Naturalismus. Fin de siècle. Expressionismus
- York-Gothart Mix (Hg.): Naturalismus. Fin de siècle.
Expressionismus. 1890-1918. (Hansers Sozialgeschichte der deutschen
Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Band 7) München,
Wien: Carl Hanser Verlag, 2000. 760 S., Geb. DM 148,- ISBN 3-446-12782-8.
Die Sozialgeschichte der Literatur in der Krise
Der siebte Band von "Hansers Sozialgeschichte der deutschen
Literatur" erscheint in einer Zeit, in der die
Literaturgeschichtsschreibung im allgemeinen und die
sozialgeschichtlich ausgerichtete im besonderen in eine Krise geraten
ist. Ein im neuesten Prospekt des Niemeyer-Verlags angekündigter
Sammelband trägt den Titel "Nach der Sozialgeschichte";
in der Ankündigung einer Auseinandersetzung mit neueren kultur-
und medientheoretischen Überlegungen wird konstatiert, daß
das "Projekt einer Sozialgeschichte der Literatur" als
erschöpft gelten könne. Im Verlauf der theoretischen und
methodischen Diskussionen seit den 80er Jahren wurde die mehr oder
minder unmittelbare Ableitung der Literatur aus sozialgeschichtlichen
Zusammenhängen durch mentalitätsgeschichtliche,
diskurstheoretische und in den 90er Jahren durch kultur- und
medienwissenschaftliche Konzepte in Frage gestellt. Die Aufmerksamkeit
richtet sich auf epochenübergreifende Diskursformationen, in die
auch die Literatur eingebunden ist, an die Stelle monokausaler
Ableitung der Literatur aus der Geschichte ist ein Bewußtsein von
der Textualität der Geschichte und vice versa von der sozialen
Zirkulation in den Texten getreten.
Um es mit Stephen Greenblatt, dem
prominentesten Vertreter des "New Historicism" bzw. einer
"poetics of culture" auszudrücken, es geht um die Frage,
wie die Literatur im komplexen Ganzen kollektiver Erfahrungen verankert
ist. Kultur läßt sich im Anschluß an die bekannte
Definition des Ethnologen Clifford Geertz, eines anderen Bezugspunktes
der kulturwissenschaftlichen Debatte, als "selbstgesponnenes
Bedeutungsgewebe" verstehen, in das Literatur als
Repräsentation kultureller Selbsterfahrung eingebunden ist. Eine
solche Verflochtenheit von Literatur und Kultur in einem texte général
erfordert differenziertere Theorieüberlegungen und
Analysekategorien der Literaturgeschichtsschreibung; die traditionelle
sozialgeschichtliche Literaturbetrachtung, wie sie im Zusammenhang mit
der Politisierung der Literaturwissenschaft seit den späten 60er
Jahren favorisiert wurde, erscheint demgegenüber als allzu simple
Vermittlung von gesellschaftlicher Praxis und textuellem Befund.
Ansätze der Beiträge
Betrachtet man vor diesem Hintergrund den von York-Gothart Mix
herausgegebenen Band, in dem sich insgesamt 40 Einzelartikel mit dem
Zeitraum zwischen 1890 und 1918 beschäftigen, stellt sich die
Frage, ob und in welchem Maße die Beiträge traditionellen
sozialgeschichtlichen Ansätzen bzw. neueren
kulturwissenschaftlichen Überlegungen verpflichtet sind. In einer
knappen theoretischen Vorbemerkung weist der Herausgeber darauf hin,
daß "die aktuellen Debatten über eine
kulturwissenschaftliche und sozialgeschichtliche Orientierung der
Disziplin" berücksichtigt werden, und betont - Claus-Michael
Ort zitierend -, daß aufgezeigt werde, "auf welche Weise
Literatur soziokulturelles Wissen repräsentiert und in welchen
Beziehungen literarische Konstruktionen solchen Wissens zu den
Wissenskonstruktionen anderer Sozialsysteme" stehen. Versteht man
"soziokulturelles Wissen", "literarische
Konstruktionen" und "Wissenskonstruktionen anderer
Sozialsysteme" nicht nur als begrifflich angepaßte
Reformulierungen traditioneller Vorstellungen von einer Wechselwirkung
von Literatur und sozialen Gegebenheiten, sondern in einem neueren
kulturwissenschaftlichen Sinne, entsprechen viele Beiträge nicht
diesem Programm.
Es finden sich rein werkimmanente Betrachtungen,
deskriptiv-typologisierende, formgeschichtliche sowie geistes- und
ideengeschichtlich argumentierende Beiträge mit oft nur
beiläufigen Hinweisen auf sozialgeschichtliche
Bedingungszusammenhänge. Diejenigen Beiträge, die
themenbedingt in stärkerem Maße sozialgeschichtliche
Dimensionen berücksichtigen, tun dies nicht im Verständnis
neuerer Theoriedebatten, sondern im Sinne traditioneller
sozialgeschichtlicher Produktions- und Distributionsforschung. Dort, wo
Literatur als Reaktionsform auf gesellschaftliche und soziale
Veränderungen gesehen wird, bleibt es letztlich bei einer
Ableitung aus oder einer Parallelisierung mit sozialen Phänomenen.
Der Weg von einer sozioökonomischen zu einer
kulturwissenschaftlichen oder diskurstheoretischen Perspektive wird nur
gelegentlich beschritten.
Einschränkendes Einteilungsprinzip Epoche
Die Möglichkeit einer stärker diskursorientierten,
mentalitätsgeschichtlichen und kulturwissenschaftlichen Sicht wird
zusätzlich eingeschränkt durch die Epocheneinteilung in
Naturalismus, Fin de siècle und Expressionismus. Durch sie werden
themenverwandte Beiträge voneinander getrennt und die
Möglichkeit vergeben, eingefahrene Epochenvorstellungen zu
unterlaufen. Die vom Herausgeber in seiner Vorbemerkung erwähnte
"temporäre Parallelität verschiedener ästhetischer
Konzeptionen und intellektueller Generationen" ließe sich
durch einen Verzicht auf eine an vorgegebenen literarischen
Strömungen orientierte Einteilung deutlicher markieren. Die
Tatsache, daß die Epochenüberschriften "Vom
Naturalismus zum Stilpluralismus der Jahrhundertwende", "Fin
de siècle", "Das expressionistische Jahrzehnt" nur im
Inhaltsverzeichnis erscheinen, dann aber an den entsprechenden Stellen
des Buches nicht mehr als Zwischentitel, deutet an,
daß es sich nur um formale Einteilungsprinzipien handelt, die von
den Beiträgen eher überspielt werden.
Um Beispiele zu nennen,
die gattungsverwandten Artikel von Rolf Kieser und von Hermann Korte
über Autobiographik sind auf Fin de siècle und Expressionismus
verteilt, Beiträge über den Anarchismus finden sich trotz
Überschneidungen sowohl in der Naturalismus-Abteilung (Günter
Helmes) als auch in der Fin-de-siècle-Abteilung (Walter Fähnders).
Ein Nebeneinander der Aufsätze über Novellistik und Kurzprosa
von Ken Moulden im Naturalismus-Teil, Simone Winko im
Fin-de-siècle-Teil und Armin A. Wallas im Expressionismus-Teil
könnte Entsprechungszusammenhänge hervortreten lassen, wie
sie z. B. von Wallas angedeutet werden, wenn er darauf hinweist,
daß Ehrenstein nicht nur als Repräsentant eines
expressionistischen Weltgefühls, sondern auch als Nachfahre der
Wiener Moderne verstanden werden kann (vgl. S. 529).
Die einleitenden
Beiträge zur "Naturalismus"-Abteilung, Horst Thomés
Aufsatz "Modernität und Bewußtseinswandel in der Zeit
des Naturalismus und des Fin de siècle", und zur
"Fin-de-siècle"-Abteilung, Wolf Wucherpfennigs Aufsatz
"Antworten auf die naturwissenschaftlichen Herausforderungen in
der Literatur der Jahrhundertwende", gehören trotz
unterschiedlicher methodischer Ausrichtung - bei Thomé eher
systemtheoretisch, bei Wucherpfennig eher traditionell
geistesgeschichtlich -, eng zusammen: Hier wie da wird Literatur als
Reaktionsform auf gesellschaftliche und soziale Veränderungen
verstanden. Solche Veränderungen markieren aber noch keine
Epochen, sie schlagen sich in bestimmten Mentalitäts- und
Wahrnehmungdispositionen nieder, die trotz unterschiedlicher
thematischer und sprachkünstlerischer Dominantsetzungen in
Naturalismus, Fin de siècle und Expressionismus von längerer,
epochenübergreifender Dauer sind.
Hinweise zu den einzelnen Artikeln
Einmal abgesehen von theoretisch-methodischen Diskrepanzen und
Problemen der Systematisierung, die in der Literaturgeschichte eines
Autorenkollektivs, das weder institutionell verbunden noch einem
einheitlichen theoretischen Modell verpflichtet ist, nie ganz
ausgeschlossen werden können, hängt der Gebrauchswert von der
Qualität der Einzelbeiträge ab. Naturgemäß gibt es
dabei Unterschiede, die von elaborierter Spezialforschung bis zur
bloßen Reproduktion von Bekanntem reichen. Die folgenden Hinweise
zu den einzelnen Artikeln des Bandes beziehen sich einmal auf die
methodischen Zugriffe der Autoren und zum anderen auf den
Informationsgehalt für potentielle Benutzer.
I. Naturalismus
In der ersten Abteilung ist besonders der einleitende
kulturwissenschaftlich ausgerichtete Beitrag von Horst Thomé
hervorzuheben, der auf Wissenskumulation und Spezialisierung in der
funktional ausdifferenzierten Gesellschaft des ausgehenden 19.
Jahrhunderts hinweist, eine Modernisierung, die vielfach ein
Krisenbewußtsein zur Folge hat, auf das bezogen
Ganzheitskonzepte, Gemeinschaftsideologien und Persönlichkeitskult
der Zeit als Bewältigungssemantiken verstanden werden können,
die sich auch in der Literatur niederschlagen.
Eine "Ambivalenz
der Moderne" (S. 136) konstatieren Günter Butzer und Manuela
Günter in ihrem Beitrag über "Literaturzeitschriften der
Jahrhundertwende". Indem sie in einem Zeitschriftenquerschnitt,
der u. a. "Die Gesellschaft", die "Freie
Bühne", die "Blätter für die Kunst",
"Pan", "Jugend", "Kunstwart"
umfaßt, auf die Zuordnung zu bestimmten literarischen
Strömungen verzichten, gelingt es, Gemeinsamkeiten aufzuzeigen,
die von den 80er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg reichen. Auf dem
Zeitschriftenmarkt fallen Überschneidungen von naturalistischen
und ästhetizistischen Tendenzen und eine durchweg
kulturkonservative Ausrichtung auf.
In dem ebenfalls
epochenübergreifenden Beitrag des Buchwissenschaftlers Stephan
Füssel wird ein Bild des Buch- und Zeitschriftenmarktes der
Kaiserzeit skizziert, auf dem es zu wirtschaftlichen Expansionen kam,
die einerseits für die Schriftsteller die
Publikationsmöglichkeiten steigerten, andererseits aber zu
Konkurrenzdruck und Prestigeverlust führten. Der Verfasser
vermittelt einen anschaulichen, durch statistisches Material
gestützten Eindruck von dem Verhältnis Verleger/Autor, vom
Wandel des patriarchalischen Verlegers zum Unternehmer sowie vom
Bemühen der Autoren, durch literarische Interessenverbände
auf die neue Situation zu reagieren.
- Beiträge zur Gattungstrias Roman/Novelle, Drama, Lyrik
Die Beiträge zu Literaturtheorie und literarischen Gattungen in
der ersten Abteilung beschränken sich auf die traditionelle
Gattungstrias Roman/Novelle, Drama, Lyrik. Der durch seine
sozialgeschichtlichen Lyrik-Forschungen als Kenner ausgewiesene
Günter Häntzschel informiert über den weiblichen
Buchmarkt mit seiner aufs Erbauliche, Häusliche und Stimmungsvolle
ausgerichteten Lyrik jenseits emanzipatorischer Tendenzen. Die Dominanz
solcher Lyrik auf dem Markt - der Verfasser zählt zwischen 1871
und 1914 über 4000 Lyrikanthologien (S. 54) - läßt
sowohl die sozialkritische Lyrik der Naturalisten als auch die
ästhetisch hochwertige Lyrik eines George oder Hofmannsthal als
Randphänomene erscheinen. Durch die spezifische Ausrichtung von
Häntzschels Beitrag auf Lyrik für Frauen, bleiben in der
Abteilung "Naturalismus" die sozialkritische Lyrik ebenso wie
die Lyrikproduktion von Arno Holz ausgespart. Ein stark reduziertes
Bild entsteht auch von der Romanproduktion in der Zeit des
Naturalismus. Der Beitrag von Günter Helmes konzentriert sich auf
Conrad Albertis "Maschinen" und John Henry Mackays "Die
Anarchisten", an denen typische strukturelle und inhaltliche
Merkmale abgelesen werden. Zwar werden weitere Romane genannt (vgl. S.
107 und Anm. 6, S. 593), ohne daß ein Eindruck vom Stellenwert
des naturalistischen Romans im Literatursystem der Zeit entsteht. Auch
über das vermehrte Auftauchen von Romanen weiblicher Autoren
wünschte man sich genauere Informationen.
Die Beiträge von Theo Meyer einmal über
"Naturalistische Literaturtheorien" und einmal über
"Das naturalistische Drama" bieten Paraphrasierungen
programmatischer Schriften und eine Typologisierung der dramatischen
Produktion, weit entfernt von dem im Einleitungsaufsatz von Thomé
erkennbaren Theoriehorizont und in der Verengung auf die gesellschafts-
und sozialkritischen Inhalte unbekümmert um neuere
Forschungsansätze. Die im Rahmen einer Sozialgeschichte der
Literatur interessierenden Fragen nach den
Aufführungsmöglichkeiten und der Aufführungspraxis
naturalistischer Dramen bleiben ungestellt, weder zu Otto Brahms
naturalistischem Theaterstil noch zu den Erfolgsdramatikern der Zeit
wie etwa Ludwig Fulda finden sich Hinweise. Ein gewisse Ergänzung
zu Meyers immanentistischer Klassifizierung bietet ein weiterer Beitrag
über das naturalistische Drama von Helmut Scheuer, in dem die
auffallende Häufigkeit der Thematisierung von Familienkonflikten
als Ausdruck einer Krise der patriarchalischen Familienstruktur
gedeutet wird: Familie als "Chiffre des Sozialen" (S. 81).
- Kenn Moulden über naturalistische Novellistik
Wenig ergiebig sind die Ausführungen über die
naturalistische Novellistik von Kenn Moulden. Die lockeren inhaltlichen
Informationen über thematische Schwerpunkte und stilistische
Verfahren einzelner Prosatexte basieren in der Auswahl weitgehend auf
der Zusammenstellung des von Gerhard Schulz herausgegebenen
Reclam-Bändchens "Prosa des Naturalismus" (erstmals
1973, nicht 1987 wie in den Anmerkungen vermerkt). Dabei entgeht dem
Verfasser, daß es sich bei dem von Schulz aufgenommenen Auszug
aus Hermann Bahrs "Die gute Schule" um einen Roman handelt,
der streng genommen nicht in einen Beitrag über naturalistische
Novellen gehört, zumal er inhaltlich ein Gegenprogramm zum
Naturalismus enthält. An keiner Stelle wird auf den Sammelband
"Neue Gleise" von Arno Holz und Johannes Schlaf aufmerksam
gemacht, der als zentrale Publikation des Konsequenten Naturalismus
gelten kann. Zitiert wird aus Reclam-Ausgaben und teilweise nicht
einmal aus den Texten selbst, sondern aus zweiter Hand, wie bei einem
Zitat aus "Krumme Windgasse 20", das der Einleitung der
Schulzschen Textsammlung entnommen ist. Insgesamt fehlt eine
Bestandsaufnahme naturalistischer Novellistik, die über Rang und
Stellenwert der Gattung unterrichtet. Bereits die Sammelbezeichnung
"Novellistik" im Titel vereinfacht die Gattungsproblematik,
da sich die "Studien" und "Skizzen"
naturalistischer Autoren vielfach gegen die konventionelle Novellenform
richteten. Interessieren würde der Marktanteil innovativer
Gattungsformen gegenüber der Novellentradition. Als eine
Kuriosität am Rande sei noch eine Stelle über Thomas Mann
angeführt, über den der Verfasser bemerkt, daß er
"anfangs naturalistisch schrieb" und die Darwinsche
Vererbungslehre für die Charakterisierung seiner
Künstlerfiguren benutzte (S. 95).
II. Fin de siècle
Unterscheidet man zwischen methodischem Konzept und
Informationsgehalt der Beiträge, so läßt sich für
die Abteilung "Fin de siècle" feststellen, daß kaum ein
Artikel neueren diskurstheoretischen und kulturwissenschaftlichen
Erwartungen entspricht; die methodische Spannbreite reicht von
werkimmanenten Analysen, form- und geistesgeschichtlichen Betrachtungen
bis zu unterschiedlich stark ausgeprägten traditionellen
sozialgeschichtlichen Ausrichtungen. Dies allerdings hat noch nichts
mit der Informationsqualität einzelner Beiträge zu tun. So
bietet z. B. Elke Austermühl auf formgeschichtlicher Grundlage -
geprüft werden soll, "inwiefern sich die Lyrik der Zeit von
traditionellen lyrischen Rede- und Gestaltungsweisen
unterscheidet" (S. 350) -, wenn auch ohne eine irgendwie
erkennbare sozialgeschichtliche Perspektive, einen kompetenten und
systematisch klaren Überblick über die "Lyrik der
Jahrhundertwende". Unabhängig von einer strengen
Epochenzuordnung entsteht ein Panorama der Lyrik von der noch
traditionellen naturalistischen Lyrik in den "Modernen
Dichter-Charakteren" und dem Verzicht auf sprachliche
Überhöhung bei Detlev von Liliencron und Arno Holz über
die Kabarettlyrik und die synästhetischen Imaginationen in den
Gedichten Max Dauthendeys bis hin zu den lyrischen Spitzenleistungen
Georges, Hofmannsthals und Rilkes.
- Sozialgeschichtlich: Rossbacher, Schneider, Rösch, Bunzel, Winkler, Wünsch, Fähnders, Mix
Sozialgeschichtlich ausgerichtet ist Karlheinz Rossbachers Beitrag
über "Heimatkunst der frühen Moderne". Der durch
seine Forschungen einschlägig ausgewiesene Verfasser informiert
kompetent über Autoren, Programmatik und regionale Verbreitung der
Heimatkunstbewegung als einer Reaktion auf Industrialisierung und
Technisierung. Durch den Bezug auf Georg Simmels Geldtheorie und die
mit ihr verbundene Charakterisierung der Großstadt bekommt der
zivilisationskritische Antimodernismus konkrete Konturen. Die
sozialgeschichtlichen Bezüge anderer Beiträge ergeben sich
schon aus der Themenstellung, so etwa in Uwe Schneiders Artikel
über "Literarische Zensur und Öffentlichkeit im
Wilhelminischen Kaiserreich", in dem am Beispiel
spektakulärer Zensurfälle die kommunikativen
Wechselbeziehungen zwischen Zensurmaßnahmen und öffentlicher
Vermarktung der Künstlerindividualität herausgearbeitet
werden. Auf Zensurprobleme geht auch Gertrud M. Rösch in ihrem
Aufsatz über die satirische Publizistik und die Kabarettbewegung
ein, dessen Gewinn allerdings mehr in den Sachinformationen über
Verbreitung, Beiträger und Tendenzen der wichtigsten satirischen
Zeitschriften und literarischen Kabaretts besteht als in der
sozialgeschichtlichen Kontextualisierung.
Einen sozialgeschichtlichen
Horizont eröffnen dagegen der differenzierte Einblick in die
Wiener Kaffeehauskultur von Wolfgang Bunzel sowie Michael Winklers
Akzentuierung einer ganz anderen Gruppenidentität des
George-Kreises, die auf der mythischen Selbststilisierung Georges und
dem essentialistischen Wirkungswillen des Kreises basiert.
Bemerkenswert ist die Feststellung, daß sich trotz des
Elitarismus und des ästhetischen Fundamentalismus des
George-Kreises Übereinstimmungen mit anderen
zivilisationskritischen Reaktionen auf die Erfahrung von
Funktionalisierung und Spezialisierung finden, was, so ließe sich
fortsetzen, auf gemeinsame Bewußtseins- und
Mentalitätsstrukturen jenseits unterschiedlicher ästhetischer
Programme verweist. Ein Beleg dafür läßt sich aus der
von Marianne Wünsch untersuchten phantastischen Literatur ablesen,
deren antirationalistische und autokratische Figurenkonstrukte weitab
vom Kunstkonzept Georges auf der Basis okkultistischer und
spiritistischer Theorien gewonnen werden.Themenbedingt
sozialgeschichtlich orientiert sind noch der Aufsatz von Walter
Fähnders über "Anarchismus und Literatur" sowie der
des Herausgebers über die Darstellung von Generations- und
Schulkonflikten als Rebellion gegen das vorherrschende patriarchalische
Sozialmodell.
- Feministische Literaturbetrachtungen von Brinker-Gabler und Gnüg
Versteht man per se feministische Literaturbetrachtung
als implizit sozialgeschichtlich, können noch die beiden
Aufsätze von Gisela Brinker-Gabler ("Weiblichkeit und
Moderne") und Hiltrud Gnüg ("Erotische Rebellion,
Bohememythos und Literatur des Fin de siècle") hinzugerechnet
werden, auch wenn sie nicht der neueren kulturwissenschaftlichen
Gender-Forschung, sondern dem feministischen Differenzkonzept folgen.
Brinker-Gabler geht der Geschlechterdifferenz in Romanen und
essayistischen Schriften von Frauen nach, in denen sie eine Spannung
zwischen traditionellen Rollenbildern und Ansätzen authentischer
Subjektbildung erkennt. Ein nicht reflektiertes Problem, das als
grundsätzliche Schwäche des Differenzkonzeptes gesehen werden
kann, ergibt sich hinsichtlich der Abgrenzung weiblicher
ästhetischer Formen von einem allgemeinen narrativen Standard
moderner Literatur. Hiltrud Gnüg bietet feuilletonistische
Porträts von Franziska zu Reventlow und Else Lasker Schüler
vor dem Hintergrund der französischen Boheme-Szene, auf die sie
ausführlicher eingeht, während die deutsche Boheme nur am
Rande erwähnt wird. Das Ergebnis einer wesentlich von Frauen
getragenen erotischen Rebellion bleibt insofern Behauptung, als die
vergleichbare Literatur von Männern, von vereinzelten Hinweisen
abgesehen, im Widerspruch zu der allgemeineren Titelgebung des
Aufsatzes ausgespart bleibt.
- Methodisch weitgehend literaturimmanente Beiträge
Unter den methodisch weitgehend literaturimmanenten Beiträgen
ist vor allem Monika Ficks Aufsatz über die literarische Décadence
herauszuheben. Ihre beachtenswerten Ausführungen heben sich
wohltuend von dem etwas diffusen Décadence-Begriff in der Forschung ab,
wie er sich z. B. in der Unbestimmtheit des Begriffs
"Dekadenz-Roman" bei Brinker-Gabler niederschlägt (S.
255). Fick orientiert sich zunächst an den Forschungen von Rasch
und Koppen, die die Décadence als Motivkomplex bestimmen, zeigt dann
aber am Beispiel von Rilkes "Malte Laurids Brigge", daß
auch symbolistische Verfahrensweisen als Mittel der Gestaltung einer
psychiatrisch geschärften Wahrnehmung in den Umkreis der Décadence
gehören.
Eine Ergänzung für eine nähere Bestimmung
der literarischen Décadence findet sich in dem Anarchismus-Aufsatz von
Walter Fähnders, der im Anschluß an Informationen über
unterschiedliche anarchistische Tendenzen bei Gustav Landauer, John
Henry Mackay und Erich Mühsam auf eine Affinität des
Anarchismus zur antibürgerlichen Asozialität der Décadence
hinweist. An Koppens Forschungen zum "dekadenten Wagnerismus"
anknüpfend, sieht Dieter Borchmeyer in seinem Aufsatz
"Richard Wagner und die Literatur der frühen Moderne"
Wagner als "Symbolfigur der Décadence" (S. 215). Der
Wagner-Kenner Borchmeyer bietet ansonsten einen aspektenreichen
Überblick sowohl über die internationale Ausstrahlung Wagners
als auch seine Rezeption in Deutschland bei Nietzsche und Thomas Mann.
Damit verglichen, wirken Ausführungen über die
Nietzsche-Rezeption in dem Artikel von John A. McCarthey etwas
vordergründig, wenn er, bezogen auf zentrale Stichworte der
Nietzscheschen Philosophie, den Einfluß Nietzsches mit
einschlägigen Zitaten aus den Werken von Thomas und Heinrich Mann,
Hofmannthal, George, Musil, Benn und anderen demonstriert.
- Gattungsbezogene Artikel der Abteilung fin de siècle
Die spezieller gattungsbezogenen Artikel der Abteilung "Fin de
siècle" erfassen die Bereiche Lyrik (Elke Austermühl),
"Einakter und kleine Dramen" (Hartmut Vinçon),
"Gesellschafts- und Familienromane" (Helmut Koopmann),
"Novellistik und Kurzprosa" (Simone Winko) sowie die
Autobiographik (Rolf Kieser). Am roten Faden eines Gegenentwurfs zum
epigonalen Klassizismus und zum Unterhaltungstheater im
Reflexionshorizont der Moderne stellt Vinçon Spielarten der
Kurzdramatik in ihren strukturellen Besonderheiten und den darin zum
Ausdruck kommenden Lebensdispositionen vor.
Die form- und
themenorientierten Deskriptionen und Klassifikationen der Novellistik
und sonstigen Kurzprosa von Simone Winko sind ein Beispiel für
eine nur äußerliche Anbindung an soziologische Konzepte,
wenn die Verfasserin z. B. von einer "Ausdifferenzierung" der
Gattungen spricht, aber darunter lediglich die Vielfalt der Kurzprosa
meint. Die Vagheit der sozialgeschichtlichen Anbindung spricht aus
einer Bemerkung über die Pluralisierung der Novellenpraxis:
"Den gemeinsamen Hintergrund dieser Phänomene dürfte
eine weitverbreitete Kontingenzerfahrung des Fin de siècle bilden"
(S. 340).
Koopmanns Beitrag erscheint mir innerhalb der Abteilung
"Fin de siècle" fehlplaziert, da in ihm der Gesellschafts-
und Familienroman als "prävalente literarische
Erzählform des späten 19. Jahrhunderts" (S. 324)
verstanden wird, dessen Definition im Anschluß an Friedrich
Spielhagen gewonnen wird. Im Zentrum der Ausführungen steht eine
weitgehend werkimmanente Interpretation von Fontanes "Effi
Briest" als "prototypisches Zeugnis" des Gesellschafts-
und Familienromans. Der im Rahmen einer Sozialgeschichte der Literatur
aufschlußreiche Hinweis auf idealisierende Formen des Familien-
und Gesellschaftsromans in den Familienzeitschriften wird nicht weiter
ausgeführt.
Rolf Kiesers Aufsatz "Autobiographik und
schriftstellerische Identität" legt einen Vergleich mit Hans
Kortes Beitrag über die literarische Autobiographik in der
Abteilung "Expressionismus" nahe. Im
Selbstrepräsentationsbedürfnis der Autoren erkennen beide ein
kennzeichnendes Merkmal der autobiographischen Schriften, das von
Kieser mit der Verunsicherung einer Übergangsgeneration in
Verbindung gebracht wird, während Korte auf der Grundlage eines
erweiterten Autobiographieverständnisses, das auch
Tagebücher, Briefe und autobiographische Implikationen fiktionaler
Texte einbezieht, darin ein adäquates Medium der
Selbstinszenierung der expressionistischen Generation sieht.
- Mit Segeberg gute Überleitung zum Expressionismus
Der vom Herausgeber mit Bedacht an das Ende der Abteilung "Fin
de siècle" gestellte Aufsatz "Technische Konkurrenzen. Film
und Tele-Medien im Blick der Literatur" von Harro Segeberg stellt
eine passende Überleitung zur Abteilung
"Expressionismus" her, dies nicht nur in der Skizzierung der
epochenübergreifenden Entwicklung des Kinofilms und der
Tele-Medien, sondern auch auf konkretere Weise in der vom Verfasser
hervorgehobenen Verwandtschaft der tele-technischen Entwicklung mit der
expressionistischen Wortkunst im Umkreis der
"Sturm"-Avantgarde. Auf das von Segeberg erwähnte
Gedicht "Sturmangriff" von August Stramm (S. 436) geht Franz
Riha in seinem Aufsatz über die frühexpressionistische
Dichtung näher ein (S. 465). Ein Diskussionsfeld eröffnet
sich in der Gegenüberstellung von Segebergs Bemerkung über
die quasi tele-technische Dichtung von Stramm und Döblins
Ablehnung des futuristischen Telegrammstils (S. 476), auf die Hansgeorg
Schmidt-Bergmann in seinem Artikel "Futurismus und
Expressionismus" aufmerksam macht, in dem ansonsten die
ambivalente Position der "Sturm"-Expressionisten zwischen dem
Technizismus des italienischen Futurismus und der Kunstmetaphysik
Kandinskys herausgehoben wird.
III. Expressionismus
Die Abteilung "Expressionismus" bleibt mit zehn
Beiträgen gegenüber zwanzig zu der des "Fin de
siècle" etwas unterbelichtet, zumal der Aufsatz von Thomas Anz
über die Wechselbeziehungen zwischen Psychoanalyse und
literarischer Moderne sinnvoller am Anfang der Abteilung "Fin de
siècle" untergebracht wäre, da in ihm Bezüge zum
Expressionismus als spezifische literarische Strömung keine Rolle
spielen. Es geht um den Niederschlag "pychoanalytischen
Wissens" in Figurenkonstellation, Handlungsmustern, Themen,
Motiven, Sprache und Metaphorik sowie um die Problematisierung des
Subjekts in der modernen Literatur. Auch Joseph Vogls
"Kafka"-Aufsatz ist nur lose mit dem Expressionismus
verbunden durch den Hinweis, daß Kafkas Themen und
Erzählformen mit denen des expressionistischen Jahrzehnts
korrespondieren. Insgesamt wird in dem methodisch anspruchsvollen
Beitrag das Werk Kafkas in differenzierter Weise auf der Basis
poststrukturalistischer Macht- und Disziplinierungstheorien als
"Analyse und Genealogie moderner Mächte" (S. 483) am
Übergang zwischen Disziplinierungsmächten des 19. und
Kontrollmächten des 20. Jahrhunderts interpretiert.
Ansonsten finden sich in der Abteilung "Expressionismus"
ein Zeitschriftenüberblick von Wilhelm Haefs, in dem die besondere
Bedeutung von Zeitschriften für das gruppenintensive
Kommunikationssystem der Expressionisten betont wird, drei
gattungsorientierte Beiträge über expressionistische Lyrik
von Karl Riha, über Novellistik und Kurzprosa von Armin A. Wallas
und über das Drama von Hans-Peter Bayerdörfer sowie
Aufsätze über den Ersten Weltkrieg in Vokabular und
Denkfiguren expressionistischer Autoren (Joseph Vogl) und die
Programmatik des expressionistischen Aktivismus (Michael Stark).
Die
sozialgeschichtliche Anbindung bleibt in den gattungsbezogenen
Darstellungen nur lose. Die kleineren Erzählformen werden von
Wallas thematisch klassifizierend präsentiert, Rihas
formgeschichtliche Betrachtung enthält Interpretationen
herausragender Gedichte von Gottfried Benn, Georg Heym, Georg Trakl,
Jakob van Hoddis und der "Sturm"-Autoren. Seine Feststellung,
daß der avantgardistische Höhepunkt der Lyrik im
Frühexpressionismus liege, wird auf dem Gebiet des Dramas durch
die frühen dramatisch-theatralen Experimente von Kokoschka und
Kandinsky bestätigt, wie der Beitrag von Bayerdörfer zeigt,
der dankenswerter Weise die verschiedenen dramatischen
Erscheinungsformen nicht nur klassifizierend und typologisierend
darstellt, sondern die antimimetischen dramatischen Formen auch im
Zusammenhang mit der Theaterentwicklung sieht.
Der Beitrag Vogls
über "Krieg und expressionistische Literatur" bietet ein
bemerkenswertes Beispiel für die mentalitäts- und
diskursgeschichtliche Erkenntnis, daß Metaphorik und Denkfiguren
nicht durch ein bestimmtes spektakuläres Ereignis wie den Ersten
Weltkrieg provoziert wurden, sondern von längerer Dauer sind. Der
rhetorische Kriegsgestus findet sich bereits in den apokalyptischen
Szenarien und dem vitalistischen Erneuerungspathos vor dem Krieg und
setzt sich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges mit pazifistischer und
sozialrevolutionärer Umakzentuierung fort. Der von den "Ideen
von 1914" kaum abgrenzbaren expressionistischen Rhetorik steht der
im letzten Beitrag des Bandes von Michael Stark vorgestellte Aktivismus
der Jahre 1915 bis 1920 bei Kurt Hiller, Ludwig Rubiner und anderen
gegenüber, deren politischer Impetus allerdings, wie der Verfasser
betont, ohne konkreten Bezug zu den Machtstrukturen der
Erfahrungswirklichkeit bleibt.
Lücken und Ergänzungsmöglichkeiten des Bandes
Fragt man abschließend, selbstverständlich im Wissen
darum, daß literaturgeschichtliche Vollständigkeit nicht
erreicht werden kann, nach Lücken und
Ergänzungsmöglichkeiten des vorgestellten Bandes, fällt
in der Abteilung "Naturalismus" neben den
eingeschränkten Informationen über Roman und Lyrik das
Ausblenden des Sektors Theater und der Frauenbewegung sowie - von einem
Spezialbeitrag über den sozialistischen Literaturkritiker Franz
Mehring abgesehen (Manuela Günter) -, das Fehlen des gesamten
Feldes der Arbeiterliteratur und der kulturellen Aktivitäten der
Arbeiterbewegung auf.
In der Abteilung "Fin de siècle"
erscheint die Wiener Moderne stark vernachlässigt. Der Beitrag
über das Wiener Kaffeehaus und ein Abschnitt über
Hofmannsthal in dem Aufsatz über die Lyrik der Jahrhundertwende
sowie vereinzelte Hinweise in anderen Artikeln werden nicht der gerade
unter sozialgeschichtlichen Gesichtspunkten besonders wichtigen Wiener
Szene gerecht, in der, horribile dictu, ab 1907 Adolf Hitler "die
Grundlagen für eine Weltanschauung im großen und eine
politische Betrachtungsweise im kleinen" erhielt, wie er in
"Mein Kampf" schreibt.Im engeren literaturgeschichtlichen
Sinne vermißt man die kritische Essayistik. Hinsichtlich
bestimmter Autoren werden die vereinzelten Verweise in verschiedenen
Beiträgen auf Hermann Bahr und Karl Kraus nicht deren Rolle im
Literaturbetrieb gerecht, sei's bei Bahr als Vermittler literarischer
Strömungen, sei's bei Kraus als herausragende Instanz einer
kritischen Publizistik. Auch wenn man in einer Sozialgeschichte der
Literatur weniger Einzelautoren als kollektive Mentalitäten und
Bewußtseinsstrukturen sucht, wünschte man sich doch eine
eingehendere Berücksichtigung von Arthur Schnitzler. Die
zahlreichen Verweise im Register täuschen, da an den
entsprechenden Stellen oft nur der Autorname oder ein Werktitel
erscheinen, was übrigens auch für andere Autoren zutrifft.
In
der Abteilung Expressionismus bedauert man angesichts der Tatsache,
daß die Malerdichter Kokoschka, Kandinsky und Barlach den
Avantgardecharakter des Expressionismus wesentlich mitbestimmten, das
Fehlen eines Artikels über die bildende Kunst. Die Hinweise auf
Desiderate, um es noch einmal zu sagen, sind nicht als Kritik zu
verstehen, sie wollen vielmehr andeuten, für welche Bereiche man
die Literaturgeschichte nicht nutzen kann.
Differenzierte Ausleuchtung von Schwerpunkten - Fülle von Gegenstandsbereichen
Ergänzend ist darauf
hinzuweisen, daß umgekehrt viele Gebiete berücksichtigt
werden, die man nicht selbstverständlich erwarten kann. Zu
beachten ist auch, daß in einer Literaturgeschichte in
Einzelbeiträgen nicht die möglichst lückenlose
Überblicksinformation im Vordergrund stehen kann, ihre Stärke
liegt in der differenzierten Ausleuchtung von Schwerpunkten. Vielfach
können die Beiträger auf eigene Spezialforschungen zu dem von
ihnen behandelten Themen zurückgreifen, was der Komplexität
und Informationsdichte ihrer Artikel zugute kommt. Gemessen an dem
Kriterium Informationsgehalt enthält der Band eine Fülle von
Gegenstandsbereichen, die dem Benutzer nicht nur Orientierungshilfe
bieten, sondern auch den aktuellen Stand der Forschung spiegeln.
Besonders hervorgehoben seien in diesem Zusammenhang noch einmal die
Beiträge von Horst Thomé, Günther Häntzschel, Marianne
Wünsch, Dieter Borchmeyer, Monika Fick, Karl Heinz Rossbacher,
Elke Austermühl, Walter Fähnders, Harro Segeberg, Hansgeorg
Schmidt-Bergmann, Joseph Vogl, Thomas Anz.
Fazit
Nicht unterschätzt werden darf das Bemühen des
Herausgebers, die inhaltliche Vielfalt zu ordnen. Daß dabei, wie
eingangs erwähnt, die formale Einteilung nach Epochen bzw.
literarischen Strömungen zu Abgrenzungsproblemen führt und
Parallelen eher verdeckt als unterstreicht, mag ein Nachteil sein,
erfüllt aber andererseits die Erwartungen von Benutzern, die den
Epochendiskurs favorisieren. Was die methodische Konzeption des Bandes
betrifft, so wurde schon gesagt, daß das Erscheinen des siebten
Bandes von "Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur"
durch den großen Abstand zur Planung des Unternehmens Ende der
70er/Anfang der 80er Jahre in eine Zeit fällt, in der die
Berücksichtigung sozialgeschichtlicher Bezüge zwar zu einer
Selbstverständlichkeit geworden ist, andererseits eine einfache
sozialgeschichtliche Ableitung von Literatur durch komplexere
kulturwissenschaftliche Vermittlungsmodelle abgelöst wurde. Daraus
mag sich die methodische Disparatheit der Artikel erklären, die
von formgeschichtlichen und werkinternen Betrachtungen über eine
nur lose Anbindung an sozialgeschichtliche Kontexte bis zu vereinzelten
neueren diskurstheoretischen und kulturwissenschaftlichen Ansätzen
reicht. Daß sich der Herausgeber dieser Disparatheit - er spricht
von "Verschiedenartigkeit des Zugriffs" - bewußt ist,
zeigt sein einleitender Versuch ihrer Begründung, ein Versuch, der
allerdings mehr den wünschenswerten als den gegebenen
theoretisch-methodischen Reflexionshorizont der Beiträge
bezeichnet. Weder in einem engeren noch in einem kulturwissenschaftlich
erweiterten Verständnis bildet die Summe der Artikel eine
Sozialgeschichte der Literatur, es handelt sich vielmehr um einen
Sammelband zur Literatur zwischen 1890 und 1918, dessen Stärke in
der Qualität vieler seiner Einzelbeiträge besteht.
Prof. Dr. Dieter Kafitz
Universität Mainz
Deutsches Institut im Fachbereich 13 / Philologie I
D-55099 Mainz
Ins Netz gestellt am 08.01.2000
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