Jung über Kalat: Rückschau auf Dr. Mabuse

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Uli Jung

Rückschau auf Dr. Mabuse

  • David Kalat: The Strange Case of Dr. Mabuse: A Study of Twelve Films and Five Novels. Jefferson / NYC / London: McFarland 2001. X, 305 S. Geb. $ (US) 49,95.
    ISBN 0-7864-1066-3.


David Kalat ist kein akademischer Autor. Vielmehr weist er in seinem Vorwort darauf hin, dass er als Besitzer der Firma All Day Entertainment an der DVD-Auswertung einiger der von ihm im vorliegenden Buch behandelten Filme auch kommerzielle Interessen hat. Er formuliert dies wie ein Geständnis, zugleich hoffend, "that this has [not] compromised my critical integrity in reviewing these films". (S. 2) Seine Befürchtung ist unbegründet; seine Einlassung hingegen geht am Problem seines Buches vorbei.

Dieses Problem nämlich liegt darin, dass Kalat die Mabusefigur quer durch die film- und literaturgeschichtlichen Entwicklungen als einheitliche Größe liest, als eine Figur, die für die kulturgeschichtliche Diskursforschung nutzbar ist. Dafür fehlt ihm allerdings ein theoretisches Gerüst, das ihn in den Stand versetzen könnte, die politische und kulturelle Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts methodisch mit der Mediengeschichte zu vernetzen. Zudem scheint er sich nicht entscheiden zu können, ob er die Mabuse-Serie als Genrekino oder als Autorenfilme behandeln soll. Vieles an seinen Analysen klingt wie ein populär verstandener Kracauer: Nicht die problematische teleologische These des Theoretikers ist der Leitfaden Kalats, sondern die einfache Frage, wie die verschiedenen Mabuse-Phänotypen auf aktuelle gesellschaftliche Zustände zu beziehen sind. Das Hauptanliegen des Buches ist es allerdings, in den Figurenkonstellationen der einzelnen Filme das Gemeinsame, das sozusagen >Mabuseeske< zu suchen und zu beschreiben.

Die Zielgruppe: amerikanische Leser

Kalat schreibt sein Buch für amerikanische Leser, das heißt für ein Publikum, dass die massenkulturelle Bedeutung des >Phänomens Mabuse< mehrheitlich nicht kennt. Wenn überhaupt, haben die entsprechenden Filme den amerikanischen Markt mit großer Verspätung und überdies in arg veränderten, wenn nicht verstümmelten Fassungen erreicht. Von Norbert Jacques' Romanen wurde nur Dr. Mabuse, der Spieler ins Englische übersetzt. 1

Daraus folgt – und das soll dem Autor an dieser Stelle keineswegs vorgeworfen werden –, dass er sich gezwungen sieht, in großer Ausführlichkeit auf Details einzugehen, die in Deutschland als bekannt vorausgesetzt werden können. Ganze Kapitel, die den Karrieren Fritz Langs (in seiner ersten und zweiten deutschen sowie seiner amerikanischen Schaffensperiode), Artur Brauners, Jess Francos und Claude Chabrols gewidmet sind, zeigen, dass Kalat für ein Publikum schreibt, das filmhistorisch nicht vorgebildet ist; das Kapitel "A Brief History of Nazi Germany" (S. 62–67), zeigt überdies, dass er seinen Lesern auch nur wenige allgemein-historische Kenntnisse zutraut.

Wahrheit oder Vollständigkeit?

Kalat beginnt seine "Introduction" mit dem Satz: "The time has come to tell the true story of Dr. Mabuse" (S. 3). >The true story< – Auch hier die Nähe zu Kracauer, der seine Analyse des Weimarer Films 2 vor allem auf eine Quelle stützte, die er als "true inside story" 3 über die Produktion von Robert Wienes Das Cabinet des Dr. Caligari interpretierte: Hans Janowitz´ Typoskript "Caligari: The Story of a Famous Story".

Und so wie bei Kracauer / Janowitz ist auch bei Kalat die Forderung nach der >wahren Geschichte< nur schwer einzulösen, zumal sein Gegenstand, die fünf Mabuse-Romane 4 und zwölf Filme und ihre Herstellung, Verbreitung und Rezeption überhaupt nicht von verzerrenden Mythen umstellt sind. Bei genauerem Hinsehen geht es in diesem Buch auch nicht um Wahrheit, sondern um die Vollständigkeit der Darstellung, was ja auch bereits ein hohes Ziel ist.

Fritz Lang

Auch die hochgradige Repetitivität, mit der Kalat bestimmte Informationen beständig über der Wahrnehmungsschwelle hält, erklärt sich aus seinem Misstrauen gegenüber seinen Lesern. Das alleine wäre arg genug. Darüber hinaus aber ist eine Tendenz des Autors zu beobachten, sich die Filmgeschichte zurechtzulegen, wie er sie braucht.

In Fritz Lang z.B. sieht er einen Regisseur, dessen gesamte Karriere von seiner Auseinandersetzung mit dem Mabuse-Komplex geprägt gewesen sei. Deshalb fügt Kalat ein Kapitel "The Little Dictator: Fritz Lang in America" (S. 92–111) ein, in dem er die sattsam bekannten Allüren des Regisseurs, seine Rücksichtslosigkeit in der Durchsetzung seiner künstlerischen Vorstellungen, in die Nähe Mabusescher Despotie rückt:

But Dr. Mabuse had not abandoned Fritz Lang, and in many ways it was as if the mad conspirator had traded identities with the film director. During his years away from Germany, Lang kept in shape to ultimately revive Mabuse – by living a life ripe with deceit and intrigue, abuse of power, and sadism. (S. 92)

Lang habe in den USA obsessiv daran gearbeitet, sein klassisch gewordenes deutsches Œuvre unter Hollywood-Bedingungen zu wiederholen. Hier werden (theoretische) Kritikermeinungen mit Künstlerintentionen verwechselt oder zumindest gleichgesetzt:

Many critics, especially those in France, had come to see Lang's Hollywood career as a means of remaking his German classics. If his Westerns were an American equivalent of THE NIBELUNGEN, if his spy pictures were revamps of SPIES, if FURY and WHILE THE CITY SLEEPS (1956) were American versions of M, then THE BIG HEAT (1953) was undoubtedly his American DR. MABUSE. (S. 103)

Zweifel an dieser These sind allerdings durchaus angebracht, denn THE BIG HEAT hat keine Figur, die auch nur entfernt an Mabuse erinnern könnte. Solches scheint Kalat auch an anderen Stellen nicht zu stören. Gordon Hesslers SCREAM AND SCREAM AGAIN (USA 1969), der gar nichts mit der Mabuse-Serie zu tun hat, widmet er gar ein eigenes Kapitel.

Ulrike Ottinger

Es ist also nicht an jeder Stelle des Buches klar, was das vereinigende Moment der Untersuchung ist. Der Hang zur Vollständigkeit veranlasst den Autor, selbst einen so verhältnismäßig entlegenen Film in seine Darstellung aufzunehmen wie Ulrike Ottingers Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse (BRD 1984), der die Figur des Dr. Mabuse allenthalben noch als mythogene Popkulturgröße zitiert. Zwar erkennt Kalat die Ausnahmestellung dieses Films als Ausdrucksform der Avantgarde an, doch scheint er Ottingers Film mit den gleichen Kriterien untersuchen zu wollen wie die übrigen Filme, die ausschließlich – Klassikerstatus hin oder her – zunächst einmal dem Genrekino zugehören.

Dass ein solcher Film kein Massenpublikum erreichen kann / soll / will, steht wohl außer Frage. Doch Kalat unterstellt Ottinger, dass sie mit dezidierten Avantgardemitteln ein Mainstreampublikum ansprechen wolle. In ihrem Scheitern suche sie die Verantwortlichen unter den Produzenten, die sie zu gängeln versuchten, den Filmpolitikern, die ihr die notwendigen Gelder verweigerten, und dem Publikum, dessen Geschmack vom Fernsehen verdorben worden sei. (vgl. S. 255). Sein Fazit:

Ulrike Ottinger is her own worst enemy, and her career-long spectacle of self-destruction provides yet another conjugation of Norbert Jacques' reflexive verb: je m'abuse. (S. 256)

Je m'abuse

Damit hat Kalat eine Formel gefunden, mit der er die Mabusefigur, ja schlicht alles, was in seinen Augen >mabuseesk< ist, charakterisiert: ein selbstzerstörerisches, masochistisches Moment, das er in vielen Filmfassungen zu finden glaubt. Die Aussprache des Namens Mabuse (und ihre Assoziationen) in verschiedenen Sprachen hilft ihm dabei:

Part-German, part-foreign, >Mabuse< had just the right universal ring to it. It certainly helped that >Mabuse< includes the sound of the German word >Böse< for Evil – a convenient morsel of onomatopoeia. A Swiss composer Hans Jemoli later told Jacques, that he had figured the name was a play on French verbs: >je m'abuse, tu t'abuse...< – in other words, the abuse you inflict on yourself. (S. 14)

Es ist dieses Moment der Unterwerfungsbereitschaft, das für Kalat zu einem wesentlichen Merkmal für die Mabuse-Welt wird – ein Masochismus, der sich in Realitätsverlust steigert: "Those who do not accept the coming of fate destroy themselves. This is the Mabuse Principle – je m'abuse." (S. 88)

Sadismus und Masochismus gleichermaßen werden auf diese Weise zu >mabuseesken< Kennzeichen. Daraus leitet Kalat eine Legitimation ab, auch realen Personen einen direkten Mabusebezug zu unterstellen: Wer seine Identität, seine Biografie so den Gegebenheiten anpasst und mystifiziert, wie Fritz Lang es in den USA getan hat (man denke an die Geschichte, wie Goebbels ihn zum >Führer des deutschen Films< machen wollte, worauf Lang noch am gleichen Tag ins Exil gegangen sei), wer obendrein seine Schauspieler so malträtiert und kontrolliert, dass sie ihm fraglos zu Willen sind, wird selbst zum Mabuse. Oder – völlig abstrus – Artur Brauner: "Like Dr. Mabuse, he found profit in chaos." (S. 134)

Mabuse, Hitler, Honecker ...

Auch im genuin Politischen ist Mabuse verortet:

There is no Mabuse because >Mabuse< is not a name, not in the traditional sense. It is a sign. It is a password. It is an ideology. [...] The root of evil is not to be found in any one man – but rather in ideology of tyranny and oppression that, for want of a better word, can be signed by the name >Mabuse<. (S. 5)

Dass die Hauptfigur aus Fritz Langs Das Tesatment des Dr. Mabuse sich symbolisch auf Adolf Hitler bezieht, ist mittlerweile filmhistorisches Gemeingut. Kalat geht den entscheidenden Schritt weiter und stilisiert Hitler selbst zum Mabuse:

The Testament of Dr. Mabuse can well be read as a political film, with Mabuse as an allegory of Hitler. Lang's notion of Mabuse's Testament inevitably invites comparison with Adolf Hitler's Mein Kampf. [...] Weirdly, Hitler later did pen his genuine last will and testament, shortly before killing himself in 1945. Certainly Norbert Jacques and Fritz Lang had no way to see into the future, but they predicted it nonetheless. Hitler's testament, like Mabuse's, is the final word of a dying man, outlining in precise detail his plans for the future, a blueprint for his followers, the way to perpetuate his program after his death. (S. 76)

Dabei ist Das Tesatment des Dr. Mabuse, wie Kalat richtig bemerkt, von den Nazis nicht etwa verboten worden, weil sie eine Ähnlichkeit zwischen der Titelfigur und dem Diktator gesehen oder nur geahnt hätten, sondern weil sie im filmischen Diskurs eine starke Führerfigur vermissten, die den Kampf gegen das Verbrechen hätte aufnehmen können: Sie sahen in Mabuse keinen Hitler, sondern ihnen fehlte ein Hitler in MABUSE.

Solche Umstände machen es schwierig, symbolische Zuordnungen wie die obige genau zu belegen. Lang ist mit Sicherheit erst durch die Erfahrung des Exils ein politisch bewusster Künstler geworden, und seine Drehbuchautorin Thea von Harbou, von der er sich ungefähr gleichzeitig mit den Dreharbeiten von Das Tesatment des Dr. Mabuse scheiden ließ, tendierte bekanntermaßen zum Faschismus. Lang selbst hat erst nach dem amerikanischen Eintritt in den Zweiten Weltkrieg die Geschichten zu erzählen begonnen, die ihn bereits am Ende der Weimarer Republik zum aufrechten Antifaschisten stilisierten. Kalat unterdrückt keine dieser Informationen; er wägt sie gegeneinander ab, ohne jedoch zu einem parteiischen Ergebnis zu kommen. Aber in seiner bisweilen arg saloppen Diktion schimmert immer wieder der Eindruck durch, dass er Langs Legenden zumindest zugeneigt ist, auch wenn er sie nicht in aller Konsequenz glauben kann oder möchte.

Der >Hitler-Mabuse< ist das Modell. Aber wie das Mabuse-Prinzip bei Kalat für die "ideology of tyranny" steht, für das >Böse< schlechthin, dürfen natürlich Goebbels und andere Nazigrößen als Personifizierungen Mabuses nicht fehlen. Aber auch Erich Honecker steht auf der Liste. (S. 5) Er ist der späteste der historisch-realen >Mabuses<. Damit ist Kalats Buch auch hinlänglich als prä-9/11-Publikation ausgewiesen. Was Kalat wohl nicht zu erkennen oder zuzugestehen bereit ist, ist der Umstand, dass es eines gehörigen positiven Selbstgefühls bedarf, um die Gut-Böse-Trennlinie so positivistisch ziehen zu können, wie er es tut. Aus der post-9/11-Perspektive ist es andererseits sehr interessant zu sehen, wie die Figur und das Handeln eines Osama Bin Laden in den Medien nach den fiktionalen Mabuse-Modellen beschrieben worden sind – von der sadistischen Fremdsteuerung seiner Handlanger bis zu deren Sterben im Vollzug des terroristischen Akts – je m'abuse. In einer post-9/11-Publikation würde Kalat auch gewiss Saddam Hussein zu einer Mabusefigur stilisieren.

Mabuse-Serie

Was Kalat auszeichnet, ist die Akribie, mit der er sich der seriellen Mabuse-Filme aus der CCC-Produktion Artur Brauners annimmt. Diese Filme sind – mit Ausnahme von Fritz Langs Die tausend Augen des Dr. Mabuse (1960) – bisher von der Filmwissenschaft kaum berücksichtigt worden. Kalat behandelt sie wie Autorenfilme und versucht eine vorurteilsfreie Evaluierung. Dabei kommt es zu Überraschungen:

Harald Reinls Beiträge Im Stahlnetz des Dr. Mabuse (1961) und Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse (1962) scheint der Autor sehr hochzuschätzen. Es war Reinl, der die Mabusefigur in andere politische Kontexte überführte und den Kalten Krieg als ideologische Folie für die Serie nutzbar machte: "nuclear holocaust, technology run amok, mind control" (S. 145). Der Regisseur beeindruckt Kalat sichtlich, doch übersieht er nicht, auf welcher Ebene seine Filme angesiedelt sind:

[...] it was nevertheless an impressive collection of on-screen and off-screen talent, all working at the peak of their skills. Rarely has a B-movie been graced with such a surfeit of artistry; rarely has a B-movie reached such heights of craftsmanship. (S. 153)

Eine ähnliche Vorliebe hat Kalat auch für Jess Franco entwickelt, der mit La Vengenza del Dr. Mabuse (1970) einen Film vorgelegt hat, der zwar von Artur Brauner mitproduziert, aber nicht unter seinem Label CCC-Film erschienen ist. Sowohl Brauner als auch Franco nahmen für die Filmcredits Pseudonyme an. Der Film erweist sich als nur oberflächlich getarntes remake von Francos früherem Awful Dr. Orlow (E 1961), ein Indiz dafür, dass die Mabusefigur möglicherweise noch kommerzielles Potential hatte, stofflich aber längst völlig ausgelaugt war.

Was das kommerzielle Potential angeht, soll nicht vergessen werden, dass die Filme der Brauner-Serie in ihren Titeln oft auf andere Serien des populären Genrefilms verwiesen: Im Stahlnetz des Dr. Mabuse (1961) knüpft an die Popularität der Stahlnetz-Krimis im deutschen Fernsehen der fünfziger Jahre an; Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse (1962) verweist auf die amerikanische Serie The invisible; Scotland Yard jagt Dr. Mabuse (1963) stellt sich in eine Reihe mit Scotland Yard greift ein (1944) und Scotland Yard hört mit (1961). Dies sind filmhistorische Zusammenhänge, die Kalat allerdings entgehen.

Kurioserweise behandelt Kalat auch Gordon Hesslers Scream and scream again (USA 1969), obwohl auch er weiß: "There is no Dr. Mabuse in SCREAM AND SCREAM AGAIN because, quite simply, SCREAM AND SREAM AGAIN is not a Dr. Mabuse film." (S. 213) In Deutschland wurde dieser Film unter dem Titel Die lebenden Leichen des Dr. Mabuse verliehen. Kalat behauptet: "This is not to say that SCREAM AND SCREAM AGAIN's only claim to Mabuse-dom is the German release title." (S. 213) Es gehe vielmehr um inhaltliche Ähnlichkeiten und überdies sei der Film zunächst als Koproduktion zwischen der American International Pictures und Artur Brauners CCC-Film geplant gewesen; zwingend ist diese Argumentation jedoch keineswegs.

Claude Chabrol

Als bisher letzten Mabuse-Film analysiert Kalat Claude Chabrols Dr. M. (F / BRD 1990). In diesem Fall führt der Titel den Namen Mabuse nicht, weil die Rechte daran weiterhin bei Artur Brauner liegen. Dennoch bezieht DR. M. sich unmittelbar auf Norbert Jacques' Dr. Mabuse, der Spieler, ohne jedoch eine genaue Verfilmung zu sein.

Kalat scheint mit Chabrol nicht recht zu Rande zu kommen, denn er konzentriert sich ausführlich auf die komplizierte Produktionsgeschichte und hält sich in der Analyse merklich zurück. Er sieht eine gewisse Diskrepanz zwischen Chabrols klassischem Werk und diesem Film und versucht, diese zu überbrücken: "The typical Chabrol film, with its Little Theme, obsesses over the family unit. [... ] Underneath its Big Theme, Club Extinction [der amerikanische Verleihtitel von Dr. M.] is also a story about family – as well as a story about a love triangle, another recurrent Chabrolian obsession." (S. 278) Das ist nicht eben originell, denn Familiengeschichten und noch mehr Dreiecksbeziehungen sind der Stoff, aus dem Filmgeschichten gerne gestrickt sind. Insgesamt gelingt es Kalat nicht, seine Bewunderung für Dr. M. nachvollziehbar zu begründen. Deshalb kommt seine abschließende Bemerkung auch ein wenig unvermittelt:

Seen for what it is, CLUB EXTINCTION is long overdue for a reappraisal. It is not only one of Chabrol's tautest and most ambitious endeavors, but one of the finest and most nuanced entries in this long-running film franchise. (S. 280)

Fazit

Kalats Buch hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Es überzeugt durch die Vollständigkeit der Darstellung, wobei den Filmen der Serie schon allein quantitativ ein Übergewicht zugebilligt wird, das vom Thema her verständlich, vom Titel des Buches her aber nicht gerechtfertigt ist. Die Romane und ihr Autor Norbert Jacques treten im Grunde bereits ab dem 2. Kapitel in den Hintergrund, werden aber immer einmal wieder mit bestimmten Details verschiedener Filme verglichen.

Jenseits des Argumentativen fallen eine Reihe von störenden Mängeln auf. Kalats Sprache ist bisweilen überaus salopp, wenig distanziert. Das geht bisweilen zu Lasten der Präzision. Daneben hätte man dem Buch ein Lektorat gewünscht, das des Deutschen mächtig ist. In einem Buch, das sich mit einem Phänomen der deutschen populären Kultur beschäftigt, ist es ein wenig peinlich, wenn sich die orthographischen Fehler in der Wiedergabe deutschen Namen, Filmtitel und Fachbegriffe häufen.

Alle Filme werden – entgegen der gängigen Praxis in der filmhistorischen Literatur – mit ihren amerikanischen Verleih- oder Videoauswertungstiteln eingeführt, was zumindest dem deutschen Leser (aber vielleicht nicht nur ihm) die Orientierung erschwert. Die zahlreichen Illustrationen des Bandes vereinigen viele sehr seltene Szenenfotos, Plakatmotive und Illustrationen aus zeitgenössischen Filmprogrammen, doch ist deren Druckqualität durchweg miserabel. Die Bibliografie umfasst auch sehr entlegene Quellen, von denen der Autor in seinen Untersuchungen regen Gebrauch macht – ohne allerdings wörtliche und sinngemäße Zitate bibliografisch genau zu belegen. Es fehlen die Fußnoten, die dem Leser weitere Recherchen ermöglichen würden. Ein Buch, das auf diversen Vorarbeiten beruht, ohne sich explizit auf sie zu beziehen, ist in seinen Details nicht überprüfbar und stellt sich im Forschungsdiskurs somit ins Abseits. Aber – wie eingangs bemerkt – Kalat ist kein akademischer Autor.


Dr. Uli Jung
Universität Trier
Medienwissenschaft 
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Ins Netz gestellt am 20.02.2003
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Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Katrin Fischer.


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Anmerkungen

1 Norbert Jacques: Dr. Mabuse, Master of Mystery. London: Allen & Unwin 1923.   zurück

2 Siegfried Kracauer: From Caligari to Hitler: A Psychological Study of the German Film. Princeton / NJC: Princeton UP 1947.   zurück

3 Siegfried Kracauer (Anm. 2), S. 61, Fn. 1.   zurück

4 Diese fünf Romane liegen, vorbildlich ediert und mit zusätzlichen Materialien und Essays ergänzt von Michael Farin und Günter Scholdt, vor: Norbert Jacques: Dr. Mabuse – Medium des Bösen. 3 Bde. Hamburg: Rogner & Bernhardt 1994.   zurück