Friedrich über Pierre Bourdieus "Regeln der Kunst"

Hans-Edwin Friedrich

Vom Überleben
im Dschungel des literarischen Feldes
Über Pierre Bourdieus "Regeln der Kunst"

  • Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Übersetzt von Bernd Schwibs und Achim Russer. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1999. 552 S. Geb. DM 98.-



Inhalt

Das Exempel: Flauberts "Erziehung des Herzens" | Die Genese des literarischen Feldes | Die Avantgarde und die Intellektuellen | Der gegenwärtige Markt der symbolischen Güter | Methodologische Reflexion der Theorie des künstlerischen Feldes | Das literarische Feld | Wider die Hermeneutik | Unnötige Polemik | Was ist Wissenschaft? | Die Systemtheorie Niklas Luhmanns | Das geschichtsphilosophische Erbteil | Der blinde Fleck: Das Ästhetische | Die "illusio" | Zusammenfassung: Probleme der Theorie | Stärken der Theorie des literarischen Feldes | Postscriptum



Die bereits 1992 erschienene französische Originalausgabe bietet eine systematische Zusammenfassung von Pierre Bourdieus Forschungen zur Kunstsoziologie. Literaturwissenschaftlichen Untersuchungen der Kontaktflächen zwischen Literatur und Gesellschaft steht damit eine inspirierende Konzeption zur Verfügung, die hierzulande vor allem in den Arbeiten von Joseph Jurt und Markus Schwingel rezipiert und weitergeführt wurde. 1 In den ambitionierten "Regeln der Kunst" entwickelt Bourdieu eine umfassende Theorie. Im folgenden wird zunächst die Argumentationslinie rekonstruiert, anschließend werden die Problemzonen des Konzepts eingehend diskutiert, am Ende die Vorzüge und Untersuchungsfelder skizziert, für die die Kultursoziologie Bourdieus Einsichten verspricht.

Das Exempel: Flauberts "Erziehung des Herzens"

Als "Prolog" führt eine Analyse von Flauberts Roman "Die Erziehung des Herzens" exemplarisch die Anwendung der Theorie des literarischen Feldes vor. Bourdieus Ausgangspunkt ist die These, die "Struktur des sozialen Raums, in dem sich die Abenteuer Frédérics abspielen, erweis[e] sich auch als die Struktur des sozialen Raums, in dem der Autor des Werkes selbst situiert war" (S. 19). Der Roman ist eine "Art soziologischen Experiments" (S. 29). Die Funktion der literarischen Form liege, so Bourdieu freudianisch, in der Verdrängung der sozialen Wirklichkeit; sie "offenbart und kaschiert" (S. 66, vgl. S. 374) die gesellschaftlichen Grundlagen. Der Schriftsteller sei ein "Medium von (sozialen oder psychologischen) Strukturen [...], die durch ihn und seine Arbeit an den induzierenden Wörtern, gleichsam elektrische >Leiter<, aber auch mehr oder minder undurchdringliche Filter, zur Objektivierung kommen" (S. 20).

Zwischen der fiktionalen Welt und der Gesellschaft, in der der Autor lebt, bestehen exakte Relationen, denn die "Arbeit des Schreibens schafft [...] ein Universum voller signifikanter Einzelheiten und ist damit signifikanter als in natura" (S. 22). Kunst vermag "einen Glaubenseffekt (und weniger Realitätseffekt) hervorzubringen. Und dies ist es wohl auch, weshalb das literarische Werk manchmal mehr sogar über die soziale Welt aussagen kann als so manche vorgeblich wissenschaftliche Schrift" (S. 66). Dieser Glaubenseffekt ist die im literarischen Feld geltende "illusio", die in allen sozialen Feldern jeweils erzeugt und benötigt wird.

Die Romanfiguren sind "Symbole zur Kennzeichnung und Repräsentation der relevanten Symbole des sozialen Feldes" (S. 22), durch "eine Art generativer Formel" (S. 35) festgelegt und bewegen sich in einem Feld mit festen Spielregeln. Frédéric Moreau kommt als "Wesen ohne Schwerkraft" (S. 44) eine Sonderrolle zu. Er ist der Kraft des sozialen Feldes ausgesetzt, der er nur seine Erbschaft entgegensetzen kann. Er kann sich nicht entscheiden, ob er Künstler oder Bürger sein will, ist also gezwungen, ein Doppelwesen zu sein, ein Doppelleben zu führen. Seine "Erziehung des Herzens" besteht im fortschreitenden Erlernen der Unvereinbarkeit der Welt der Kunst und der Welt des Geldes, reiner und käuflicher Liebe. Frédéric erstrebt eine "Gabe gesellschaftlicher Allgegenwart" (S. 59), die auch das Handwerk des Schriftstellers und den Standpunkt des Intellektuellen definiert. Bourdieu entziffert die Figur als "Selbstobjektivierung" (S. 55) des Autors Gustave Flaubert. Auch er lehne gesellschaftliche Bestimmungen ab und verorte die Stellung des Dichters außerhalb der Gesellschaft. Warum ist das so? Flauberts ästhetischer Neutralismus wirft für den Soziologen die Frage "nach den sozialen Determinanten des Ehrgeizes [auf], sich aller Determinierung zu entziehen" (S. 60).

Die Genese des literarischen Feldes

Die Wahl der "Erziehung des Herzens" ist mit der überragenden Stellung dieses Romans für die Geschichte des literarischen Feldes begründet, die im ersten Teil der "Regeln der Kunst" in drei Längsschnitten skizziert wird. Flaubert und Baudelaire geben in der Mitte des 19. Jahrhunderts die entscheidenden Anstöße zur "Konstitution des literarischen Feldes als einer gesonderten Welt mit je eigenen Gesetzen" (S. 84). Die zwingende Voraussetzung dafür ist die Herausbildung eines infolge der Industrialisierung erstmals gegebenen Marktes, dem Kunstproduzenten und Herrschende gleichermaßen struktuell untergeordnet sind. Die literarischen Salons fungieren als Stätten, wo die beiden Gruppen einander be-gegnen und wechselseitige Verhandlungen führen. Sie bilden den Marktplatz für die Kunst.

Die Expansion des Marktes für kulturelle Güter lockt junge Akademiker, die ihr Glück in Paris suchen und dort die Bohème konstituieren. In diesem Milieu entsteht die Figur des modernen Künstlers. 2 Der Markt fungiert als Selektionsmechanismus, der die Disparitäten der Künstler untereinander auf nie dagewesene Weise verschärft. Die Künstler bilden eine eigene Gesellschaft, sie sind "ihr eigener Markt" (S. 99). Dieses literarischkünstlerische Feld entsteht innerhalb der bürgerlichen Welt, steht aber zugleich zu ihr in radikaler Opposition. Denn die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts war eine "Welt, die nie zuvor auf so brutale Weise ihre Werte und ihren Anspruch geltend gemacht hatte, die Legitimationsinstrumente in Kunst wie Literatur gleichermaßen unter ihre Kontrolle zu bringen, und deren Ziel es ist, vermittels der Presse und deren Schreiberlingen eine würdelose und entwürdigende Definition der kulturellen Produktion zu oktroyieren" (S. 100).

Baudelaire wird zum Gesetzgeber, indem er in der Konstituierungsphase aus dem "nomos" des literarischen Feldes heraus einen ethischen Bruch mit den moralischen Normen der Gesellschaft vollzieht. Ein "zu einem hohen Grad von Autonomie gelangtes literarischkünstlerisches Feld" (S. 104) muß vorhanden sein, damit der Vollzug des Bruchs überhaupt die "Grundlage der Existenz des Künstlers als Künstler" (S. 105) stiften, die symbolische Handlung solche praktische Folgen haben kann. Baudelaire vollzieht ihn mit seiner Bewerbung auf einen Sitz der Académie Francaise:

Mit seiner Bewerbung bei einer noch weitgehend anerkannten Konsekrationsinstitution macht Baudelaire, der besser als jeder andere weiß, welchen Empfang man ihm bereiten wird, das Recht auf Konsekration geltend, das ihm kraft der Anerkennung gebührt, die er im engeren Kreis der Avantgarde genießt; indem er diese in seinen Augen diskreditierte Instanz zwingt, ihre Unfähigkeit, ihn anzuerkennen, in aller Öffentlichkeit zu demonstrieren, macht er zugleich das Recht geltend, ja die Pflicht, die dem Inhaber der neuen Legitimität zukommt, die Wertetafel umzukehren – wobei er nicht minder diejenigen, die ihn anerkennen und die durch seinen Akt aus der Fassung gebracht werden, zwingt, einzugestehen, daß auch sie noch die alte Ordnung anerkennen – und zwar mehr als sie glauben. Mit seinem dem gesunden Menschenverstand zuwiderlaufenden, widersinnigen Akt unternimmt er es, die Anomie zu stiften, die paradoxerweise den nomos dieses paradoxen Universums – des zu seiner vollen Autonomie gelangten literarischen Feldes – bilden wird, nämlich die freie Konkurrenz der ProphetenSchöpfer, die frei den außergewöhnlichen und einzigartigen nomos bestätigen, der weder Vorläufer noch Vorbild kennt und der sie genuin definiert. (106f.)

Damit ist der Primat der reinen Literatur als Nomos des Feldes etabliert; die Autonomie der Literatur ist gestiftet. Der Nomos des Feldes ist den feldexternen ökonomischen Werten radikal entgegengesetzt, so daß diejenigen Künstler, die sich an externen Autoritäten ausrichten oder kommerziell erfolgreich sind, innerhalb des Feldes in die Defensive geraten. Ebenso ergeht es der Mittlerposition zwischen künstlerischem und ökonomischem Feld, Verlegern, Galeristen, Theaterbetreibern. 3 Der "moderne[] Schriftsteller oder Künstler als Vollzeitprofessionelle[r], der sich seiner Arbeit total und ausschließlich widmet, den Anforderungen und Ansprüchen der Politik und den Imperativen der Moral gegenüber gleichgültig bleibt und keine andere Schiedsinstanz anerkennt als die spezifische Norm seiner Kunst" (S. 127) – das ist der Vertreter des Nomos des Feldes. Das l'art pour l'art beruht also auf einer "Logik der doppelten Absetzung" (S. 174), einerseits von der bürgerlichen, kommerziellen Kunst, andererseits von der gesellschaftlich verpflichteten Kunst. Das horazische delectare aut prodesse wird aus der Autonomieästhetik verbannt.

Baudelaires politischer Neutralismus, seine grundsätzliche Distanz zur Gesellschaft ist ein eminent politischer Standpunkt. Er setzt den Nomos des künstlerischen Feldes, den ethischen Bruch, die dezidierte Distanz zum Machtfeld voraus. Der traditionelle Zusammenhang von Ethik und Ästhetik ist durchbrochen, der Primat der Form als unmittelbare Verwirklichung des Nomos gesetzt. Die prinzipielle Ablehnung des Markts bedeutet den Verzicht auf direkten Rückfluß von Investitionen. Symbolische Gewinne entstehen gerade durch ökonomische Verluste. Der moderne Künstler bedarf vorgängig ökonomischen Kapitals, sein Kunstwerk muß seinen Markt erst generieren.

Die Avantgarde und die Intellektuellen

In den 1880er Jahren präsentiert sich das literarische Feld oberflächlich als "scheinbar anarchische[s] und willentlich libertäre[s] Universum". In Wirklichkeit aber ist es ein "gleichsam [...] wohlgeregelte[s] Ballett[...]" (S. 187). In diesem Zeitraum verändert sich das Feld erneut entscheidend. Eine Krise der literarischen Produktion läßt innerhalb jeder literarischen Gattung eine Avantgarde entstehen, die die Dominanz im Feld gewinnt. Die bislang maßgebliche Gattungshierarchie verliert zugunsten des Gegensatzes zwischen reiner und anderer Kunst an Gewicht. Lyrik galt vormals als >reinere< Kunst als der Roman; nunmehr rücken avantgardistische Lyrik und Romane enger zusammen als reine und konventionelle Lyrik. Das Feld ist jetzt nach zwei unterschiedlichen Hierarchien gestaffelt. "Der Hauptgegensatz – zwischen der reinen Produktion, bestimmt für einen eingeschränkten Markt der Produzenten, und der Massenproduktion, ausgerichtet an den Erwartungen eines breiten Publikums – reproduziert den fundierenden Bruch mit der ökonomischen Ordnung, der dem Feld der eingeschränkten Produktion zugrunde liegt; überlagert wird jener durch einen sekundären Gegensatz, der sich innerhalb des Subfeldes der reinen Produktion zwischen Avantgarde und arrivierter Avantgarde einstellt" (S. 198).

Neulinge ohne symbolisches Kapital berufen sich zur Durchsetzung ihrer Interessen und Etablierung im Feld auf das Prinzip der reinen Kunst, den Nomos des Feldes gegen die arrivierten Künstler. Eine Kette von Kunstbewegungen kommt in Gang, die das Feld bis 1914 in einen Zustand der permanenten Revolution versetzt. Einander schnell ablösende Ismen fungieren als nahezu inhaltsleere, aber symbolisch notwendige Distinktionsmittel.

Die zweite entscheidende Veränderung ist die Erfindung des Intellektuellen. Das Gattungssystem und die Rangfolge der Autoren sind intern nach dem Maßstab ihrer Nichtkommerzialität organisiert. Emile Zola als der maßgebliche Autor ist aber kommerziell auf kompromittierende Weise erfolgreich. Seine Strategie ist die symbolische Konvertierung des Kommerziellen in Volkstümlichkeit. Die Theorie des Experimentalromans soll den Verdacht der Vulgarität neutralisieren, der vom Sujet ausgeht. Zola reklamiert für sich die Rolleneigenschaften des Propheten und überwindet den Neutralismus des l'art pour l'art. Er vollzieht wiederum als Gesetzgeber einen weiteren Bruch. Es ist "paradoxerweise die Autonomie des literarischen Feldes, die den Stiftungsakt eines Schriftstellers ermöglicht, der unter Berufung auf genuine Normen des literarischen Feldes in das politische Feld eingreift und sich auf diese Weise zum Intellektuellen konstituiert" (S. 210).

Der gegenwärtige Markt der symbolischen Güter

Zum Abschluß wird eine Analyse des (französischen) Marktes der "symbolischen Güter" auf der Basis von Daten vorgelegt, die 1976 erhoben wurden. Bourdieu interpretiert sie mittels der durch die historische Analyse gewonnenen Einsichten. Die Strategien der Produzenten bewegen sich zwischen zwei Extremen, die faktisch nicht erreicht werden, "der totalen und zynischen Unterordnung unter die Nachfrage und der absoluten Unabhängigkeit vom Markt und seinen Ansprüchen" (S. 228). Die Produktionszyklen gelten als Maßstab für ihren Stellenwert im literarischen Feld. Die Akkumulation von symbolischem Kapital strukturiert die Stellung der Handelnden auf dem künstlerischen Markt. Die zeitliche Abfolge von Stilen macht sich als Positionierung im Feld geltend. Sie ist grundsätzlich auf den Pol der reinen Kunst ausgerichtet. Durch jede neue Positionierung ergibt sich eine Verlagerung des gesamten Feldes von jenem Pol weg.

Jeder neue epochemachende Akt verschiebt die ganze Serie der vorhergehenden Akte. Bourdieu bezeichnet das als das "Altern" der Avantgarde. Aufgrund dieses Prozesses ist die Genealogie der Positionierung im Feld mit der Geschichte des Feldes identisch. Zum Zeitpunkt der Erhebung ist das künstlerische Feld vollständig ausgeprägt und befindet sich im Zustand einer "gleichsam vollkommenen Vereinheitlichung" (S. 258), einer "prästabilierten Harmonie" (S. 259).

Methodologische Reflexion der Theorie des künstlerischen Feldes

Im zweiten Teil der "Regeln der Kunst" entfaltet Bourdieu die "Grundlagen einer Wissenschaft von den Kulturprodukten" (S. 281). In einem ersten Abschnitt wird die Theorie des Feldes methodologisch reflektiert. Die Anschlüsse zur eigenen soziologischen Theorie werden vollzogen, indem etwa der Begriff des Habitus abgeleitet und in seiner Funktion, die Kategorie des gesellschaftlichen Handelns zur Geltung zu bringen, eingeführt wird.

Zur Verdeutlichung des eigenen Standpunkts setzt sich Bourdieu polemisch von Ansätzen mit feldimmanentem Analyseinstrumentarium ab. Diese beruhen selbst auf der Logik des Feldes, gehören zum Gegenstandsbereich. Allen Verfahren, die auf den "literarischen doxa" beruhen, spricht Bourdieu dezidiert den Charakter der Wissenschaftlichkeit ab, weil sie die Historizität der Kunstwerke und ihre gesellschaftliche Kontextualisierung ignorieren. Der Wandel im Feld, so erläutert er exemplarisch in Auseinandersetzung mit dem Formalismus, basiert nicht auf Verfremdung innerhalb der literarischen Reihe, sondern auf einem gesellschaftlich begründeten Verhältnis von Ortho- und Heterodoxie.

Bourdieu beansprucht, den Gegensatz zwischen externer und immanenter Analyse überwunden und Objektivität erreicht zu haben. Objektivität heißt, einen Beobachterstandpunkt außerhalb des Feldes einzunehmen und diesen Standpunkt zu reflektieren, indem er selbst wiederum expliziert und der Beobachtung zugänglich gemacht wird. Das zielt gegen die Vorstellung vom Intellektuellen als Genie, die Bourdieu in Sartre verkörpert sieht, mit dessen "Idiot der Familie" er implizit konkurriert: "Gott ist tot, aber der ungeschaffene Schöpfer hat seinen Platz eingenommen. Derselbe, der den Tod Gottes verkündet, bemächtigt sich aller seiner Attribute" (S. 303). Mit dem naiven Standpunkt muß jedoch gebrochen werden. "Den Standpunkt der Reflexivität einnehmen heißt [...] das Privileg des Subjekts in Frage stellen, das die antigenetische Sicht willkürlich als rein noetisches von der Arbeit des Objektivierens befreit" (S. 331). Die Frage nach den "gesellschaftlichen Bedingungen der Möglichkeit des wissenschaftlichen >Subjekts<" (S. 332) soll relativistischen Tendenzen vorbeugen.

Das literarische Feld

Bourdieu beschäftigt sich dann mit den Fragen der Plazierung des literarischen Feldes innerhalb des Feldes der Macht, der Bestimmung des Feldes als "Universum[] mit eigenen Funktions- und Transformationsgesetzen" (S. 340) und der "Struktur der objektiven Beziehung zwischen den Positionen, die von den miteinander um die Legitimität konkurrierenden Individuen oder Gruppen eingenommen werden" (S. 340), sowie der Genese des Habitus dieser Personen.

Das Feld der Macht ist das dominierende Feld, zu dem das literarische Feld in einem kausalen Abhängigkeitsverhältnis steht. 4 Die Ordnung des literarischen Feldes ist aufgrund des Autonomisierungsprozesses spiegelbildlich zur ökonomischen Welt. Das Kräfteverhältnis zwischen autonomem und heteronomem Pol ist abhängig vom Grad der Autonomie des Feldes. Je höher dieser Grad, desto schärfer ist der Schnitt zwischen Massenproduktion und Avantgarde, dem "Subfeld der eingeschränkten Produktion" (S. 344), zwischen E und U.

Das Ausmaß der Autonomie ist nationalen und historischen Schwankungen unterworfen, grundsätzlich aber bestimmt vom historisch angesammelten Kapital, dem "Bezeichnungen wie Schriftsteller oder Philosoph beigemessene[n] Wert, d[er] mit dem entsprechenden Status verbundene[n], quasi institutionalisierte[n] Lizenz zur Machtkritik" (S. 350). Die Definition des Schriftstellers geht auf eine lange Geschichte von Ausschlüssen und Exkommunikationen zurück, stellt daher keine unveränderliche Konstante dar und muß begrifflich vage bleiben. Alle Intellektuellen sind an die Regeln des Feldes gebunden. Die Vertreter heteronomer wie die autonomer Konzeptionen versuchen gleichermaßen, ihre Interessen als Interessen des Feldes durchzusetzen.

Aufgrund der Autonomie des Feldes sei es für Menschen mit widersprüchlicher sozialer Identität attraktiv. Bourdieu formuliert als These, die Neigung zu riskanten Positionen korreliere mit der "Verfügung über ein bedeutendes ökonomisches und symbolisches Kapital" (S. 413). Die "illusio" wird im permanenten Kampf um das Definitionsmonopol reproduziert. Dieser Kampf führt dazu, daß die Positionierung entscheidet, welche Optionen wählbar sind. Die Objektivität des Feldes entsteht durch Intersubjektivität. Bourdieu kommt zu einer entschiedenen Bestimmung der Wissenschaft von den kulturellen Gütern: "Der eigentliche Gegenstand der Wissenschaft vom Kunstwerk ist daher die Beziehung zwischen zwei Strukturen: der Struktur der objektiven Beziehungen zwischen den Positionen innerhalb des Produktionsfeldes (und den sie einnehmenden Produzenten) und der Struktur der objektiven Beziehungen zwischen den Positionierungen im Raum der Werke" (S. 369).

Aufgrund der Autonomie des Feldes sind interne Veränderungen "prinzipiell weitgehend unabhängig von den externen [...], von denen sie ausgelöst scheinen, weil sie sich gleichzeitig abspielen" (S. 379). Veränderungen gehen nur vom Wechsel der Positionen aus, und zwar "per definitionem von den Neulingen" (S. 379), die sich einen Namen machen müssen. Die Entwicklungsrichtung des Feldes ist die Autonomisierung, die zu steigender Reflexivität und Kumulativität des Kunstwerks führt.

Bourdieu sieht die Biographie als Endziel der wissenschaftlichen Untersuchung, aber nicht als Geschichte eines Individuums, sondern als Rekonstruktion der Positionierungen innerhalb des Feldes.

Wider die Hermeneutik

Der letzte, kurze Abschnitt beschäftigt sich mit der Hermeneutik. Bourdieu kritisiert die Charakterisierung des literarischen Kunstwerks durch "Zweck und Funktionslosigkeit, Vorrang der Form gegenüber dem Inhalt, Interesselosigkeit" (S. 449), die er bei Jakobson, Wellek, Danto und anderen findet. Nicht zu unrecht, aber doch etwas zu genüßlich wendet er ein, hier handele es sich um Auskünfte gebildeter Literaturkenner, die ihren historisch kontingenten Elitegeschmack für repräsentativ halten. Allerdings, so muß man festhalten, lief die Theorie des Feldes kaum auf anderes hinaus. Immerhin aber kann sie, so Bourdieu, verdeutlichen, daß die "Erfahrung des Kunstwerks als unmittelbar sinn- und werthaft [...] ein Effekt der Übereinstimmung der beiden sich gegenseitig begründenden Seiten derselben historischen Institution [ist]: des gebildeten Habitus und des künstlerischen Feldes" (S. 455). Die Ausführungen nehmen die Hermeneutik Gadamers aufs Korn, der Bourdieu skizzenhaft Beispiele wissenschaftlicher Analyse entgegensetzt.

Unnötige Polemik

Damit ist die Rekonstruktion von Bourdieus Argumentationslinie abgeschlossen. Sein Anspruch zielt aufs Ganze; es ist also differenziert vorzugehen. Bourdieu polemisiert gegen alle literaturwissenschaftlichen Verfahren, die den sozialen Kontext von Kunst aussparen. Seine Polemik hat ihm harsche Zurückweisung eingetragen. 5 Bourdieu bewegt sich hier nicht auf der Höhe der Diskussion, denn er führt die Kämpfe der sechziger und siebziger Jahre weiter. Wer ginge noch im Ernst davon aus, daß "die wissenschaftliche Analyse zwangsläufig die Besonderheit des literarischen Werks und der Lektüre, angefangen mit dem ästhetischen Vergnügen, zerstören" (S. 10) müsse? Wer wird wirklich noch an die Herrschaft eines "Idealismus der literarischen Hagiographie" (S. 13) glauben? Wer müßte heute noch gegen Lévi-Strauss, Sartre, Gadamer polemisieren?

Bourdieu errichtet eine unnötige Front zwischen seinem historisch-soziologischen Ansatz und den traditionellen Verfahren. Es ist sicher richtig, in der dekonstruktivistischen, strukturalistischen Lektüre von Texten Praktiken zu identifizieren, die auf der Logik des Feldes selbst beruhen (vgl. S. 310f.). So zu verfahren ist aber nicht illegitim, solange es sich um heuristische Standpunkte handelt. Immerhin halten die internen Verhältnisse im Feld genügend Probleme bereit, die sich wohl kaum allein durch soziologische Verfahren lösen lassen. Nachvollziehbar ist die Polemik, sofern sie sich gegen dogmatische Verfestigungen, Theorien mit Monopolanspruch, Originalität als Wert in der Theoriebildung (vgl. S. 288) richtet. – Allerdings ist Bourdieu selbst davon nicht freizusprechen, wenn er immer wieder insinuiert, nur seine Feldanalyse allein könne Wissenschaftlichkeit für sich beanspruchen. Dann könnte die Humanbiologie selbstverständlich der Kultursoziologie vorwerfen, sie sei keine Wissenschaft, weil sie nur gesellschaftsimmanent argumentiert und den Rekurs auf die anthropologische Ebene verweigere.

Vieles davon ist Schattenboxen, Rhetorik, Imponiergehabe. Bourdieus Ansatz ist aber zu vielversprechend, um sich damit aufzuhalten. Nostra res agitur. 6 Es gilt also abzuwägen, welche Stärken und Schwächen der Ansatz aufweist. Ich beginne damit, die Begründungen der Theorie kritisch zu untersuchen, um dann ihre eigentlichen Stärken herauszustellen.

Was ist Wissenschaft?

Da Bourdieu seinen Ansatz als "wissenschaftliche Analyse" (S. 10) bestimmt, hermeneutischen, strukturalistischen, diskursanalytischen Verfahren diese Qualität aber abspricht, muß nach seinem Konzept von Wissenschaft gefragt werden. Bourdieu zeigt eine Vorliebe für naturwissenschaftliche Begriffe und Modelle. Das Macht-Feld sei ein "Feld potentieller Kräfte, die auf jeden eindringenden Körper wirken" (S. 30), Flaubert gestalte es als "ein regelrechtes Milieu im Sinne Newtons, worin soziale Kräfte wirken, Kräfte der Anziehung und Abstoßung, die sich auf der Erscheinungsebene in Form psychologischer Motivationen, wie Liebe oder Ehrgeiz, bekunden" (S. 29). Es wird als energetisches oder magnetisches Feld beschrieben. "Das literarische (usw.) Feld ist ein Kräftefeld, das auf alle einwirkt, die es betreten" (S. 368). 7 Solche Anleihen bei der Physik sind nicht nur Metaphern. Es ist auch nicht bloß eine rhetorische Sottise, wenn Bourdieu die konservativen Intellektuellen als "das passive (oder in der Sprache der Physik: das träge) Moment" (S. 439) des Feldes bestimmt. Vielmehr liegt seiner Analyse die Vorstellung zugrunde, daß Gesellschaft tatsächlich wie ein physikalisches Feld funktioniert, strenge Gesetzmäßigkeiten hat und daher auch in der gleichen Weise exakt beschrieben und analysiert werden kann.

Bourdieu begreift das Feld im physikalischen Sinn als geschlossenes System. So wird der Entropiesatz der Thermodynamik anwendbar in der These, "daß die Produktion [...] des Künstlers, in bezug auf das Gesetz des Erhalts der sozialen Energie" (S. 275; vgl. S. 366) analysiert werden könne, ja daß es überhaupt so etwas Merkwürdiges wie soziale Energie gebe. Dieser Hintergrund begründet maßgeblich die Vorstellung von der Akkumulation als Grundprinzip des modernen Kunstwerks. Nur auf dieser Grundlage ist es möglich, den Querschnitt durch das Feld als Genealogie der Positionierungen zu lesen und zu postulieren, daß die Geschichte des Feldes vollständig im Feld enthalten sei. Allerdings ist Physik nicht einfach nur eine andere Sprache als Soziologie, sie hat fundamental andere Gegenstände, so daß diese Grundlage der Feldtheorie höchstens Metapher sein kann. Dann aber verlieren viele Schlußfolgerungen auf der makrotheoretischen Ebene ihre Stringenz, denn Bourdieu kommt aufgrund dieser Verankerung der Feldtheorie zu gesetzmäßigen Kausalitäten.

"Jede Position ist durch ihre objektive Beziehung zu anderen Positionen, oder, anders gesagt, durch das System relevanter, das heißt effizienter Eigenschaften objektiv festgelegt: jener Eigenschaften, die die Situierung im Verhältnis zu allen anderen Positionen innerhalb der Struktur der globalen Verteilung der Eigenschaften ermöglichen" (S. 365). Der Exaktheitsanspruch führt in weiterer Konsequenz einerseits zu einer hohen Genauigkeit und scharfen Schlußfolgerungen. Das stützt die empirischen Analysen, indem das Feld quasi als "Raum objektiver Beziehungen" (S. 289) präpariert wird. Andererseits aber führt sie zu Verzerrungen und einem tiefsitzenden Unverständnis gegenüber "unpräzisen", vagen, mehrdeutigen Sachverhalten, mit denen man es in der Literaturwissenschaft im Regelfall zu tun hat. Logische und weitreichende Schlußfolgerungen mit Anspruch auf (Natur-)Gesetzlichkeit auf der einen und von den empirischen Befunden ausgehende Ambivalenzen auf der anderen Seite sind jeweils scharf ausgeprägt und nicht miteinander vermittelt.

Bourdieu neigt zu deterministischen Schlüssen, wenn etwa die Interaktionen der Figuren Flauberts nichts als die Verdeckung der sozialen Grundlagen sein sollen. Angesichts des Objektbereichs ist Bourdieu aber auch immer wieder gezwungen, den starren Determinismus aufzulösen: "Je nach Zustand des Feldes können gleiche Dispositionen höchst unterschiedliche oder gar gegensätzliche Positionierungen zum Beispiel auf politischem oder religiösem Gebiet hervorrufen" (S. 137). Das nimmt zwar den Schlußfolgerungen ihre Validität, führt aber andrerseits in der Theorie zu einer sinnvollen Rückweisung vulgärsoziologischer Reduktionismen.

Die Konzeption des Feldes führt zur Schlußfolgerung, daß sich externe Faktoren nur über von innen her ausgelöste Veränderungen des Feldes auswirken können (vgl. S. 326): "Kurz, externe Einflüsse wirken sich stets nur über die spezifischen Kräfte und Formen des Feldes aus, das heißt nachdem sie in einer Weise umstrukturiert wurden, die um so tiefer greift, je autonomer das Feld ist, je fähiger es ist, seine spezifische Logik zur Geltung zu bringen, die wiederum nichts anderes ist als seine gesamte, in Institutionen und Mechanismen objektivierte Geschichte" (S. 367). Zugespitzt: "Ökonomische oder morphologische Erscheinungen üben ihren Einfluß also nur vermittels der spezifischen Struktur des entsprechenden Feldes aus, wobei sie völlig unerwartete Bahnen einschlagen können" (S. 367f.; Hervorhebung v.V.).

Aufgrund dieser Unberechenbarkeit kann man aber – gewissermaßen im Gegensatz zu Bourdieus Versprechen – über die Korrelation zwischen externen und internen Veränderungen kaum genaues sagen. Interne Kämpfe im Feld sind unabhängig von äußeren Prozessen, aber, so erfährt man, sie werden von außen entschieden. Tiefgreifendere Wandlungsprozesse sind überhaupt nur möglich, wenn "gleichlaufende externe Wandlungsprozesse sie unterstützen" (S. 207).

Der zentrale das der Mathematik entlehnte Begriff der Homologie ist hier eine nur vordergründig plausible Kategorie. Da die Feldtheorie davon ausgeht, daß alle Felder exakt gleich strukturiert sind, folgt daraus notwendig die "Hypothese, daß zwischen allen Feldern strukturelle und funktionale Homologien bestehen" (S. 291). Homologie soll exakte Ableitungen erlauben, wo keine unmittelbaren Verbindungen gegeben sind. Sie kann wahrscheinlich auch Prognosen ermöglichen. Gerade dieses Konzept steht und fällt aber mit der Gültigkeit der Feldtheorie in ihrer strengen Fassung. 8 Dann aber handelt es sich nur um Analogien.

Die Systemtheorie Niklas Luhmanns

Obwohl die Ansätze einander ähnlich und zum Nutzen beider vermittelbar sind, wird man in Bourdieus "Regeln der Kunst" den Namen Niklas Luhmanns vergeblich suchen. Die Schwächen von Bourdieus Ansatz liegen in der theoretischen Grundlage, die Stärken hingegen in der empirischen Analyse, wo die Systemtheorie Luhmanns Probleme hat. Hier ist zwar nicht der Raum für eine grundlegende Analyse, aber einige Beispiele dafür sollen ausgeführt sein.

Das Modell funktional differenzerter Systeme entspricht demjenigen kultureller Felder. Bourdieus Konzept der Objektivität ähnelt der systemtheoretischen Kategorie des Beobachters. Seine Beschreibung des Feldes ist in einigen konzeptionellen Bereichen allerdings entscheidend anders strukturiert. Die Systemtheorie kennt keine eindeutige Hierarchie der Systeme, weil alles außerhalb des Systems gleichermaßen Umwelt ist und Hierarchisierungen innerhalb des Systems autopoietisch reproduziert werden. Bourdieu hingegen sieht eine feste Hierarchie der Felder vor, wobei die "Position des literarischen (usw.) Feldes innerhalb des Feldes der Macht" (S. 340) liegt. Seine Prämisse ist, daß das Feld der Macht das dominante Feld darstellt.

Das hat natürlich Konsequenzen. Die Autonomie eines Feldes ist nicht Ergebnis funktionaler Differenzierung, sondern Resultat eines emanzipatorischen Kampfes und muß im Dauerkonflikt gegen das Machtfeld durchgesetzt werden. Daher kommt dem einzelnen Akteur eine herausragende Rolle zu. Bourdieu steht damit quer zu nahezu allen seit Jahrzehnten dominanten theoretischen Positionen, die allesamt eine Minimierung der Subjektposition bis hin zur völligen Auslöschung vorsehen: zumindest das haben die ansonsten divergierenden Ansätze von Adorno, Barthes, Foucault bis Luhmann gemein. Bourdieu ist in seiner expliziten Weigerung, "den Handelnden [...] zum Verschwinden" (S. 285) zu bringen, zumindest insoweit recht zu geben, als diese Positionen der Rolle des Individuums so wenig Bedeutung zumessen, daß sie kaum über ein analytisches Instrumentarium verfügen, sie zu reflektieren, bzw. sie schon in der Theorie präjudiziert ist.

Bourdieu kann hier immerhin ein Modell anbieten, wie die Funktion eines Individuums in einem gesellschaftlichen Feld beschrieben werden könnte. Um es an einem Beispiel zu skizzieren: Für Luhmann wäre Zolas "J'accuse" im System Kunst nicht intentionales Handeln, sondern eine Folge der Ausdifferenzierung. Während nach Bourdieu Zola >im Namen des Feldes< handelt, handelt es sich systemtheoretisch um eine Verschiebung der Systemgrenze. Was bei Bourdieu primär eine strategische Operation ist, ist systemtheoretisch reformuliert eine Systemeigenschaft.

In zwei Bereichen zeigen sich die Nachteile der Feldtheorie. Der erste betrifft die Definition des künstlerischen Feldes, die zweite die Rolle der Ökonomie. Die sozialen Systeme Luhmanns sind funktional differenziert. Sie haben einen systemspezifischen operativen Code. Auf dieser Ebene kann es keine Mehrsystemzugehörigkeiten geben. Bourdieu sieht einen solchen systemspezifischen Code nicht vor, auch wenn ihm praktisch bewußt ist, daß sich das literarische Feld unterscheidet. Die Mobilisierung der "historischen Errungenschaften des Feldes" (S. 168) oder die "illusio" ist das, was das Spezifische und den Fortbestand des Feldes ausmacht. Von ihr soll weiter unten noch die Rede sein. Die theoretische Konzeption sieht vor, daß die Illusio imgrunde kausal nachgeordnet ist. Es ist daher theoretisch denkbar, daß es eine moderne Gesellschaft ohne literarisches Feld geben könnte. Aber auch die totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts haben das nicht erreichen können. 9 So gesehen gibt es bei Bourdieu Erklärungsnöte. Funktional differenzierte Gesellschaften zeigen unabhängig von ihrer politischen Strukturierung autonome Teilsysteme im Sinn einer Selbstregulierung eigener Unabhängigkeit und Abhängigkeit; das hieße die Autonomie von Kunst kann nicht grundsätzlich ausgeschaltet werden, auch wenn man Künstler verfolgt und tötet.

Bourdieu räumt der Ökonomie die dominante Stellung ein, setzt also das Basis-Überbau-Schema voraus. Theoretisch kann die Logik der Ökonomie das künstlerische Feld ziemlich unmittelbar bestimmen. Daß sich Strukturen etablieren, die auf unterschiedliche Produktionszyklen hinauslaufen oder auf die Koppelung von Nichtkommerzialität und symbolischem Kapital, ist aber nicht zwingend. Gerade hier verdeckt die der empirischen Analyse implizite Auswahl ein voluntaristisches Moment der Theorie 10, etwa in der Frage, wie externe ökonomische Verhältnisse im literarischen Feld durchschlagen. Die Antwort ist zwar kausal exakt abgeleitet, lautet aber imgrunde: je nachdem. Bourdieu hätte ein Theorieproblem, wenn es eine erkleckliche Anzahl armer Avantgardisten gibt. Die Systemtheorie verfügt hier eindeutig über die plausiblere Konzeption, denn die Ökonomie müßte als Bestandteil der Umwelt systemintern reproduziert werden.

Das geschichtsphilosophische Erbteil

Am problematischsten sind die Implikationen der Theorie, die nunmehr auszuführen sind. Sie verknüpft in ihrer Tiefenkonstruktion darwinistische und systemphilosophische Konzeptionen miteinander. Das Macht-Feld ist agonal als ein "Kampffeld, eine Stätte der Auseinandersetzungen" (S. 30), bestimmt. In einem weiteren Schritt wird das in eine geschichtsphilosophische Konstruktion überführt, die in der Genealogie von Hegel und Marx steht: "Daß die Geschichte des Feldes die Geschichte des Kampfes um das Monopol auf Durchsetzung legitimer Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien ist: diese Aussagen ist noch unzureichend; es ist vielmehr der Kampf selbst, der die Geschichte des Feldes ausmacht; durch den Kampf tritt es in die Zeit ein." (S. 253). Der Eintritt des Kampfes in die Geschichte des Feldes funktioniert dialektisch.

Bourdieu orientiert sich daran, wenn er etwa Flaubert als einen Autor begreift, der "kraft seiner schriftstellerischen Arbeit Unvereinbarkeiten zu überwinden [vermag], die in der sozialen Welt [...] institutionalisiert sind" (S. 172). Anders formuliert: Flaubert bringt die Widersprüche zur Synthese. Bourdieu koppelt aus seiner Sicht folgerichtig das gesamte literarische Feld an die Avantgarde an, indem er sie als Zentrum der Kunst betrachtet. Die Avantgarde aber bezog ihre raison d'etre aus einer geschichtsphilosophischen Selbstbeschreibung, insofern sie den Mechanismus permanenter formaler Innovation als Übereinstimmung mit dem historischen Prozeß behauptete. 11

Die Bewegung zur Autonomie kongruiert mit "einem Prozeß der Differenzierung der künstlerischen Ausdrucksformen und einer fortschreitenden Aufdeckung der Form" (S. 223; vgl. ausführlich S. 379ff.). Der "nomos" der Kunst ist also der "nomos" der Avantgarde. Die Bewegung zur Form ist eine geschichtsphilosophische Bewegung. Das Feld befindet sich im Zustand einer permanenten Revolution, weil die Abfolge der Ismen zur Jahrhundertwende zeigt, daß die "Revolution sich tendenziell als das Modell des Zugangs zur Existenz im Feld durchsetzt" (S. 204). Das Feld ist im Ergebnis eine "Institutionalisierung der permanenten Revolution als legitimer Transformationsmodus der Felder der Kulturproduktion" (S. 347).

Ob nun aber die Avantgarde grundsätzlich immer den "nomos" des Feldes bestimmt, ist zweifelhaft. Gerade für die deutsche Literatur sind zwei Wellen zu verzeichnen, in denen der avantgardistische Nomos für sich eine wichtige Position reklamieren konnte, einmal die Entwicklungslinie vom Naturalismus zum Dadaismus, das andere Mal von Mitte der 1950er bis Mitte der 1980er Jahre. Die Avantgarde verlor praktisch ihre Maßgeblichkeit um 1930, ein zweites Mal um 1990. Die Nomotheten der Weimarer Republik hießen jedenfalls nicht Hausmann, Schwitters, Ball und Arp, sondern wohl eher Thomas Mann und Gerhart Hauptmann.

Abgesehen von diesen empirischen Argumenten kann man theoretisch argumentieren. Denn die Übernahme des "nomos" der Avantgarde als "nomos" des Feldes stülpt dem literarischen Feld eine Teleologie auf ihr "Wesen" hin über, die dann auch noch wissenschaftlicher Legitimation dienen soll: "Wann immer sich ein derartiges autonomes Universum etabliert – ein künstlerisches, wissenschaftliches oder irgendein anderes spezifisches Feld –, spielt der hierin geronnene Prozeß die gleiche Rolle: er zieht eine Quintessenz. So daß die Analyse der Geschichte des Feldes an sich die einzige legitime Form der Wesensanalyse sein dürfte" (S. 224). Da dieses Telos um 1970 erreicht ist, kann Bourdieu folgerichtig von der "prästabilierten Harmonie" (S. 259) des Feldes sprechen. 12 Insofern ist die Geschichte des Romans seit Flaubert eine lange Arbeit an der Aufgabe, das Romanhafte zu tilgen (vgl. S. 381). Aber war das nicht spätestens mit Oswald Wieners "die verbesserung von mitteleuropa, roman" gegeben? Was nun?

Der blinde Fleck: Das Ästhetische

Die einleitende Flaubertanalyse macht es deutlich: Bourdieu versteht das literarische Kunstwerk als eine intensivierte Darstellung des Realen (vgl. S. 187). Das ergibt sich im folgenden daraus, daß die Theorie keinen eigenen Code des Feldes vorsieht. Die soziologische Perspektive läßt natürlich die damit verbundenen Aspekte und Schichten des Textes hervortreten, während andere sich diesem Zugriff sperren. Die angegriffenen Verfechter feldimmanenter Verfahren lagen jedoch nicht falsch, wenn sie über die Poetizität nachdachten. Die einschlägigen Kategorien fehlen bei Bourdieu oder werden kaum beachtet. "Die soziologische Lektüre [...] bringt [...] a contrario die Wahrheit des Textes selbst zum Vorschein, dessen Besonderheit sich gerade dadurch auszeichnet, daß er das, was er sagt, nicht so sagt wie die soziologische Lektüre" (S. 67). Warum dann aber der Umstand eines Romans, warum gerade Flauberts immense Mühe mit der Form, wo doch die soziologische Abhandlung leichter fiele und, ein gewisses stilistisches Vermögen vorausgesetzt, klarer wäre. Die Flaubertanalyse wirft in der Tat die Frage auf, ob nicht der Roman durch sie überholt ist und seine Wertschätzung nur noch auf bildungsbürgerlicher Sentimentalität beruht.

Fiktionalität, eine der wichtigsten Kategorien der Literatur, ist aus der Perspektive des Soziologen eine lästige Störung. "Der von ihm [Flaubert] vollzogene Formgebungsakt funktioniert wie ein allgemeiner Euphemismus" (S. 67). Bourdieu findet die gemeinsame Wurzel einer Vielfalt stilistischer Auffälligkeiten in Flauberts Roman lediglich in dessen extremer Wachsamkeit, die Identifizierung des Romanschriftstellers mit der Romangestalt zu verhindern (vgl. S. 64f.). Eine andere Variante dieses Problems zeigt sich, wenn die Positionskämpfe der Autoren in der Feldanalyse so starkes Gewicht bekommen, daß die Werke fast unwichtig werden. Damit ist aber das Problem ignoriert, daß einem Virtuosen des sozialen Kapitals seine Ellenbogen wenig nützen, wenn er kein überzeugendes Werk zustandebringt. Dieser Sachverhalt wird in den "Regeln der Kunst" verdeckt, weil in den historisch-empirischen Abschnitten die Qualität des Werkes implizit vorhanden ist, während sie in der theoretischen Rekonstruktion fehlt. Die "illusio" ist hier nur scheinbar eine Lösung.

Die "illusio"

Alle sozialen Felder benötigen eine "illusio". Sie stiftet ein "geheime[s] Einverständnis" (S. 68) zwischen den Handelnden im Feld, begründet die charismatische Ideologie des schöpferischen Tuns, bestimmt das Spiel und die affektive Besetzung des Spiels.

Die "illusio" entsteht als Phänomen des Überbaus in der Folge des Kampfes der Individuen um die Vorherrschaft im Feld und motiviert ihn zugleich. "Die Kämpfe um das Monopol der Definition der legitimen kulturellen Produktionsweise tragen dazu bei, den Glauben an das Spiel, das Interesse an ihm und an dem, was dabei auf dem Spiel steht, fortwährend zu reproduzieren. Jedes Feld erzeugt seine eigene Form von illusio im Sinn des Sich-Investierens" (S. 360). Nicht recht deutlich wird aber, was eigentlich die "illusio" fundiert. Theoretisch gesehen ist sie nach dem Muster einer Religion konzipiert, d.h. eine Form von Glauben hält die "illusio" aufrecht. "Der kollektive Glaube an das Spiel (die illusio) und den geheiligten Wert dessen, was auf dem Spiel steht, ist Voraussetzung und Ergebnis des funktionierenden Spiels zugleich; er ist die Grundlage für die Sanktionsmacht, die es anerkannten Künstlern gestattet, durch das Wunder der Signatur (oder des Namenszugs) bestimmte Produkte zu heiligen" (S. 363).

Damit aber handelt sich Bourdieu eine Reihe von Problemen ein. Das Feld ist ohne "illusio" nicht denkbar (z.B. S. 276f.). Aber die ideologiekritische Begründung der "illusio" ist eine theoretische Schwäche. In den Feldern werde "der Wettstreit um den Spieleinsatz verschleiert, [...] hinsichtlich der Grundregeln des Spiels [bestehe] bestes Einverständnis" (S. 270). Daher sei die Frage nach der materiellen Basis von Kunst die "verbotene Frage" (S. 271). Kunst ist also so etwas wie ein Priestertrug, und die "soziologische Lektüre bricht den Zauber" (S. 67). Das ist aber eine sehr unbefriedigende Argumentation, denn sie hätte die Folge, daß in dem Moment, wo die Grundlagen der "illusio" offengelegt sind, das Spiel nicht mehr funktioniert, das Feld irgendwie kollabieren müßte. Tatsächlich sieht Bourdieu hier Stephane Mallarmé als kritische Figur, weil er den Einblick in die Funktionsweise des Feldes hatte.

In dem Augenblick müßte der Künstler zum Betrüger werden, seine Aktionen wären dem "zynischen Kalkül eines mit symbolischem Kapital handelnden Bankiers" (S. 432) zuzuschreiben. Wenn Bourdieu hier nun das Habitus-Konzept aus dem Zylinder zieht und dessen Funktion als Ethos akzentuiert, überdeckt das eine Mißlichkeit des Theoriebaus. Bourdieu nimmt die theologische Semantik der "Kunstreligion" wörtlich, nicht poetisch. Spätestens in den 1990er Jahren ist auch die Frage nach der materiellen Grundlage im künstlerischen Feld auch keine verbotene Frage mehr, sie scheint im Gegenteil eine Generalfrage geworden zu sein. Man kann also kaum behaupten, daß das literarische Feld davon in seiner Funktion entscheidend gestört würde.

Zusammenfassung: Probleme der Theorie

Man kann sämtliche bislang ausgeführten Einwände und problematischen Aspekte der Theorie Bourdieus auf zwei Komplexe beziehen. Zum einen ist die theoretische Grundlegung ein Problem, weil Bourdieu sich in problematischer Weise auf naturwissenschaftliche Modelle bezieht und die Schwächen der hegelianisch-marxistischen Philosophie mitschleppt. Andererseits ist sie dort unzureichend, wo die geschmähten immanenten Ansätze ihr eigentliches Feld haben – in der Textanalyse, auf die man nicht verzichten kann. Das zeigt sich in Details: Bourdieu hat viel zu schematische und feste Vorstellungen von Gattungshierarchien. Oder: wenn er bezogen auf eine Balzac-Anspielung in Flauberts Roman schlußfolgert, der "Bezug einer Romanfigur auf eine andere Romanfigur markier[e] den Eintritt des Romans in die Reflexivität" (S. 167), dann ist das nicht falsch, aber von der Gewichtung her überpointiert, denn schon die Literatur des 18. Jahrhunderts macht von solchen Verfahren reichlichen Gebrauch, ohne daß es sensationelle Neuerungen wären.

Zwar ist die Flaubert-Analyse überzeugend, aber natürlich enthält der Roman wesentlich mehr, als sich dem soziologischen Zugriff zeigt. Bourdieu verfällt zunehmend in seiner Kritik der "reinen Lektüre" ins Gegenteil einer materialistischen Reduktion. Zolas Poetik scheint nichts als eine Strategie der Dominanz im literarischen Feld zu sein, der moderne Künstler kommt zunehmend in den Ruch des zynischen symbolischen Kapitalisten, der Sitz in der Académie scheint relevanter als die "Blumen des Bösen". Aber dieser Sog ist Bourdieu bewußt, und immer wieder sammelt er Argumente, ihm nicht zu erliegen. Er bezeichnet Interesselosigkeit als Kern des literarischen Feldes, das sich "zu einer wahren Provokation jeder Form von Ökonomismus" (S. 342) entwickelt habe. Weil die Theorie aber kein genuines Bezugsproblem vorsieht, steht ein pessimistisches Fazit am Ende: "Bedrohungen der Autonomie resultieren aus der zunehmenden gegenseitigen Durchdringung der Welt der Kunst und der des Geldes" (S. 530).

Stärken der Theorie des literarischen Feldes

Aus den bisherigen Ausführungen zu schließen, Bourdieus Theorie sei nicht brauchbar, wäre ein Kurzschluß. Denn ihre Stärke liegt in dem Bereich, für den sie eigentlich auch nur zuständig sein kann. In diesem Fall kann man tatsächlich sagen, daß die theoretischen Schwachstellen und die Übergriffigkeiten auf literaturwissenschaftliches Gebiet, der übergroße theoretische Ehrgeiz die empirischen Analysen und Schlußfolgerungen nicht beschädigen. Im Verbund mit der Systemtheorie hat sie vielversprechende Modelle für die Analyse der gesellschaftlichen Anschlüsse der Literatur zu bieten. Das kann abschließend nur noch an Beispielen skizziert werden.

Im Literaturbetrieb sind auf mitunter schwer zu durchschauende Weise literarische und ökonomische Momente wirksam. 13 Dazu gehören neben dem einschlägigen Segment des Buchmarkts Literaturpreise, Dichtervereinigungen, alles das, was Bourdieu als Konsekrationsinstanzen erfaßt. Zwar ist hier eine deutliche Differenz zwischen den deutschen und den französischen Verhältnissen zu erkennen – ich wüßte keine Parallele zu Baudelaires Bewerbung auf den Sitz in der Académie –, aber die grundlegenden Problemstellungen sind nicht regional beschränkt. Themen wie die Nobelpreise für Heyse, Mann und andere, Benns Rolle in der Dichterakademie 1933, die Überhäufung der Dichter mit Literaturpreisen im NS-Staat, die Funktion des Büchnerpreises nach 1945, die gegenwärtige Literaturpreis- und Stipendieninflation und vieles andere mehr wird in der Regel nur empirisch-positivistisch oder historisch untersucht. Hier bietet Bourdieu ein bereits erprobtes theoretisches Modell, das komplexere Fragestellungen und Strukturierungen erlaubt. Die Untersuchung des Literaturbetriebs in der Zeit des Nationalsozialismus beschränkt sich etwa, was die theoretisch anspruchsvolle Forschung betrifft, auf ideologiekritische Bewertungen oder moralische Urteile. Die Feldtheorie könnte hier eine Alternative aufzeigen, die über diese ethisch verständliche, aber theoretisch unbefriedigende Lage hinausweist.

Oder: Es ist zu beobachten, daß das strategische Verhalten der Künstler längst zu hohen Komplexitätsgraden gelangt ist, die theoretisch beschrieben werden müßten. Die Selbstinszenierung von Dichtern verwendet Formen der Performance, rekurriert auf komplexe Weise auf historische Modelle wie auf multimediale Gegebenheiten. Auch hierzu liefert Bourdieu vielversprechende Ansätze, beginnend mit der Funktion des Philisterdiskurses für die Dichter des frühen 19. Jahrhunderts (vgl. S. 131) und den inspirierenden Ausführungen zur Figur des Intellektuellen. 14

Damit eröffnet sich ein reichhaltiges Analysefeld bis hin zu den provokanten Auftritten von Rolf Dieter Brinkmann auf einer Diskussionsveranstaltung der Akademie der Künste in Berlin mit Rudolf Hartung und Marcel Raich-Ranicki 1969 oder von Rainald Goetz beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt 1983, zur Selbstkonstruktion der Medienfigur Heiner Müller nach 1989, zum implikationsreichen Neodandysmus der gegenwärtigen Popliteraten. Für dieses Feld liegt mit Bourdieus Verfahren eine verwendbare Theorie vor.

Abgesehen von der hier vorgetragenen Kritik an der Monopolisierung der avantgardistischen Kunst für das literarische Feld ist die Analyse der Avantgarden für sich genommen überzeugend, denn diese waren ja immer schon auf eine Entgrenzung in den sozialen Raum hin angelegt. Neben dem Einblick in die geschichtsphilosophische Fundierung der avantgardistischen Ästhetik vermag die Feldanalyse die öffentlichen Akte, Manifeste und anderes analytisch einzubinden.

Überraschend und kaum zu glauben ist allerdings der Befund, daß im Licht der Feldtheorie Frankreich als verspätete Nation erscheint. Denn was Bourdieu am Beispiel von Baudelaire und Flaubert Mitte des 19. Jahrhunderts beschreibt, kennt man in der deutschen Literatur seit Heine als die Kunstperiode, die bekanntlich die Herrschaft von Goethes Kunstreich bezeichnet. Aber nationale Verspätung wäre wieder ein geschichtsphilosophisches Muster, das wohl kaum Bestand hätte.

Postscriptum

Bourdieus "Regeln der Kunst" enden mit einem kassandrischen Manifest. "Eine ganze Reihe konvergierender Faktoren bedroht heute die wertvollsten Errungenschaften der Intellektuellen, angefangen bei den kritischen Einstellungen, die das Produkt und zugleich die Garantie ihrer Autonomie waren. Allerorten ist es Mode geworden, lauthals den Tod der Intellektuellen zu proklamieren, das Ende eines der letzten kritischen Gegengewichte, sie sich den Mächten der ökonomischen und politischen Ordnung noch entgegenzustemmen vermögen" (S. 523, im Original kursiv). Aufgrund der Bindung an marxistische Philosopheme partizipiert Bourdieus Ansatz an der Krise dieser Denkmuster, die in den achtziger Jahren eingesetzt hat. Immerhin hat das literarische Feld im 20. Jahrhundert noch ganz andere Gefährdungen überstanden. Für Bourdieus wissenschaftliches Ethos spricht, daß er eine empirisch widerlegbare Prognose wagt.



PD Dr. Hans-Edwin-Friedrich
Universität München
Institut für Deutsche Philologie
Schellingstr. 3
D-80799 München

Ins Netz gestellt am 08.05.2001

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Anmerkungen

1 Markus Schwingel: Pierre Bourdieu zur Einführung. 2. Auflage. Hamburg: Junius 1998; Markus Schwingel: Kunst, Kultur und Kampf um Anerkennung. Die Literatur- und Kunstsoziologie Pierre Bourdieus in ihrem Verhältnis zur Erkenntnis- und Kunstsoziologie. In: IASL 22.2 (1997) S. 109-151. Joseph Jurt: Das literarische Feld. Das Konzept Pierre Bourdieus in Theorie und Praxis. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995; Joseph Jurt: Bourdieus Analyse des literarischen Feldes oder der Universalitätsanspruch des sozialwissenschaftlichen Ansatzes. In: IASL 22.2 (1997) S. 152-180.   zurück

2 Vgl. dazu auch Wolfgang Ruppert: Der moderne Künstler. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der kreativen Individualität in der kulturellen Moderne im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998 [Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 1352].   zurück

3 Ein aufschlußreiches Beispiel dafür bietet in Deutschland der Konflikt zwischen Karl Philipp Moritz und seinem Verleger Joachim Heinrich Campe. Vgl. die Dokumentation Reiner Marx / Gerhard Sauder (Hg.): Moritz contra Campe. Ein Streit zwischen Autor und Verleger im Jahr 1789. St. Ingbert. Röhrig 1993 [Kleines Archiv des 18. Jahrhunderts, 8].   zurück

4 "Das Feld der Macht ist der Raum der Kräftebeziehungen zwischen Akteuren oder Institutionen, deren gemeinsame Eigenschaft darin besteht, über das Kapital zu verfügen, das dazu erforderlich ist, dominierende Positionen in den unterschiedlichen Feldern (insbesondere dem ökonomischen und dem kulturellen Feld) zu besetzen. Es ist der Ort, an dem die Auseinandersetzungen zwischen Inhabern unterschiedlicher Machttitel (oder Kapitalsorten) ausgetragen werden, bei denen es, wie in den symbolischen Kämpfen zwischen Künstlern und >Bourgeois< im 19. Jahrhundert, um die Veränderung oder Bewahrung des relativen Wertes der unterschiedlichen Kapitalsorten geht, eines Wertes, der selbst jederzeit darüber ent-scheidet, welche Kräfte in diesen Auseinandersetzungen mobilisierbar sind." (S. 342).   zurück

5 Vgl. Karlheinz Stierle: Glanz und Elend der Kunstsoziologie. Pierre Bourdieus "Die Regeln der Kunst" ist der fixen Idee des Feldes verfallen. In: Die Zeit Nr. 34 vom 19. August 1999, S. 42; Clemens Pornschlegel: Hoch hinaus. Pierre Bourdieu analysiert die soziologischen "Regeln der Kunst". In: Süddeutsche Zeitung Nr. 204 vom 4./5. September 1999.   zurück

6 Vgl. etwa die verschiedenen Beiträge in Martin Huber / Gerhard Lauer (Hg.): Nach der Sozialgeschichte. Konzepte für eine Literaturwissenschaft zwischen Historischer Anthropologie, Kulturgeschichte und Medientheorie. Tübingen: Niemeyer 2000.   zurück

7 Beispiele aus der Flaubert-Analyse. Es heißt zu Frédéric: "Ins Zentrum des Kraftfeldes versetzt, das seine Struktur aus dem Gegensatz zwischen dem Pol der ökonomischen oder politischen Macht auf der ei-nen, dem Pol des intellektuellen oder künstlerischen Prinzips auf der anderen Seite gewinnt [...], befindet er sich somit in einer Zone der gesellschaftlichen Schwerelosigkeit" (S. 34). Frédéric sei ein "Wesen ohne Schwerkraft, ohne Gravität (ein anderes Wort für Ernst, Gesetztheit, Seriosität)" (S. 44).   zurück

8 Beispiele: "Der Standpunkt des Autors [...] kann nur eingenommen und verstanden werden [...], wenn die Lage des Autors im Raum der konstitutiven Positionen des literarischen Feldes erfaßt wird: Auf der Basis der strukturellen Homologie zwischen den beiden Räumen liegt diese Position den >Wahlentscheidungen< zugrunde, die dieser Autor in einem Raum (formaler wie inhaltlicher) künstlerischer Positionen trifft, die ebenfalls durch die sie verbindenden und sie trennenden Differenzen definiert sind." (S. 145). – Oder: Es lasse die "Hypothese einer Homologie zwischen dem Raum der durch ihren symbolischen Gehalt und insbesondere durch ihre Form definierten Werke und dem Raum der Positionen innerhalb des Produktionsfelds aufstellen: Zum Beispiel definiert sich der freie Vers gegen den Alexandriner und alles, was er ästhetisch, aber auch sozial und sogar politisch impliziert; aufgrund des Spiels der Homologien zwischen dem Feld der Literatur und dem der Macht oder dem sozialen Feld insgesamt sind die meisten literarischen Strategien nämlich überdeterminiert, und zahlreiche >Entscheidungen< tragen Doppelcharakter, sind zugleich ästhetischer und politischer, interner und externer Natur." (S. 328f.).   zurück

9 Eine Reihe von Beispielen zeigt etwa die Literatur des "Dritten Reiches". Eberhard Wolfgang Möller geriet in Schwierigkeiten mit dem Regime, weil er als überzeugter Nationalsozialist dennoch auf einer autonomen Kunstposition beharrte. Vgl. dazu Stefan Busch: "Und gestern, da hörte uns Deutschland". NS-Autoren in der Bundesrepublik. Kontinuität und Diskontinuität bei Fried-rich Griese, Werner Beumelburg, Eberhard Wolfgang Möller und Kurt Ziesel. Würzburg: Königshausen & Neumann 1998 [Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte, 13]. S. 161ff.   zurück

10 Um nur ein Beispiel anzuführen: Bourdieu vermutet, was sich aus seinem Ansatz auch konsequent ableiten läßt, daß die Neigung zu riskanten ästhetischen Positionen mit der Verfügung über Kapital konvergiert. Aber die Geschichte der deutschen Avantgarden scheint mir zu zeigen, daß sich hier eine solche Relation nicht herstellen läßt, wenn man an Paul Scheerbart, Hugo Ball, Raoul Hausmann, H.C. Artmann denkt, die vielleicht zu den radikalen Künstlern, nicht aber unbedingt zu den Gutbetuchten zählten.   zurück

11 Vgl. Georg Jäger: Die Avantgarde als Ausdifferenzierung des bürgerlichen Literatursystems. Eine systemtheoretische Gegenüberstellung des bürgerlichen und avantgardistischen Literatursystems mit einer Wandlungshypothese. In: Michael Titzmann (Hg.): Modelle des literarischen Strukturwandels. Tübingen: Niemeyer 1991. S. 221-244.   zurück

12 "Diese in allen künstlerischen Gattungen seit langem vorliegende Struktur funktioniert heute tendenziell wie eine mentale Struktur, die die Produktion und Perzeption der Produkte organisiert: Der Gegensatz zwischen Kunst und Geld (dem >Kommerziellen<) bildet das Erzeugungsprinzip der meisten Urteile über Theater, Film Malerei, Literatur, die vorgeben wollen, was Kunst ist und was nicht, und die mit dem Anspruch auftreten, die Grenzen zwischen >bürgerlicher< und >intellektueller<, >traditioneller< und >avantgardistischer< Kunst festzulegen." (S. 261f.).   zurück

13 Aus diesem Grund ist es sinnvoll und naheliegend, Bourdieus Theorie auf Analysen des Buchmarkts anzuwenden. Vgl. York-Gothart Mix: Der Buchmarkt des 18. Jahrhunderts und Pierre Bourdieus Soziologie symbolischer Formen. In: Gutenberg-Jahrbuch 74 (1999) S. 317-327.   zurück

14 Vgl. jetzt: Georg Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller. Ein Problemaufriß. In: Sven Hanuschek / Therese Hörnigk / Christine Malende (Hg.): Schriftsteller als Intellektuelle. Politik und Literatur im Kalten Krieg. Tübingen: Niemeyer 2000. [Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, 73]. S. 1-25 (und die weiteren Beiträge des Bandes); Jutta Schlich (Hg.): Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland. Ein Forschungsreferat. Tübingen: Niemeyer 2000 [Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deut-schen Literatur, Sonderheft 11].   zurück