Das vorliegende Bändchen liefert die gedruckte Version eines Vortrags, den die
renommierte Soziolinguistin Brigitte Schlieben-Lange am 25. April 1998 in Heidelberg zu
einem äußerst breiten und umstrittenen Thema – der klassifikatorischen
Problematik der Ideologie – hielt und mit dem sie unter Beweis stellte, wie bedeutsam der
semantisch mehrfach besetzte und verschieden evaluierte Begriff seit seinen Ursprüngen
für die Entwicklung der Wissenschaft und Forschung geworden ist. In den knapp sechzig
Seiten geht es der Vf.in aber keineswegs um eine umfassende und Vollständigkeit
beanspruchende Aufbereitung der Begriffsgeschichte oder um eine erschöpfende Analyse
der gängigen Definitionen von Ideologie, wie sie es bereits an anderer Stelle versucht
hatte oder wie es von D. McLellan, H. Choe bzw. von L. Clauzade
in den späten neunziger Jahren durchgeführt wurde.1
Blick auf den ursprünglichen Begriff Idéologie
In ihrem neuesten Beitrag wirft die Vf.in im Gegenteil einen analytischen Blick mit
epistemologisch unübersehbaren Konsequenzen auf einen sehr engen historischen
Ausschnitt, d.h. auf den ursprünglichen Entwurf des Begriffs Idéologie, der von
den französischen Idéologistes unter der Führung von Destutt de Tracy als
philosophisch-wissenschaftliche Richtung instituiert wurde und zwischen dem Sturz
Robespierres und dem Aufstieg Napoleons seinen Höhepunkt erreichte. B. Schlieben-
Lange möchte damit den vielfältigen Ausprägungen, die der Begriff im
Laufe seiner Geschichte erhalten hat, auf den Grund gehen und schließt die marxistische
Dimension, wie sie in der deutschen Ideologie und deren Kritik elaboriert wurde, gleich
von vornherein dezidiert aus (S. 1). Die historische Dimension werde von ihr diesmal nicht in
Betracht gezogen, meint sie. Damit wird ihr Blick frei für die im ursprünglichen
Begriffsdesign von Ideologie enthaltenen Elemente, d.h. für deren Denotate und
Konnotate, für deren Homogenisierungen und offene Widersprüche, anhand derer
die Bedeutung des Begriffs innerhalb der heutigen Wissenschaftsgeschichte zum Ausdruck
kommt.
Mit anderen Worten gesagt, untersucht die Vf.in am Beispiel der frühen Genese von
Ideologie, welche Rolle Kategorisierungen und Klassifikatoren im allgemeinen innerhalb der
Wissenschaftsdiskussionen und der wissenschaftlichen Richtungen spielen und wie sich dieser
Prozeß auf die Sprachwissenschaftsgeschichte auswirkt. Dabei soll gerade am
vorgeführten Untersuchungsobjekt Idéologie auf allgemeiner Ebene zum
Ausdruck kommen, wie sehr die Wahrnehmung von wissenschaftlichen Prozessen durch einen
Beobachter, die von diesem sowohl interagierend als auch beobachtend mitvollzogen wird,
durch den Einsatz von Kategorisierungen und Klassifikatoren einer maßgeblichen
Filterung und Vororientierung unterliegt.
Doppelstruktur des Klassifikators Idéologie
Am Beispiel von Idéologie kann gezeigt werden, wie ein Begriff einerseits
Aktivitäten kategorisiert, die einen definierten Ausschnitt von Wirklichkeit
wissenschaftlich bearbeiten, und andererseits Verfahren und Einstellungen festlegt, mit denen
Wissenschaft betrieben wird. Die Vf.in nützt hier die semantische Mehrfachfunktion von
Ideologie aus, um deren Doppelstruktur im wissenschaftlichen Feld nachzuweisen, und meint,
daß es solche Modellierungen, die unsere Wirklichkeit zugleich von innen und von
außen beobachten können, in größerem Ausmaß erst in neuerer
Zeit gibt. Mit ihrer Untersuchung gelangt B. Schlieben-Lange auf eine epistemologisch
vielversprechende Spur, die auf einen schlüssig anmutenden Paradigmenwechsel um
1800 hinweist: Es seien seit diesem Zeitpunkt im Wissenschaftsprozeß nicht nur
zahlreiche Klassifikatoren mit ähnlicher Doppelstruktur beobachtbar, die sich sowohl am
Gegenstandsbereich wie auch am Verfahren orientieren – man denke an die
Phänomenologie, den Kognitivismus, die Pragmatik oder Analytik –, sondern es seien
seit dieser Zeit ebenso zahlreiche Klassifikatoren nachweisbar, welche die Unterschiede
zwischen Theorie und Methode betonen, wie etwa die Hermeneutik, der Empirismus und der
Rationalismus.
Damit schließt sich die Vf.in an das zeitgenössische Interpretationsmuster von
Wirklichkeit an, demzufolge die paradoxe Position des zugleich internen und externen
Beobachters in das epistemologische Konzept eingearbeitet wird. Will man die
Beobachtungsvorgänge der eigenen Beobachtung registrieren und diese partikulare
Gemengelage bei wissenschaftlichen Befunden mitberücksichtigen, ist eine Untersuchung
der Untersuchungsmittel von Bedeutung. Je mehr und je eingehender der Beobachter seine
Beobachtungskriterien reflektiert und sie in einer second order observation in seine
Ergebnisse einbringt, um so mehr wird die Untersuchung sowohl ihrer
Umweltkomplexität wie auch der vor diesem Hintergrund reduzierten
Systemmodellierung gerecht. Diese Argumentationslinie verfolgt auch die Vf.in in ihrer Studie,
da sie des öfteren unterstreicht, wie sehr der Ausdifferenzierungsprozeß des
Wissenschaftssystems heute mehr denn je nach disziplinübergreifenden Verfahren
verlangt, die ihre Kategorisierungen mitzureflektieren vermögen und ihre paradoxen
Modellierungen gleichzeitig auflösen können.
Zugleich Verfahren und Element:
die Paradoxie des Klassifikators
Aus diesen Überlegungen heraus hat sich B. Schlieben-Lange gerade deshalb
eingehend mit einem Klassifikator des Wissenschaftssystems auseinandergesetzt, der eine
solche paradoxe Modellierung schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorweggenommen hatte
und trotz seiner Vorläuferrolle lange Zeit unterbelichtet geblieben war. Der heutigen
epistemologischen Problematik entspricht der Ideologie-Begriff deshalb, weil er auf der
logischen Skala mehrfach vorkam und nicht nur als reine Wissenschaftstheorie fungierte,
sondern auf tieferen, untergeordneten Positionen auch als Wissenschaftslehre, als science de l'homme (im Gegensatz zu den Naturwissenschaften), als reine Wissenschaft vom Denken
(im Gegensatz zu den angewandten Humanwissenschaften) und als Ideologie im eigentlichen
Sinne (der Grammatik und der Logik gegenübergestellt) vorkam. Die Vf.in weist, wie erwähnt, anhand von Destutt de Tracys
Élémens d'idéologie2 nach, daß der Begriff im Begriff von
Anfang an eine Mehrfachverwendung fand und dadurch sowohl für die Kategorisierung
der wissenschaftlichen Elemente wie auch als wissenschaftliches Element selbst bereits jenem
Modell der Paradoxierung entsprach, das sich die heutige Kognitionswissenschaft auf die
Fahnen geschrieben hat. Daraus ergibt sich die Frage, ob und wie diese Vielfachplazierung
innerhalb eines hierarchischen Systems der Wissenschaften nicht auch das System grundlegend
ändert. Von Interesse ist nun für die Vf.in die Tatsache, daß die
Einführung des Klassifikators willkürlich erscheint und als
Rückkoppelungsschleife erst im nachhinein seine Identität konstruiert, so
daß es etwa möglich wird, vorausgehende wissenschaftliche Aktivitäten ex
post dem eigenen Forschungsprogramm zuzuordnen und sich über die Klassiker eine
anerkannte Vorläuferschaft zu konstruieren.
Neben den klassifikatorischen Implikationen des frühen Ideologiekonzeptes
beschäftigt sich die Studie auch mit der historischen Positionierung der
Idéologistes um Destutt de Tracy, Cabanis, Maine de Biran und Degérando. Im
Zentrum der Aufmerksamkeit steht das Forschungsprogramm, mit dem die Gruppe das Ziel
verfolgte, nicht nur den Epochenumbruch systematisch zu erfassen, sondern auch ihre
Erkenntnisse, die aus dem Paradigmenwechsel hervorgegangen waren, den neu
gegründeten pädagogischen Institutionen zur Volksbildung nahezubringen. Der
Klassifikator idéologie fungierte also nicht nur im Kontext eines wissenschaftlichen
Systemzusammenhangs, sondern diente auch als selbstreferentieller Faktor seiner
institutionellen Durchsetzung, zumal die Ministerien und Schulbehörden mit der
Vermittlung des Ideologiekonzeptes betraut wurden. Das Studium der Ideen und ihrer Genese
stand in engem Zusammenhang mit der in den Écoles Centrales vermittelten Logik und
Grammatik und galt gewissermaßen als Erkenntnistheorie avant la lettre. B.
Schlieben-Lange glaubt, daß die Herausbildungsmodalitäten von
Diskursformationen im Foucaultschen Sinn hier bei weitem überschritten worden seien,
da es sich bei der terminologischen Durchsetzung von idéologie nicht nur um Systeme von
diskursiven Rekurrenzen handelte, sondern letztendlich auch um handfeste Aktionen im
institutionellen Bereich.
Historische Positionierung der Idéologistes
Wenngleich die Vf.in aus heuristischen Gründen die im Laufe der Geschichte
stattfindende "chamäleonhafte" Weiterentwicklung des Ideologiebegriffes
aus ihrer Darstellung ausklammert, zeigt sie nichtsdestoweniger auf, welche axiologische
Umkehrung der Klassifikator idéologie unter der napoleonischen Herrschaft, d.h. nach
der Regierungsübernahme am 18 brumaire des Jahres 8, erfahren hat. Napoleon sah in
der Gruppe der renommierten Idéologistes eine Gegnerschaft, die er abwertend als
Idéologues bezeichnete und wodurch er dem Klassifikator gegenüber eine
polemische Abgrenzung vornahm. Er versah den Begriff mit dem Stigma der
Lächerlichkeit und wandte dabei ein rhetorisches Verfahren an, das insbesondere
über Synonymrelationen wirksam wurde und bis in die heutige Zeit als polemische
Variante erhalten blieb. Napoleon zufolge waren die Vertreter um Destutt de Tracy nicht nur
Ideologen, sondern auch Metaphysiker, Träumer, Terroristen, Jakobiner und
Robespierre-Anhänger, wobei seine Einschätzung der Gruppe als Metaphysiker
sich am schärfsten gegen die neuen Ideenwissenschaften richtete. Nichts lag vom
Klassifikator idéologie nämlich weiter entfernt als eine etwaige Verknüpfung mit
der Metaphysik, von der er bislang programmgemäß geflissentlich abgegrenzt
wurde.
Was die Rezeption des Klassifikators idéologie in Deutschland betraf, so stellt die
Verfasserin fest, daß das Forschungsprogramm der Idéologistes als ganzes
verweigert worden war, da die Rezensenten den Klassifikator re-klassifizierten und in Termini
der in Deutschland gebräuchlichen Wissenschaftssystematik, die sich an Leibniz und
Wolff orientierte, wiedergegeben hätten, ohne auf die Spezifizität der damals
vorliegenden Erkenntnisse einzugehen. Durch diese Verweigerung sei im
zeitgenössischen Deutschland die »Ver-nicht-ung« (S. 38) des französischen
Forschungsprogramms erfolgt.
Neben der Darstellung der unterschiedlichen Rezeption, die der
Klassifikator unmittelbar nach seiner Entstehung erfuhr, und neben der Aufbereitung von
dessen mehrfacher Applikation in Destutt de Tracys ursprünglicher Konzeptualisierung
bringt die Verfasserin ihr eigenes Forschungsgebiet, die Sprachwissenschaft, in die
Untersuchung ein und zeigt in einem Kapitel über die unausgeschöpften Potentiale
der idéologie auf, daß der französische Idéologiste Destutt keineswegs –
wie das noch Foucault in seinem Werk Les mots et les choses3
vertrat – als Vertreter der Episteme der Repräsentation einzuschätzen sei. Destutt
habe in den Élemens d'idéologie bereits Überlegungen formuliert, mit denen er
die überkommene Episteme überschritten und auf die Trias von Leben, Arbeit und
Sprache verwiesen habe, die die neue Ordnung bezeichnete, wobei er aber nicht im Sinne des
19. Jahrhunderts historisch vorgegangen sei, sondern sprachanalytisch und dekonstruktiv, und
damit ins 20. Jahrhundert vorausgewiesen habe. Insofern erkennt B. Schlieben-Lange in
Destutt de Tracy den Theoretiker der Krise der Repräsentationsbeziehungen, und das
sogar in einem engeren sprachtheoretischen und zeichentheoretischen Sinne.
Die Rolle Destutt de Tracys
Anhand von
einigen schlüssigen Belegstellen weist sie nach, daß die komplexen Ideen, denen
die Idéologistes auf der Spur waren, zwar über Empfindungen und Urteile im
monistischen Ich entstehen, immerhin aber mit Hilfe von Zeichen fixiert werden, die ihrerseits von Destutt de Tracy selbst als unzuverlässig erkannt wurden. Aus diesen Belegstellen geht gleichzeitig hervor, daß das menschliche Denken durch diese Unsicherheiten im Bereich der Zeichen und deren Zuschreibungsmechanismen bis zu einem gewissen Grad
variabel und relativ bleibt. Diese Unsicherheiten habe Destutt de Tracy aber nicht wie etwas
später Humboldt über die Mittel von Dialogizität/Alterität
aufgelöst, sondern sei den Weg zu den sensiblen Ursprüngen des je eigenen
Denkens gegangen. Auf diese Weise habe der Idéologiste den Bezugspunkt für
die Sprachdekonstruktion in die eigene Sensibilität gelegt. Die Verbindung zur modernen
Kognitionswissenschaft ist damit insofern hergestellt, als bei einer solchen Klärung der
Verknüpfung von Ideen und ihrer Fixierung durch Zeichen das Prinzip der
Selbstaufhebung inkludiert wird, womit die Ideologie ihre eigene Hinterfragbarkeit garantiert.
In ihrem letzten Abschnitt wendet sich die Verfasserin aufgrund der vorgehenden
Untersuchungen dem sprachtheoretischen Status von wissenschaftlichen Kategorisierungen zu
und stellt fest, daß – wie schon bei Destutt de Tracy – auch heute die Kategorisierung als
kognitiver Prozeß gegen die sprachlichen Verfestigungen von Signifikaten und
Signifikanten gerichtet wird, wobei aber in unserer Zeit die Würdigung der sprachlichen
Gestaltung zumeist fehlt und eine Art von »Parallel-Linguistik« entstanden ist, die das
Wechselspiel zwischen Kategorisierung und sprachgebundenem Klassifikator nicht reflektiert.
B. Schlieben-Lange vertritt jedoch die These, daß Wissenschaftstypisierungen und -
kategorisierungen bis zu einem gewissen Maße ähnlich funktionieren wie
Alltagskategorisierungen, und sie so mit idéologie im pränapoleonischen Sinne
parallelführt. Der Vf.in zufolge gelte es deshalb zu zeigen, daß nur die für
eine bestimmte Sprachgemeinschaft relevanten Konzepte als Signifikate fest an einen
Signifikanten geknüpft werden können. Neben den Relevanzgesichtspunkten sind
für eine Untersuchung der Semantik von Wissenschaftsklassifikatoren auch die
Oppositionen von Bedeutung, so wie sie auch in der strukturellen Semantik vorkommen. Im
Sinne der kognitiven Semantik funktionieren die Wissenschaftsklassifikatoren darüber
hinaus auch prototypisch, mit einem stark ausgeprägten Zentrum und einer schwachen
Peripherie, wobei gerade den referenzsemantischen Aspekten, d.h. den konzeptuellen
Rahmenbedingungen, – wie in den Thesen der Idéologistes – eine große
Bedeutung zugemessen wird. Wie bei den ideologietheoretischen Schriften vor zweihundert
Jahren lassen sich moderne Wissenschaftsklassifikatoren mehrfach lesen und unterliegen
gewissermaßen einem Subsumptionszwang, der als Basisfunktion die wissenschaftlichen
Aktivitäten bestimmten Klassifikatoren zuordnet.
Begriffsgeschichtliche Dokumentation zur Verbreitung von Idéologie im Anhang
Auf die knapp formulierten, aber weit ausholenden Thesen der Verfasserin folgt im
Anhang eine von Jochen Hafner zusammengestellte begriffsgeschichtliche Dokumentation zur
diskursiven Verbreitung des Klassifikators idéologie in den offiziellen Schriften der
Écoles Centrales. Das übersichtlich aufbereitete Textkorpus, das aus
ministeriellen Rundbriefen an die Lehrerschaft wie auch aus der Korrespondenz zwischen den
Experten besteht, zeigt auf, wie aktiv der Klassifikator das Wissenspotential der Zeit ordnete, wie sehr er selbst allerdings von der jeweils geltenden Kategorisierungsstufe abhängig war. Das Korpus dokumentiert aber auch die Fülle an richtungweisenden erkenntnis-,
zeichen- und sprachtheoretischen Überlegungen, die sich im kommunikativen
Zusammenhang des neu einzurichtenden Unterrichtswesens niederschlugen. Es geht darin
hauptsächlich um die Frage nach dem Ursprung der Ideen und dem allgemeinen Prinzip
ihrer Klassifizierung, um die Analyse des menschlichen Verstandes und der Gedanken sowie
um die Funktion des Denkens im Sprachunterricht. Ein Auszug aus dem Bericht von Mathieu
Nicolas Domange möge diese Ambitionen unterstreichen: »Nos idées tirent leur origine
des sens: elles ne sont que des sensations actuelles, ou le souvenir des sensations dont elles nous retracent les images. Comment nous distinguons nos sensations et nos idées. La méthode qui nous apprend à les distinguer nous vient de la nature même, qui nous fait connaître successivement les qualités des corps, par l'entremise de nos sens. [...] Cette méthode de décomposition et de composition, appelée analyse, est la seule qui doive nous diriger dans l'étude des sciences et des arts. L'origine de nos idées et leurs principales espèces étant indiquées, quel ordre doit régner entr'elles, pour former un système de connaissances.«4
An dieser spezifischen Beobachtung und Aufbereitung des Ideologiebegriffes und an
dessen Parallelsetzung mit den Kriterien der Wissenschaft wird deutlich, wie sich die Vf.in dem komplexen Thema der Ideologie gegenüber selbst positioniert. Indem sie dem Begriff die
polemische Note nimmt, die ihm aus der napoleonischen Kritik und – noch mehr – aus der
marxistischen Gesellschaftsbeschreibung erwachsen ist, und indem sie sich auf seine
ursprüngliche Konzeptualisierung konzentriert, erreicht sie ihn an einem Punkt, wo er
sich noch problemlos in das wissenschaftliche System einfügt und als Bestandteil dieses
Systems beobachtet und beschrieben werden kann. Sie folgt insofern dem
angelsächsischen Mainstream, der sich tendenziell auf eine empirische Version der
Sozialwissenschaften einstellte und diese auf die Naturwissenschaften ausrichtete. Diese Art
von Sozialwissenschaften hätte sich demnach auf die objektive Welt der Fakten
auszurichten und sollte in irgendeiner Weise objektiv verifizierbar sein – und sei es über
die Falsifikation.
Methode: empirische Sozialwissenschaften
Aus diesem Denkzusammenhang schöpft B. Schlieben-Lange das
Argumentationspotential, mit dem sie sich nun an die komplexen und variablen Bedingungen
des immer breiter ausholenden Wissenschaftssystems nähert und zu dessen
selbstreflexiver Bewältigung sie einlädt. Die Beobachtung der Genese von
disziplinübergreifenden Verfahren und deren Kategorisierung, wie sie zur Zeit der
Idéologistes eine besondere Geltung erreichte, führt die Verfasserin
schließlich zur These, daß es hinsichtlich der Klassifikation von Wissenschaften und
der dabei leitenden Relevanzen um 1800 einen signifikanten Bruch gebe, den es zu beschreiben
gelte und der insbesondere über die massive Verbreitung klassifikatorischer
Doppelstruktur – nicht zuletzt im Sinne des Destuttschen Ideologiebegriffs – gut
nachvollziehbar sei. Für die Problematik des Ideologiebegriffs im engeren Sinne mag
dieser chronologische Einschnitt sicherlich gelten, da es gerade in jener Zeit in der Tat zu
dessen Ausdifferenzierung kam. Auch die sprach- und kognitionswissenschaftliche Auslegung
des damaligen Wissenschaftssystems scheint durchaus einleuchtend. Ob es sich dabei allerdings
um ein Spezifikum der betreffenden Epoche handelt, bleibt durch die Verwurzelung der
Fragestellungen in den beiden voraufgehenden Jahrhunderten, insbesondere durch die
Behandlung der Problematik in den Arbeiten von Francis Bacon und John Locke, höchst
problematisch.
Univ.-Doz. Dr. Klaus-Dieter Ertler
Universität Graz
Institut für Romanistik
Merangasse 70
A-8010 Graz
Ins Netz gestellt am 12.09.2000.
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