Verbindung mit der Vergangenheit" hat und dies "die Identität des Individuums" 14 ausmacht, selbst wenn das Individuum sich der Vergangenheit nicht bewußt ist – ein sinnvoller Begriff von Geschichte ist damit aber noch lange nicht angesprochen.

Zudem hält es Ruth für nötig, Leibniz' Erkenntnistheorie, vor allem natürlich das Konzept der klaren und verworrenen Erkenntnis, breit darzustellen; dem Leser sei bei Bedarf stattdessen Leibniz' eigener Bericht in den Meditationes de cognitione, veritate et ideis (Anm. 4) als leichter verständlich und naturgemäß weniger entstellt empfohlen. Ruth vermag in dieser Schrift bereits die >Vorurteilsstruktur des Erkennens< zu finden, "insofern die erkennende Person als konkretes geschichtliches Dasein aus dem Bereich der clara et confusa cognitio nicht wegzudenken ist" (S. 74). Leibniz erkennt an, daß "Maler und andere Künstler" angemessen über ein Werk urteilen, ohne dafür Gründe angeben zu können. 15 Ruth fügt hinzu, damit sei das Geschmacksurteil "in der Glaubwürdigkeit der Person als Autorität im positiven Sinne fundiert" (S. 74) – wohingegen Leibniz auch an von Ruth angezogenen Stellen eher betont, man müsse einerseits nach Möglichkeit alle nicht einfachen Sätze beweisen und daß andererseits nicht diskursiv hergestellte Übereinstimmung oft auf den der menschlichen Natur eingeborenen Ideen beruhe, 16 also nicht auf der Anerkennung der Autorität von Individuen.

Die ethischen Implikationen der Monadologie entwickelt Ruth weniger auf eigene Faust, vielmehr nach Erich Heintel, 17 so daß aus den beiden wohlgeordneten >Reichen< oder Systemen der Wirkursachen und der Finalgründe, respektive der Natur und der Gnade, zwei verwirrende >Labyrinthe< werden (vgl. S. 363); plötzlich besteht zwischen ihnen ein Vermittlungsproblem wie bei Kant zwischen dem theoretischen Verstand und der praktischen Vernunft (ebd.). 18 Diese gewagte, jedenfalls hoch abstrakte Interpretation soll später genügen, um Lessings Einwände gegen La Mottes Fabeldefinition (S. 358 ff.) auf Leibniz zu beziehen. Nicht nur an dieser Stelle wirkt die Applikation ontologischer Grundbegriffe (hier: >Monade<, >Repräsentation<, >Apperzeption<) auf die hermeneutische oder poetische Lehre einerseits banal, andererseits nur deswegen interessant, weil damit in bestimmten Lesarten scheinbar die einheitliche Richtung der Arbeit am Verstehensbegriff (der von den behandelten Autoren häufig explizit gar nicht erörtert wird) von Leibniz über Lessing und Kant bis Gadamer und Kimpel gezeigt werden kann.

In Leibniz' Philosophie sieht Ruth jedenfalls die Grundlage, auf der nun die ästhetische Erkenntnis (von Baumgarten), die historische (von Chladenius) und die ethische (von Lessing) zwar getrennt, aber ganzheitlich und angemessener als zuvor beschrieben werden können. Diese drei werden in den bei weitem längsten Kapiteln der Dissertation behandelt, aber das hat mehr mit längeren Inhaltsreferaten und Wiederholungen der philosophischen Positionen als mit substantiellen, neuen Erkenntnissen über die Texte zu tun.

Aus Gründen der Kürze und der Kompetenz möchte ich mich auf knappe kritische Anmerkungen zu Ruths Interpretation der Ästhetik Baumgartens und zum Lessing-Kapitel beschränken.

Der wahre Anti-Wolff

Ruth wählt zwei Schwerpunkte seiner Baumgarten-Darstellung: Einmal die Psychologie – dabei betont er ganz richtig sowohl die Einheitlichkeit der Seele (als Monade) und der ihr einzig zukommenden Vorstellungskraft als auch die innovative Darstellung der >sensitiven< Erkenntnisvermögen –, zum anderen Baumgartens Wahrheitsbegriff. Selbstverständlich hebt Ruth hervor, dass Baumgarten gegenüber Wolff das Verhältnis von >Sinnlichkeit< und >Verstand< (es ist leider nicht unüblich, Baumgartens >sensitive< und >deutliche Erkenntnis< umstandslos mit kantischen Termini zu belegen) neu bestimme; während bei Wolff die >Sinnlichkeit< bloß Ausgangspunkt der abstrakten Begriffsbildung sei (S. 147), entwickle Baumgarten ihre Eigenständigkeit. Die Weise, in der Ruth aber versucht, Baumgarten möglichst scharf gegen Wolff zu kontrastieren, macht seine Interpretation praktisch wertlos, was am Beispiel des Verhältnisses von Wahrheit und Klarheit gezeigt werden soll:

Wahrheit als nicht-szientifisch verstandene Realität ist auf die Größe des zu erkennenden Gegenstandes bezogen, so daß Reichtum, Würde, Kraft und Ordnung der Vorstellungen entscheidende Anforderungen zur Erkenntnis desselben werden. Wahrheit hinsichtlich eines großen Gegenstandes besteht nicht in Klarheit und Deutlichkeit, sondern in der Einheit des Ausdrucks. (S.152)

Ruth beruft sich auf den zum Verständnis von Baumgartens Ästhetik tatsächlich sehr wichtigen Paragraphen 515 der Metaphysica. Baumgarten gibt hier eine erste Aufstellung, von welchen Faktoren der >gradus cognitionis< abhängt und erwähnt an dieser Stelle die Klarheit nicht. Daraus darf man aber nicht schließen, daß sie für die Vollkommenheit einer Vorstellung nach Baumgarten keine Rolle spielt, wie sofort ein Blick in § 531 zeigt. Dort wird nämlich erörtert, wie extensive und intensive Klarheit und Gewißheit zur Größe der Erkenntnis beitragen. 19

Wenn man, gestützt auf eine partielle Kenntnis von Baumgartens Psychologie, die Klarheit als Erkenntnisvollkommenheit eliminieren will, beseitigt man gleichzeitig die Grundlagen seiner Erkenntnislehre, was Ruth im Ausgang von Leibniz eigentlich kaum übersehen konnte. Man kann dann leicht den >dunklen Vorstellungen< eine wichtigere Rolle zuschreiben (S. 152 f.), als ihnen in Baumgartens Psychologie und Ästhetik zukommt. Auf ähnliche Weise gelangt Ruth zu der Auffassung, Baumgarten halte Sagen und Mythen gerade ihrer Irrationalität wegen für besonders ästhetisch (vgl. S. 177, S. 185 und S. 204). Ruths Interpretation mangelt es durchgehend an der erforderlichen Verläßlichkeit.

Im Vergleich mit den Kapiteln zu Wolff und Meier fällt zudem unangenehm auf, daß Ruth bei jenen die explizite Auslegungstheorie herangezogen und scharf kritisiert hatte. Im Falle Baumgartens werden die entsprechenden Paragraphen seiner Logica mit keinem Wort erwähnt, obwohl auch Baumgarten sich des gescholtenen Begriffs der >hermeneutischen Billigkeit< bedient. 20

Der echte (Gegen-)Aufklärer

Auch im Lessing-Kapitel irritiert die Textauswahl: Da zu Ruths Ansatz solche Schriften am besten passen, in denen gleichzeitig Erkenntnis- und Moralkritik getrieben wird und in denen die entsprechenden Leistungen der ästhetischen Sprache aufgedeckt werden, leuchtet zwar ein, weshalb er sich dem Briefwechsel über das Trauerspiel (von 1756 / 57) und den Abhandlungen über die Fabel (von 1759) zuwendet. Dafür ist schwer zu verstehen, warum die Hamburgische Dramaturgie, in der Lessings Mitleidsbegriff sich weiter entwickelt, oder Lessings Fabeln, die die Probe auf das Exempel der Interpretation der Fabelabhandlungen abgeben könnten, nicht umfassend einbezogen werden. Jene beiden Schriften werden zum Ausgleich in einer Vollständigkeit behandelt, die nichts zu wünschen übrig läßt: Auch Nicolais und Mendelssohns Beiträge zum Trauerspiel-Briefwechsel werden noch ausführlich referiert.

"Die Generalthese könnte lauten: Durch Leibniz ist Lessing frühzeitig und nachhaltig vor der methodischen Einseitigkeit, Verstandesfixiertheit und dem unhistorisch gesetzesgläubigen, mechanistischen Weltbild des Rationalismus gefeit. Dabei konnte ihm, wie auch seinem Gewährsmann Leibniz, der gegen Descartes wiederaufgebotene Aristoteles wertvollen Beistand leisten." 21 Ruths Doktorvater Dieter Kimpel scheint hier nicht nur über seinen eigenen Text zu sprechen. Mit dem Briefwechsel über das Trauerspiel will Ruth im Sinne dieser Generalthese vor allem belegen, daß Lessing die (Gadamersche) Einsicht verfechte, die Allgemeinbegriffe des Verstandes und seine Verknüpfungsregeln taugten nicht zur moralischen Erkenntnis (S. 304 f., S. 343 f., S. 350).

Um diese These plastisch darzustellen, bedient er sich wieder des Kontrasts, diesmal zwischen Lessings und Mendelssohns Moralauffassung: "Die Auseinandersetzung über Mitleid und Bewunderung scheint davon geprägt, daß Mendelssohn gegenüber Lessing offenbar einen sittlich gewendeten Cartesianismus vertritt" (S. 347). Und zwar deshalb, weil Mendelssohn die unvernünftigen Neigungen einer >Herrschaft< unterwerfen will, was eine Übertragung der cartesianischen manipulativen >Weltbemächtigung< auf die Person sei (S. 347 f.). Mendelssohns scharfem Verstand kommt dabei ein zweifelhaftes Verdienst zu: "Rationalistische Morallehre ist hier sozusagen konsequent bis zur Barbarei zuendegedacht" (S. 328).

Nach Ruth stellt Lessing dies in der Emilia Galotti bloß:

Die Grundstruktur der Schrift Von der Herrschaft über die Neigungen [Mendelssohns] bezeichnet gewissermaßen die Grundidee der spezifischen Form von Entwürdigung, wie sie den bürgerlichen Galottis widerfährt, als sie zum Spielball herrschaftlicher Interessen werden. Im subversiv manipulativen Zugriff des Prinzen auf Emilia koinzidieren gleichsam das wissenschaftliche und das politische Weltbild der Aufklärung als eine jede substantielle Integrität von innen heraus zerstörende Haltung. (S. 351)

Der Prinz als aufgeklärter Herrscher? Oder verkörpert Emilia die >Neigungen< des Prinzen, über die dieser eine Herrschaft nach starren Moralbegriffen zu errichten versucht?

Auch zu den Hinsichten, in denen Ruth Lessings Fabelabhandlungen liest, finden sich bei Kimpel deutliche Winke: "Nur unter den Erfahrungsbedingungen der Kontingenz kann reflektiertes Handeln im Sinne moralkritischer Existenz sowie deren sprachkritische Darstellung eingesehen, geübt und bewährt werden, wie Lessing in den Fabel-Abhandlungen ausführt. Denn die Moral der ars inveniendi apriori, der curiositas des intellectus ipse, zugleich deren geschichtsphilosophische Aufgabe, besteht letztlich darin, Verstandesfixierungen aufzulösen, als vorläufig und überholbar darzustellen." 22

Diese Vorgabe erleichtert die Interpretation ungemein, schon Lessings Kritik an der Fabeldefinition von La Motte gewinnt erstaunliche Tiefe:

Lessing scheint dem >Zeigen< die Affinität zur Fabel primär deshalb absprechen zu wollen, weil der moralische Begriff, hier: >Einigkeit<, durch das gegenständliche >Zeigen< einer allegorischen Handlung immer in einem wesensfremden und deshalb unangemessenen Bild erscheinen muß. (S. 356)

Der unvorbereitete Leser hätte vermutet, daß Lessing gar nicht bestreiten wollte, daß eine moralische Lehre >gezeigt< werden könne, sondern bloß einwendet, dieses >Zeigen< sei noch keine Fabel, weil nichts erzählt wird. 23 Ruth fährt unbeirrbar fort:

Durch das gegenständliche Bild vom >stabilen Bündel Ruten< erhält der sittliche Begriff >Einigkeit< seinen Sinn gleichsam vom Physikalischen her, obwohl der Begriff nichts Dingliches bezeichnet, sondern den Zustand einer Gemeinschaft handelnder Menschen. Das Wesen des Moralisch-Allgemeinen scheint also gerade dadurch verfehlt zu werden, daß es im mechanischen Bild ausgedrückt wird. Deshalb liegt die Vermutung nahe, daß Lessing hinsichtlich des Praktisch-Allgemeinen die sprachliche Vermittlung in der Fabel für angemessener hält (ebd.).

Es macht die Sache nicht mehr besser, daß er seine ausufernden Spekulationen am Ende als Vermutung kennzeichnet. Auch wenn Lessing in den Abhandlungen nicht nur um eine angemessene ästhetische Darstellungsweise moralischer Erkenntnis, sondern damit gleichzeitig um die richtige Weise der Erkenntnis des Moralischen ringt, kann Ruth doch nicht zeigen, wie dies geschieht, weil er das Ergebnis der Interpretation schon voraussetzt und die These schlechterdings überall bestätigt sieht; die schrittweise Lektüre von Lessings Text ist damit eigentlich funktionslos.

In Ruths Darstellung steht Lessing als Überwinder wenigstens der Moral der Aufklärung, wenn nicht der Aufklärung schlechthin da. Man darf sich dennoch nicht darüber wundern, daß er bei Kimpel noch als Ausnahmeerscheinung unter den Aufklärern gefeiert wird. 24 Auch Ruth benutzt >Aufklärung< an anderer Stelle (z.B. S. 400) als neutralen Epochenbegriff. Ruth und Kimpel sind sich über solche Quisquilien im wesentlichen einig: "Für den intellectus ipse [...] verlieren die Gegenstandsrelationen der Verstandesebene (Kausalität, Trennung, Widerspruch, Gegensatz), auch die Wechselfälle des Daseins (Schicksal, Zufall, Irritation) den Schrecken der Objektivität" 25.

Die Dissertation legt auf klare Begrifflichkeit und eindeutig klassifizierbare Begriffsrelationen keinen Wert. Um die Dinge nicht "stillzustellen", wählt Ruth für ihre Wechselbeziehung gerne den Ausdruck >Affinität<, der ihnen freilich einen ganz unabsehbaren Spielraum läßt. Die Urteilskraft des Lesers wird wirklich herausgefordert, wenn er etwa erfährt, daß bei Baumgarten "Logisches und bildhaft Ästhetisches gleichsam schon zu Anbeginn in einer Affinität gedacht sind" (S. 161). Wie alle übrigen Ausdrücke des Titels darf man so auch die >Entfaltung< nicht allzu eng, weder mechanisch noch biologisch, verstehen: Gesetzmäßigkeiten werden nicht entdeckt. Ruths Wunsch war eher, mit seinen Helden die Schau des Hermeneutischen zu erleben. "Erkennen im Sokratisch-Platonischen Sinne heißt, unter Aufbietung aller Kräfte die Affinität zwischen der erkennenden Seele und den Ideen zu vergrößern" (S. 232). Sehr anstrengend ist es allemal. 26


Armin Emmel, M.A.
Ruhr-Universität Bochum
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Anmerkungen

1 Werner Alexander: Hermeneutica Generalis. Zur Konzeption und Entwicklung der allgemeinen Verstehenslehre im 17. und 18. Jahrhundert. Stuttgart: M&P Verlag 1993.   zurück

2 Ebenso wie sein Doktorvater Dieter Kimpel: Lessings Hermeneutik. In: Wilfried Barner / Albert M. Reh (Hg.): Nation und Gelehrtenrepublik. Lessing im europäischen Zusammenhang. Detroit: Wayne State University Press, München: edition text + kritik 1984, S. 215–236, hier S. 215.   zurück

3 Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen: Mohr (Siebeck) 4. Aufl. 1975, S. 297.   zurück

4 Leibniz betont nachdrücklich, daß eine cognitio clara dennoch confusa sein kann; Gottfried Wilhelm Leibniz: Meditationes de cognitione, veritate et ideis / Betrachtungen über die Erkenntnis, die Wahrheit und die Ideen. In: G. W. L.: Kleine Schriften zur Metaphysik. Hg. u. übers. von Hans Heinz Holz (Philosophische Schriften 1) Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996, S. 32.   zurück

5 Ruth zitiert René Descartes: Die Prinzipien der Philosophie. Übers. u. mit Anm. versehen von Artur Buchenau (Philosophische Bibliothek 28) Hamburg: Meiner 1992, § 205, S. 247   zurück

6 Ruth benutzt hier den Begriff des >Geheimnisses< nach Erich Heintel: Die beiden Labyrinthe der Philosophie. Wien, München: Oldenbourg 1968, Bd. 1, S. 265 f.   zurück

7 Christian Wolff: Philosophia rationalis sive logica, Pars III. Hg. von Jean École (Ch. W.: Gesammelte Werke. Hg. von Jean École, H. W. Arndt u.a., II. Abt., Bd. 1.3) Hildesheim, Zürich, New York: Olms 1983, § 922, S. 655.   zurück

8 Georg Friedrich Meier: Versuch einer allgemeinen Auslegungskunst. Hg. von Axel Bühler u. Luigi Cataldi Madonna (Philosophische Bibliothek 482) Hamburg: Meiner 1996.   zurück

9 Ebd. § 35, S. 16. Ruth wendet sich (S. 210 f.) teilweise nicht ohne Grund gegen die Auffassung der Herausgeber, der Satz von der besten Welt werde von Meier bloß als Annahme oder Postulat aufgefaßt (vgl. Einleitung, S. LXXXI), vergißt aber, daß Meier selbst dennoch von der "Billigkeit in Absicht auf Gott" (§ 39, S. 17) spricht.   zurück

10 Georg Friedrich Meier (Anm. 8), § 89, S. 35.   zurück

11 Ebd., §§ 209–217, S. 79–81. Ruth formuliert so apodiktisch, obwohl er diese Passagen zur Kenntnis nimmt; allerdings nur, um sie durch eine Akzentverschiebung in der Paraphrase als notdürftiges Zugeständnis Meiers abzuwerten (S. 222).   zurück

12 Vgl. nämlich Hans Georg Gadamer (Anm. 3), S. 19 f.   zurück

13 Gian Battista Vico: De nostri temporis studiorum ratione. Vom Wesen und Weg der geistigen Bildung. Übers. von Walter F. Otto (Nachdruck der Ausgabe Godesberg 1947) Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1963, Kap. XI, S. 90–133.   zurück

14 Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Hg. u. übers. von Wolf von Engelhardt u. Hans Heinz Holz. Bd.1 (Philosophische Schriften 3.1) Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996, S. 111; von Ruth zitiert S. 150, Anm. 1; vgl. noch S. 71 f.   zurück

15 Gottfried Wilhelm Leibniz (Anm. 4), S. 35.   zurück

16 Gottfried Wilhem Leibniz (Anm. 14), S. 19.   zurück

17 Ruth stützt sich (Rezensent kann die Berechtigung nicht beurteilen) vor allem auf das in Anm. 6 genannte Werk Heintels.   zurück

18 Bei Ruth wird nicht ersichtlich, wie sich diese Differenzbehauptung mit der prästabilierten >vollkommenen Harmonie< verträgt, die nach Leibniz zwischen beiden Systemen herrscht; Gottfried Wilhelm Leibniz: In der Vernunft begründete Prinzipien der Natur und der Gnade. In: G.W.L.: Kleine Schriften zur Metaphysik. Hg. u. übers. von Hans Heinz Holz (Philosophische Schriften 1) Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996, S. 417.   zurück

19 Alexander Gottlieb Baumgarten: Metaphysica. (Nachdruck der 7. Aufl. 1779) Hildesheim: Olms 1963, § 515, S. 177 f. und § 531, S. 184–186, hier besonders: "Quo clarior, quo vividior, quo distinctior, quo certior cognitio est, hoc maior est" (S. 186). In § 669, S. 252, der "Metaphysica" sieht man übrigens, daß die >Wahrheit< selbst nur ein Faktor der Vollkommenheit der Erkenntnis und nicht ihr Kulminationspunkt ist.   zurück

20 Alexander Gottlieb Baumgarten: Logica. Halle: Hemmerde 1761; Cap. XII "De Hermeneutica", S. 156–180; hier § 464, S. 158 ("aequitas interpretis").   zurück

21 Dieter Kimpel (Anm. 2), S. 218.   zurück

22 Ebd. S. 231.   zurück

23 Ruth zitiert (S. 355 f.): "Jener Vater, der seinen uneinigen Söhnen die Vorteile der Eintracht an einem Bündel Ruten zeigte, das sich nicht anders als stückweise zerbrechen lasse, machte der eine Fabel?" (Gotthold Ephraim Lessing: Von dem Wesen der Fabel. In: G.E.L.: Werke. Hg. von Herbert G. Göpfert. München 1973. Bd. 5: Literaturkritik, Poetik und Philologie. Bearbeiter Jörg Schönert. Lizenzausgabe: Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1996, S. 355–385, hier S. 358) Entscheidend ist, daß sich im Umkreis dieser Stelle keine Indizien für Ruths viel weitergehende Interpretation ergeben.    zurück

24 Dieter Kimpel (Anm. 2), S. 220.   zurück

25 Ebd. S. 230 f. — Den >intellectus<, den Leibniz in seiner berühmten Sentenz meint, spricht der Rezensent dem Autor nicht ab.   zurück

26 Die Abgeschlossenheit der einzelnen Kapitel, die Ruth sich in der Einleitung (S. 14) als Verdienst anrechnet, führt zu zahlreichen Wiederholungen (wenigstens die Platzverschwendung der wiederholten ausführlichen Literaturangaben hätte man doch sehr leicht vermeiden können), ihre chronologische Anordnung ist unpraktisch; aufschlußreiche Angaben über Ziel und Zweck der Arbeit finden sich erst in der Mitte (im Chladenius-Kapitel auf den S. 229 und 239). Die Widrigkeiten von Aufbau und Stil werden verstärkt durch den – bei dem stattlichen Preis besonders ärgerlichen – amateurhaften Satz (offensichtlich unmittelbar nach einer >Word<-Vorlage), der natürlich nicht dem Autor, sondern dem Verlag anzulasten ist.   zurück