Gaiser über Winter: Theorie des Beobachters

Anne Carolin Gaiser


Beobachtung der Beobachtung


Wolfgang Winter: Theorie des Beobachters. Skizzen zur Architektonik eines Metatheoriesystems. Frankfurt/M.: Verlag Neue Wissenschaft 1999. Geb. DM 78,00.



Unter dem Titel Theorie des Beobachters. Skizzen zur Architektonik eines Metatheoriesystems veröffentlichte Wolfgang Winter Ende des Jahres 1999 seine Dissertation, die er im Jahr zuvor am Institut für allgemeine Betriebwirtschaftslehre an der Universität der Bundeswehr in München verfasst hat.

Dem Werk sind zwei Geleitworte vorangestellt, eines von Professor Heinz von Foerster, bekannt als Philosoph und Begründer der Kybernetik, der vorliegende Theorie des Beobachters als "Enzyklopädie des Beobachtens" 1 bezeichnet, ein zweites von Hans A. Wüthrich, der in seiner Eigenschaft als Doktorvater vor allem auf die betriebswirtschaftliche Themenstellung des Werkes Bezug nimmt.

Der knapp 250 Seiten starke Text gliedert sich dementsprechend auch in zwei große Themenkomplexe, den bedeutenden Teil hierbei nimmt ein Kapitel ein, das sich, ebenso wie das gesamte Werk, Theorie des Beobachters nennt. Erst die letzten 50 Seiten behandeln dann auf Basis dieser Theorie die erkenntnistheoretische Fundierung der Betriebwirtschaft und dabei insbesondere die der systemischen Organisationsberatung.

Der Schwerpunkt der Abhandlung bildet also das Theoriekonzept des >Beobachters< das sich aus Beiträgen verschiedener Theorien: der Systemtheorie von Niklas Luhmann, dem Kalkül der Form von Spencer Brown, dem radikalen Konstruktivismus und der Kybernetik zweiter Ordnung zunehmend zu einem Bild verdichtet. Das Konzept des >Beobachters< wird dann mit den Grundlagen der systemischen Organisationsberatung enggeführt. Dabei werden die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen dieser Theorie und damit die Verbindung zur Systemtheorie, der "Supertheorie von Niklas Luhmann" (Winter: Theorie des Beobachters, S.206) sowie bezüglich des "Fundus an systemischen Instrumenten zur Beobachtung der Kommunikationssysteme" (S.209) die Verbindung zur systemischen Familientherapie deutlich. An zentraler Stelle sowohl bezüglich des Selbstverständnisses der systemischen Organisationsberatung als auch als Instrumente der systemischen Beratung stehen nun folgende, schon am Ende des Abschnittes über den Beobachter eingeführten Begriffe: Sprache, Kommunikation und Bewusstsein.

Das gesamte Werk wird von über 1000 Fußnoten und dementsprechend 100 Seiten Literaturverzeichnis dokumentiert, kommentiert und ergänzt, was entgegen meiner Erwartung – und hierbei schließe ich mich Heinz von Foerster an – die Lesbarkeit durchaus erhöht.



Potential des Theoriekonzepts "Beobachter"


Wolfgang Winters Ziel ist es, das "Potential des Beobachters" (S.11) für die Betriebswirtschaftslehre und insbesondere für die Unternehmensberatung fruchtbar zu machen. Allerdings steht "nicht die Management- und Unternehmerpraxis, auf die gewöhnlich abgestellt wird, [...] sondern die Wissenschafts- und Forschungspraxis" (S.14f.) im Mittelpunkt seines Interesses. Insofern ist es nicht erstaunlich einen maßgeblich theoretisch geprägten Zugang zu diesem Thema vorzufinden. Als Leser irritierte mich dabei allerdings die Ausführlichkeit der (zugegeben sehr differenziert dargestellten) Einführung in die Theorie des Beobachters, und wie kurz im Vergleich dazu die Darstellung der betriebswirtschaftlichen Sachverhalte ausfällt.

Doch zunächst einige Worte zu den Kernthesen der Theorie des Beobachters.

Um eine Theorie der Beobachtung zu verfassen, stützt sich Winter nicht auf die bisherige Leitunterscheidung der Ontologie. Statt das Sein vom Nichtsein abzugrenzen, führt für Winter die Autopoiesis 2 und damit die "operationale Geschlossenheit der Kognition" (S.61) als biologisches Argument und der radikale Konstruktivismus als philosophisches Argument zur Entdeckung des Beobachters: "So gesehen versteht sich der radikale Konstruktivismus und mit ihm die Theorie des Beobachters ausschließlich als Lehre vom Wissen und nicht als eine Lehre vom beobachterunabhängigen Sein" (S.56).

Dabei zeigt der Kalkül der Form 3 von Spencer Brown "wie ein Beobachter seine Wirklichkeitskonstruktion allein vermittels der Einheit der Differenz [...] hervorbringt und wie sich dabei dessen blinder Fleck formal lesen lässt" (S.84). Der Beobachter kann nicht sehen, was er nicht sehen kann, so also auch seine eigenen Voraussetzungen nicht; irgendwo muss begonnen werden zu beobachten, aber paradoxerweise muss der Beobachter schon vorher da sein.

Als nächstes wird die Unterscheidung der Logik von wahr und falsch dekonstruiert, indem der Kalkül der Form als "völlig >selbsttragende< Konstruktion auskommt und die Differenz wahr / falsch der klassischen Logik beiseite schiebt" (S.84). Im Gegensatz zur Kybernetik erster Ordnung, die sich "mit Objekten, mit beobachter-externen, beobachter-unabhängigen Systemen" (S.127) beschäftigt, schaltet die Kybernetik zweiter Ordnung "zurück von der Logik der Welt zur Logik der Beschreibung der Welt, von >Eigenschaften< von >Objekten< zu den Eigenschaften und der Logik des Beschreibenden und widmet sich folgerichtig der Beschreibung von >Beschreibung< als der Operation des Beobachters, die seiner Unterscheidung im Sinne Spencer Browns nachfolgt" (S.140).

Winter stellt also den Beobachter im Gegensatz zur Auffassung eines ontologisch geprägten Blickwinkels als autopoietisch geschlossenes und selbstreferentielles System dar, das durch seine Unterscheidungen die Welt für sich selbst sichtbar macht. Der Beobachter ist Teil eines determinierten, aber trotzdem von außen aufgrund seiner Komplexität uneinsehbaren und unvorhersehbaren Systems; auch der eigene blinde Fleck ist unhintergehbar, die eigene Autopoiesis folgt ihrer eigenen Gesetzmäßigkeit. Mit der Kybernetik zweiter Ordnung rückt folgerichtig die Beobachtung des Beobachters in den Mittelpunkt des Interesses. Schließlich wird die Konstruktion – und damit meine ich im Sinne Luhmanns die Unterscheidung ebenso wie die Beobachtung von >Objekten< – bereits vom Beobachter erster Ordnung geleistet.



Sprache und Kommunikation des Beobachters


Da nun der Beobachter beobachtet werden soll, erscheint es naheliegend, auf die Fragen nach der Sprache und der Kommunikation des Beobachters einzugehen – zentrale Fragestellungen in diesem Kontext, denen Luhmann meiner Meinung nach in seiner Theoriearchitektur zu Unrecht einen marginalen Platz eingeräumt hat.

So stellt Winter zunächst fest:

Die primäre Funktion von Sprache liegt in der mit ihr verbundenen Möglichkeit zur Ausdifferenzierung von psychischen Systemen, anders gesagt in ihrer Funktion als wichtigstes Instrument bei der Konstruktion von Wissen in Form von Theorien, Modellen etc. und zur Orientierung im Sozialen. (S.152)
Gerade weil jeder sprachliche Durchgriff auf die Welt ausgeschlossen ist, denn: "Wahrnehmung bleibt Wahrnehmung und >sprachliche Realität< kommt genauso wenig in den Kopf hinein wie >nicht-sprachliche Realität<" (S.156), erscheint auch die Entkoppelung von Kommunikation und Bewusstsein in einem konstruktivistischen Theorieansatz naheliegend.

Zwei oder mehr Bewußtseinssysteme können sich nicht auf direktem Weg verständigen, sie bedürfen hierzu der Vermittlung eines weiteren Systems, des Kommunikationssystems. Als basales Medium in der Kommunikation fungiert die Sprache. Ebenso wie das Bewusstseinssystem seine basalen Einheiten autopoietisch reproduziert, also Gedanken nur wieder durch Gedanken hervorgebracht werden, so produziert auch das Kommunikationssystem Kommunikation ausschließlich durch Kommunikation. 4

Winter thematisiert in diesem Zusammenhang, dass in der betriebswirtschaftlichen Forschung kaum "Theoriematerial zur Frage nach dem Prozeß der Konstruktion von Wirklichkeiten, [...] nach dem Akt des Beobachtens" (S.178) zu finden sei. 5


Beobachtung des Beobachters erster Ordnung
durch einen Beobachter zweiter Ordnung


Der letzte und kürzeste Abschnitt des Werkes beschäftigt sich nun mit einem konkreten Bereich der Betriebswirtschaftslehre, der Unternehmensberatung und unterscheidet hier zwischen der "klassischen Unternehmensberatung, in Form der Expertenberatung, der bis zu 95% aller Berater zuzurechnen sind" (S.193), der sogenannten Organisationsentwicklung (OE) und der systemischen Organisationsberatung als Mittelweg.

Im Gegensatz zur Expertenberatung geht die systemische Organisationsberatung nicht davon aus, dass standardisierte Lösungsmodelle, sogenannte Patentrezepte von Experten, d.h. Unternehmensberatern, an einen nur wenig variierenden Kunden (die zu beratende Firma) angepasst werden können. Stattdessen wird die These aufgestellt, dass der Berater es mit einem System zu tun hat, dessen raffinierte Komplexität nur durch eine ebenso raffinierte Reduktion von Komplexität in Form der Einführung eines Beobachters zweiter Ordnung vereinfacht werden kann. Dabei "gewinnt Reduktion von Komplexität selbst eine komplexe (!) Note" (S.202f.), insofern als Komplexität durch (eine andere) Komplexität reduziert wird:

Man wird [...] das Problem nicht los, dass eine Beobachtung zweiter Ordnung selbst immer zugleich eine >ganz normale< Beobachtung erster Ordnung ist, insofern als sie einen Beobachter und dessen Unterscheidung und Bezeichnung unterscheiden und bezeichnen muss. (S.206.)
Hier profitiert die systemische Organisationsberatung, wie im Anschluss noch ersichtlich werden wird, von dem erprobten Instrumentarium der systemischen Familientherapie, die auf einen Erfahrungsschatz von über 20 Jahren Praxis zurückgreifen kann:
Systemische Theorie weiß um die Probleme des Beobachtens von Operationen, d.h. des Beobachtens zweiter Ordnung, bei der im Zug des Wiedereintritts der Differenz Beobachtung/Operation auf der Seite der Beobachtung Beratern und Therapeuten jede Rückzugsmöglichkeit auf eine >höhere< Reflexionsebene sofort abhanden kommen. (S.209f.)



Systemische Organisationsberatung:
Beratung des Beobachters erster Ordnung durch einen Beobachter zweiter Ordnung


Sowohl bei dem Berater als auch bei seinem Klienten, der zu beratenden Organisation, handelt es sich um autopoietische, d.h. operational geschlossene und selbstreferentielle Systeme, die sich gegenseitig durch Kommunikation irritieren können. Insofern muss das Klientensystem eine Veränderung wollen, da sonst jeder derartige Versuch des Beraters durch Immunisierungsstrategien blockiert wird:

So kann das Ziel der systemischen Organisationsberatung nur als Hilfe zur Selbsthilfe formuliert werden. Es wird nur im Versuch zu finden sein, der Organisation bei der Vergrößerung ihres Spektrums an Möglichkeiten der Selbststeuerung zur Seite zu stehen, etwa i.S. einer autopoietischen Weiterentwicklung, deren Richtung allerdings allein durch die Organisation bestimmt wird. (S.214.)
Bei der klassischen Unternehmensberatung beansprucht der Berater die Rolle des Experten und gibt dem Klienten Einschätzungen der Probleme und Handlungsanweisungen vor, ohne der Mitarbeit des Klientensystems bei diesem Vorgang eine wichtigere Rolle denn als Lieferant von Informationen zuzugestehen. Der Berater der systemischen Organisationsberatung nimmt dagegen die Rolle eines Kommunikationspartners ein, um dem Klientensystem zur differenzierteren Einsicht in seine eigenen Funktionsweisen, Schwachstellen oder auch Möglichkeiten zu verhelfen. Dies kann nur geschehen, indem der Beobachter zweiter Ordnung, also in diesem Fall der Berater, das System erster Ordnung, die Organisation, samt dessen blinden Fleckes beobachtet und versucht durch diese Sichtweise das Klientensystem anzuregen, seine eigene Autopoiesis in diesem Sinne zu verändern.

Ein Problempotential ergibt sich für das Verhältnis zwischen Berater und Klient aus der Schwierigkeit, im vornherein Ziele oder auch nur die grobe Richtung der Beratung zu formulieren und festzulegen: "Der systemischen Organisationsberatung entziehen sich die Möglichkeiten der vollständigen Planung und Ex-Ante-Rationalisierung herkömmlicher Beratungsschemata" (S.238). Doch eben daraus schöpft die systemische Organisationsberatung auch ihre innovative Kraft und ein erstaunlich großes Spektrum von Beratungsalternativen. Denn es wird nicht ein Modell über jeden noch so verschiedenen Fall darübergelegt und alles, was dann noch an den >Rändern< übersteht, abgeschnitten. Auf Basis des Theoriekonzepts der Systemtheorie ergibt sich die Sichtweise eines jedes Mal unterschiedlichen und letztlich auch uneinschätzbaren autopoietischen Systems, das durch das ebenfalls autopoietische Beratersystem in seiner Entwicklung beeinflusst wird, aber die Lösungen eben nur systemintern erarbeitet. Außerdem haben die Reformversuche von innen eine größere Chance wirklich realisiert zu werden.

Angeregt von der systemischen Familientherapie werden in der Praxis der systemischen Unternehmensberatung Instrumente der Kommunikation wie >zirkuläre Fragen< und >Feedback zweiter Ordnung< eingesetzt, die hier stellvertretend, als meiner Meinung nach interessanteste Beispiele, erläutert werden sollen.

Durch >zirkuläres Fragen< des Beraters – wie z.B.: "Was glauben Sie, Frau X, würde Herr Y sagen, wenn sie ihn nach Sachverhalt Z fragen würden?" – nimmt der befragte Mitarbeiter den Blickwinkel eines Beobachters zweiter Ordnung ein und schafft so Distanz zur bisherigen Beobachtung erster Ordnung:

Der Berater wählt mithin eine Form der Beobachtung zweiter Ordnung, indem er Fragen stellt, mit denen sich beobachten lässt, wie ein Mitglied der Unternehmung andere Mitglieder beobachtet, dadurch dass es unterscheidet, mit welchen Unterscheidungen die anderen Mitglieder in der Kommunikation operieren. Auf diese Weise lässt der Berater durch die Mitglieder die in der Kommunikation vorkommenden Unterscheidungen in die aktuelle Kommunikation wiedereintreten: er manövriert jedes Organisationsmitglied in die Position eines Beobachters zweiter Ordnung. (S.224f.)
>Feedback zweiter Ordnung< funktioniert nach einem ähnlichen Muster, nur dass hier von den obengenannten Gesprächsteilnehmern gegenseitig eine "Selbst und Fremdbeschreibung von Eigenbild und Fremdbild in zwei getrennten und unabhängigen Schritten" (S.237) angefertigt wird. So beschreibt Frau X, wie sie Herrn Y sieht. Dann rekonstruiert Herr Y fragend, wie er meint, dass Frau X ihn sieht. Anschließend beschreibt Herr Y sein Eigenbild und Frau X rekonstruiert durch Nachfragen seine Sicht von sich selbst. Dabei wird die Konfrontation durch einen erzwungenen doppelten Konsens entschärft und die Kommunikation stabilisiert.

Als Fazit zieht der Autor aus seinen Ausführungen die Konsequenz, dass eine seriöse Organisationsberatung zwar "einer soliden theoretischen Fundierung" (S.240) bedarf, aber nicht der Eindruck entstehen dürfe, dass die Interventionen der systemischen Organisationstheorie "ein homöopathisches Heilmittel darstellen, mit der sich die Flurschäden der Übersteuerungseffekte konventioneller Beraterphilosophien korrigieren ließe" (S.238).

Winter verzichtet auf den letzten Seiten auf eine trivialisierende Rekapitulation seiner Thesen, denn "eine Schlussbemerkung lässt sich nicht als Wiedereintritt aufziehen, nur um sich und den Leser auf der sichereren Seite zu wissen" und schließt stattdessen mit einigen Überlegungen zu den "Problemkreisen >Emotion< und >Ethik< und >Verantwortung< des Beobachters" (S.243.).



Beobachtung und Kritik
der Theorie des Beobachters


Wolfgang Winter hat mit der Theorie des Beobachters ein fundiertes und für seine relative Kürze auch ein inhaltlich sehr komplexes Werk abgefasst. Viele Themenbereiche werden angeschnitten und kompetent dargestellt. Detailwissen wird sparsam eingesetzt und daher ist das Buch auch für einen >Nicht-Systemtheoretiker< oder eben einen >Nicht- Betriebswissenschaftler< gut lesbar.

Wie schon angesprochen, nimmt die Wiedergabe von verschiedenen Theorien rund um den Beobachter den größten Teil des Buches ein. An dieser Stelle fehlt eine verstärkte Interpretation der wiedergegebenen Sachverhalte, die lediglich am Ende durch die Hervorhebung von Bewusstsein, Kommunikation und Sprache und deren Vernachlässigung im rezipierten Theoriematerial angeschnitten wird. Gerade eine Ausarbeitung oder sogar eine alternative Integration dieser fehlenden Punkte wäre von Interesse gewesen.

Konsequenterweise nimmt der Autor diese Fragestellung in dem sehr kurz geratenen Abschnitt über betriebswirtschaftliche Theorie auf. Hier werden dem Leser besonders durch die Darstellung von Kommunikationsinstrumenten der systemischen Organisationsberatung einige Implikationen der zuvor beschriebenen Theoriearchitektur für die betriebswirtschaftliche Theorie bewusst. Diese Leistung lässt Winter den geneigten Leser allerdings völlig alleine vollziehen.

Die meiner Meinung nach wichtigste Leistung, die Verbindung zwischen dem Theoriekonzept >Beobachter< und der Relevanz dieser Theorie für die systemische Organisationsberatung, die Probleme oder Erfolge, die sich in der Praxis ergeben (und um Praxis geht es an dieser Stelle), tritt zugunsten einer erneuten Rekapitulation, diesmal einzelner Kommunikationsinstrumente, in den Hintergrund.

Wenn es Winter nicht nur darum geht, die theoretischen Wurzeln oder die theoretische Legitimierung einzelner Standardverfahren der systemischen Organisationsberatung darzustellen – und dieser Anspruch erscheint mir für eine Dissertation in der Betriebswirtschaft doch als zu kurz gegriffen – wäre eine ausführlichere Transformation der dargestellten Theoriegrundlagen des >Beobachters< auf den Bereich der Unternehmensberatung zu erwarten.

Gerade in den angeschnittenen Problemfeldern der Kommunikation, des Bewusstseins und der Sprache hätte man neue Erkenntnisse, die über die Schilderung des Selbstverständnisses und die schon praktizierten Vorgehensweisen im Bereich der systemischen Organisationsberatung hinausgehen, erwarten können.

Und auch aufgrund der Lücken in der Systemtheorie, wenn es um Kommunikation, Bewusstseins und Sprache geht – die übrigens Winter selbst konstatiert, aber trotzdem in seinem daraus abgeleiteten Konzept des Beobachters nicht zu schließen versucht – hätte sich die Ausarbeitung nicht nur für die systemische Organisationsberatung, sondern besonders auch für das Theoriekonzept >Beobachter< gelohnt.

Obwohl eine Weiterführung dieser Punkte dem Werk sicher gedient hätte, verspricht doch die Gesamtheit der dargestellten Gedankengänge eine informative Lektüre. Das Fachpublikum allerdings und damit meine ich Unternehmensberater, Betriebswirtschaftler und vor allem mit der Systemtheorie vertraute Leser, hätten sich über einen ausführlicheren Beitrag zur theoretischen Legitimation und dem praktischen Selbstverständnis des Beobachters in der Betriebswirtschaft sicher gefreut.


... kurz und präzise, kompetent,
teilweise sogar lustig ...

Doch vielleicht liegt es in der Natur der Sache, dass der Beobachter der Theorie des Beobachters als Beobachter zweiter Stufe einen durch die eigene Autopoiesis geprägten Eindruck von den Stärken aber auch den Schwächen des Buches gewinnt und daher als Berater dem (in diesem Fall unfreiwilligen) Klienten >Autor< oder dem freiwilligen >Leser dieser Rezension< nur seine eigene Sicht der Dinge nahelegen kann und damit diesen irritiert.

Um die Irritation perfekt zu machen: Mir hat die Lektüre des Buches trotz der großen Erwartungen, die ich an eine derartige Themenstellung aus dem Fachbereich der Betriebwissenschaft geknüpft hatte und die nicht ganz erfüllt wurden, viel Spaß gemacht und stellenweise auch Überraschendes aufgezeigt. Außerdem kommt dem Buch die Eigenschaft des Autors zugute, seine komplizierten Ausführungen kurz und präzise, kompetent, teilweise sogar lustig, auf das Papier zu bringen, den Leser nie durch weitschweifige unverständliche Ausführungen zu langweilen oder gar zu verärgern und auch nie den roten Faden der Argumentation zu verlieren.

Die vielen liebevoll und passend ausgesuchten und vom Autor selbstgestalteten Abbildungen, sowie der klare und angenehm komplexe Stil der verwendeten Sprache tun ein übriges, dieses Buch lesenswert zu machen.


Anne Carolin Gaiser
Lerchenauer Str. 39
D-80809 München

Ins Netz gestellt am 30.06.2000.

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Fußnoten

1 Winter, Wolfgang: Theorie des Beobachters. Skizzen zur Architektonik eines Metatheoriesystems. Frankfurt/M.: Verlag neue Wissenschaft. 1999, Vorwort. Im folgenden werden Seitenangaben bei Zitaten aus diesem Buch im Fließtext in Klammer eingefügt.  zurück

2 Autopoiesis wird von Luhmann als ein "rekursives, daher symmetrisches, daher nichthierarchisches Geschehen" beschrieben, denn "ein autopoietisches System ermöglicht die elementaren Einheiten [...], aus denen es >besteht<, durch operative Verknüpfungen [...] zwischen eben diesen Einheiten [...]. Ein autopoietisches System erzeugt oder ermöglicht sich selbst". Niklas Luhmann: Soziale Systeme, 6. Aufl. Frankfurt/ Main: Suhrkamp 1996, S. 618.   zurück

3 George Spencer-Brown: Laws of Form. Gesetze der Form. Übersetzung: T. Wolf. Lübeck: Bohmeier Verlag 1997.  zurück

4 Hierbei orientiert sich Winter an Luhmanns Systemtheorie.  zurück

5 Da sich der Autor bei seinen Ausführung fast ausschließlich auf Gedanken der Systemtheorie bezieht und dort dieses Thema ebenfalls vernachlässigt wird, verwundert mich dieser Tatbestand wenig.  zurück


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