Krah über Boa / Palfreyman: Heimat

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Hans Krah

Heimat von außen nahegebracht

  • Elizabeth Boa / Rachel Palfreyman: Heimat. A German Dream. Regional Loyalities and National Identity in German Culture 1890–1990 (Oxford Studies in Modern European Culture) New York: Oxford University Press 2000. 234 S. 10 Abb. Geb. € 29,80.
    ISBN 0-19-815922-6.


Die kulturwissenschaftliche Studie aus dem Umkreis der Universität Nottingham bietet einen Blick von außen auf ein ureigenes deutsches Phänomen, die >Heimat<, aufgezeigt als Geschichte und Entwicklung des Heimat-mode. Gattungs- und medienübergreifend wird mit Erfolg versucht, anhand exemplarischer Analysen von Werken aus Literatur, Film und Theater aus diesen Einzelbeispielen einen systematischen Zusammenhang zu konstruieren. Modelliert wird eine Diskursgeschichte der letzten hundert Jahre, die insbesondere dem Aufzeigen des jeweiligen Verhältnisses von Heimat und Nationalität geschuldet ist:

The rhetorical value of Heimat in opposition to, tension with, or as a variously defining quality of, nationhood will be one main strand of enquiry in this study. (S. 20)

>Heimat< wird als diskursives Phänomen verstanden, anhand dessen insbesondere Identität modelliert wird und in deren Kontext sich Konflikte austragen lassen. Das Konstrukt >Heimat< bietet sich in diesem Spannungsfeld an, selbst als Träger zur Verfügung zu stehen, selbst Zeichen zu sein, mit dessen Hilfe Probleme / Problemkomplexe zentraler Leitdifferenzen verhandelt werden (und sich mit Hilfe von >Heimat< zumeist harmonisieren lassen):

Key oppositions in the discourse of Heimat set country against city, province against metropolis, tradition against modernity, nature against artificiality, organic culture against civilization, fixed, familiar, rooted identity against cosmopolitanism, hybridity, alien otherness, or the faceless mass. (S. 2)

Aufbau

Der Band gliedert sich in eine Einleitung ("Mapping the Terrain") und sieben Kapitel, die von einer Chronologie, Hinweisen zu weiterer Literatur und weiteren Filmen zu den einzelnen Kapiteln und einer Bibliographie und einem Index abgeschlossen werden.

Die sieben Kapitel sind vier Phasen zugeordnet, die die Verfasser in der Einleitung als Schlüsselphasen ("key phases", S. 22f.) im Diskurs bestimmen und unterscheiden:

  • Kapitel eins, "Heimat at the Turn of the Century", dient der Illustrierung einer ersten Phase, datiert von 1871 bis zum ersten Weltkrieg, in der >Heimat< als Antwort auf Modernisierung und die Unzufriedenheiten mit dieser und auf regionale Spannungen im neuen Reich erscheint. Behandelt werden die Heimatkunstbewegung der Jahrhundertwende, Fritz Lienhards programmatischer Aufsatz "Los von Berlin" (1902), Adolf Bartels und Julius Langbehn. Dem folgen Clara Viebigs Eifel-Geschichten "Kinder der Eifel" (1897) – detailliert analysiert wird hieraus "Simson und Delila" – und "Das Kreuz im Venn" (1907), geleitet von dem Interesse, deren Verhältnis zur >Blut und Boden<-Ideologie zu bestimmen.

  • Kapitel zwei, "A Land Fit for Heroes?", dokumentiert eine zweite Phase, als die die 20er und 30er Jahre verstanden werden, in der der >Heimatmodus< sowohl von rechter Ideologie, linker kritischer Opposition als auch von innerem Widerstand zu vereinnahmen ist. Vorgestellt werden Ernst Wiecherts "Das einfache Leben" von 1939 and Marieluise Fleißers "Pioniere in Ingolstadt" (1929; 1968).

  • Kapitel drei, "(Un-)Happy Families / Heimat and Anti-Heimat in West German Film and Theatre", und vier, "At Home in the GDR?", sind einer dritten, dialektischen Phase nach dem zweiten Weltkrieg zugeordnet, in der das Anti-Heimat-Theater und der Film der 60er und 70er Jahre als Antwort auf den eskapistischen und revanchistischen Umgang mit Heimat in den 50er Jahren zu interpretieren sind. In Kapitel drei folgen nach einer Skizze des 50er Jahre Heimatfilms detaillierte Analysen zu Martin Sperrs "Jagdszenen aus Niederbayern", Rainer Werner Fassbinders "Katzelmacher" und "Wildwechsel", denen sich Überlegungen zu den Volksstücken von Franz Xaver Kroetz anschließen. Die filmische Repräsentation von Berlin als einer urbanen Heimat im Film der DDR wird in Kapitel 4 hierzu als "an interesting twist;" (S. 22) verbunden. Im Fokus steht Gerhard Kleins Film "Berlin um die Ecke" von 1965.

  • Die letzten drei Kapitel konzentrieren sich als eine vierte Phase um die wachsende Thematisierung einer deutschen Identität einerseits und eines Regionalbewusstseins andererseits, die beide im Kontext des beginnenden Endes des kalten Krieges und des Entstehens einer Umweltschutzbewegung und -politik gesehen werden.

    Kapitel fünf beschäftigt sich unter dem Titel "Heimat Past and Present – A Land Fit for Youth" mit Siegfried Lenz< "Deutschstunde" (1968), hiervon ausgehend mit Emil Nolde und der Heimatkunst und mit Michael Verhoevens Film "Das schreckliche Mädchen" von 1989.

    Kapitel sechs, "Homeward-Bound / Edgar Reitz's Heimat for the 1980s", widmet sich ausführlich – letztlich als paradigmatischer Text, aus dem die in der Einleitung dargestellten Ergebnisse (siehe unten) primär abgeleitet zu sein scheinen – Edgar Reitz< elfteiliger Fernsehproduktion "Heimat", die 1984 in der ARD ausgestrahlt wurde.

    Kapitel sieben, "Heimat Regained, Dissolved, or Multiplied?", bietet, ausgehend von Martin Walser und seinem Roman "Seelenarbeit" (1979), mit Analysen von Emine Sevgi Özdamars "Das Leben ist eine Karawanserei" (1994) und Feridun Zaimoglus "Kanak Sprak" (1995) und "Koppstoff: Kanaka Sprak vom Rande der Gesellschaft" (1998) einen Ausblick auf mögliche gegenwärtige Tendenzen und Entwicklungen des Heimat-mode.

Diskursgrundlagen

Die Einleitung "Mapping the Terrain" dient neben einer Skizze der historischen Ausgangssituation und deren historischen und denkgeschichtlichen Grundlagen dem Aufzeigen derjenigen Paradigmen, die die Vernetzbarkeit der Einzelanalysen gewährleisten und die in den weiteren Kapiteln dann eher vorausgesetzt und nicht mehr ausführlich betrachtet werden. Als deren Ergebnisse werden sie den Analysen vorangestellt.

Als Eckpunkte des Diskurses, die Heimat zum Zeichenträger machen, gelten vier Konstituierungsfaktoren:

  1. Die räumlich-zeitliche Dimension, "The spatio-temporal Heimat" (S. 23).

    Heimat dient als "spatial metaphor" dazu, eine spezifische Beziehung zwischen Raum und Zeit zu konstituieren:

    [...] time and change are built into the spatial metaphor of Heimat: time is the ever-present enemy of Heimat [...] (S. 24)

    Über spezifische ästhetische Strategien und textuelle Operationen gilt es, dem Raum diejenigen Merkmale der Zeit einzuschreiben, die dennoch erwünscht sind.

    Such interplay of space / place and time is a key structural facet of Heimat literature and film. (S. 24)

  2. Die semiotische Dimension, "Heimat as Image" (S. 24).

    Heimat ist immer einem Signifikationsprozess unterworfen, ein >Heimat-Effekt< muss demgemäß erst produziert werden:

    Nothing is intrinsically the Heimat: only when a piece of countryside becomes a landscape, when it is perceived as an image, does it turn into Heimat. (S. 24)

    Heimat ist Konstrukt, ist Vorstellung, und damit Nicht-Natur, (rhetorischer) >Wert<. Hier artikuliert sich der Grundgedanke der Argumentation, als der sich die Mythisierung von Heimat (nach Barthes, explizit etwa S. 3) 1 erkennen lässt. Die Studie richtet ihr Hauptaugenmerk dementsprechend auf die Beschreibung derjenigen textuellen Strategien, die in ihrem Zusammenspiel dazu beitragen, den Heimat-Effekt als Bedeutung zu produzieren.

  3. Die Gender-Dimension, "The Maternal Heimat as Threshold between Nature and Culture" (S. 26).

    Der Heimatdiskurs differenziert sich grundlegend hinsichtlich der Geschlechter und deren Funktionen aus. Heimat wird als weibliches Prinzip gesetzt – "Women [...] do not own the Heimat but embody it:" (S. 26) –, Frauen / Müttern eine mediale Leistung zugewiesen.

  4. Die dialektische Dimension, "Self and Other" (S. 27).

    Heimat ist bestimmt durch Ausgrenzung und Integration. Wer ausgeschlossen werden muss und wer integriert werden kann, ist dabei genauso wichtig, wie wer von Anfang an dazugehört. Gerade die Qualität der Grenze gilt es zu demonstrieren und zu dokumentieren, ist sie es doch, die Heimat wesentlich konstituiert:

    Heimat must always be ultimately bounded and defined through visible or hidden exclusion of the radically different and alien. The stranger may become one of us, but the boundary remains to exclude the alien. (S. 27)

    Damit ist im Heimatkonzept notwendigerweise die andere Seite immer auch bereits mitgedacht: "Heimat thus contains within itself its negative and other" (S. 28). 2 Heimat definiert sich also auch durch das Spannungsverhältnis zur Fremde und Exotik (Stichwort >Heimweh / Fernweh<).

Diskussionspunkte

So sehr den Interpretationen insgesamt zuzustimmen ist und sie interessante Perspektiven und Anregungen bieten – auch was die Möglichkeiten einer sinnvollen Vernetzung von Einzeltexten betrifft –, so ergeben sich bei der Lektüre auch einige Fragen, die die Konzeption des Bandes und die Bewertung einzelner Aspekte betreffen.

  1. Im Fokus der Ausführungen stehen nicht so sehr die >populären<, >trivialen<, >eindeutigen< Texte (und Kontexte), sondern diejenigen, die der Grundthese, dass das Zeichen >Heimat< ambivalent und verschieden zu füllen sei und als Diskursträger fungiert, ihre Evidenz verleihen. Doch auch die Rekonstruktion scheinbar einfacher Zusammenhänge und eindeutiger Merkmalszuweisungen, das Aufzeigen von zugrunde liegenden Ideologemen, wäre es wert, als Grundsubstrat des Diskurses geleistet zu werden.

    Eine solche Rekonstruktion ist nicht per se trivial und muss nicht zu scheinbar evidenten Ergebnissen führen. Sie wird dann interessant, wenn statt von einem traditionellen Ideologiebegriff von einem solchen ausgegangen werden würde, der Ideologie als operationalen Prozess, als Paradigmenvermittlung des Wünschenswerten versteht, und dessen spezifische Strategien und Argumentationsmuster zu explizieren sind. 3 Auch dies ist nicht hinreichend geleistet, gleichwohl die Studie darauf aufzubauend scheint.

  2. Zudem ist zu fragen, ob >Heimat< wirklich ein so freies Zeichen ist, wie die Argumentationen nahe zu legen scheinen, oder ob nicht die Werthaftigkeit von >Heimat< doch an Strategien der Harmonisierung und eher konservativen Komplexitätsreduzierungen gebunden ist. Erst als solches Bedeutungsbündel kann es, in gegebenen Kommunikationssituationen, dann sekundär dekonstruiert werden (wie in der Studie ja anschaulich aufgezeigt wird). Dies würde aber bedeuten, dass auch Texte, die gegen diesen Bedeutungshorizont verstoßen, implizit mit dem kulturellen Wissen und der Bewusstheit der Erwartung dieser Bedeutung operieren.

  3. Zu diskutieren wäre die Unterteilung in die gewählten vier Phasen. Die Antwort auf die Frage, wieso diese vier Phasen die Schlüsselphasen sind, mithin welche zentralen Gemeinsamkeiten die Phasen in sich bestimmen und sie von den übrigen abgrenzen, wird nicht gänzlich zufriedenstellend gegeben.

    So ließe sich die dritte Phase durchaus auch in zwei Phasen teilen, da hier (im Unterschied zur zweiten) eindeutig ein diachron organisiertes Verhältnis vorliegt, also eine Reaktion auf etwas zunächst, bereits Bestehendes (statt, wie in Phase zwei postuliert, gleichzeitig mögliche Varianten zu umfassen). Ebenso erscheint die vierte Phase als Konglomerat von Heterogenem, da die 80er Jahre mit der Wende (und Kohl) nicht notwendig dem gleichen Diskurs wie die Umweltbewegung, die ihren Ausgang in den 70er Jahren hat, zuzuordnen sind. Modellieren ließe sich dieser Zeitraum nicht nur als Kontinuität von den 70ern zu den 80ern, sondern auch als Bruch und eine Reinstallierung von Werten, 4 eben auch dem der >Heimat< als nationaler Identitätsstiftung. Vielleicht mag sich diese Phasenbildung dem Blick von außen bedingen, der Ähnlichkeiten deutlicher wahrnimmt und Unterschiede als relative erweist. Mehr Argumentation und Argumente wären hier erforderlich um Plausibilität zu erhöhen.

    Auffällig ist zudem, dass Zeiten, in denen es einen eindeutigen Diskurs gibt (oder zu geben scheint), im Band eher ausgeblendet sind, und diese fehlende Darstellung auch einen fehlenden Platz in der Systematik zu bedingen scheint. Wird der 50er-Jahre Heimatfilm in Kapitel drei noch kurz resümiert, so ist die NS-Zeit gänzlich außer acht gelassen. Sie scheint für den Heimatdiskurs irrelevant zu sein oder nichts Neues zu bringen. Sie ist in der Argumentation zwar als Fluchtpunkt gesetzt, aber eben als Punkt, den es selbst nicht zu betrachten gilt:

    In approaching the texts to be studied here the aim will be to explore both how they belong in a culture which led on to and followed after the Third Reich […] (S. 19)

    Zumindest aus der Filmproduktion der NS-Zeit, etwa aus Filmen wie "Heimat", "Die goldene Stadt", "Immensee", "Berge in Aufruhr" oder "Heimkehr", ließen sich aber durchaus spezifische Strategien des Umgangs rekonstruieren.

  4. In der ausführlichen Analyse von Edgar Reitz' "Heimat" (Kap. sechs) scheinen im Kontext der Einbeziehung und Interpretation von Referenzen einige Argumentationsgrundlagen auf, die es m.E. zu modifizieren gilt.

    Dies betrifft zum einen den Verweis auf Zarah Leander und deren Filme. Die Referenz auf den Film "Heimat" als emanzipatorischen Akt zu lesen vermag nicht zu überzeugen. Denn zumindest die Filmstrukturen dieses Films selbst – durchaus im Unterschied zu Rezeptionen später – lassen sich schwerlich als Individuation und Autonomisierung der Protagonistin deuten: Magda von Schwartze sieht am Ende ihre Schuld ein, wie der Gesangsakt >Buß< und Reue< öffentlich dokumentiert, nur durch diese prinzipielle Anerkennung der Werte und Normen ist sie in die Ordnung reintegrierbar. Was sich ändert, und dies ist eine zentrale filmische Argumentation, ist eine Inszenierung der Kategorien >alt(e Ordnung)< und >neu(e Ordnung)<, wobei das (scheinbar) Neue mit der NS-Ideologie verbunden wird. Dieser kann dann semantisch diese Kategorie als Wert angelagert werden, wie in vielen anderen Filmen der späten 30er Jahre auch. Veränderung gibt es also nicht hinsichtlich Fremdbestimmung / Autonomie des (weiblichen) Subjekts, sondern hinsichtlich der Kategorien >alt< und >neu< in der vorgeführten Welt, und dies geht konform mit der Selbststilisierung des NS-Regimes als des Neuen.

    Ebenso kann gezeigt werden, dass die Abweichung, die "La Habanera" aufzuweisen scheint, nur eine oberflächliche und insbesondere an das Paradigma der Medialität gebunden ist: Insofern die Wünsche auf den Star projiziert werden können, dient dies der Modellierung von Gefühlen und damit der ideologischen Regulation. 5 Wie in den 80er Jahren mit diesem filmischen Erbe umgegangen wird und wie es ins kulturelle Wissen eingegangen ist, das ist sinnvoll zu interpretieren. Diese Deutung ist aber nicht automatisch als Bedeutungskomponente der Filme in ihren historischen Kommunikationssituationen selbst anzusetzen.

    Zum anderen wäre die argumentative Indienstnahme des >frame<-Konzeptes, des Bildrahmens, zumindest zur Diskussion zu stellen und hinsichtlich seiner Bindung von Struktur und Funktion zu hinterfragen. Reicht das formale Mittel der Kadrierung wirklich eindeutig aus, um die vorgeführten Inhalte / Geschehnisse in ihrem Stellenwert zu relativieren? Oder steht dieses Mittel nicht als festes Bildarsenal, als Topoi zur Verfügung? Dann ist damit nicht der Inhalt relativiert, sondern die Offenheit selbst als eine inszenierte zu deuten (und somit als diese Struktur weiter zu interpretieren, nicht als Interpretationsraster zu verwenden). Immerhin wird die Rahmung mindestens seit John Fords "The Searchers" (1956) in dieser Funktion gesehen und hat sich damit als diese Semantik etwas abgeschliffen (wenn sie sie denn überhaupt eindeutig besessen hat).

    In diesem Kontext der Einbeziehung kulturellen Wissens, und sei es All-Gemeinwissen, seien als weiteres Beispiel die Telegraphendrähte aufgeführt. Diese mögen zu Beginn des Jahrhunderts bei Viebig (S. 46) / Kandinsky als neue Technik noch das gestörte, gespannte Verhältnis von Landschaft und Fortschritt indizieren und als Zeichen von Zeitlichkeit und Veränderung gelten. Aber müssen oder können sie das noch in Reitz' "Heimat" in den 80er Jahren, wenn dieses Bild eben bereits Bild geworden ist? Im kulturellen Wissen der 80er Jahre müssen sie nicht mehr notwendig eine Spannung anzeigen, sondern können als dieses alltäglich gewordene Bild durchaus auch harmonisch wirken.

    Der Einwand lautet, dass hier gerade nicht eine Historizität als Argumentationsgrundlage fungiert und die Texte als Dokumente ihrer Zeit und vor diesem Hintergrund, insbesondere dem jeweiligen Denksystem, gesehen werden (etwas, was den Band ansonsten ja durchaus auszeichnet), sondern als festes Motiv, das in seiner Bedeutung nicht als veränderlich gedacht wird. 6

Fazit

So sehr Details und Ergebnisse im Einzelnen zu diskutieren sind, so ist die Ermöglichung einer solchen (sinnvollen) Diskussion doch eine Qualität der Studie selbst, die sie der stringenten und nachvollziehbaren Argumentation verdankt. Die Studie bietet sehr differenziert und textorientiert genaue Beschreibungen und Beobachtungen und entwirft nicht nur eine in sich kohärente Diskursgeschichte, in der sich scheinbar oberflächlich Heterogenes systematisch-strukturell verbinden lässt, sondern bietet darüber hinaus eine Fülle von Anregungen, weiter zu denken. Sie hat den Blick für vieles geschärft:

  1. So ist es ein Verdienst der Studie, die oben aufgelisteten Konstituenten des Diskurses transparent und exemplarisch für die eigene Analyse fruchtbar gemacht zu haben.

  2. Hervorzuheben ist insbesondere das Aufzeigen der Relevanz räumlicher Strukturen und deren jeweiliger textueller Modellierung. Den Raum, dessen Semantisierung und die Bewegungen im Raum zur Grundlage der Interpretation zu machen und damit eine Engführung von Narration / Handlungsverläufe und Ideologisierung / Mythisierung zu erzielen, ist ein überzeugendes Konzept und besticht in der interpretatorischen Fruchtbarkeit dieses Verfahrens. 7

  3. Ebenso ist zu betonen, dass die Studie immer wieder auf die mediale Konstruiertheit von Heimat verweist, die eben immer Bild und Vorstellung ist: ein Modell, das selbst nur als >Absenz< und damit als Utopie zu konzeptionieren ist, 8 Zeichen, mit dessen Hilfe sich Probleme verhandeln lassen, etwa solche um >Modernität<, Träger etwa für den Aufbau von Konstruktion von Identitäten.

    Den eigenen Anspruch:

    In addition to locating individual texts within German history and in the history of the Heimat mode, the discussions will centre on the specifically literary and filmic qualities of the texts to show how time structure, narrative perspectives and plots, characterization, metaphorical subtexts, and, above all in this mode, locations and visual images work together to produce an often ambiguous rhetoric of identity and difference. (S. 29)

    erfüllt die Studie jedenfalls. Ein fremder Blick sieht manchmal mehr: "Heimat – A German Dream" ist nicht nur als Bettlektüre uneingeschränkt zu empfehlen.


Prof. Dr. Hans Krah
Universität Passau
Neuere Deutsche Literaturwissenschaft
Innstr. 25
D-94030 Passau
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Ins Netz gestellt am 02.09.2002
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Anmerkungen

1 Siehe Roland Barthes: Mythen des Alltags. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1964 [1957].   zurück

2 Als Stichwort wäre hier auf Derridas >Différance<-Prinzip zu verweisen. Anschaulich ist diese Struktur in Oskar Maria Grafs utopischen Roman "Die Erben des Untergangs" (1949; 1959) zu studieren. Um hier zwischen Regionalismus und universeller Weltheimat zu vermitteln, wird eine Grenze zwischen >Heimat< und >daheim< konstruiert. Vgl. ausführlich Hans Krah: Die Narration vom Ende. Weltuntergangsszenarien in Literatur und Film nach 1945. Kiel: Habilitationsschrift masch. 2000.   zurück

3 Siehe hierzu etwa Stephen Lowry: Pathos und Politik. Ideologie in Spielfilmen des Nationalsozialismus. Tübingen: Niemeyer 1991, S. 45 ff.   zurück

4 Siehe dazu allgemein etwa Hans Krah / Wolfgang Struck: Gebrochene Helden / gebrochene Traditionen / gebrochene Mythen. Der Film der 70er Jahre. In: H. K. (Hg.): All-Gemeinwissen. Kulturelle Kommunikation in populären Medien. Kiel: Ludwig 2001, S. 117–137.   zurück

5 Vgl. Jan-Oliver Decker: Die Leidenschaft, die Leiden schafft, oder wie inszeniert man eine Stimme? Anmerkungen zum Starimage von Zarah Leander. In: Hans Krah (Hg.): Geschichte(n). NS-Film – NS-Spuren heute. Kiel: Ludwig 1999, S. 97–122.   zurück

6 Abschließend wäre auf Jürgen Links Konzeption von Normalität zu verweisen: Jürgen Link: Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird. Opladen: Westdeutscher Verlag 1996.   zurück

7 Zu einen Überblick über narrative Beschreibungsmodelle, die dieser räumlichen Grundorientierung geschuldet sind, vgl. Hans Krah: Räume, Grenzen, Grenzüberschreitungen. Einführende Überlegungen. In: H. K. (Hg.): Räume, Grenzen, Grenzüberschreitungen. Bedeutungs-Welten in Literatur, Film und Fernsehen. Tübingen: Narr 1999, S. 3–13.   zurück

8 Vgl. Anm. 2 (Grafs >Heimat< als Utopie); zum Verhältnis von Heimat, Absenz und Musik vgl. auch: Hans Krah / Jörg Wiesel: "Volksmusik" und (Volks-)Gemeinschaft. Eine unheimliche Beziehung. In H. K. (Hg.): Geschichte(n). NS-Film – NS-Spuren heute. Kiel: Ludwig 1999, S. 123–173.   zurück