Godel über Böhr: Philosophie für die Welt

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Rainer Godel

Rendre l'historie
de la philosophie populaire?
Christoph Böhrs Versuch
der Rehabilitierung der Popularphilosophie
des 18. Jahrhunderts

  • Christoph Böhr: Philosophie für die Welt. Die Popularphilosophie der deutschen Spätaufklärung im Zeitalter Kants (Forschungen und Materialien zur deutschen Aufklärung. Abteilung II: Monographien 17) Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2003. 324 S. Leinen. EUR (D) 65,-.
    ISBN 3-7728-2169-3. 1

Inhalt

1. Populäres Philosophieren als Problem | 2. Kant als Popularphilosoph – zu Thesen und Argumenten Böhrs | 2.1 Zur Verortung der Arbeit | 2.2 Zur Methode | 2.3 Argumente und Ergebnisse | 3. Struktur und Methode:
Schwierigkeiten einer "Geschichte der Popularphilosophie"
| 3.1 Probleme der Argumentationsstruktur | 3.2 Ein neuer Eklektizismus | 3.3 Zur Schwierigkeit einer Begriffsgeschichte der Popularphilosophie | 3.4 Populärer Stil | 4. Resümee



1. Populäres Philosophieren
als Problem

Viele Diskussionen, die heute virulent sind, haben ihre Wurzeln im 18. Jahrhundert. Mag man manches Mal auch die alten Argumente vergessen haben, so werden doch die dazugehörigen Fragen von Zeit zu Zeit wieder aktuell. Eine solche ist auch die Frage nach der öffentlichen Wirksamkeit philosophischer (oder allgemeiner: geisteswissenschaftlicher) Erkenntnisse – eine Frage, die dazu geführt hat, dass die so gemahnten Disziplinen gelegentlich Legitimität in der Orientierung an einer für die Allgemeinheit nützlichen Zweckrationalität suchen.

Bereits Schillers Lehrer Jacob Friedrich Abel propagierte "eine neue Art von Wissenschaft [...], die die grosse Absicht hat, einen Menschen aufgeklärt und tugendhaft zu machen, das ist, Weisheit zu lehren." 2 Diese neue Form der Philosophie erweitert das aufzuklärende Zielpublikum gegenüber der Schulphilosophie: Intendiert ist eine Wissenschaft "vor jeden gesitteten Menschen". 3 Denn: "Ausser den Wissenschaften, die jeder zu seiner besonderen Bestimmung nöthig hat, gibt es gewisse Begriffe, die jeder Mensch als Mensch nöthig hat [...]". 4

Damit schreibt Abel sich ein in die (zu diesem Zeitpunkt noch wenig illustre) Reihe von Popularphilosophen. Vielleicht die bedeutendsten Themen der deutschen Spätaufklärung fanden ihren Platz in >popularphilosophischen< Medien: Sei es die Diskussion um die >wahre< Aufklärung, um Grenzen, Möglichkeiten und Reichweite aufklärerischen Tuns, 5 sei es die preußische Preisfrage nach dem Volksbetrug, sei es die anthropologische, seit Descartes neu diskutierte Frage nach dem Commercium mentis et corporis – all dies (und noch einiges mehr) bewegt sich in einem Feld öffentlich werdender Philosophie, deren Vertreter nicht auf philosophischen Anspruch verzichten, diesen aber in Umfang, Reichweite und Stil neu zu definieren versuchen.

Thematisch wie personell zieht das Feld der Popularphilosophie für eine wissenschaftliche Analyse einen hohen Systematisierungsaufwand nach sich: Worin besteht die Popularphilosophie? Wie grenzt sie sich ab? Wer sind ihre wichtigsten Vertreter? Einen Versuch zur Klärung solcher Fragen unternimmt Christoph Böhr in seiner Trierer philosophischen Dissertation. Er orientiert sich an der Begriffskonstituierung durch das "Populäre", um dann die Formierung und die Rezeption des so umgrenzten Phänomens "Popularphilosophie" darzustellen.

2. Kant als Popularphilosoph
– zu Thesen und Argumenten Böhrs

2.1 Zur Verortung der Arbeit

Unterscheidet man mit Helmut Holzhey heuristisch zwischen einem historiographischen Begriff >Popularphilosophie<, der sich auf eine mehr oder minder geschlossene Strömung der deutschen Spätaufklärung bezieht, und einem systematischen, zeitübergreifenden Anspruch, populär zu philosophieren, 6 so geht es Böhr vorrangig um das erstgenannte: Obwohl er konstatiert, die Frage nach der Popularphilosophie wirke als "eine Frage, die sich der Philosophie immer wieder neu stellt" (S. 16) fort, wählt er die historiographische Perspektive. Forschungsdesiderat sei eine "ausführliche Würdigung" (S. 15) der deutschen Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts, insbesondere in Hinblick auf die Frage, welches Selbstverständnis diese entwickelt habe (vgl. ebd.). Jenes Selbstverständnis entwickelt sich nach Böhr aus der Konfrontation mit der demonstrativen Methode Wolffs und mit der Annahme eines (scholastischen) Selbstzwecks der Philosophie (vgl. S. 19, 30, 34). Die Eigendefinition der Popularphilosophie grenzt sich indes nicht nur zur philosophischen Tradition, sondern auch zur damals aktuellsten Philosophie ab: 7 Böhr identifiziert die Auseinandersetzung Christian Garves mit Immanuel Kant um die Möglichkeit, "popular" zu philosophieren, als "Wendepunkt" (S. 6) in der Geschichte der Popularphilosophie. Diese Diskussion hat die negative Rezeption der Popularphilosophie vom frühen 19. Jahrhundert an bestimmt, so dass es für Böhr nun an der Zeit scheint, diese zu rehabilitieren.

2.2 Zur Methode

Böhr wählt einen begriffsgeschichtlichen Zugang. Dabei konzentriert er sich nicht auf den Begriff >Popularphilosophie<, der erst gegen Ende des Jahrhunderts aufkommt, sondern auf die Frage nach dem "Popularitätsanspruch" der Philosophie generell. In den Blick kommen die Begriffe "popularitas", "popularis", "popular", "populär", "Popularphilosophie", "Popularität", am Rande auch "Volk" und "volkstümlich", auch Johann Jakob Engels Selbstzuweisungsbegriff "Philosoph(ie) für die Welt". Eine solche, eng am Wortfeld orientierte historische Semantik kann Aspekte der Tradierung von Bedeutungsnuancen sichtbar machen, die zu Neuem beitragen. Ohne dass Böhr dies programmatisch formuliert, liegt hierin die Intention des Rückgriffs auf die Begriffstradition: Begriff und Selbstverständnis der Popularphilosophie werden mithin aus dem >Popularen< an ihr (und aus der vorgängigen Verständnistradition von "popular") entwickelt – nicht aus dem >Philosophischen<. Wenn Johann August Eberhard in seinem Philosophische[n] Magazin festhält: "unsere philosophischen Schriften sind angenehmer, und unsere angenehmen Schriften philosophischer geworden, [...]", 8 so scheint gerade die Interaktion zwischen Philosophie und Literatur zum programmatischen Kennzeichen einer populären Philosophie geworden zu sein. Dieses kommt aber kaum in den Blick, da sich Böhr dem Phänomen über das "Populäre" nähert.

Böhr will die Begriffsgeschichte der Popularphilosophie "in ihrem zeitlichen Verlauf" (S. 16) nachzeichnen. Die chronologische Darstellung beginnt mit Cicero im 1. vorchristlichen Jahrhundert, führt in großen Intervallen ins 18. Jahrhundert und erweitert sich schließlich bis zur heutigen "Bedeutung (der Popularphilosophie, R. G.) in der Philosophiegeschichtsschreibung" (ebd.). Die Fortsetzung der historiographischen Beschreibung bis in die Gegenwart bedingt, dass Böhrs Darstellung sich zur Rezeptionsgeschichte wandelt, die eine zweite Intention hinzufügt: Er legt (vorwiegend in Kapitel X, S. 236–272) Material zu der Fragestellung vor, wie die Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts im 19. Jahrhundert bewertet und im 20. Jahrhundert analysiert wurde.

2.3 Argumente und Ergebnisse

Eine systematisierende Definition der Popularphilosophie bietet Böhr erst in seiner Zusammenfassung, dort allerdings mit dem Negativbescheid, es werde klar, dass es "die [...] Popularphilosophie schlechthin nicht gibt." (S. 274) Er nennt mehrere Kennzeichen:

1. Der gemeinsame Nenner bestehe in der Ablehnung der Wolffschen Methode des Philosophierens. Dabei bedeute der Verzicht auf strenge Wissenschaftlichkeit weniger einen Themen- denn einen Wechsel der Argumentationsverfahren (vgl. ebd.).

2. Verdienst der Popularphilosophie sei es, "Philosophie wieder in die Welt zurückgebracht und in das Leben der Menschen hineingetragen" (S. 275) zu haben. Dies entspreche ihrem Anspruch: Sie wolle Orientierungswissen für die Kultur sein (vgl. S. 276).

3. Ihren Bezugspunkt finde die Popularphilosophie in der Natur des Menschen, in seiner natürlichen Beschaffenheit und in seinem natürlichen Denken. Insofern sei sie anthropologisch (vgl. S. 278).

4. Kant wird als Systematiker der Popularphilosophie eingeführt, der das Verhältnis von Schul- und Weltphilosophie am eindeutigsten abzugrenzen in der Lage war. (vgl. S. 273ff.)

5. Die Popularphilosophie identifiziere Empirie und Ästhetik als notwendige Verfahren (vgl. S. 278, zur Ästhetik ausführlicher § 5, S. 37 ff.). Doch folge die Hinwendung zur Erfahrung der Einsicht in das begrenzte Leistungsvermögen der mathematischen Methode (vgl. S. 280).

6. Das Popularitätsproblem erweise sich als Anlass der Selbstreflexion der Spätaufklärung (vgl. S. 135), auch unabhängig von der definitorischen Klärung der Popularphilosophie, die erst mit der Garve-Kant-Kontroverse beginne (vgl. S. 87 et passim).

Zu diesem (überraschend knappen) Ergebnis gelangt Böhr in zehn Kapiteln, die sich in insgesamt 32 Paragraphen untergliedern. 9 Kapitel I skizziert die Problemstellung(en) sowohl Böhrs als auch der Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts.

Kapitel II stellt die "Vorgeschichte" (S. 24) der Popularphilosophie dar. Diese umfasst bei Böhr Cicero (insbesondere Passagen aus De oratore und De finibus bonorum et malorum), Leibniz' sich teilweise auf Cicero beziehende antischolastische Wendung und schließlich die "Erneuerung" (S. 30) der Popularphilosophie vor allem in Johann August Ernestis Rede De philosophia populari (1754). Dass Programm und Umsetzung auseinanderdriften, zeigt sich schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Trotz Ernestis Ansatz habe die Philosophie erst als Reaktion auf die lauter werdende Forderung nach Popularität aus anderen Wissensbereichen die Nähe zu den schönen Wissenschaften gesucht. Ernestis Bemühen um begriffliche Klärung bleibe somit weitgehend folgenlos (vgl. S. 35 f.).

Kapitel III greift zurück auf die Begründung der Ästhetik als eigenständige innerphilosophische Disziplin durch Alexander Gottlieb Baumgarten und den hier im Zentrum stehenden Georg Friedrich Meier. Dabei arbeitet Böhr vor allem heraus, dass die neu entstehende Disziplin von Wolff inhaltlich angeregt wird, gleichzeitig aber dessen deduktive Methode abwertet. Ästhetik könnte demnach als Medium der Popularisierung von Philosophie verstanden werden. Inwieweit die essayistisch literarisierte Gestaltung der späteren Popularphilosophie auf die disziplinäre Ästhetik zurückgeht, wird indes nicht gefragt. Vielleicht auch, weil die Antwort eher negativ ausfallen könnte: Denn Diderot, die Platnersche Anthropologievariante und vor allem der englisch-schottische Empirismus wirken hier als starke Katalysatoren. 10

Böhr stellt Kapitel IV 11 die These voran, die Debatte über Möglichkeiten und Grenzen des Anspruchs auf Popularität werde Teil einer breiteren Diskussion über das Selbstverständnis von Aufklärung und Philosophie schlechthin (vgl. S. 52). "Ergebnis" dieser Diskussion sei – so Böhr ebenso tautologisch wie nichtssagend – dass die Debatte zu einer der "zentralen Fragen der philosophischen Diskussion in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts" (ebd.) werde. Zu den ersten Anfängen rechnet Böhr Mendelssohns Position zur Popularisierungsfrage (die allerdings nur Gründe liefert, Mendelssohn als Popularphilosophen zu betrachten, vgl. S. 59), die Diskussion der 70er Jahre (genannt werden Hirschfeld, Garves "Habilitationsschrift" und eine Reihe weiterer illustrer Autoren) und schließlich Engels Magazin Der Philosoph für die Welt, das der Popularphilosophie ihre "begriffliche Fassung" gegeben habe (S. 67). Die knappen Ausführungen zu Engels epochemachendem Magazin verorten diesen allerdings kaum in den geistesgeschichtlichen Strömungen der Zeit: So wird etwa zitiert, für Engel gelte Beobachtung mehr als Spekulation (vgl. S. 78), doch die Frage nach dem Verhältnis zum post-lockeschen Empirismus stellt Böhr nicht. Außerhalb der Philosophie setze in der Mitte der 80er Jahre ein Bemühen um die Präzisierung des Begriffs "Popularität" ein (vgl. S. 81). Hierzu rechnet Böhr die Bürger-Schiller-Kontroverse, beachtet aber nicht, dass die Diskussion über Volksnähe schon im Sturm und Drang virulent ist.

Ausführlich wird in Kapitel V die Kant-Garve-Kontroverse als Kulminations- und Wendepunkt der Debatte dargestellt. Die Auseinandersetzung entzündete sich an der Frage, inwieweit die in Garves Rezension angemahnte verständlichere Fassung von Kants Kritik der reinen Vernunft notwendig und möglich sei. Böhr zeigt, wie in Kants elitär klingendem Ausschließlichkeitsprimat eine konziliatorische Idee mitschwingt: dass eine populare Philosophie möglich sei, aber eben nicht eine populare kritische Philosophie, die sich ausschließlich wissenschaftlicher Methoden zu bedienen habe (vgl. S. 96). In bezug auf die in der Kant-Forschung angemerkte Widersprüchlichkeit von Garves Rezension gelingt Böhr eine erfreuliche Entdeckung: Im Briefnachlass Friedrich Nicolais fand sich ein Brief Garves, in dem dieser bestätigt, die (Kant-freundliche) Eingangspassage stamme von Johann Jakob Engel (vgl. S. 93 f.).

Insgesamt aber bleibt Böhrs Darstellung der Garveschen Position in der Kant-Rezension und vor allem von Garves programmatischem Essay Von der Popularität des Vortrags unzureichend: Dass Garve nicht einfach einen unbefragten Empirismus fordert, der von politischen und systemischen Überlegungen absieht, könnte genauer herausgearbeitet werden. Inwieweit nach Garve die systematische Methode durch den Gemeinsinn bestätigt werden muss und welche Rolle das >Interesse< als handlungsaktivierender Faktor spielt, könnte am Leitfaden der Forschung genauer bestimmt werden. 12 Dies zeigt ein zentrales Manko: Böhr beschränkt sich weitgehend darauf, textnah die Argumentation der Quellen nachzuzeichnen. Verweise auch nur auf die einschlägige Forschung fehlen meist. 13

Die Entwicklung von Garves Position bis in die frühen 90er Jahre steht im Mittelpunkt des Kapitels, Kant kommt fast nur in seiner Antwort auf die Rezension zu Wort. Schließlich wird auch aus Nicolais Beschreibung einer Reise [...] 14 eine Frontstellung zur kritischen Philosophie ausgezogen, da Nicolai wie Garve das Empirische als Trennlinie einer exoterischen und einer esoterischen Philosophie definiere (vgl. S. 103 f.). Die Funktion dieses Paragraphen (§ 15) leuchtet nicht sofort ein: Denn es geht Nicolai hier kaum darum, für Garve konkret Partei zu ergreifen, sondern eher um eine allgemeine Kritik des Kantischen Systems. 15

Kapitel VI fokussiert den Philosophen und Staatswissenschaftler Karl Heinrich Ludwig Pölitz, dessen Schriften zum Popularitätsproblem "als repräsentativ für zahlreiche andere Autoren des ausgehenden 18. Jahrhunderts" (S. 105) gelten könnten und der erstmals ein umfassendes Programm der Popularphilosophie entwickele (vgl. S. 114 ff.). Das programmatisch Neue gegenüber Garve, mit dem Pölitz die sprach- und adressatenbezogene Definition teilt, liegt vor allem in zwei Punkten:

1. Popularphilosophie wird als philosophisches Propädeutikum eingeführt, als eine Art philosophischen Grund- und Allgemeinwissens, das einen größeren Adressatenkreis findet als das Spezialwissen der schulphilosophischen, zweiten Stufe (vgl. S. 111, S. 131).

2. Popularphilosophie dient vor allem einer aktiven Handlungsanleitung im praktischen Leben (vgl. S. 109, 126). Damit unterliegt sie als Moralphilosophie dem Nützlichkeitsprimat.

Böhr unterscheidet fünf Grundverständnisse von Popularphilosophie bei Pölitz (vgl. S. 118 ff.). Im Detail wird aber erkennbar, dass Pölitz etwa die Aufgabe, den Menschen über seine Bestimmung aufzuklären, der Philosophie insgesamt, nicht nur der Popularphilosophie zuschreibt (vgl. S. 124). Es handelt sich – anders als Böhr suggeriert – nicht um ein Kriterium, das der Popularphilosophie genuin zukommt, sondern um eines, das nach Pölitz jede Philosophie auszeichnet.

Als "Höhepunkt" (S. 139) der Selbstverständnisdiskussion populärer Philosophie wird in Kapitel VII Johann Christoph Greilings "Theorie der Popularität" eingeführt. Böhr zeigt hierbei, sich nicht nur auf das gleichnamige Werk Greilings von 1805 beziehend, eine Entwicklung auf, die sich um zwei Zentren fokussiert:

1. Popularität wird, schon in Ideen zu einer künftigen Theorie der allgemeinen practischen Aufklärung, zu einem Prinzip der Aufklärung. Diese allerdings erweist sich als der Philosophie nachgeordnet: "Die Philosophie muss der Aufklärung, die wissenschaftliche Aufklärung muss der popularen vorhergehen, und letztere trägt immer das Gepräge und die Gebrechen der erstern an sich." 16 Dies führt dazu, dass Greiling drei Schichten des Denkens unterscheidet: das gelehrte Denken der Wissenschaftlichkeit, das nachgeordnete Denken der Popularität, das einen praktischen Zweck verfolgt und damit wieder an den Aufklärungsbegriff gebunden wird, und das natürliche Denken der Ungelehrsamkeit (vgl. S. 157 und S. 163 f.).

2. Greiling bezieht sich vor allem in den späten Schriften auf Kants Problematisierung des Popularitätsanspruchs. Kants nicht-populäres Schreiben differenziert elitär eine Gruppe von Wissenden: "Populär" meint nach Greiling "Verständlichkeit für diejenigen, deren Verstand schon an abstrakten wissenschaftlichen Gegenständen geübt ist, und die mannigfaltige, tiefe gelehrte Kenntnisse besitzen können, wenn auch keine Kantisch-Philosophischen" (hier S. 143).

Inwieweit Kant über die Garve-Debatte hinaus sein Verständnis populären Philosophierens weiterentwickelt (auf das sich Greiling offensichtlich mit seinem Schichtenmodell bezieht), stellt Böhr im folgenden Kapitel anhand von Kants Idee der "philosophia in sensu cosmico" dar. Ungeachtet der Überschrift, die die Popularphilosophie der deutschen Aufklärung und Kants Philosophie dem Weltbegriffe nach zu behandeln verspricht (also wohl: deren Verhältnis), konzentriert sich Böhr hier auf Kants Positionen zum Popularen der Philosophie. Im Grunde laufe es bei Kant auf die Frage zu, welchen "Endzweck" die menschliche Vernunft habe. Diese Frage, die nur populär beantwortet werden könne, findet Böhr formuliert in Kants berühmter philosophischer Programmatik: "1) Was kann ich wissen? 2) Was soll ich tun? 3) Was darf ich hoffen? 4) Was ist der Mensch?" 17 Im Grunde sei alles der letzten, >anthropologischen< Frage untergeordnet (vgl. S. 200). Da Anthropologie der Endzweck des Philosophierens sei und eine populäre Philosophie als Anthropologie notwendig, restituiere Kant auch einen popularen Anspruch der Philosophie. Hier wäre mit der neueren Kant-Forschung zu differenzieren: Brandt hat unterschiedliche, sowohl von Kant direkt stammende als auch a posteriori zugewiesene semantische Varianten von >Anthropologie< nachgewiesen, die eine allzu einfache Gleichsetzung etwa der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht oder auch der Anthropologievorlesungen Kants (die Böhr oft zur Argumentation heranzieht) mit der Anthropologie Kants verbieten. 18

Kant gerät also bei Böhr geradezu zum Idealfall des Popularphilosophen, der vor allem die wissenschaftliche Schulphilosophie und das notwendig Populäre als Zweck allen Philosophierens zu integrieren imstande ist. Bis heute sei "allem Anschein nach keine überzeugendere Antwort [auf die Frage nach der Popularität der Philosophie, R. G.] gegeben worden, als sie in Kants Ratschlag anklingt." (S. 282) Die divergierenden Prämissen derjenigen Popularphilosophen, die sich selbst als solche sahen, und Kants lassen sich indes auch durch den Rückgriff auf die Kantsche Differenzierung von Manier und Methode nur unzureichend auflösen (vgl. S. 191 f.).

Im folgenden Kapitel untersucht Böhr die "fortdauernde" Kontroverse über das Popularitätspostulat. Als Gegner kommen v. a. Karl Leonhard Reinhold, Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Schlegel zu Wort. Apologeten wie Niemeyer und Teller wird bescheinigt, sie erreichten "bei weitem nicht das Reflexionsniveau der theoretischen Schriften etwa von Pölitz oder Greiling" (S. 224). Doch dass etwa Reinhold mit Kantschen Argumenten die Popularphilosophie für system- und grundsatzlos erklärt (vgl. S. 203 f.), hätte – wenn man Kants popularphilosophisches Anliegen nachgezeichnet hat – fragen lassen müssen, welchen Bestimmungsfaktoren dieser spezifische Rezeptionsprozess unterlag. Statt Reinholds Argumentation im Kantschen philosophischen System zu verorten, weist Böhr nur zur Delegitimierung Reinholds darauf hin, dieser habe selbst in seiner Frühzeit popularphilosophischen Ideen "nicht nur ablehnend" (S. 205) gegenübergestanden – ein Argument, das wissenschaftlich unrelevant ist, weil es vom Reinholdschen Gedankengang wegführt.

Erstaunlich knapp wird die Kritik an der Popularphilosophie aus den Kreisen des Idealismus behandelt: Böhr selbst weist darauf hin, Hegel habe "über Generationen" die Philosophiegeschichtsschreibung in dieser Hinsicht geprägt (vgl. S. 214). Insbesondere Hegels also ganz offensichtlich folgenreiches Verdikt über popularphilosophische Bestrebungen kommt als elementarer Anstoß im Rezeptionsprozess zu kurz (vgl. ebd.).

Das Kapitel zur "fortdauernden Kontroverse über das Popularitätspostulat" schließt mit einem Wechsel der Gattung und einem zeitlichen Rückgriff: Böhr stellt in § 29 Lexikoneinträge zu "Popularität" vorwiegend aus dem 18. Jahrhundert vor. "Popularphilosophie" selbst erscheine als eigenes Lemma in einem philosophischen Wörterbuch erst 1823 (vgl. S. 228). Nun ist unstrittig, dass sich in Lexikonartikeln die kontroverse zeitgenössische Diskussionslage abbilden kann, doch bleibt der Befund an dieser Stelle unbefriedigend: Denn die Problematik vieler Lexika und Wörterbücher des 18. Jahrhunderts scheint für Böhr eher darin zu bestehen, dass "Popularphilosophie" noch nicht erscheint, die Stichworte "popular" oder "Popularität" aber wenig Konfliktpotential zeigen. Es wird kaum deutlich, inwieweit sich tatsächlich eine Kontroverse über die Forderung, populär zu philosophieren, in den von Böhr herangezogenen Quellen abzeichnet.

Das abschließende Kapitel X umfasst den weiten Rahmen von der Mitte des 19. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. In den Blick kommen nur wenige philosophische Auseinandersetzungen mit dem Popularitätsanspruch der Philosophie, also neuere Reflexionen darüber, inwieweit Philosophie populär zu betreiben sei. Böhr wechselt mit diesem Abschnitt endgültig in den Modus einer Rezeptionsgeschichte, ohne jedoch diesen Wechsel zu begründen. Böhr stellt zunächst vorwiegend philosophiehistorische Gesamteinschätzungen und Stellungnahmen zu einzelnen Aufklärern (vor allem zu Mendelssohn) vor. Der zweite Schritt beschreibt die "aktuelle Forschungslage". Böhr unterscheidet zwischen personenbezogenen Forschungen und solchen, die sich der Popularphilosophie schlechthin zuwenden (vgl. S. 263). Diese Unterscheidung führt dazu, dass philosophische, philosophiehistorische, literatur- und kulturwissenschaftliche Arbeiten in eigentümlicher Folge erscheinen: Auf die Diagnose, Zimmerlis Gedanken zur Teil-Rehabilitierung der Popularphilosophie hätten "kein nennenswertes Echo" (S. 262) gefunden, folgt als Beleg Uedings philosophiehistorischer Überblicksartikel, dessen Anliegen deutlich ein anderes ist (vgl. ebd.). 19

So bleibt auch der abschließende Paragraph unbefriedigend, der das Anliegen der Popularphilosophie unter der Fragestellung zusammenzufassen sucht, ob es sich um eine abgeschlossene Geschichte oder um eine fortwirkende Problemstellung handele. Böhr unterscheidet drei Phasen der Debatte über Popularität als Programm und Problem in der Philosophie der deutschen Spätaufklärung: Der Definition "ex negativo" als Alternative zur Schulphilosophie folge die Problematisierung des Popularitätsanspruchs seit der Kant-Garve-Debatte und schließlich eine dritte Phase, die das Selbstverständnis der Popularphilosophie, aber auch deren Möglichkeiten und Grenzen, thematisiere (vgl. S. 272). Der Begriff "Popularphilosophie" erscheine erst in der dritten Phase (vgl. ebd.). Die Relevanz dieser Bemerkung bleibt etwas unklar: Hatte Böhr doch schon für Engels Philosoph für die Welt reklamiert, damit habe das Anliegen der Popularphilosophie eine "begriffliche Fassung" (S. 67) gewonnen.

3. Struktur und Methode:
Schwierigkeiten einer
"Geschichte der Popularphilosophie"

3.1 Probleme der
Argumentationsstruktur

Auf die Forschung zur Problemlage bezieht sich Böhr ausdrücklich erst im abschließenden Kapitel. Er begründet dies damit, dass die Popularphilosophie in ihrem zeitlichen Verlauf nachgezeichnet werden solle. Die Frage nach dem Popularitätsanspruch der Philosophie wirke fort; so sei die Popularphilosophie nun Thema der Philosophiegeschichtsschreibung geworden (vgl. S. 16). Die Forschung des 20. Jahrhunderts wird mithin zum Teil einer Rezeptionsgeschichte der Popularphilosophie oder des Problems der Popularität. Es gehe darum, "die Geschichte der Popularphilosophie von ihrer Entstehung im 18. Jahrhundert bis zu ihrer zeitgenössischen Bedeutung in der Philosophiegeschichtsschreibung heute zu skizzieren" (ebd.). Dies sucht zwei unterschiedliche Textgattungen unter einer undeutlich bestimmten Methode der Rezeptionsgeschichte zu fassen.

Als methodische Ursache dieses Defizits stellt sich die offenbar unklare Differenz von >Rezeption< und >Interpretation< heraus. Während es sich bei >Rezeption< um eine Aktualisierung bestimmter Textstrukturen durch den Leser handelt (zum gesamten Rezeptionsproblem ist in der neueren Forschung ein immenser Theorieaufwand betrieben worden), obliegt der >Interpretation<, die auf einer reflexiven Metaebene stattfindet, die methodisch ausgearbeitete Deutung von Texten. Die gegenwärtige Forschung zur Popularphilosophie (abgesehen von wenigen Beiträgen, die eine Weiterschreibung oder Aktualisierung historisch popularphilosophischer Probleme intendieren) wäre nur um den Preis einer Verkürzung ihrer szientifischen Anspruchshaltung als Beitrag zur >Rezeption< dieser Bewegung zu verstehen.

Versucht man aber, Böhrs Weg von der Begriffsgeschichte des Populären zu einer Rezeptionsgeschichte der Popularphilosophie mitzugehen, irritiert die Schwerpunktsetzung: Für eine Rezeptionsgeschichte zu knapp werden die Vertreter des deutschen Idealismus behandelt, deren negatives Urteil die weitere Rezeption der deutschen Popularphilosophie initiierte und vor allem entscheidend negativ prägte: Nur ein einziger Paragraph (§ 27) wird diesem elementaren Umschwung in der Bewertung der Popularphilosophie gewidmet. Hätte nicht gerade hier der Gang der Argumentation erläutert und die Identifizierung von Aufklärung und Popularphilosophie bei Hegel erklärt werden müssen? Sucht der deutsche Idealismus möglicherweise die Deutungshoheit gegen eine aufklärerische, auch gegen eine post-kantianische Philosophie, zu gewinnen?

Die Anreihung der jeweiligen Autoren im Sinne eines diachronen Schnitts erschließt sich nur in der chronologischen Ordnung. Vielleicht im Wissen um die Problematik einer solchen Reihung (die zeitübergreifende Systematiken nicht nachzuzeichnen imstande ist) durchbricht Böhr an einigen Stellen die Chronologie: Pölitz bezieht sich in seinen programmatischen Bemerkungen zur Popularphilosophie 1795 darauf, dass "einige, wirklich verdienstvolle und grosse Männer im Gebiete der Philosophie [...] diesem Ausdrukke [...] abgeneigt sind" (hier S. 114 f.). Die zeitliche Nähe legt den Verdacht nahe, dass sich Pölitz auf die Kritik aus den Reihen des deutschen Idealismus bezieht. Das spätere Kapitel IX, das die "fortdauernde" Kontroverse um die Popularphilosophie zu behandeln verspricht (und damit die Chronologie im Titel ankündigt), greift auf diese Kritik zurück. Ähnliches betrifft auch die Apologeten: In § 28 folgen die Argumente der Befürworter einer Popularphilosophie, nachdem in § 27 die zeitlich meist späteren und auf diese teils reagierenden Kritiker vorgestellt wurden. In § 29 schließlich werden Lexikoneinträge seit 1688 angeführt. Die durchbrochene Chronologie wird leider nicht durch eine Systematik ersetzt. Denn die systematische Ordnung, die Verweise, Bezüge und Weiterentwicklungen aufzeigt, erfordert geradezu eine Berücksichtigung der Argumentationsfolge.

3.2 Ein neuer Eklektizismus

Die Positionierung der Gegenwartsforschung am Ende einer Rezeptionsgeschichte bedingt ein weiteres Problem: Wesentliche Ergebnisse der bisherigen Forschung werden von Böhr nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in die Textanalyse einbezogen. Akute Probleme der Forschung bleiben so oft undiskutiert.

Riedel hat die Popularphilosophie unter anderem als Aktualisierung des thomasianischen Erbes eines praxisorientierten Philosophiebegriffs beschrieben. 20 Auch Schneiders verweist an mehreren einschlägigen Stellen auf die Tradition des Thomasius, auf die sich gegen Ende des Jahrhunderts auch Popularphilosophen selbst beziehen. 21 Bei Böhr fehlt nicht nur Thomasius' Bedeutung für die Popularisierung der Philosophie, viel gravierender: Es bleibt unklar, wieso er fehlt. Aus der Forschung hätten Selektionskriterien gewonnen werden können, doch bleibt undeutlich, welche Böhr anzulegen sucht. Auch weiterführende Hinweise fehlen oft: Wenn dargelegt wird, es gehe Schlegel um den Zusammenhang von Popularität und Publizität (S. 138), könnte dann nicht ein Hinweis auf Habermas' Strukturwandel der Öffentlichkeit eine breitere, soziologische Perspektive wenigstens andeuten? Dass Böhr auf solche Art Forschungsresultate ignoriert, erstaunt umso mehr, als er, wie das Forschungskapitel aufweist, große Teile der Forschung kennt. Nur bleibt diese Kenntnis ohne Folgen für Böhrs Quellenanalyse und Argumentation. 22

3.3 Zur Schwierigkeit
einer Begriffsgeschichte
der Popularphilosophie

>Popularphilosophie< kann sich historisch auf unterschiedliche Definitionskriterien beziehen: auf ein Thema des Philosophierens (das populär oder der Welt zugewandt sein müsse), auf ein Vorgehen oder eine Methode (die nachvollziehbar sein müsse), auf einen "Ort" des Philosophierens (außerhalb der universitären "Schule"), auf ein Zielpublikum (das größer ist als das herkömmliche), auf ein Sprachniveau (das verständlich sein und meist auch ästhetischen Ansprüchen genügen müsse), auf das angestrebte Ziel oder den angestrebten Nutzen (als praktisches Weltwissen), schließlich auch auf eine Stufe philosophischer Ausbildung (als Vorstufe zum richtigen, "schulgemäßen" Philosophieren). Böhr führt eine ganze Reihe von Definitionen und Bestimmungen auf, ohne deutlich zu machen, welche dieser genannten Aspekte er heuristisch als hinreichende Bedingungen der Popularphilosophie identifiziert.

Dass eine Begriffsgeschichte, die durch die Beschreibung sich ändernder Begriffsinhalte unterschiedliche Wahrnehmungsweisen der Wirklichkeit abzubilden sucht, defizitär bleibt, da sie eine diskursive Isolierung betreibt, ist zurecht kritisiert worden. 23 Dass sich soziale, künstlerische, politische, wissenschaftliche Gruppenbildungen über gemeinsame Semantiken konstituieren, bleibt dennoch unbestreitbar. Die Historie einzelner Disziplinen (oder binnendisziplinärer Entwicklungen) müsste mit einer Geschichte programmatischer Schlüsselbegriffe elementar verbunden werden. Doch kann man die Geschichte (und die Rezeptionsgeschichte) einer (mehr oder minder geschlossenen) Gruppe als Geschichte eines Begriffs schreiben, der dieser Gruppe postum und pejorativ zugeschrieben wurde? Wenn Böhr also zum Resümee gelangt, eine "Popularphilosophie schlechthin" (S. 274) gebe es nicht, stellt sich die Frage: Stellt ein zeitgenössisch nur halbwegs gemeinsames, aber a posteriori als überzeugend eingestuftes Merkmalsystem (hier: Kants) eine ausreichende Grundlage für die Beschreibung einer historischen Gruppe bereit?

Böhrs Monographie zur Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts ist eine der wenigen (und eine der vom Anspruch her umfassendsten) philosophiehistorischen Arbeiten zum Thema. Das wiederum birgt eine Chance. Denn von Germanisten, die sich bisher vorwiegend in Einzelstudien dem Thema zugewandt haben, kann kaum das notwendige Maß an philosophischem Verortungswissen erwartet werden. Aber dies ist auch eine Hürde: Denn die germanistischen und wissenschaftshistorischen Untersuchungen arbeiten mittlerweile mit einem expliziten methodischen Bewusstsein. Das verdankt sich auch der Tatsache, dass Germanisten sich dem Legitimationsproblem ihres Tuns, vor allem, wenn es sich außerhalb der Belletristik abspielt, zunehmend stellen. 24 Interdisziplinarität in Thema und Methode erweist sich als elementar notwendig.

Auch der Quellenbefund Böhrs scheint für eine methodische Erweiterung der Begriffsgeschichte zu sprechen: Es fällt auf, dass zahlreiche der angeführten Autoren ihre Position zum Problem der Popularphilosophie ändern: Dies trifft für Greiling zu, für Kant mit einigen Abstrichen, für Fichte, auch für Friedrich Schlegel. Sollte nicht gefragt werden, ob eine reine (gründliche) Wiedergabe der Begriffsdefinitionen ausreicht, wenn die jeweiligen Einzeltexte in spezifischen, prägenden Diskussionszusammenhängen stehen, die sie verändern und die ihre Argumente aufeinander beziehen und nicht auf das Definitionsproblem? Ging es den >Popularphilosophen< vielleicht weniger darum, sich ihrer selbst mithilfe einer logischen Abgrenzung zu versichern, als konkrete Themen in einem Kreis gleich und ähnlich Gesinnter anzugehen? Wer einen Beitrag zur Begriffsklärung von "Popularität" oder noch besser "Popularphilosophie" leistet, gilt für Böhr als Popularphilosoph und wird in die Geschichte der Popularphilosophie aufgenommen. So bleiben Autoren unbeachtet, die sich dem Problem der Gruppendefinition nicht gewidmet haben, aber am popularphilosophischen Bestreben dennoch aktiv mitarbeiteten: Es fällt auf, dass von Pölitz' Liste zeitgenössischer Popularphilosophen (vgl. S. 117) nur Garve umfangreicher behandelt wird, Eberhard, Platner, Feder, Reimarus, Herder und Tetens aber wenig beachtet werden. Abel wird nicht, Abbt nur an zwei Stellen erwähnt, Darjes erscheint nur ein einziges Mal.

In anderen Fällen rechnet Böhr Autoren zur aufklärerischen Popularphilosophie, denen ein dezidiert antiaufklärerisches Programm eignet: Leopold Alois Hoffmann wird als positives Beispiel für einen aufklärerisch-skeptischen Grundzug der Popularphilosophie angeführt (vgl. S. 204) – jener Hoffmann, der sich als Gegenaufklärer gerierte und zu fragwürdiger Berühmtheit kam.

Allein diese Zurechnungsschwierigkeiten könnten die Frage nahe legen, inwieweit von einer Gruppe der Popularphilosophen gesprochen werden kann. In welchem Verhältnis stehen thematische Nähen und Varianzen mit der Selbstkonstituierung als Gruppe in spezifischen Zentren? Wird die diskursive Gemengelage, der sich die Popularphilosophie verdankt und an der sie auch wieder neukonstruierend mitarbeitet, in der Gruppe homogen verarbeitet? Wären nicht Bachmann-Medicks Befunde, die auch auf der These des Gruppencharakters aufbauen, in erweiterter Verbindung mit den popularphilosophischen Traditionen zu bedenken, welche Riedel systematisierend am Beispiel Abel aufgezeigt hat? 25 So fehlen aufgrund von Böhrs Fokussierung auf die Begriffsgeschichte elementare Bestimmungsfaktoren der Popularphilosophie, andere bleiben unzureichend differenziert. Dies soll an einigen wenigen Beispielen demonstriert werden.

Popularphilosophie und Fiktion

Böhr sucht das Problem, wie Popularphilosophen mit den Möglichkeiten fiktionaler Darstellung umgehen, durch die Integration der Ästhetik in den Argumentationszusammenhang zu lösen. Offen bleibt aber die Frage, inwieweit moralphilosophische Themen etwa in Moralischen Wochenschriften als popularphilosophisch gelten können. Zwar lassen einerseits einige Beispiele Böhrs eine solche Zuweisung vermuten, doch spielen nur wenige Wochenschriften eine Rolle (vgl. S. 29 f.). Wenn diese Gattung mit Martens als "Vorläufer" (S. 256) der Popularphilosophie identifiziert wird, stellt sich die Frage nach der Abgrenzung, nach dem Status von Literatur und literarischen Formen der Philosophievermittlung. Die im übrigen kaum belegte These, dass in Engels Philosoph für die Welt die literarische Form der philosophischen Intention untergeordnet bleibe (S. 69), reduziert literarische Möglichkeiten bei Engel auf eine eindeutige, philosophische Didaxe – ungeachtet der Tatsache, dass in Engels Werk selbst, wie charakteristisch für die Zeit, die Literatur funktional erweitert wurde. Gegen Böhr und die Fixierung auf eine im Grunde binnenphilosophische Entwicklung wäre der Beitrag literarischer und essayistischer Formen zur Popularität philosophischer Thesen und Argumente zu stärken.

Popularphilosophie, Eklektik und empirische Verfahren

Am Rande weist Böhr auf den Zusammenhang von eklektischem Verfahren und Selbstzuschreibung der Popularphilosophie hin (vgl. S. 79, S. 91, S. 108, S. 120). Der anti-systemische, anti-wolffianische Anspruch der Popularphilosophie hinterlässt eine Lücke: Bei den Popularphilosophen tritt meist eine eklektische Mischung von vorwiegend empirisch-sensualistischen Ansätzen an die Stelle des Wolffschen Systems. Die Eklektik-Tradition, die etwa bei Garve auch das Selbstdenken zum Unterscheidungsmerkmal systematischer und populärer Philosophie macht, wird in der Forschung als zentrales Merkmal der Popularphilosophie angeführt – Böhr diskutiert diesen Punkt kaum. 26

Ähnliches gilt für die Rezeption des Empirismus: Allein die Tatsache, dass zahlreiche Übersetzungen von Werken des britischen Empirismus und Sensualismus aus der Feder von deutschen Popularphilosophen stammten, wäre schon ausreichend, um einen positiven Beitrag des Empirismus zur Konstitution der Popularphilosophie in Deutschland anzunehmen. 27 Die Einordnung in die Philosophiegeschichte bleibt somit fragmentarisch, obwohl sie sich an mehreren Stellen als notwendig erwiesen hätte (vgl. S. 246, S. 249). Hume und Shaftesbury erscheinen in Böhrs Geschichte der Popularphilosophie an nur zwei Stellen. Böhr zeigt auf der Ebene der Argumentationsführung eine Traditionslinie von Wolff zu Engel auf (S. 76 ff.). Locke und Baumgarten, die den empirischen Anteil zum Engelschen Beobachtungsprogramm beitragen, fehlen. Engels empirisches Modell variiert den britischen Empirismus mehr, als dass es eigene Akzente setzt. Letzteres könnte man angesichts von Böhrs Darstellung vermuten. Das Buch leidet mithin an fehlender Internationalität: Den aufklärerischen Diskurszusammenhang, der über Länder- und Sprachgrenzen hinausreicht, vermag es nicht nachzuzeichnen.

Popularphilosophie und Anthropologie

Dass sich Popularphilosophie und Anthropologie der Spätaufklärung elementar verbinden, wenn es um die Eruierung neuer Themenrelevanzen geht, hat die Forschung mittlerweile an einigen Stellen herausgearbeitet. Dass es sich bei dieser >Anthropologie< nicht um die Kantsche finalistische Philosophiestufe handelt (alle philosophischen Fragen liefen auf Anthropologie zu), aber auch nicht um die bloße Frage nach der Natur des Menschen, ist Anthropologieforschern mittlerweile klar. Böhr referiert allerdings meist unkritisch auf Kants pragmatische Anthropologie, die er mit dem Anspruch Kants, eine Philosophie für die Welt zu schreiben, verbindet. Ein undifferenzierter Anthropologiebegriff wird beständig impliziert (vgl. S. 32, 38 f., 42, 49, 51, 72, 75, 109 f., 115, 123, 126), der Anleihen bei Kant oder bei der philosophischen Anthropologie der Gegenwart tätigt, aber nicht bei dem anthropologischen Diskurs-Disziplinengemisch der deutschen Spätaufklärung.

Popularphilosophie und Politik

Auffällig ist die geringe Präsenz des politischen Argumentationskreises in Böhrs Darstellung. In der Forschung ist herausgearbeitet worden, dass zur Gruppenidentität der Popularphilosophen auch eine politische Wirkungsabsicht, wenigstens aber ein politisches Statement gehört. 28 Das Bürgertum benötigt offensichtlich eine verständliche Philosophie als Ratgeber in allen Lebensfragen. Dies ist nicht zuletzt ein Impuls für die Konjunktur moralphilosophisch-konkreter Handlungsanweisungen. Dieser politisch-emanzipatorische Aspekt, der zur Popularphilosophie der deutschen Spätaufklärung entscheidend beitrug, fehlt bei Böhr als Abgrenzungs- und Binnendifferenzierungsmerkmal: Die präsoziologisch-psychologische Dimension von Garves popularphilosophischen Schriften kommt genauso wenig zur Sprache wie die aufklärerisch-progredierende Engels.

Daher scheint die Einsetzung Kants an die erste Stelle der popularphilosophischen Reihe zwiespältig: Soll damit einer philosophischen Legitimierung des Bürgertums nachgeholfen werden, das sich, nun da Kant als einer der ihren bereits von der genuin bürgerlichen Popularphilosophie her identifiziert ist, auch auf eine qualitativ "hohe" Philosophie beziehen kann? Gerät die Breite der Popularphilosophie nicht aus dem Fokus der Forschung, wenn man Kant auch als Popularphilosophen institutionalisiert?

3.4 Populärer Stil

Böhrs Bemühen um verständlich-"populäre" Diktion und Argumentationsführung führt leider zu einigen vermeidbaren Redundanzen (vgl. S. 70, 137, 151 f., 160, 162, 185, 235). Diese resultieren partiell aus der sehr zitatreichen und ausführlichen Vorgehensweise. Für einen Leser, der die Materie nicht kennt, erweist sich das oft als hilfreich. Einen Leser, der Grundwissen über das 18. Jahrhundert und die Popularphilosophie besitzt, mag es manchmal ermüden. Denn mit den Gedankengängen der jeweiligen Autoren werden oft auch deren Redundanzen nachgezeichnet.

Es drängt sich der Eindruck auf, Böhr habe in Anverwandlung seines Untersuchungsobjekts selbst das Bestreben, >populär< zu schreiben. Dies hat zweifellos Vorteile, doch ersetzt es nicht den systematischen Blick auf den Text, der mit etwas weniger Popularität, aber etwas mehr analytischer Tiefe Redundanzen und Widersprüche, aber auch weitere Dimensionen der Popularphilosophie hätte aufzeigen können. Das Buch ist demnach mehr als eine Art Kompendium nutzbar. Es bietet kaum eine Analyse der die Popularphilosophie umtreibenden Fragestellungen und Probleme.

4. Resümee

Insgesamt bleibt ein zwiespältiger Eindruck. Böhr arbeitet quellennah thematisch-inhaltliche Defizite der Philosophiegeschichtsschreibung auf. Er legt eine materialreiche Studie vor, die sich intensiv der Auseinandersetzung mit einzelnen Texten zur Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts widmet und die grundlegende Argumente, vor allem auf der Basis der jeweiligen Begriffsbestimmungen, nachzuzeichnen sucht. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis, Personen- und Sachregister runden die Informationsmöglichkeiten ab.

Dennoch bleiben gravierende methodische Defizite ärgerlich: Böhrs Arbeit zeigt auch, dass man das vielschichtige Phänomen Popularphilosophie mit einer Begriffsgeschichte (und sei sie um eine unreflektierte Rezeptionsgeschichte ergänzt) nicht erfassen kann. Die in der Forschung kontrovers diskutierte Frage der Definition der Popularphilosophie vermag Böhr auch nahe an den Quellen nicht zu lösen. Damit kann denn auch die Hoffnung, sich seit einiger Zeit drängenden Fragen der Aufklärungsforschung über eine Geschichte der Popularphilosophie zu nähern, leider nicht eingelöst werden: Bewirkt die Ablösung des philosophischen Erkenntnisinteresses von der Allgemeinheit hin zu den "Hauptwahrheiten", 29 wie sie Reimarus propagiert, auch eine Abkehr vom aufklärerischen Ziel allgemeiner Vorurteilsdestruktion? Befindet sich die affirmative Popularphilosophie auf dem Weg zur Verhältnismäßigkeit der Aufklärung, die eine selektive Moral des Bürgertums predigt?

Diese Einwände und Leerstellen lassen weiterer Forschung Anknüpfungspunkte. Böhrs Geschichte der Popularphilosophie bietet hierzu verlässliche Quellenreferate. Doch sollte man die Frage stellen, ob nicht die Popularphilosophen der >zweiten< Reihe systematisierend in die diskursive Gemengelage der Zeit eingeordnet werden sollten, ehe man an die Forschung den Anspruch stellt, eine Geschichte der Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts zu schreiben.


Dr. Rainer Godel
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Anmerkungen

1 Direkte oder indirekte Zitate aus dem rezensierten Buch werden im Text in runden Klammern nachgewiesen.   zurück

2 Jacob Friedrich Abel: Schreiben an Herzog Carl Eugen von Württemberg über die Neugestaltung des Philosophieunterrichts auf der Solitude. Nebst einem >Entwurf zu einer Generalwissenschaft oder Philosophie des gesunden Verstandes zur Bildung des Geschmacks, des Herzens und der Vernunft<. 13. Dec. 1773. In: J. F. A. Eine Quellenedition zum Philosophieunterricht an der Stuttgarter Karlsschule (1773–1782). Hg. von Wolfgang Riedel. Würzburg: Königshausen & Neumann 1995, S. 15–23, hier S. 17.   zurück

3 Ebd.   zurück

4 Ebd., S. 21.   zurück

5 Vgl. Werner Schneiders: Die wahre Aufklärung. Zum Selbstverständnis der deutschen Aufklärung. Freiburg / München: Karl Alber 1974. Norbert Hinske hatte in seiner Rezension kritisiert, Schneiders habe ausschließlich popularphilosophische Schriften herangezogen. Auch dieser berechtigte kritische Einwand verdeutlicht den Stellenwert der Popularphilosophie für die Diskussion um die Aufklärung. Vgl. Norbert Hinske: Aufklärung über Aufklärung. Zu Werner Schneiders' Buch Die wahre Aufklärung. In: Studia Leibnitiana 8 (1976), S. 120–127, hier S. 123.   zurück

6 Vgl. Helmut Holzhey: Popularphilosophie. In: Joachim Ritter / Karlfried Gründer (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7: P-Q. Basel: Schwabe & Co. 1989, Sp. 1093–1100, hier Sp. 1093 f.   zurück

7 Der eigentliche Initiationspunkt der Popularphilosophie der deutschen Aufklärung bleibt leider unklar: Die "Begründung" einer popularen Aufklärungsphilosophie muss nach 1711 liegen, denn ein Artikel aus Addisons "Spectator" verkörpert laut Böhr ein aufklärerisches Anliegen, das zur "Begründung einer popularen Philosophie" führe (vgl. S. 29 f.). In der Überschrift des folgenden Kapitels ist aber schon von der "Erneuerung" der Popularphilosophie durch Ernesti 1754 die Rede (S. 30). Worin der Gründungsakt besteht, der zwischen der Ursache und dem Akt der Erneuerung liegen müsste, bleibt leider ausgespart.   zurück

8 Johann August Eberhard: [Vorläufige] Nachricht von dem Zweck und der Einrichtung dieses philosophischen Magazins, nebst einigen Betrachtungen über den gegenwärtigen Zustand der Philosophie in Deutschland. In: J. A. E. (Hg.): Philosophisches Magazin. Erster Band. Halle: Johann Jacob Gebauer 1789, S. 1–8, hier S. 3.   zurück

9 Eine Gliederung in Paragraphen mag bei Arbeiten aus der Logik und Erkenntnistheorie als Ausweis der argumentativen Folge sinntragend sein. Hier scheint sie mir überflüssig, zumal Böhr eine oft wenig explizite Argumentationslinie verfolgt.   zurück

10 Vgl. Ernst Theodor Voss: Nachwort. In: Johann Jakob Engel: Über Handlung, Gespräch und Erzählung. Faksimiliedruck der ersten Fassung von 1774 aus der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste. Hg. von E. Th. V. Stuttgart: Metzler 1964, S. 1*–171*; Alexander Košenina: Anthropologie und Schauspielkunst. Studien zur >eloquentia corporis< im 18. Jahrhundert (Theatron 11) Tübingen: Niemeyer 1995, S. 144 f.   zurück

11 "Die ersten Anfänge einer ausdrücklichen Diskussion über Popularität" (S. 52–87).   zurück

12 Vgl. Horst Dreitzel: Zur Entwicklung und Eigenart der >eklektischen Philosophie<. In: Zeitschrift für historische Forschung 18 (1991), S. 281–343, hier S. 291 f.; Doris Bachmann-Medick: Die ästhetische Ordnung des Handelns. Moralphilosophie und Ästhetik in der Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts. Stuttgart: Metzler 1987, S. 164 ff.   zurück

13 Die Forschung zur Garve-Kant-Kontroverse spielt für Böhrs Argumentation kaum eine Rolle: vgl. Claus Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie. Bürgerliches Individuum und Öffentlichkeit bei Christian Garve (Saarbrücker Beiträge zur Literaturwissenschaft 36) St. Ingbert: Röhrig 1992, S. 640 ff. u.a.   zurück

14 Bezeichnenderweise wird aus dem 11. Band der Reisebeschreibung zitiert, der erst 1796 publiziert wurde.   zurück

15 Die Einschätzung, es sei "kaum zu übersehen", dass Nicolai "das Grundanliegen der kritischen Philosophie nicht begriffen hat" (S. 104), reproduziert zeitgenössische wertende Urteile, die das Grundanliegen Nicolais verkennen.   zurück

16 Johann Christoph Greiling: Ideen zu einer künftigen Theorie der allgemeinen practischen Aufklärung. Leipzig: Siegfried Leberecht Crusius 1795, S. 38. Zit. im Orig. gesperrt.   zurück

17 Zit. nach: Immanuel Kants Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen. Zuerst hg. von Gottlob Benjamin Jäsche. Neu hg. von Walter Kinkel. 3. A. Leipzig: Meiner 1920, S. 53. Kursivierungen im Orig. gesperrt.   zurück

18 Vgl. Reinhard Brandt: Kritischer Kommentar zu Kants Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798) (Kant-Forschungen 10) Hamburg: Meiner 1999, S. 14 ff.   zurück

19 In Einzelfällen bedingt Böhrs begriffshistorische Perspektive, dass er Forschungstiteln nicht gerecht wird. Zu Schneiders Mendelssohn-Buch behauptet Böhr, dieser entwickele keinen Begriff der Popularphilosophie und sage nichts zur popularphilosophischen Problematik bei Mendelssohn (vgl. S. 257). Tatsächlich führt Schneider durchaus Aspekte von Mendelssohns Denken an, die popularphilosophisch genannt werden können – allerdings, da Mendelssohn selbst keine Definition von "Popularphilosophie" gibt, nur eine Summe von methodischen, motivischen und sprachlichen Aspekten. Vgl. Hans-Joachim Schneider: Moses Mendelssohns Anthropologie und Ästhetik. Zum Begriff der Popularphilosophie. Münster: Phil. Diss. 1970, S. 108 ff.   zurück

20 Vgl. Wolfgang Riedel: Weltweisheit als Menschenlehre. Das philosophische Profil von Schillers Lehrer Abel. In: Jacob Friedrich Abel (Anm. 2), S. 375–450, hier S. 406 f.   zurück

21 Vgl. u. a. Werner Schneiders: Zwischen Welt und Weisheit. Zur Verweltlichung der Philosophie in der frühen Moderne. In: Studia Leibnitiana 15 (1983), S. 2–18, hier S. 10 ff.   zurück

22 An einigen Stellen fehlt einschlägige Forschung. Unter Bezug auf eine 25 Jahre alte Monographie behauptet Böhr, der Zusammenhang Schillers mit der Popularphilosophie bleibe noch ein "offenes Problem" (S. 85). Böhr ignoriert hier neuere Forschungen, die mittlerweile Rezeptionslinien perspektiviert haben. Vgl. Wolfgang Riedel: Schiller und die popularphilosophische Tradition; in: Helmut Koopmann (Hg.): Schiller-Handbuch. Stuttgart: Kröner 1998, S. 155–166, schon Jost Hermand: Schillers Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung im Lichte der deutschen Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts. In: Publications of the Modern Language Association 79 (1964), S. 428–441. Ein ähnliches Beispiel ist die Bürger-Schiller-Debatte: In der Forschung ist bekannt, dass es sich hier nicht nur um eine isolierte Debatte zwischen zwei Protagonisten handelt, sondern dass es eine ganze Reihe weiterer zeitgenössischer Kritiken gab, die sich auch auf das Problem der Popularität bezogen. Vgl. Klaus F. Gille: Schillers Rezension Über Bürgers Gedichte im Lichte der zeitgenössischen Bürger-Kritik. In: Alexander von Bormann (Hg.): Wissen aus Erfahrungen. Werkbegriff und Interpretation heute. Festschrift für Herman Meyer zum 65. Geburtstag. Tübingen: Niemeyer 1976, S. 174–191.   zurück

23 Vgl. Dietrich Busse: Historische Semantik. Analyse eines Programms. Stuttgart: Klett-Cotta 1987, S. 11 ff.   zurück

24 Wenn sie das auch gerade im Umfeld der Popularphilosophie- und Anthropologieforschung auch nicht immer erfolgreich getan haben, wie Stöckmann deutlich macht. Vgl. Ingo Stöckmann: Traumleiber. Zur Evolution des Menschenwissens im 17. und 18. Jahrhundert. Mit einer Vorbemerkung zur literarischen Anthropologie. In: IASL 26 (2001). H. 2, S. 1–55, hier S. 4 f. und S. 11.   zurück

25 Vgl. Doris Bachmann-Medick (Anm. 12), S. 11 f. zur "Gruppe" der Popularphilosophen und Wolfgang Riedel (Anm. 20), v. a. S. 402 ff. Claus Altmayer hat zu Bachmann-Medicks Gruppen-These angemerkt, dies verdränge das Definitionsproblem. Vgl. Claus Altmayer (Anm. 13), S. 7 f.   zurück

26 Vgl. Wolfgang Riedel (Anm. 20), S. 412 ff., Claus Altmayer (Anm. 13), S. 639, Werner Schneiders: Hoffnung auf Vernunft. Aufklärungsphilosophie in Deutschland. Hamburg: Meiner 1990, S. 135. Die gegenteilige Meinung vertritt Michael Albrecht: Eklektik. Eine Begriffsgeschichte mit Hinweisen auf die Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte (Quaestiones 5). Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 1994, S. 597 et passim.   zurück

27 Vgl. u. a. Günter Gawlick, Lothar Kreimendahl: Hume in der deutschen Aufklärung. Umrisse einer Rezeptionsgeschichte (Forschungen und Materialien zur deutschen Aufklärung. Abteilung II, Band 4). Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 1987, Heiner F. Klemme (Hg.): Reception of the Scottish enlightenment in Germany. Six significant translations, 1755–1782. Bristol u. a.: Thoemmes Press 2000.   zurück

28 Vgl. Zwi Batscha: "Despotismus von jeder Art reizt zur Widersetzlichkeit". Die Französische Revolution in der deutschen Popularphilosophie. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1989, Harro Segeberg: Literarischer Jakobinismus in Deutschland. Theoretische und methodische Überlegungen zur Erforschung der radikalen Spätaufklärung"; in: Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften. 3. Deutsches Bürgertum und literarische Intelligenz. 1750–1800. Hg. von Bernd Lutz. Stuttgart: Metzler 1974, S. 509–568.   zurück

29 Vgl. Hermann Samuel Reimarus: Vernunftlehre. Nachdruck der ersten Auflage von 1756 mit fortlaufenden Hinweisen auf die Parallelen der dritten Auflage von 1766. Hg. von Frieder Lötzsch (Hermann Samuel Reimarus: Gesammelte Schriften). München: Hanser 1979, § 14, S. 15.   zurück