Hanuschek über Roček: Glanz und Elend des P.E.N

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Sven Hanuschek

falfischbauch
Roman Ročeks Geschichte
des österreichischen PEN-Clubs

  • Roman Roček: Glanz und Elend des P.E.N. Biographie eines literarischen Clubs. Wien u.a.: Böhlau Verlag 2000. 636 S. Geb. € 54,90.
    ISBN 3-205-99122-2.


In der Wiener Arbeiter-Zeitung erschien am 7. Juli 1951 die folgende Meldung:

Der Eskimodichter Kobuk traf auf Einladung des österreichischen P.E.N.-Zentrums in Wien ein. Der Autor ist Verfasser mehrerer Romane, die ihm einen beachtlichen Leserkreis gesichert haben. Wir erwähnen hier nur >Brennende Arktis< (Berlin, 1927 erschienen), >Kocholz< (Zürich, 1941 erschienen), den Schlittenhundroman >Heia Musch Musch<. Ferner wird seine grönländische Trilogie >Nordlicht über Iviktut< unter dem Titel >Of Ice and Men< von der Technicolor verfilmt. Außerdem hat er die Absicht, seine Stücke >Einsames Iglu< und >Verlassener Kajak< in Wien aufführen zu lassen.

Natürlich existiert Herr Kobuk nicht, wie in Roman Ročeks Geschichte des österreichischen PEN zu lesen ist, wurde die Meldung von Helmut Qualtinger und Hans Weigel lanciert, um sich über die Exklusivität von PEN lustig zu machen. Speziell die österreichische Geschichte des Clubs steckt voll wunderbarer Allfanzereien dieser Art, und im Anekdotischen liegt nicht der geringste Reiz der Institution PEN – und Roman Ročeks "Biographie" des Vereins. Zuerst ist hier also ein für das Feld Institutionengeschichte ungewöhnlich lesbares Werk anzuzeigen, ein Prachtband überdies: 636 groß und schön gesetzte, großzügig mit Fotografien illustrierte Seiten, ein Leinen gebundenes Buch mit Lesebändchen im enzyklopädischen Format, überdies durch mehrere Zuschüsse der öffentlichen Hand zu einem attraktiven Preis.

Schon das erste Anblättern wirft aber einige Fragen auf: Das Werk heißt Glanz und Elend des P.E.N. Biographie eines literarischen Clubs, nirgendwo die Einschränkung, dass sich Roček ja primär mit der österreichischen Ausgabe beschäftigt. Dann ist der Klappe zu entnehmen, der Verfasser sei "seit 1965 Mitglied" und habe "27 Jahre lang das Amt des Schatzmeisters" bekleidet. Es gibt die Redensart >blind wie ein Zeitzeuge<: Kann das einem Buch bekommen, auch wenn Roček zu erkennen gibt, das Problem sei ihm bewusst, er habe seine Meinungen durch Archivstudien objektiviert, er könne gerade durch seine Zeitzeugenschaft "das Gewicht einzelner Zeugnisse kritisch abschätzen" (S.15), der Leser werde es ihm danken, wenn er nicht alles im "Grau in Grau" (S.19) der Historiker male? Grau in Grau sieht ja wohl zuerst der Zeitzeuge, der, im Wal sitzend, den Wal beschreiben will.

eile mit feile | durch den fald 1
Synthetisierende, objektivierende Kapitel

Der österreichische PEN ist, wie jedes andere Landeszentrum auch, Teil des internationalen Dachverbandes. Roman Roček beschreibt im ersten Kapitel, wie es zur Gründung nicht nur der regionalen Gruppen, sondern der gesamten Institution gekommen ist, insofern ließe sich der unspezifizierte Titel wenigstens für den Anfang des Bandes rechtfertigen (insgesamt bleibt er dennoch Etikettenschwindel). Roček berichtet von den Gründern Catharine Amy Dawson-Scott, John Galsworthy und dem ersten Generalsekretär Hermon Ould anhand älterer gedruckter Darstellungen. Für das österreichische Proponentenkomitee weist er darauf hin, wie professionell deren Auswahl getroffen wurde: deren Mitglieder standen nicht nur, bevor es die PEN-Charta gab, für "Frieden, Freiheit, Versöhnung der Rassen, Weltanschauungen und Religionen", sie standen auch im öffentlichen Leben; als Journalisten konnten sie der Neugründung eine "gewisse Breitenwirkung" (S.38) verschaffen, der frühen Karl Krausschen Prägung der "Penbrüder" zum Trotz. Die ersten Präsidenten waren Raoul Auernheimer und Felix Salten. Anhand der Tagebücher verfolgt Roček, wie sich Arthur Schnitzler trotz seiner inneren Widerstände zum ersten Ehrenpräsidenten machen lässt, "contre coeur" (S.39); auch Schnitzlers wegen kann Roček vom "Glanz der Gründerjahre" sprechen.

Man kann immer wieder lesen, dieser frühe PEN zwischen den Kriegen sei lediglich ein Freundesclub gewesen, mit regelmäßigen Dinners, ein "Geselligkeitsverein" (S.41). Roček kann dieses Stereotyp für den österreichischen Club widerlegen: immerhin habe es sich um "Arbeitsessen" (S.43) gehandelt. In der Tat hatte dieser Club eine ungewöhnliche Frequenz: man traf sich nicht jährlich, sondern monatlich, dann, schon seit Ende 1924, mit Ausnahme der Sommermonate sogar wöchentlich zu Lesungen und Vorträgen bei einer Wiener Teejause. Roček weist auch darauf hin, dass die Maxime "no politics" immer nur in einem eingeschränkten Sinn galt: keine "Tages- oder Parteipolitik" (S.44). Der österreichische Club habe auch zu dieser frühen Zeit durchaus schon Kulturpolitik betrieben und sich für allgemeine humanistische Ziele eingesetzt; mit Lajos Hatvany hat der österreichische PEN sogar einen Fall des Engagements für Writers in Prison lange vor der Gründung dieses Komitees in den frühen 60er Jahren zu bieten (S.63–69). Auf dem ersten internationalen Kongreß in Wien, im Juni 1929, wurde an die Regierungen appelliert, die Zensur abzuschaffen und die Schutzfrist von Werken der Kunst von damals 30 auf 50 Jahre anzuheben (S.81).

Ähnlich zügig bändigt Roček den Stoff der folgenden Kapitel. Er beschreibt die "Scheidung der Geister" (S.124), die Versuche österreichischer Anhänger der deutschen Nationalsozialisten, zuvörderst Grete von Urbanitzkys, das Zentrum schon vor 1938 zu einem gleichgeschalteten zu machen. Urbanitzky ist ein ähnlicher Fall wie Nolde oder Benn, Künstler, die sich einiges von den Nazis erwarteten, von denen die umgekehrt aber nichts wissen wollten – Urbanitzkys Romane galten als schwülstig, anzüglich und damit >dekadent<, sie konnte keine Karriere machen im >Dritten Reich<. Eindringlich beschreibt Roček die "Hilflosigkeit der Intellektuellen vor dem Ungeist der Zeit" (S.115). Eine gewisse Geschicklichkeit billigt er noch der Leitung internationaler Kongresse zu, insbesondere dem internationalen PEN-Präsidenten Herbert George Wells. Auf dem Kongress in Dubrovnik 1933 erwies er der gleichgeschalteten deutschen PEN-Delegation eine schier unendliche Kompromissbereitschaft, um letztlich anschaulich zu machen, "wie wenig Gesprächsbereitschaft diese Delegation eigentlich zeigt" (S.128) – erfolgreich, die deutsche Delegation verließ unter Protest den Saal, der Club wurde ausgeschlossen.

Der österreichischen Regierung gelang es noch vor dem >finis austriae< 1938, den PEN "auszuhungern" (S.155), er galt als linkslastig oder als Journalistenverein (S.149). Nach 1938 schlossen sich viele österreichische Intellektuelle dem deutschen PEN im Exil an, gründeten dann in London einen eigenen Austrian PEN. Roček beschreibt die Flügelkämpfe innerhalb dieser Zentren sowie einzelne Emigrantenschicksale, darunter von Rudolf Olden, Stefan Zweig, Franz Theodor Csokor, Friedrich Torberg, Hermann Broch, Sigmund Freud. Immer wieder zeigt sich die Wichtigkeit Robert Neumanns; er ist einer der wenigen Schriftsteller, die sich umstellen und ihre Romane in Englisch schreiben konnten. Er hatte in London alle wichtige Verbindungen, konnte vielen Exilanten helfen, und er blieb auch nach Kriegsende der entscheidende Mann für die Wiedererrichtung des österreichischen PEN in Wien.

Das Nachkriegs-Durcheinander lässt Roček an "Agenten irgendeines Geheimdienstes" glauben, die planmäßig die Neugründer Csokor und Alexander Sacher-Masoch brüskierten. Der Kalte Krieg warf seine Schatten voraus, insofern hat die Mutmaßung einiges für sich: "alles, was östlich von Wien war, wird als kommunistisch eingestuft." (S.255) 1947 auf dem internationalen Kongreß in Zürich wurde der wiedererrichtete Club anerkannt, der erste "außenpolitische Erfolg unseres Landes seit Kriegsende", wie Sacher-Masoch wohl zu Recht konstatierte (S.263).

Der österreichische Nachkriegs-PEN ist so wenig spektakulär wie andere Clubs in dieser Zeit. Es gibt das übliche Ineinander von "privaten Interessen und dienstlichen Obliegenheiten" (S.279), das PEN-Büro ist ein Zimmer in der Wohnung der Generalsekretärin Erika Hanel, das sie hochoffiziell an ihre Arbeitgeber vermietet hat und dem sie die Miete zeitweilig stunden muss. Der Club hat sich mit der NS-Vergangenheit neugewählter Mitglieder herumzuschlagen (Nadler, Kindermann), seine kulturpolitischen Aktivitäten sind mäßig, aber nicht unwichtig: Der PEN organisiert das erste Konzert mit Werken Gustav Mahlers nach dem Krieg, kümmert sich sehr viel stärker als die deutschen Zentren um die >Heimholung< der "vertriebenen und ausgemordeten Literatur" des Exils (S.292). Der österreichische PEN-Präsident Csokor schlägt Hermann Broch für den Nobelpreis vor und lädt Leo Perutz, Max Brod und viele andere zu Lesungen nach Wien ein – Roček zählt in den ersten sechs Jahren des wiedererrichteten Zentrums eine Veranstaltung pro Monat.

1955 ziehen die Besatzungsmächte aus Wien ab, ein weiterer internationaler Kongreß findet hier statt, die österreichischen Schriftsteller setzen sich besonders für die 1956 in Ungarn inhaftierten Kollegen ein. Die Grabenkämpfe des Kalten Krieges haben eher noch zugenommen, von den drei Kommunisten im Club werden zwei – Hugo Huppert und Bruno Frei – hinausgeworfen, an den Berufspolitiker Ernst Fischer traut man sich nicht heran. Hier ist Ročeks Recherche besonders ergiebig gewesen: Nachdem die Unterlagen im PEN-Archiv vermutlich wegen übergroßer Peinlichkeit entfernt wurden, ist der Verfasser auf dem Autographenmarkt fündig geworden.

Roček gelingt es in diesen Kapiteln meistens, Distanz zum Gegenstand zu halten. Es gibt nur wenige kulturkritische Rodomontaden etwa gegen das Schengener Abkommen, einen Vergleich zwischen der NS- und der 68er-Kritik am PEN oder polemische Bemerkungen gegen Hilde Spiel, die aus der Chronologie springen und die man an den Stellen, wo sie stehen, nicht wirklich wissen will (vielleicht in einer Tageszeitung). Breit recherchiertes, überwiegend schon gedrucktes Material ist insgesamt anschaulich komprimiert, Kontinuität und Gruppendynamik des Clubs werden anschaulich. Gelegentliche Austriazismen geben dem Text eher Farbe, als zu stören ("Ould war ein ganz Bedächtiger", S.171; "Csokor ist fahrig und schaut schlecht aus", S.379).

durch die füste | bläst der find
Kapitel aus großer Nähe

Leider unterscheiden sich die beiden letzten Kapitel – vor einem Schlusswort des aktuellen österreichischen PEN-Präsidenten Wolfgang Georg Fischer zur heutigen Situation – von den ersten sechs Kapiteln erheblich. Hier verteidigt einer seine Positionen der Vergangenheit und die seiner Geistesheroen, vor allem Lernet-Holenia ist zu nennen, den Roček herausgegeben und über den er die Biographie Die neun Leben des Alexander Lernet-Holenia (1997), ebenfalls bei Böhlau, publiziert hat.

Seit 1965 ist Roček Mitglied des Clubs, unübersehbar auf den Tagungsfotos dieser Kapitel: 59 sind es, er ist 15 Mal abgebildet, also auf einem Viertel; Hilde Spiel ist nur ein Mal vertreten. Roček kann plausibel machen, dass die "Schwellenzeit" (S.401) 1968 auch eine für den österreichischen PEN war: 1966 wurde Hilde Spiel zur Generalsekretärin gewählt, als Nachfolgerin der verstorbenen Erika Hanel. Sie war sieben Jahre lang eine ähnlich starke Figur wie vorher Robert Neumann, ihm ähnlich auch in der zeitweiligen Undurchschaubarkeit ihrer Positionen. Ästhetisch konnte sie sich nicht "zwischen den extremen Positionen eines engagierten Schreibens und reiner Poesie" (S.405) entscheiden, und Roček sieht ein ähnliches Verhalten in ihrem politischen Handeln, ein

unablässiges Taktieren, die Geschwindigkeit, mit der sie Positionen einnahm und wieder aufgab und wahrlich nicht immer aus Überzeugung, sondern im Hinblick auf deren möglichen Nutzeffekt und ihre Durchsetzbarkeit. (S.414f.)

Roček hält dieser PEN-Phase aber ein "Ineinander von Apollinischem und Dionysischem" zugute, das sich etwa in Spiels Versessenheit auf die Musik der Beatles geäußert hat. Sie hat die ersten LPs aus London mitgebracht:

Voll manischer Besessenheit werden sie immer wieder abgespielt, und es wird nach den hämmernden Rhythmen getanzt. So oft eine neue Single erscheint, ruft Hilde uns zusammen. [...] Schade, daß die Beatles nie erfahren werden, daß der Österreichische P.E.N.-Club zu ihren frühesten Verehrern zählt. (S.416).

Spiel hat sich allmählich den Experimentellen der Wiener Gruppe, dann der Grazer Autorenversammlung angenähert; Roček war wohl anfänglich ebenfalls fasziniert, in seiner PEN-Geschichte macht er den neuen Richtungen verdrossene Vorwürfe. Er findet die Alternativen "wenig fruchtbar", schreibt vom "Jonglieren mit isolierten, ins Extrem getriebenen Begriffen" und fragt: "Was ist denn schon so neu an diesen avantgardistischen Regressionen?" (S.406) Der "Dogmatismus der meisten Vertreter der Avantgarde" verenge sich "auf die Technik des Überrumpelns, des Überraschens, der methodisch dosierten Anarchie." (S.407) Aus dieser skeptischen Grundhaltung heraus beschreibt er den jahrzehntelangen Streit zwischen den Grazern und dem PEN.

Ein Gipfelpunkt dieses Streits war sicher die Böllbeschimpfung Alexander Lernet-Holenias. Als Böll während seiner Präsidentschaft im Internationalen PEN der Nobelpreis zugesprochen wurde und er ihn auch annahm, hielt Lernet-Holenia ihn für unglaubwürdig und korrupt, trat vom Präsidentenamt des österreichischen Clubs ab und aus dem PEN aus. Er wollte

das Nobelpreis-Komitee in Stockholm mit allem Nachdruck desavouieren. Wenn den Herren dort die Ideale des Ostens so sehr passen, so sollen sie doch endlich dorthin emigrieren, wo diese Ideale mehr geschätzt werden als bei uns. (Lernet-Holenia, S.447)

In einer Resolution Ernst Jandls, von anderen prominenten österreichischen Autoren außerhalb des PEN mitunterzeichnet, wird daraufhin die Zusammensetzung des österreichischen Clubs als eine "Schande für den internationalen P.E.N.-Club und eine Schande für Österreich" bezeichnet (S.450).

Roček versucht, in einer überaus subtilen Lernet-Holenia-Deutung nachzuweisen, dass der mit den "Idealen des Ostens" tatsächlich "die des Westens" gemeint habe: "Man prügelt den Hund und meint den Herrn." (S.448) Das klingt bei Roček nicht ganz so abstrus wie hier in der Verkürzung, immerhin hat Lernet-Holenia 1968 den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die CSSR als einen Akt der Friedenserhaltung verteidigt und dafür ähnlich viel Unverständnis geerntet ("alter Tepp" soll ihn in diesem Zusammenhang Friedrich Torberg genannt haben, S.444). Ohne diese Zusammenhänge muss aber Lernet-Holenias Erklärung einfach wie die eines unversöhnlichen Kalten Kriegers geklungen haben (oder einfach eines Wirrkopfs).

Dieser Dissens-Gipfel ist umgeben von Intrigen, Missgunst, rüden Gebärden zwischen dem österreichischen PEN und den Grazern, seit 1973 der Grazer Autorenversammlung (GAV). Die Grazer hatten dem PEN kollektiv beitreten wollen oder gar nicht; nachdem der Club sich weigerte, seine Verbandsregeln zu ändern, die sprachfernen Aktionisten gar nicht aufnehmen wollte, blieb es beim Dauerstreit. Roček wehrt sich gegen die ewige Zuschreibung des PEN als reaktionär und der Grazer als progressiv, hier sei deren Öffentlichkeitsarbeit eben besser gewesen. Auf Gesprächsangebote des PEN hätten die Grazer nicht reagiert, vom Ruf des >Anti-PEN< aber durchaus gezehrt; die Finanzen des Clubs, an denen die Grazer partizipieren wollten, hätten nie in nennenswertem Umfang existiert (in der Tat sind regionale PEN-Zentren immer nur bescheiden bezuschusst worden). Bei allen berechtigten Klagen schlägt Roček gelegentlich über die Stränge, etwa wenn er Hilde Spiels Versuche, den Grazern zu einer offiziell anerkannten zweiten österreichischen PEN-Gruppe zu verhelfen, direkt mit Urbanitzkys Aktionen nach 1933 vergleicht (S.494), vom "Terrorismus der literarischen Moden und Methoden", der "Herrschaft von Privatstilen" spricht (S.540), "Verantwortungslosigkeit" attestiert (S.538) oder konkreter Poesie bescheinigt, sie verdecke durch "das formalistische Spielen mit Sprache das Lebenskontinuum" (S.549).

Zweifellos war die Auseinandersetzung ein "Machtkampf" (S.508) unterschiedlicher literarischer Fraktionen, den die Grazer PEN-intern verloren haben – ihre Gruppe wurde auf den internationalen Kongressen definitiv nicht anerkannt –, im Kampf um Bundesmittel und um Reputation in den Medien aber gewonnen haben, mag sein auch durch den "Werbeeffekt der P.E.N.-Beschimpfung" (S.534). Auf seiten der Grazer ist von der Auseinandersetzung zuletzt übriggeblieben, dass sie dekretierten, die Mitgliedschaft in der GAV schließe die im PEN aus – eine Art "Arierparagraph" (Peter von Tramin, S.542). Das Fatale an der Auseinandersetzung und auch an Ročeks Darstellung ist aber, dass Schriftsteller politische Gegner offensichtlich auch ästhetisch nicht gelten lassen können; wes' Meinung mir nicht passt, des' Werk muss dann auch schlecht sein. Möglicherweise sind aber alle Ästhetiken einer Zeit gleich unmittelbar zu Gott, wenn schon nicht zum Publikum und auch nicht gleich haltbar.

Fazit: auf den fellen | feiter meere

Seit 1975 konsolidierte sich der österreichische PEN; am Schluss zählt Roček komprimiert die Verdienste des Clubs auf, zum einen in den Aktivitäten, die die Charta vorgibt, zum anderen als Veranstalter kultureller Ereignisse. Als größte Leistung sieht Roček die Vorreiterrolle des PEN auf dem Gebiet der >Heimholung< von Exilliteratur (S.552), die Pflege von Musil, Kafka, Broch, auch Gustav Mahler. Tatsächlich ist der österreichische Club hier sehr viel aktiver gewesen als benachbarte Zentren.

In den Proportionen ist Ročeks Biographie eines literarischen Clubs gelungen, die Hervorhebungen einzelner Ereignisse sind nachvollzieh-, seine persönlichen Wertungen und Reflexionen manches Mal verzichtbar. Als Geschichte einer Institution Intellektueller hätte man sich hin und wieder die Entscheidungsfindungen innerhalb des Clubs weniger summarisch und nur von ihren Ergebnissen her dargestellt, etwas konkreter gewünscht. Angesichts des Umfangs zeigt sich hier aber wohl eher das Unmögliche eines solchen Werks – einer Institution dieses Umfangs kann man kaum gerecht werden, nur einer mehr oder minder zufälligen, subjektiven oder der Quellenlage geschuldeten Auswahl einzelner Vertreter, beim PEN in der Regel Figuren aus dem Vorstand. Insofern können wir uns bei Roček nur für die Sisyphus-Arbeit bedanken.


Dr. Sven Hanuschek
Institut für deutsche Philologie
Schellingstraße 3
D-80799 München

Ins Netz gestellt am 09.04.2002
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Anmerkungen

1 Die Überschriften benutzen Verse aus Ernst Jandls Gedicht etüde in f.   zurück