Jahraus über Zima: Theorie des Subjekts

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Oliver Jahraus

Nicht totzukriegen: Subjekt und Subjektivität überleben auch noch die Postmoderne

  • Peter V. Zima: Theorie des Subjekts. Subjektivität und Identität zwischen Moderne und Postmoderne. (UTB 2176) Tübingen u. Basel: Francke 2000. 468 S. Kart. DM 39,80.
    ISBN 3-8252-2176-8.


Der Tod des Subjekts belebt die Subjektivitätsdebatte

Dass der Tod nicht das Ende der Geschichte bedeuten muss, wird auf geradezu symptomatische Weise durch das Subjekt und seine Geschichte von der Moderne bis zur Postmoderne und gar noch darüber hinaus exemplifiziert. Und die Gründe hierfür zeigt uns die groß angelegte Studie von Peter V. Zima; und sie zeigt noch mehr: Denn gerade die Rede vom Tod oder zumindest vom Verschwinden des Subjekts wird als eine diskursive Umbruchstelle durchschaubar, über die hinweg das Subjekt und somit die Subjektivitätsdiskussion in eine neue Phase der philosophischen, der literarischen, der ästhetischen, aber auch der psychologischen und soziologischen Funktionalisierung eingetreten ist. Man könnte sogar sagen, daß erst der Tod des Subjekts die Geschichte des Subjekts so konturiert hat, dass in der weiteren und gegenwärtigen Entwicklung nicht nur die Bedingungen der Möglichkeit von Subjektivität, sondern auch die Notwendigkeit, ein Subjekt vorauszusetzen und anzunehmen, in den verschiedensten Kontexten zutage getreten sind.

Doch der Umschlag vom Tod ins Fortbestehen ist nur die historische Ausformulierung für einen Sachverhalt, der das Subjekt systematisch charakterisiert, dass nämlich das Subjekt zugleich notwendig und unmöglich sei. Mit diesen Worten Jacques Derridas, die das entscheidende Spannungsverhältnis ausdrücken, beginnt Peter V. Zima seine "Theorie des Subjekts". Dieses Spannungsverhältnis zwischen Unmöglichkeit und Notwendigkeit, zwischen Verwerfung und Unabdingbarkeit, zwischen Unterwerfung und Freiheit (S.357) im Subjektbegriff ist zugleich das Prinzip, das die gesamte Subjektvitätsdebatte, die Zima äußerst detail- und kenntnisreich aufrollt, strukturiert. Wo Zima in der Rekonstruktion dieser Debatte sowohl moderne und modernistische Positionen, die am Subjekt festhalten und seine Unverzichtbarkeit herausstellen, als auch postmoderne Positionen, die das Subjekt radikal kritisieren bzw. sogar gänzlich verabschieden, vorführt (S.31), zeigt er, wie die Debatte sich selbst nach jenem Prinzip entfaltet, das dem Subjektbegriff selbst unterstellt werden muß: sowohl im Subjekt als auch in der Debatte darüber verbinden sich Unmöglichkeit und Notwendigkeit konstitutiv miteinander.

Wie Theorie und Geschichte des Subjekts zusammenhängen

Von daher sagt der Titel, zwar prägnant gewählt, eigentlich zu wenig — und zwar sowohl historisch als auch systematisch. Denn Zima liefert nicht nur eine Theorie, sondern auch eine Geschichte des Subjekts. Und Zima rekonstruiert dabei wiederum nicht nur Theorien des Subjekts, sondern steuert auch auf eine eigenständige Position in dieser Debatte, auf eine eigene "Theorie des Subjekts" zu. Das Buch ist also nicht nur Subjektgeschichte, sondern auch systematisches Kompendium, es ist nicht nur Rekonstruktion, sondern auch Konstruktion; Zima führt uns nicht nur einen beeindruckenden Reigen an Subjektivitätsdenkern von Descartes bis zu Touraine vor, sondern situiert sich selbst in diesem Feld mit einer bemerkenswerten Position, auf die ich noch zu sprechen komme. Sie ergibt sich nahezu zwangsläufig aus Zimas eigener Rekonstruktionsarbeit und wirkt daher keineswegs aufgesetzt, auch wenn ihr Zima ein eigenes, das fünfte und letzte, Kapitel seines Buches widmet.

Hat man sich erst einmal die Besonderheiten der Debatte vergegenwärtigt, kann man erkennen, was sich vielleicht bei einer allzu objektivistischen Leseweise des Buches zunächst verschließt. Diese Besonderheit ließe sich als Denkprinzip begreifen, das man so formulieren könnte: Wer über das Subjekt nachdenkt, kann gar nicht anders als die Frage nach sich selbst stellen, also danach, inwiefern er sich selbst als Subjekt begreifen muß und will, wenn er oder sie (und auch das Geschlecht mag einen Unterschied machen; Zima selbst geht ausführlich auf die Subjektivitätskonzpte der gender studies ein) über das Subjekt nachdenkt. So könnte man die Unumgänglichkeit des Subjekts auch auf folgende Formel bringen: Wer über das Subjekt reflektiert, reflektiert sich als Subjekt. Zima trägt diesem Sachverhalt durchaus Rechnung, wenn er in seine Theorie des Subjekts immer auch die Frage nach dem "Subjekt der Theorie" mit einbezieht (S.25 ff.). Diese Frage zielt nicht nur auf die Historizität oder allgemeine Bedingungen der Möglichkeit von Subjektivität, sondern insbesondere auch auf "die gesellschaftliche und sprachliche Bedingtheit der eigenen Subjektivität" (S.25), die sich in der Restriktion gerade als konstitutiv erweist und somit wiederum das Prinzip von Subjektivität wiederholt.

Damit wird nicht nur die Autoreflexivität als konstitutives Prinzip der Subjektivität ausgedrückt (M. Frank; S.377), es zeigt auch den eigentlichen Zusammenhang von Theorie und Geschichte des Subjekts. Wie andere Stimmen aus der Debatte, die insbesondere im deutschen Idealismus wurzeln und auf die Zima nur am Rande eingeht, wie z.B. Henrich oder Ebeling, ist auch für Zima das Subjekt überhaupt erst die Grundlage jeglicher Reflexion. Zu Beginn jeder Reflexion steht daher die Autoreflexion über das Subjekt, die immer zugleich Autoreflexion des Subjekts ist. In dieser Autoreflexion erfährt oder (aktiver gesprochen) reflektiert sich das Subjekt immer auch als geschichtliches Subjekt. Insofern ist der Begriff >Subjekt der Geschichte< gleichermaßen sowohl als genitivus objectivus wie auch als genitivus subiectivus (wie auch anders!) zu verstehen. Das Subjekt in der Geschichte ist immer zugleich mit der Geschichte des Subjekts dialektisch vermittelt. Die Erfahrung des Subjekts (wiederum in beiden Lesarten!) ist also eine konstitutiv historische. Doch im gleichen Atemzug muß man diese Position auch wieder differenzieren, denn es geht Zima keineswegs um einen Hegelianischen Geschichtsbegriff oder um ein idealistisches, transzendentales Subjektkonzept — im Gegenteil: Interessant wird die Geschichte (nicht nur für Zima) dort, wo sie eine Entwicklung der Auflösung des Subjekts zeitigt, und das Subjekt versteht Zima vielmehr auch als Einheit mit seiner eigenen Verwerfung.

Von besonderer Bedeutung ist deswegen jene Geschichte, die sich um den Tod des Subjekts herum gruppiert, den Zima nicht nur in der Postmoderne situiert, sondern der — als Diskursformation — geradezu die Postmoderne charakterisiert. Es geht also um die modernen Bedingungen des Subjekts und seine Überlebenschancen in einer nachmodernen Zeit, die nicht nur nach der Moderne, sondern auch nach der Postmoderne kommt. Dass hier wiederum auch diese historische Konstellation zur Verdeutlichung der Subjektgeschichte beiträgt, zeigt den engen und dialektisch konstitutiven Zusammenhang zwischen beiden Sphären. So kann Zimas vorliegendes Buch eng an sein (ebenfalls bei UTB) vorausgehendes Taschenbuch "Moderne/Postmoderne" anschließen. Man könnte soweit gehen, hier von zwei Seiten ein und derselben Medaille zu sprechen: Geschichte und Theorie des Subjekts! Nebenbei bemerkt: Die Theorie des Subjekts ist bereits die fünfte Taschenbuchmonographie von Zima, die bei UTB veröffentlicht wird (nach Literarische Ästhetik, Dekonstruktion, Komparatistik). Alle diese Monographien sind in einem engen denkgeschichtlichen Kontext situiert, die nicht zuletzt mit der Verklammerung von "Moderne/Postmoderne" historisch bezeichnet werden.

Das Subjekt zwischen Zugrundeliegendem und Unterworfenem

Zimas Buch besteht aus fünf Kapiteln: Im ersten Kapitel wird der gegenwärtige Diskussionsstand dargelegt und die Ausgangssituation eines Diskurses über das Subjekt offengelegt, der zwischen den Spannungsmomenten von Unmöglichkeit und Notwendigkeit steht. Die folgenden drei Kapitel (II-IV) stellen die eigentliche historische Rekonstruktion dar, die insgesamt einem chronologischen Spannungsbogen — wie gesagt — von Descartes bis Touraine folgt, aber jeweils eigene disziplinäre Schwerpunkte in Philosophie (II), Psychologie (III) und Soziologie (IV) und zudem thematische Schwerpunkte in der Subjektivität des Subjekts (II), im Zerfall des Subjekts (III) und in der Dialektik zwischen individueller und gesellschaftlicher Subjektivität (IV) setzt. Der gesamte Komplex dreht sich leitmotivisch um eine Frage: Was und warum ist das Subjekt?, bevor dann das fünfte Kapitel Zimas eigene Antwort formuliert.

Systematisch gesehen, ist das Subjekt zunächst einmal die Paradoxie einer Unvereinbarkeit, die sich schon in seinem zweideutigen Namen symptomatisch bemerkbar macht: sub-iectum, hypokeimenon (S.193, 357). Es wird einerseits als Zugrundeliegendes, gar als fundamentum inconcussum, so könnte man Descartes zitieren, gedacht, andererseits aber auch als Unterworfenes, und zwar intrikaterweise gerade dem unterworfen, dem es auf der anderen Seite als zugrundeliegend, ja als konstitutiv unter-stellt wurde. Im Grunde genommen ist dies eine reine Paradoxie, die, wie Zima zeigt, immer dann in der Subjektivitätsdebatte aporetisch wird, wenn eine Seite verabsolutiert wird. Denn unter solchen Voraussetzungen wird das Subjekt entdynamisiert und damit aus seiner Geschichte herausgenommen, so daß es zu einer starren Ideologie gerinnt. Zima zufolge verfällt die Subjektivitätsdebatte immer dann in solche Ideologien, wenn das Subjekt absolut als konstitutive Kraft oder aber als absolute epiphänomenale Bedingtheit anderer Bereiche gedacht wird. Ideologisch in diesem Sinne ist eigentlich immer nur die Aporie. Ihr Gegenteil besteht darin, das Subjekt immer auch als seine eigene Geschichte zu verstehen. Daraus ergibt sich allerdings die Verpflichtung, die Zima nachdrücklich bestätigt, das Subjekt als Prozess zu begreifen, indem die starren paradoxalen Gegensätze aufgelöst und dialektisch miteinander vermittelt werden.

Historisch gesehen, ist das Subjekt der Name für ein kolossales und kolossal neues Begründungsunternehmen für den Menschen. Subjekt — das ist der Name dafür, dass der Mensch sich als Reflexionsinstanz erfährt, dessen eigene Begründung durch keine einzige Instanz außerhalb seiner selbst, sondern nur durch sich selbst, also eben seine eigene Reflexion begründet wird. Die Idee ist atemberaubend: Das Subjekt, das keiner anderen als seiner eigenen Reflexion, seiner Autoreflexion, bedarf, um sich zu begründen, kann gerade deswegen alles andere begründen und — in einer gewaltigen kopernikanischen Wende — eine neue — subjektive — Welt entstehen lassen. Und das Subjekt begründet diese Welt, indem es nichts anderes tut, als was es konstitutiv ohnehin tun muß: reflektieren. Die Welt wird quasi nebenbei im Zuge der Selbstbegründung (Autoreflexion) mitbegründet. So weit, so gut.

Doch dieses Unternehmen trägt das Verfalls- und Zerfallsmoment schon in sich. Denn als sich die deutschen Idealisten, nach Kant insbesondere Fichte und Hegel, daran machen, das Unternehmen auszuformulieren, schleicht sich in die Formulierung bereits ihre Aufhebung ein. Auch wenn Zima darauf nicht ausdrücklich hinweist, müßte man gerade dieses Moment der Formulierung, also des sprachlichen Ausdrucks des Subjekts (wiederum genitivus obiectivus und subiectivus zugleich) besonders hervorheben. Fichte hatte noch geglaubt, es handele sich hier um ein Problem der Darstellung. Doch selbst in seinen wiederholten Versuchen, in seinen immer wieder neuen Ansätze, die "Wissenschaftslehre" schlechthin zu schreiben, ist es ihm nicht gelungen, das Problem zu lösen. Mit Zima kann man auch sagen, warum es ihm nicht gelungen ist. Denn dieser Versuch war immer noch der Idee eines Subjekts als fundamentum verpflichtet. Mit dem, was Zima — nun allerdings auch nicht als erster — offenlegt, könnte man sagen, daß das Problem der Darstellung des Subjekts eben vom Subjekt selbst nicht unabhängig ist. Es ist geradezu symptomatisch, daß die Darstellung des Subjekts die Abhängigkeit des Subjekts von seiner Darstellung evoziert. So kann Zima aber dennoch eindrucksvoll zeigen, wie die Darstellung des Subjekts als Zugrundeliegendes zugleich das Subjekt als Unterworfenes, als Abhängiges offenbart. Man könnte sogar soweit gehen, die gesamte historische Rekonstruktion Zimas bis zur Postmoderne als Entfaltung jenes Umschlags in der Geschichte zu lesen, wo das Subjekt vom Begründenden zum Begründetem wird.

Während in der Moderne, bereits von Hegel an und vor allem über Nietzsche bis zu Freud oder Adorno noch hauptsächlich die Bedingtheit des Subjekts fokussiert wird, ist für Zima die Postmoderne die Zeit, in der sich dieser Umschlag endgültig und in einer Radikalität vollzogen hat, so dass nunmehr das Unterworfene die Subjektivitätsdebatte gänzlich bestimmt. Die Grundthese der nachmodernen Denker laute, so fasst sie Zima zusammen, dass "das individuelle Subjekt fremdbestimmt ist, weil es sich an das Andere des Unbewußten, der Sprache oder der Natur verliert" (S.206).

Ausschlaggebend ist dabei allerdings, dass diese Fremdbestimmung zwar die Idee des Subjekts subversiv unterläuft, aber dennoch nicht in der Lage ist, den Subjektbegriff gänzlich aufzulösen. So bleibt das Subjekt in der Postmoderne erhalten, allerdings als Negativfolie seiner selbst. Dieses Negative wird wiederum in Strukturen der Ungreifbarkeit erfasst, seien sie sprachlicher, semiotischer, psychischer oder ästhetischer Natur (wie bei Derrida, Lacan, Laing, Lyotard, Vattimo, Touraine, um nur einige zu nennen). Das Subjekt ist so die Instanz seiner eigenen Verwerfung; und damit exemplifiziert es jenes Leitprinzip der Postmoderne, das Differenz an die Stelle von Identität setzt. Wo das idealistische und aus der Sicht der Postmoderne als metaphysisch eingestufte Projekt der Subjektivität die Identität des individuellen Subjekts garantieren sollte, ist die Auflösung der Identität in Differentialität getreten. Diesen exemplarischen Charakter kann man gar nicht überschätzen, denn es ist das Subjekt in der Postmoderne, dessen negative endliche Identität überhaupt erst den Blick in die Unendlichkeit von Differentialität eröffnet.

Verzicht und Unverzichtbarkeit des Subjekts:
Luhmann vs. Zima

Genau an diesem Punkt setzt Zima an, um seine eigene Position zu entwerfen. Zima zeigt zwar, wie diese Entwicklungslinie sich weiter zu einem totalen Verzicht der Theorie auf das Subjekt radikalisiert, aber er macht sie selbst nicht mit. Insofern übt er eine harsche Kritik an Luhmann, dessen Systemtheorie paradigmatisch diesen Verzicht auf das Subjekt vorexerziert. Zimas Kritik an Luhmann beruht insbesondere auf dem Theorem der Unverzichtbarkeit. Wenn nun Luhmann, so Zima, auf das Subjekt dennoch verzichte, so würde dadurch eine Lücke entstehen, die andere Begriffe auffüllten und dadurch mythisch würden:

In Luhmanns Diskurs verschwindet das Subjekt zwar als transzendentale und individuelle Instanz, setzt sich aber als abstrakter Subjekt-Aktant [...] voll durch: als "Differenzierung", "System", "Operation" oder "Kommunikation". Das Problem besteht in diesem Fall darin, daß abstrakte Aktanten, die in keinem theoretischen Diskurs zu vermeiden sind, zu mythischen Aktanten werden, weil sie nicht mit individuellen und kollektiven Subjekten interagieren, sondern diese ersetzen und dadurch deren Funktionen verdecken. (S.325)

Einerseits hat Zima durchaus recht, wenn er zusammenfasst,

daß nämlich das System zusammen mit seinen Operationen oder Kommunikationen den Subjektbegriff und die Handlung als subjektive Kategorie ersetzt. (S.333)

Es geht genau um diese Ersetzung des Subjekts als subjektive Kategorie. Wenn nun aber Zima mit der Frage nach dem Warum dieser Ersetzung zugleich die Unverzichtbarkeit des Subjekts herausstellen will, so scheint mir dies inkonsequent zu sein. Denn diese Frage, und hierin muß man Zima zustimmen, ist eine subjektive Frage, genauer: eine Frage, die nur in einem Diskurs gestellt werden kann, der Subjektivität und mit der Subjektvität so etwas wie intentionale Sinnhaftigkeit bereits voraussetzt. Anderenfalls ist diese Frage sinnlos.

In der Tat ist diese Frage im diskursiven Kontext der Systemtheorie sinnlos im eigentlich Sinn des Wortes. Sie kann weder verstanden noch beantwortet werden. Die Frage nach dem Warum des Verzichts setzt das Subjekt voraus und stellt sich daher in einem Kontext gar nicht, der das Subjekt nicht kennt. In der Tat thematisiert Luhmann ausführlich jene Funktionen des Systembegriffs in seiner Systemtheorie, die in Subjekttheorien das Subjekt innehatte. Allerdings handelt es sich um zwei völlig verschiedene Beschreibungsebenen. Räumlich konkretisert könnte man sagen: Das System ist nicht dort, wo das Subjekt war, sondern bestenfalls unterhalb der Ebene von Subjekten. Es findet in der Tat keine Ersetzung, sondern eine Ebenenverlagerung statt. Systeme operieren da, wo noch kein Subjekt ist. Natürlich hat Zima recht, wenn er Luhmann nachweist, wie subjektivistisch die Rede von solch scheinbar aktiv handelnden Systemen ist; und natürlich hat Zima auch dort recht, wo er Funktionen der Systeme, z.B. die Reduktion von Komplexität, als subjektbezogene Herrschaftsmechanismen darstellt (S.336). Doch dies sind keine Gegenargumente gegen Luhmanns Systemtheorie, weil sie eine Ebene beschreibt, wo sich die Frage nach dem Subjekt noch nicht stellt. Dass Subjekte Komplexität aus Herrschaftsgründen reduzieren, bleibt unbestritten. Umgekehrt ist Zimas Kritik leicht zu durchschauen: Denn wenn man mit dem Subjekt in die Systemtheorie hineinruft, schallt das Subjekt zwangsläufig zurück. Das liegt aber am Rufer, an Zima, nicht an der Systemtheorie.

Das Subjekt im Dialog

Zima wiederum würde dieses Gegenargument nicht gelten lassen und auf die Zirkularität der Ebenen der Theorie des Subjekts und des Subjekts der Theorie verweisen. In einer naiven Variante dieses Arguments hätte man auch Luhmann selbst unterstellen können, er sei ein Subjekt gewesen. Er hätte es wohl nicht abgestritten. Wo nun Zima eine solche Zirkularität, die im Idealfall der Theorie eine dialektische Vermittlung zwischen den Phänomenen und ihrer Beschreibung darstellt, würde Luhmann auf einer strikten Ebenentrennung beharren. Aus der Anlage von Zimas Theorie des Subjekts ist es nur konsequent, eine solche Ebenentrennung nicht mitzumachen. Dennoch hätte man Luhmanns Position als solche gefahrlos akzeptieren können. Wie dem auch sei, ich sehe das Gegenargument bezogen auf Luhmann als eine weitere Konturierung von Zimas eigenem Argumentationsziel, nicht als umfassende Aushebelung der Systemtheorie.

Daß nämlich eine Theorie des Subjekts immer zugleich das Subjekt der Theorie miteinschließt, ist die Grundlage für seine Antwort auf das Problem, dass das Subjekt immer beides zugleich ist, Unterworfenes und Zugrundeliegendes, daß es unmöglich und zugleich notwendig sei, frei und unterworfen. Zimas eigener Vorschlag einer Subjekttheorie besteht gerade darin, die Paradoxie zu dynamisieren. Das zentrale Stichwort heißt: dialogische Subjektivität. Er greift dabei die Verwerfung von Subjektivität, wie sie in der Postmoderne breit entfächert wurde, zurück, sieht aber gerade dasjenige, was das Subjekt verwirft, als konstitutiv für das Subjekt selbst an.

Das individuelle Subjekt ist weder etwas Souverän-Fundamentales noch Unterworfenes, sondern eine sich wandelnde, semantisch-narrative und dialogische Einheit, die von der Auseinandersetzung mit dem Anderen, dem ihr Fremden, lebt. (S.88)

Dies ist allerdings nur möglich, wenn das Subjekt selbst nicht mehr als Instanz, sondern als Prozess aufgefasst wird, da ansonsten die Paradoxie nicht aufzulösen ist. Mit diesem Prozess entgeht er nicht nur der Aporie, sondern auch der Restriktion des Subjekts auf seine individuelle, transzendental begründete Identität. So heißt es bei Zima entsprechend:

Kollektive und individuelle Subjekte entstehen in sozio-linguistischen Situationen, die als Zusammenwirken von Gruppensprachen oder Soziolekten und deren Diskursen darstellbar sind. Das Subjekt konstituiert sich im Diskurs, indem es auf andere Diskurse imitativ oder dialogisch-polemisch reagiert und sich im Verlauf dieser Kommunikation für oder gegen semantische Relevanzkriterien, Klassifikationen und Definitionen entscheidet. (S.15)

Das ist eine anspruchsvolle Konzeption, die zwar an die Aufhebung von Subjektivität in Intersubjektivität bei Habermas erinnert, diese aber dennoch hinter sich lassen will. Zima geht nach eigenem Bekunden insofern über Habermas hinaus, als sein Konzept von Subjektivität gerade nicht in Intersubjektivität aufgehoben werden muß; vielmehr hält er am Begriff des Subjekts und des Subjektiven fest und betont sogar noch die Widersprüchlichkeit im Subjekt. Kommunikationstheoretisch gewendet ist der Zusammenhang von Unmöglichkeit und Notwendigkeit auch als Zusammenhang von Unmöglichkeit und Notwendigkeit von Verstehen zu übersetzen. Weil also Habermas, Zima zufolge, auf die ideale Kommunikationssituation abhebt, das Partikulare im Universellen auflöst und damit die Verständigung verabsolutiert, verliert er die entscheidende Dimension des Subjekts. Der Dialog im Sinne Zimas, der das Subjekt konstituiert, ist eben nicht allein auf absolute und totale Verständigung ausgerichtet, also nicht auf die Vereinnahmung des Anderen als Eigenem, sondern auf die Auseinandersetzung mit dem Anderen als dem für das Eigene konstitutiv Anderen. Mit Luhmann könnte man verschmitzt sagen: es ist die Einheit der Differenz des Eigenen und des Fremden und die Einheit der Differenz des Universellen und des Partikularen. Bei Zima heißt es:

Das individuelle Subjekt erscheint nun als dialogische, offene Einheit, die einerseits von der Alterität lebt, andererseits aber von ihr bedroht wird. (S.376)

Nur weil das Subjekt als dialogischer Prozess gedacht wird, das ist die eigentliche Pointe, kann es die konstitutiven Gegensätze als Moment des Prozesses überhaupt erst operationalisieren:

Das dialogische Subjekt, das sich weder dem Zerfall durch Partikularisierung preisgeben noch einem abstrakten Universalismus unterwerfen will, optiert für eine Dialektik von Konsens und Dissens. (S.403)

Die Geschichte des Subjekts, die zugleich das Subjekt als Prozess ist, ist die Geschichte dieser Auseinandersetzung des Subjekts, mit dem, was es konstitutiv nicht ist. Wenn nun das Andere semantisch, kommunikativ bzw. gesellschaftlich bestimmt wird, so hat dies auch die entsprechenden Rückwirkungen auf die Form der Auseinandersetzung. Wo es um die kommunikative Dimension dieser Auseinandersetzung geht, spricht Zima vom Dialog. Wo es aber um die geschichtliche Dimension dieser Auseinandersetzung geht, wird das Konzept der Geschichte nicht mehr allein historisch, sondern vielmehr narrativ aufgefasst. Das Selbstverständnis des Subjekts als seiner eigenen Geschichte nimmt die Form eines narrativen Programms an. Bei Zima heißt es: "Seine Identität als sprechendes und handelndes Subjekt kommt im Diskurs als narrativem Programm zustande." (S.15) Und mit Zima könnte man, obschon er diesen Gedanken nicht weiter verfolgt, annehmen, daß Subjektivität eine Selbsterzählung ist: Subjektivität käme da zustande, wo das Selbst sich und anderen das Selbst und das Andere erzählt, um somit es selbst zu werden.

Nebenbei bemerkt: Daran wird nicht nur die literaturwissenschaftliche Heimat Zimas deutlich, sondern auch, warum Literatur ein ausgezeichnetes Medium für den Entwurf oder die Problematisierung von Subjektivität darstellt, so daß Zima immer wieder auf literarische Beispiele zurückgreifen kann.

Allerdings bleibt dieses Andere relativ unbestimmt. Weit gespannt sind zwar die Darstellungen von Positionen, in denen dieses Andere zahlreiche Konkretisierungen erfährt, aber es wird im Rahmen der eigenen Position nur rudimentär charakterisiert. Es umfasst insbesondere sprachliche Vorgaben und gesellschaftliche Bedingungen, denen das Subjekt immer schon unterworfen ist.

Mit dieser Vagheit korrespondiert auch die ebenso weit gespannte Indienstnahme dieser Theorie des Subjekts. Denn wenn die Theorie des Subjekts immer schon das Subjekt der Theorie miteinschließt, die Theorie des Subjekts aber gerade auf die konstitutive Auseinandersetzung mit dem dem Subjekt Fremden und Anderen abhebt, so muß gerade diese Theorie des Subjekts in der Lage sein, den spezifischen Soziolekt, innerhalb dessen es (das Subjekt) bzw. sie (die Theorie) formuliert wurde, zu transzendieren, um die Grenzen der Soziolekte seinerseits kommunikativ und dialogisch zu überwinden. Zimas enthusiatischer Utopie sind keine Grenzen gesetzt, sieht er doch dieses Konzept als Modellfall einer europäischen Politik an, in der es gälte, die divergierenden Soziolekte zu überwinden (V,3,c). Ob nun diese Utopie aber nicht doch auf eine Verabsolutierung der Verständigung im Sinne vielleicht einer Europäisierung des Nationalen hinausläuft, bleibe dahingestellt. Wo es ernst wird, ist der Vorteil gegenüber Habermas nicht mehr allzu deutlich zu erkennen. Ich schlage vor, den Blick auf den Gegensatz zwischen subjektbezogenen und subjektlosen Konzeptionen und Theorien zu werfen und ihn als Testfall für die Überwindung von Soziolektgrenzen zu verwenden.

Aber man muß ja diese Position und diese Perspektive Zimas nicht teilen. Immerhin sollte man Zima zugute halten, dass seine Position keineswegs aufgesetzt wirkt, sondern sich — fast möchte man sagen — organisch aus seiner beeindruckenden Rekonstruktion ergibt. Das Buch ist ein Meilenstein der gegenwärtigen Subjektivitätsdebatte, nicht nur, weil es monographisch tadellos und umfassend die bisherige Diskussion in einem weiten denkgeschichtlichen Überblick zusammenfasst, sondern auch weil diese Bündelung auf geradezu verblüffende Weise ein ganzes Spektrum weiterer Anschlüsse eröffnet. Man muß Zima dankbar sein, denn im Zeitalter auch der partikularen Publikation, des Aufsatzes, ist es selten geworden, daß man den universellen monographischen Überblick geboten bekommt. Das allein hätte den Kauf des Buches gerechtfertigt!


Oliver Jahraus
Universität Bamberg
Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft
An der Universität 5
D-96045 Bamberg

Ins Netz gestellt am 18.09.2001
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Zu dieser Rezension hat Peter V. Zima eine Erwiderung geschrieben. (eingestellt am 5.03.2002)

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