Knopf über Keiderling: Die Modernisierung des Leipziger Kommissionsbuchhandels

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Sabine Knopf

An den Schaltstellen des Buchmarktes

Kurzrezension zu
  • Thomas Keiderling: Die Modernisierung des Leipziger Kommissionsbuchhandels von 1830 bis 1888. (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte; 58) Berlin: Duncker & Humblot 2000. 367 S. Kart. DM 152,-. (Zugl. Leipzig, Univ. Diss 1999)
    ISBN 3-428-09952-4.


Problembereich und Herangehensweise

Wer mit dem Leipziger Kommissionsbuchhandel vor allem die Namen Koehler &Volckmar verbindet, wird erstaunt sein, wenn er die akribische und auf einer breiten Quellenbasis verfaßte Schrift von Thomas Keiderling zur Hand nimmt: In ihrem Anhang findet er 406 Leipziger Firmen verzeichnet, die zwischen 1830 und 1888 vorübergehend oder ständig als Kommissionäre für andere, vor allem auswärtige Buchhändler tätig waren. Der Kommissionsbuchhandel hatte — neben der Vielzahl der Verleger, Sortimenter und der graphischen Betriebe — wesentlichen Anteil am Aufstieg Leipzigs zur Hauptstadt des deutschen Buchhandels.

Obwohl gerade der Kommissionsbuchhandel wenig daran interessiert war, seine Aktivitäten und Geschäftsbeziehungen zu dokumentieren, ist es dem Verfasser weitgehend gelungen, ein eindrucksvolles Bild zu zeichnen, das in die Take-off-Phase der deutschen Wirtschaft des 19. Jahrhunderts versetzt und untrennbar mit der Industrialisierung und Urbanisierung jener Zeit verbunden ist.

Was den Forschungsstand betrifft, der inzwischen nicht wenige Arbeiten zum Kommissionsbuchhandel verzeichnet, so sind die Zentralstellung Leipzigs, das branchenbedingte Wachstum und die Vorgeschichte des "Vereins Leipziger Kommissionäre" immer noch unzureichend untersucht. Methodisch hat Keiderling Impulse aus der interdisziplinären Modernisierungs- und Innovationsforschung aufgenommen.

Unter "Modernisierung" versteht der Verfasser — in Anlehnung an Konzepte von Peter Steinbach und Werner Plumpe — einen komplexen wirtschaftlichen Transformationsprozeß, der nicht kontinuierlich, sondern phasenhaft abläuft und der sich deutlich von Konsolidisierung- und Retardierungsschüben abhebt. Als Besonderheit gegenüber anderen deutschen Wirtschaftszweigen wird von Keiderling der Umstand betont, daß der Kommissionsbuchhandel für die Modernisierung keine Anstöße von außen benötigte, vielmehr "selbst zu einem Pioniersektor avancierte" (S. 34)

Typologie Leipziger Kommissionäre

Der "Verkehr über Leipzig" vollzog sich maßgeblich als umfangreiche Lagerhaltung, Bestellvermittlung, Auslieferung, Spedition sowie Remission von Büchern und Zeitschriften.

Keiderling macht den Versuch einer Typisierung der beteiligten Unternehmen; er unterscheidet

  1. den Kleinkommissionär, der als Verleger oder Sortimenter lediglich einige wenige Geschäftsfreunde bediente,

  2. den mittelständischen Kommissionär mit einem oder mehreren Pack- und Speditionsräumen und mehreren Bücherlagern, dessen Unternehmen schon einträglicher war, der aber darüber hinaus noch einen Verlag oder ein Sortimentsgeschäft unterhielt,

  3. den Großkommissionär, der einen modernen, rationell arbeitenden Betrieb leitete und zur wirtschaftlichen Elite seiner Branche gehörte. Diese Betriebe wiesen eine fortgeschrittene Strukturierung auf, gleichartige Arbeiten wurden zu Spezialabteilungen zusammengefaßt und von leitenden Angestellten geführt.

Die Großunternehmer ließen sich seit den achtziger Jahren neue Geschäftshäuser errichten, wahre "Kommissionspaläste", welche als Zweckbauten den Ansprüchen einer modernen zwischenbuchhändlerischen Tätigkeit gerecht wurden. Das teilweise abgebrochene Volckmar-Haus in der heutigen Prager Straße, zu DDR-Zeiten Heimstätte des Leipziger Kommissions- und Großbuchhandlung (LKG), vermittelt noch einen vagen Eindruck einstiger Größe.

Aus Graphiken ist ablesbar, daß die Großunternehmer nicht durch Blitzkarrieren nach oben gekommen sind, sondern sich mit ihren Geschäften von klein auf kontinuierlich nach oben gearbeitet hatten. Zu den herausragenden Persönlichkeiten unter den Großunternehmern zählten Friedrich Volckmar (1799—1876), Karl Franz Koehler III. (1843—1897), Friedrich Fleischer (1794—1863) und Heinrich Brockhaus (1804—1874).

Neben der Analyse der Unternehmen trifft der Verfasser auch Aussagen über die Angestelltenzahl der Kommissionäre und über deren Qualifikation.

Phasen des Modernisierungsprozesses

Recht unvermittelt befaßt sich Keiderling — innerhalb des etwas überlasteten ersten Kapitels "Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren" — mit der Entstehung des Branchenzweiges. Bereits im 15. Jahrhundert entstand der Brauch, nicht abgesetzte Ware am Meßplatz zurückzulassen, bei einer Vertrauensperson, um Spesen und Verluste durch den Abtransport zu vermeiden. "Die Urform des Kommissionsbuchhandels, die Vertretung am Messplatz, war geboren" (S. 59). Die Trennung von Drucker-Verlegern und wandernden Buchführern führte zu den ersten Kommissionsbeziehungen.

Mit dem Aufstieg Leipzigs zum Zentrum des deutschen Buchhandels und des Rückgangs der Bedeutung Frankfurts bahnte sich eine Verlagerung des deutschen Buchhandelszentrums in den nord- und mitteldeutschen Raum an. Der vermehrte Absatz von deutschsprachigen Büchern, deren Produktionsstätten sich meist in Leipzig befanden, die aufstrebende Messe, die Universität und die liberale Zensur hatten jene Entwicklung begünstigt. Leipzig erlangte jedoch zunächst nur nationale Bedeutung seit 1680, während sich in Frankfurt noch lange der internationale Buchhandel traf.

Nach diesem bis zum Jahre 1830 reichenden historischen Abriß — noch immer im besagten ersten Kapitel — unternimmt Keiderling einen internationalen Vergleich, hauptsächlich bezogen auf die (für Leipzig an dieser Stelle der Publikation noch nicht ausgeführte) Situation in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Manche Staaten verfügten über eine teilweise von Leipzig adaptierte Form des Kommissionsbuchhandels, wie Dänemark, die Niederlande, Norwegen, und Schweden. Eigene Organisationsformen besaßen dagegen Belgien, Frankreich, Großbritannien und die USA. Keinen organisierten Zwischenbuchhandel hatten Griechenland, Italien, Rußland und Spanien.

Nach einem ausführlichen Kapitel (S. 74—120), das die Usancendebatte im Buchhandel thematisiert, folgt eine Schilderung des "Auftakts und der grundlegenden Modernisierung" (Kapitel 3, S. 121—173) im Zeitrum von 1830 bis 1849. Hier hatte Friedrich Vockmar, ein Cousin von F.A.Brockhaus, eine Vorreiterrolle inne. Keiderling schildert Details der sich nunmehr einbürgernden festen Organisationsformen, die offenbar lange Zeit als bewährt und als vorbildlich galten.

Zwischen 1850 und 1888 / 92 folgten "Konsolidierung und Vervollkommnung" (Kapitel 4, S. 174—216). Zu den Innovationen in dieser Phase zählt Keiderling das Aufkommen von Barsortimenten zwischen 1847 und 1861. Debatten wurden über die Umgestaltung der Abrechnung zur Buchhändlermesse geführt, eine Rationalisierung erfolgte durch Wachstum und Konzentrierung; der Verein der Leipziger Kommissionäre wurde 1884 gegründet und das zweite "Memorandum" (vgl. Rezension in IASLonline http://www.iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/seifert.htm) erschien 1892.

Das Kapitel 5 (S. 217—266) zieht einen Vergleich zu anderen Kommissionsplätzen, deren Strukturen und Modernisierungen. Es werden bedeutende Standorte wie Augsburg, Berlin, Budapest, Frankfurt, Köln, München, Nürnberg, Offenbach, Prag, Stuttgart, Wien und Zürich in kurzen Darstellungen gewürdigt. Ein Thema für sich bilden die Modernisierungsprobleme in Süddeutschland und schließlich die Alleinherrschaft Stuttgarts im Süden gegenüber Frankfurt.

Ein Verzeichnis der überaus breiten Basis an archivalischen und gedruckten Quellen, Übersichten über die Leipziger Kommissionsbuchhandlungen, eine spezielle Übersicht über die in Besitz von Frauen befindlichen (!) und die Leipziger Kommissionsbuchhandlungen mit der jährlichen Anzahl ihrer Kommittenten zwischen 1830 und 1888 beschließt die Veröffentlichung. Eine Reihe von Tabellen, Abbildungen und Graphiken erhöhen den Informationswert und tragen zur Veranschaulichung und Verdeutlichung des Beschriebenen wesentlich bei. Mehrere Register (Personen, Firmen, Sachworte) erleichtern den Zugang und erhöhen den Gebrauchswert des Buches beträchtlich.

Die Arbeit ist sowohl als umfassende Bestandsaufnahme als auch als Grundlage für weitergehende, spezielle Forschungen als außerordentlich wertvoll zu betrachten und jedem an buchhandelsgeschichtlichen Fragestellungen Interessierten wärmstens zu empfehlen.



Sabine Knopf
Friedrich-Ebert-Str. 12
D-04109 Leipzig

Ins Netz gestellt am 04.12.2001
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