Geimer über Hick: Geschichte der optischen Medien

Eine Geschichte der optischen Medien



Peter Geimer

Ulrike Hick: Geschichte der optischen Medien. München: Fink 1999. 365 S. Kart. DM 78,-.



Eine Geschichte der optischen Medien zu schreiben, wie es Ulrike Hick in ihrer jetzt veröffentlichten Habilitationsschrift unternimmt, ist kein bescheidenes Unternehmen. Eine ganze Reihe von Geschichten des Films und der Fotografie liegen ebenso vor wie monographische Arbeiten zu Camera obscura, Diorama, Panorama oder zur neueren Entwicklung digitaler Bildverarbeitung. Wodurch nun ist eine übergreifende Geschichte aller optischen Medien begründet? Was soll über die bloße chronologische Abfolge der einzelnen Medien hinaus den Zusammenhalt dieser Geschichte, ihre Auswahl und ihre unvermeidlichen Auslassungen motivieren? Denkt man an eine Chronologie der Techniken von der Camera obscura bis zur digitalen Bildverarbeitung? Oder widmet man sich vielmehr der Deutung der von diesen Techniken hergestellten Effekte, Bilder und Aufzeichnungen? Oder ist der eigentliche Gegenstand der Untersuchung statt einer Geschichte der optischen Medien nicht doch eher eine Geschichte der durch diese Medien bestimmten Wahrnehmung?

Nicht weniger umfangreich als die Liste der möglichen Objekte und Fragestellungen einer Geschichte der optischen Medien ist die Reihe der in Frage kommenden Beschreibungsmodelle: Soll das Projekt jenen klassischen Darstellungen folgen, welche die Geschichte einzelner Medien als teleologische Fortschrittserzählung - von der Camera obsura zum Filmprojektor - arrangieren? Oder setzt man gerade auf die Diskontinuität der Entwicklung, ihre Brüche, Gegensätze und Kontingenzen? Betrachtet man technische Medien im Sinne Marshall McLuhans anthropolgisch, d.h. als Ausweitung und Externalisierung menschlicher Sinne? Oder setzt man mit Friedrich Kittler gerade umgekehrt darauf, daß die Entwicklung technischer Medien einer eigenen, durch Anthropomorphismen nicht zu erfassenden Genealogie folgt?

Fixierung vs. Dynamisierung des Blicks

Von all diesen Motiven wird man in der Geschichte der optischen Medien etwas finden. Damit ist bereits eine Eigenart des Textes genannt, die seine Lektüre mitunter erschwert. Das zugrundegelegte Verfahren besteht eher in der bloßen Addition von Informationen und Methoden als im konzentrierten Zugriff und der klaren Strukturierung und Sonderung des umfangeichen Materials. Die Autorin teilt das weite Feld ihrer Geschichte zunächst durch die Einführung zweier "paradigmatischer Zäsuren" ein: Dem Wahrnehmungsmodell des 17. und 18. Jahrhunderts mit seiner Favorisierung des fixierten Blicks auf ein gerahmtes, begrenztes Tableau stellt sie die Dynamisierung des Blicks im 19. Jahrhundert gegenüber. Mit dieser Einteilung ist auch der zeitliche Rahmen der Untersuchung vorgegeben. Nach einem kurzen Rückblick auf die Zentralperspektive umfaßt die Untersuchung einen Zeitrahmen, der vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, von der Camera obscura bis an die Schwelle zum Film reicht.

Hick argumentiert zunächst in enger Anlehnung an Blumenbergs These vom neuzeitlichen Verlust des "Sichtbarkeitspostulats" durch die Etablierung optischer Geräte, insbesondere des Fernrohrs. Nach Blumenberg markierte die Einführung des Fernrohrs eine Infragestellung und Überschreitung sinnlicher Evidenz. Zugleich aber blieb der Einsatz des optischen Instruments auf den sinnlichen Augenschein angewiesen. Hick überträgt diese Antinomie als "Spannungsfeld aus Objektivierung und Subjektivierung" auf die Camera obscura. So behandele Giovanni Battista della Porta die Camera obsura in seiner Magia naturalis einerseits als Mittel zur präzisen Wiedergabe der Natur, anderseits als Medium zur Inszenierung wunderbarer Erscheinungen unter Einsatz von Kulissen und kostümierten Akteuren. Am Beginn des 17. Jahrhunderts lenkt Kepler das Interesse dann auf den Strahlengang des Lichts in der Camera obsura sowie die Brechungsvorgänge im Augapfel.

In dieser Trennung von optisch-physikalischem und physiologisch-psychologischem Bereich des Sehens sieht die Autorin die Grundlegung jenes Paradigmas, das für das 17. und 18. Jahrhundert bestimmend wird: die "Entanthropomorphisierung des Auges", die Verobjektivierung des Sehens als etwas der körperlichen Existenz des Wahrnehmenden Äußeres. Der Betrachter tritt aus dem unmittelbaren Abbildungsprozeß heraus, das Bild zeigt keine Spuren seiner Anwesenheit. Zugleich lebe indessen die magisch-täuschende Funktion der Camera obsura fort. Die Autorin verweist hier unter anderem auf das Wirken des Jesuiten Christoph Scheiner, der 1619 im Sinne der propagatio fidei in der Dunklen Kammer die Projetion eines Teufels erscheinen läßt. So zeigt sich neben dem wissenschaftlichen Gebrauch der Camera obsura ihre Funktion als Instrument magischer Inszenierungen, wobei man sich die allgemeine Unkenntnis der apparativen Funktionen zunutze macht.

Blick auf die laterna magica

Den quantitativ größten Raum der Untersuchung nimmt die Beschreibung der laterna magica ein. Auch diese erweist sich zunächst als ein Instrument zwischen Wissenschaft und Magie, dokumentarisch-didaktischen und unterhaltenden Aspekten. Während in Athanasius Kirchers Ars magna lucis et umbrae (1671) neben dem Spiel mit magischen Effekten die propagandistischen Absichten des Jesuiten noch ganz unverkennbar sind, setzt sich im Laufe des 18. und frühen 19. Jahrhunderts die unterhaltende Komponente durch. Ausführlich beschreibt die Autorin die technischen Innovationen der Geräte, das wechselnde Publikum der Vorführungen sowie Thematik und narratologische Struktur der Bildprogramme. Man erfährt dass der Belgier Etienne Gaspard Robertson bei seinen Vorführungen im Pariser Pavillon 1798 eine neue Dimension von Beweglichkeit in die Projektionen einführte. Mit Hilfe eines "Fantaskop" genannten, mobilen Projektionsapparates ließ Robertson seine Projektionen auf die unsichtbare, diaphane Leinwand zu- bzw. von ihr wegfahren, so daß die Figuren anwuchsen oder sich verkleinerten. Weitere Projektionen erfolgten auf Rauchschwaden, die man inmitten des Zuschauerraums verbreitete. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts führte man dann im Londoner Polytechnicum durch Überblendungen mindestens zweier Apparate die sogenannten "Dissolvings" oder Nebelbilder ein. Die Autorin sieht diese Praxis als einen "weiteren Schritt auf dem Weg, die im prägnanten Moment des einzelnen statisch-szenischen Tableaus eingefrorene Zeit zu erlösen".

Das leztze Drittel des Buches ist den optischen Medien des 18. und vor allem des 19. Jahrhunderts gewidmet: Guckkasten, Panorama, Diorama, Phenakististkop, Stereoskop und Fotoapparat. Bereits vor der Verbreitung von Film und Chronofotografie, so Hick, setzte eine "Kinematorisierung des Blicks" ein. Das Diorama und die Instrumente der Bewegungsillusion markieren einen Paradigmenwechsel im Diskurs der Wahrnehmung. Infolge der umfassenden Prozesse von Beschleunigung und Dynamisierung zeichne sich in den Bildmedien des 19. Jahrhunderts eine zunehmende Dominanz der Zeit gegenüber dem Raum ab.

Das Subjekt als historische Konstante

Das alles hat man so oder ähnlich schon einmal gelesen. Die Autorin legt ihre Quellen auch unmißverständlich offen: Ihre Ausführungen referieren unter anderem Thesen von Walter Benjamin, Hans Blumenberg, Svetlana Alpers, Michel Baudson und Jonathan Crary. Aus Crarys Techniques of the Observer (1990) sind vor allem auch die eingangs erwähnten paradigmatischen Zäsuren übernommen. Während das Subjekt bei Crary allerdings Gegenstand einer genealogischen Betrachtung im Sinne Foucaults ist, scheint es bei Hick immer schon als Entität vorhanden zu sein und kann folglich als historische Konstante unterstellt werden. So bleibt das von der Autorin beschriebene "Spannungsfeld von Objektivierung und Subjektivierung" trotz aller Verschiebungen, die sich in ihm ereignet haben sollen, merkwürdig statisch und zeitlos. Auch Begriffe wie "Sehmaschinen" oder "Sinnestechnologien" lassen sich kaum als überhistorische Beschreibungsmodi anführen. Die Vergleichbarkeit oder Nicht-Vergleichbarkeit von Sinnen und Technologien, wie solche Begriffe sie voraussetzen, ist jeweils selbst einem historischen Stand geschuldet, der genauer zu untersuchen wäre.

Ein entscheidendes Motiv Crarys hat die Autorin freilich nicht übernommen: seine Absage an teleologische Beschreibungsmodelle. Zwar wird in der Einleitung das Anliegen formuliert, "eine teleologische Subsumierung der diskutierten optischen Bildmedien zu vermeiden". In der folgenden Darstellung werden die einzelnen Medien dann jedoch durchgängig als Vorwegnahme, Vorbereitung, Vorbote und Antizipation des Kommenden diskutiert. Was hier jahrhundertlang im Kommen ist, wird bereits auf den ersten Seiten des Buchs unmißverständlich ausgesprochen: der Film. Der Text erzählt dessen "Vorgeschichte". Insofern entspricht die "Geschichte der optischen Medien" einem klassischem, telologischen Erzählmuster wie es etwa schon in Ferdinand von Zglinickis Der Weg des Films (1956) zur Anwendung kam. Im Unterschied zu Zglinicki kommt die weitere Entwicklung des Films bei Hick dann allerdings nicht mehr vor - ebensowenig wie das Fernsehen oder die wirkungsmächtige Bildverarbeitung im Computer. Es bleibt also unverständlich, warum ein Buch, das sich der Vorgeschichte des Films widmet - und diesen selbst dann beinahe vollständig ausspart -, gleichwohl als "Geschichte der optischen Medien" angekündigt wird.

Der fortschrittsgeschichtliche Ansatz Ulrike Hicks

Zu den entscheidenden methodischen Problemen einer Geschichte der optischen Medien gehört sicherlich die Frage, wie und womit technische Apparaturen kontextualisiert werden sollen, wenn man sie nicht einfach als Garanten einer autonomen, monokausalen Fortschrittsgeschichte anführen will. Die Autorin verläßt sich hier in der Regel auf geistes- und ideengeschichtliche Begründungen, die indessen wenig Neues und Erhellendes bringen, wenn etwa das "Harmoniestreben der Renaissance" als konstitutiver Faktor der Entwicklung angeführt wird. Auf diese Weise erscheinen technische Medien als unmittelbare Verdinglichung von Weltbildern und Ideen.

So wird etwa die ausschnitthafte, die Dinge auf Distanz haltende Sicht des Guckkastens als Ausdruck von Rationalismus und Aufklärung angeführt. Weitere Kausalitäten findet die Autorin bei einschlägigen sozialgeschichtlichen Begründungen: Das Panorama ermögliche die "selbstvergewissernde Fundierung" des aufstrebenden Bürgertums. Die Medien des 19. Jahrhunderts erscheinen als Ausdruck der Entfremdung des Menschen in der modernen Warengesellschaft sowie der "Sehnsüchte des unbehausten Menschen der Moderne". Die Stereoskopie vermag die "Angst vor Kontrollverlust im Symbolischen tendenziell zu sublimieren". Anstelle der traditionellen Erzählung von der unaufhaltsamen technischen Perfektionierung der Medien erhält man hier nun die Fragmente einer anderen Teleologie.

Optische Medien als Instrumente zur Bedürfnisbefriedigung?

Die Darstellung vermittelt den Eindruck, als seien optische Medien jeweils planmäßig entwickelt und eingesetzt worden, um subjektive "Bedürfnisse" der Rezipienten zu befriedigen: Die Camera obsura soll "das Bedürfnis des hinsichtlich seiner Sinne verunsicherten Subjets (...) nach einer gültigen Sicht auf die Welt einlösen". Der Guckkasten entspricht dem "Bedürfnis nach einer Durchdringung des als unendlich verstandenen Raumes". Die zunehmende Varietät der Laterna magica-Programme im 19. Jahrhundert bedient ein "Bedürfnis nach Lebensfülle" sowie "die Bedürfnisse einer sich an den Rändern der Städte zunehmend konzentrierenden (noch nicht organisierten) Arbeiterschaft nach kollektiver Erfahrung".

Insgesamt zeigt sich auch in solchen Pauschalisierungen ein Vorgehen, das eher auf die Akkumulation von Erklärungsmodellen als auf die selektive Herausarbeitung spezifischer Zusammenhänge setzt. So werden auch komplexe wissenschaftsgeschichtliche Kontexte, etwa die sinnesphysiologischen Forschungen von Hermann von Helmholtz, in wenigen Zeilen aufgezählt, statt argumentativ in den Gang der Erzählung eingebunden. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Autorin auf das bloße Einstreuen solcher Wissensfragmente nicht zugunsten einer konzentrierteren Darstellung einzelner Zusammenhänge verzichtet hat. Dieses Verfahren der Akkumulation von Fakten wird auch dadurch nicht greifbarer, daß man der bloßen Summe der addierten Daten dann den klangvollen Namen "Dispositiv" verleiht.

Unentschlossene Zusammenschau von Methoden und Material

Am Rande dieser Ansammlung von Material wird man freilich immer wieder eigentümliche Details finden. Man erfährt von einem Trinkpokal, dessen Fuß als Camera obscura eingerichtet ist oder dem Werk des bereits erwähnten Gaspard Robertson, der sich dem Direktorium 1796 anbietet, die englische Flotte durch einen gewaltigen Brennspiegel zu vernichten. Insofern erweist sich die unentschlossene Zusammenschau von Methoden und Material zugleich auch als ein Vorzug des Buchs, das auf diese Weise zahlreiche Fakten liefert oder verzeichnet, wo man sie nachlesen kann. Vielleicht wäre aus einer entschiedenen Sondierung und Neuordnung dieses Materials eine Geschichte der optischen Medien zu gewinnen.


Dr. Peter Geimer
Universität Konstanz
Fachgruppe Literaturwissenschaft/Kunstwissenschaft
Fach D 152
D-78457 Konstanz

Ins Netz gestellt am 11.01.2000.

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