Ulrich Metschl
Susan James: Passion and Action. The Emotions in Seventeenth-Century Philosophy. Oxford: Clarendon Press
1997. 318 S. Geb. 35.00 Pfund.
Mit Gefühlen tun wir uns zuweilen schwer. Wenn nicht in der Praxis, also im wirklichen Leben, dann
ganz bestimmt in der Theorie. Jedenfalls scheint die moderne Wissenschaft in allen ihren Erscheinungsformen
mittlerweile in den pauschalen Verdacht geraten zu sein, die nur zu menschlichen Bedürfnisse auf emotionaler
Ebene sträflich zu vernachlässigen. Nichts bringt das entsprechende Unbehagen am
unterstelltermaßen übertrieben rationalistischen Geist der Wissenschaftlichkeit prägnanter auf den
begrifflichen Punkt als Max Webers Wort von der 'Entzauberung‘ einer an deutungsoffenen Phänomenen so
reichhaltigen Welt, die die Folge der auf Instrumentalisierung bedachten und daher zweckrational ausgerichteten
Wissenschaft ist. Wem dies aufgrund eines mangelnden Bezuges zur Lebenswelt zu wenig ist, der mag sich die in
seinen Augen erforderlichen Korrekturen von der auf Ganzheitlichkeit abonnierten Philosophie oder einer auf
Therapie spezialisierten Psychologie erhoffen, in aller Regel um den Preis der Erkenntnis freilich, dass letztere,
wohlverstanden, eine um Objektivität bemühte Wissenschaft wie andere auch, und daher
zuvörderst einem Ideal der Zweckrationalität verpflichtet ist, während gerade erstere jenem
Rationalitätsideal mitunter am eifrigsten das Wort redete.
Leidenschaften als Störfaktor
Doch ungeachtet derartiger Vorurteile bleibt, was die Philosophie betrifft, festzustellen, dass es mit Beginn der
Neuzeit tatsächlich erkenntnistheoretische Fragestellungen und damit eine wissenschaftsorientierte Haltung
waren, die die sachlichen Inhalte der philosophischen Erörterungen bestimmten und die allenfalls
kontrapunktisch und auch dann erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von einem Interesse an
lebensweltlichen Bezugnahmen im heutigen Verständnis begleitet wurden. Weil die neuzeitliche
philosophische Kernfrage nach der Erkennbarkeit der Welt regelmäßig in die Forderung nach einem
methodisch abgesicherten, eben wissenschaftlichen Vorgehen mündete, konnte leicht der Eindruck entstehen,
dass Gefühle, oder wie der lange Zeit gebräuchlichere Ausdruck lautete: Leidenschaften der Philosophie
der Neuzeit bestenfalls als Störfaktoren erscheinen konnten. Als solche mussten sie zunächst als ein
Hindernis auf dem Weg zu wahrem Wissen, schließlich aber auch in den Bemühungen um rechte
Lebensführung angesehen werden. Spinozas bekannte Gleichsetzung von vernünftiger
Lebensgestaltung, gerade auch in politischer Absicht, mit Befreiung aus den Fesseln und der Knechtschaft unserer
Leidenschaften fügt sich nahtlos in dieses Bild.
Theorien des Gefühls im 17. Jahrhundert
Doch wie immer ist die Wahrheit nicht einfach, und so wenig wie die Entstehung moderner Wissenschaft einen
von manchen vermuteten Agnostizismus oder gar Atheismus zur Voraussetzung hatte, so wenig beginnt die
Philosophie der Neuzeit ihren wissenschaftstheoretischen Triumphzug mit der pauschalen Ausgrenzung des
Gefühls. Es ist daher, schon aus Gründen der historischen Richtigstellung, von nicht zu
unterschätzendem Wert, wenn Susan James im Rahmen ihrer Monographie Passion and Action. The Emotions in
Seventeenth-Century Philosophy den Stellenwert von Gefühl und Leidenschaften für die Philosophie der
frühen Neuzeit genauer und jenseits verfälschender Vereinnahmungen nachzeichnet. James‘ Anliegen ist
allerdings nicht nur ein historisches, und das mit gutem Recht. Denn sowohl auf Seiten der theoretischen wie der
praktischen Philosophie gibt es auch in systematischer Hinsicht gute Gründe, den Theorien der
Leidenschaften des 17. Jahrhunderts einige Aufmerksamkeit zu schenken. Zum einen hat sich in dieser Zeit eine bis
heute vorherrschende repräsentationalistische Konzeption von Erkenntnis entfaltet, die Wissen
paradigmatisch als eine Abbilden der Wirklichkeit versteht, und die damit Wissenszustände insoweit
Leidenschaften angleicht, als im Vorgang des Erkennens der Verstand nur in Form eines 'Spiegels der Natur‘ (R.
Rorty), d.h. genau wie die Leidenschaften rein passiv in Erscheinung tritt, und zum anderen hat sich, beginnend im
17. Jahrhundert und in der Folge der durch Descartes eingeleiteten Wendung zu einem epistemischen Subjekt, jene
Vorstellung von rationalem Handeln entwickelt, die als Motivation nur subjektive Empfindungen im Sinne von
Präferenzen und Erwartungen anerkennt, und damit Fragen über die Beziehung von rationalen und
moralischem Handeln aufwirft, die bis heute die praktische Philosophie beschäftigen. Die sachlichen
Gründe, die James selbst als Rechtfertigung für eine eingehende Betrachtung der
frühneuzeitlichen Theorien des Gefühls anführt, sind allerdings differenzierter.
Plädoyer für eine neue Bewertung der früneuzeitlichen Ansätze
Ausgehend von der kaum bezweifelbaren Grundüberzeugung, dass Gefühl und Leidenschaft für die Denker der
frühen Neuzeit einen wesentlichen und unaufhebbaren Bestandteil der menschlichen Natur darstellten, und als
solche zwei Gesichter haben, plädiert James nicht nur für eine vorurteilsfreie und von
philosophiegeschichtlichen Traditionen unbelastete Beschäftigung mit den klassischen Texten der
frühen Neuzeit, mit der Fehldeutungen jener philosophisch so folgenreichen Epoche vorgebeugt werde.
Diese keineswegs zweckfreien Untersuchungen der Leidenschaften, welche uniform verstanden werden als seelische
Zustände, die uns Gegenstände als gut oder schlecht erscheinen und damit zu Objekten von Zu- oder
Abneigung werden lassen (S. 4), können, so James, auch dazu dienen, gegenwärtige philosophische
Anschauungen über den Weg ihrer Entstehung besser zu verstehen. In der Tat sind bestimmte Vorstellungen
über die Philosophie des 17. Jahrhunderts in der zeitgenössischen Philosophie des Geistes etwa von
prägenden Einfluss, und eine Neubewertung der frühneuzeitlichen Auffassungen könnte insofern
durchaus heilsame Wirkung in gegenwärtigen Debatten entfalten.
Ein erweitertes Bewusstsein über die Reichhaltigkeit früherer Ansätze mag auch dazu
beitragen, eventuell mit der Gegenwartsphilosophie verbundene Blickverengungen, und James verweist in diesem
Zusammenhang völlig zurecht auf die lange Zeit hilflose Behandlung der Emotionen in der analytischen
Philosophie, aufzubrechen. Auch wo es sich nicht um echte Blickverengung handelt, wie im Falle der
Handlungstheorie bei der stabil verankerten Überzeugung, dass Handlungen die Resultante aus
Überzeugungen und emotiver Haltung in Form von Wünschen oder Abneigungen sind, mag eine
Einsicht in die Genese derartiger Paradigmen der kritischen Selbstbesinnung förderlich sein.
Aristotelische und scholastische Tradition
Diese Aspekte treten jedoch ausser als motivierendes Element im Verlauf der weiteren Untersuchung nicht
mehr in Erscheinung, und so bleibt diese, trotz ihres systematischen Anspruchs weitgehend auf die Darstellung der
historischen Verhältnisse beschränkt. Dabei kommen James vornehmlich jene Autoren in den Blick, die
ihren festen Platz in den Lehrplänen britischer wie australischer Universitäten einnehmen (und auch von
diesen nicht alle). Ist die Darstellung in ihrem weiteren Verlauf damit auch nicht gänzlich frei von einem
Moment der Willkür, so ist doch immerhin ihr Ausgangspunkt ziemlich eindeutig festgelegt: philosophische
Theorien des 17. Jahrhunderts finden einen gemeinsamen Punkt der Abgrenzung in der aristotelisch-scholastischen
Tradition. Auch für das Verständnis seelischer Zustände waren aristotelische Begriffe, wenn auch
in unterschiedlicher Nuancierung und ergänzt durch verschiedene theologische wie philosophische
Einflüsse, eine verbindliche Vorgabe. Wenn James daher in einem einleitenden Abschnitt (Part I) die
entsprechenden Konzeptionen von Aristoteles sowie Thomas von Aquin wiedergibt, so kann sie sich darauf berufen,
dass deren Theorien für die philosophische Behandlung der Leidenschaften im 17. Jahrhundert genauso
Voraussetzung waren, wie es ihre naturphilosophischen Vorstellungen für die Entstehung einer neuen, nicht-
teleologischen, mechanistischen Physik gewesen sind: als ein Modell, von dem man sich abzugrenzen suchte, dessen
Standards an argumentativer Strenge und methodischer Verbindlichkeit jedoch weiterhin Gültigkeit
beanspruchen durfte.
Aktivität und Passivität
In der Tat verzichtet James ausdrücklich auf den Anspruch, die aristotelisch-
scholastische Theorie der Emotionen neu schreiben oder auch nur vollständig wiedergeben zu wollen. Das
Leitmotiv von Aktivität und Passivität, zwischen denen sich Emotionen bewegen, wird aber mit Bedacht
dem aristotelischen Rahmen entnommen, der Gefühle über der Differenz von Tätigkeit und
Leiden, im Sinne von Passivität, aufspannt. Aktivität und Passivität sind in der aristotelischen
Metaphysik ihrerseits eine Folge der Akt/Potenz-Unterscheidung, aus welcher sich schließlich eine Zweiteilung
von Form als dem Tätigen und Materie als zu formender Potenz ergibt. Ontologische Unterschiede zwischen
existierenden Gegenständen finden in diesem Rahmen eine einfache Erklärung: ein Gegenstand ist das,
was er ist, weil eine in bestimmter Hinsicht unspezifierte Materie in bestimmter Weise geformt wurde. Die
essentialistischen Feinheiten der aristotelischen Metaphysik, die auch James nur Revue passieren läßt,
müssen hier nicht wiedergegeben werden; von Interesse ist nur, wie in diesem Rahmen eine Beschreibung von
Gefühlen und Leidenschaften aussieht. Denn diese vollzieht sich augenscheinlich auf einer anderen Ebene.
Leidenschaften im Kontext der Seelenlehren von Aristoteles und Thomas v. Aquin
Die menschliche Seele, als die Resultante verschiedener Formen, besitzt, und dies ist ein platonisches Erbe,
verschiedene Teile, die in unterschiedlicher Weise, je nach ihrer Bestimmung, wirksam werden. In der Wahrnehmung
beispielsweise tritt die Seele, jedenfalls nach Aristoteles, passiv in Erscheinung, in dem Streben nach bestimmten
Gütern dagegen durchaus auch aktiv. Dieser Gedanke verbindet sich für Aristoteles mit der Einsicht,
dass Leidenschaften tatsächlich keine rein seelischen, sondern vielmehr seelisch-leibliche Zustände sind,
und kaum jemand würde bestreiten wollen, dass heftige Gefühle an eine entsprechende
körperliche Erregung gekoppelt sind. Die moralischen Fragen allerdings, etwa nach der Reichweite oder dem
Wert von Selbstbeherrschung, streift James nur im Vorbeigehen, dafür räumt sie der thomistischen
Ausarbeitung dieses Ansatzes wesentlich mehr Gewicht ein. Dahinter steckt der Gedanke, jenen Beitrag des Thomas
von Aquin zur aristotelischen Theorie der Leidenschaften, der in einer deutlichen Ausdifferenzierung der Seele in
ihre vegetativen, sensitiven und verstandesmäßigen Bestandteile und in der stärkeren Betonung
emotionaler Zustände als wesentliche Handlungsmotivation besteht, für den weiteren Verlauf der
Untersuchung zu betonen. Denn der entscheidende Nutzen der Auseinandersetzung mit Aristoteles und Thomas
von Aquin ergibt sich für James daraus, dass sich vor diesem Hintergrund der Übergang zu
neuzeitlichen Theorien der Leidenschaften als überaus ambivalent verstehen lässt: während
einerseits mit der Neuzeit die teleologisch-finalen Erklärungsmuster aristotelischer Provenienz, welche auf
einer essentialistische Metaphysik fußten, durch kausal-mechanistische Erklärungen ersetzt wurden, in
denen weder auf ein Wesen‘ der Dinge, noch auf die, ohnehin unerforschlichen, Absichten des Schöpfers
rekurriert wurde, erwiesen sich andererseits die klassischen Vorgaben bezüglich der Leidenschaften, und zwar
gerade in ihrer thomistischen Variante, als erstaunlich langlebig. Das inhaltliche Verständnis von
Gefühlen war nicht in der gleichen Weise hinfällig geworden wie der theoretische Rahmen, in dem es
ursprünglich formuliert war. Als besonders robust, so James, erwies sich insbesondere die Dualität von
Aktivität und Passivität.
Der cartesische Ansatz in der Tradition
James bietet mit dieser Sichtweise fraglos einen originellen und attraktiven Gedanken und ermöglicht
dergestalt, die späteren Thesen, welche die gemeinhin unterstellte Trennung von Geist und Materie
relativieren, angemessen einzuführen. So ist es vor diesem Hintergrund nur zu verständlich, dass die
Entwicklung einer neuen Theorie der Leidenschaften zunächst in unterschiedliche Richtungen und mit
verschiedenen Ansätzen erfolgte. Wirkungsgeschichtlich am folgenreichsten war freilich der Vorschlag von
Descartes, und mit seinem Verständnis von Leidenschaften eröffnet James den Hauptteil ihrer
Untersuchung. Ihrer Zielsetzung entsprechend ist sie bemüht, auch im Falle des philosophiegeschichtlich als
revolutionär eingestuften Descartes die Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen mit der aristotelisch-
scholastischen Tradition hervorzuheben. Solche finden sich durchaus, auch wenn Descartes den grundlegenden
Glauben an ‚Fähigkeiten‘, welche bestimmten Seelenteilen zukommen, als erklärungsuntauglich ebenso
verabschiedet wie die speziellere, thomistische Einteilung in ‚concupiszible‘ und ‚iraszible‘ Verlangen. Denn
unwidersprochen bleibt die Auffassung von Wahrnehmung, und schließlich aller verstandesmäßiger
Operationen, als einem passivem Vorgang, dem als aktives seelisches Moment der Wille gegenübersteht. Auch
die Überzeugung, auf die James besonderes Gewicht legt, dass Leidenschaften den seelisch-leiblichen
Komplex betreffen und somit weder isoliert im geistigen, noch körperlichen Bereich bestehen, ist fester
Bestandteil der cartesischen Anschauungen. Allerdings war die grundsätzliche Spannung, die sich aus
Descartes‘ strikter Trennung von res extensa und res cogitans und der gleichzeitigen, im Denken wie Handeln
erkennbaren Wechselwirkung zwischen der körperlichen Welt und dem Bewusstsein ergibt, eine offene
Aufforderung, die philosophische Begründung der Neuen Wissenschaft der Mechanik über Annahmen
zu formulieren, die das cartesische Ideal der durchgängigen Erklärbarkeit der Welt ermöglichten,
ohne den eigenen Prinzipien untreu zu werden. Die Unplausibilität und damit Unerklärbarkeit der von
Descartes verfochtenen Überzeugung, dass die Zirbeldrüse die Schaltstelle zwischen dem mechanischen
Gesetzmäßigkeiten gehorchenden Bereich der körperlichen Welt und dem einerseits logisch-
semantischen, andererseits psychologischen Regeln unterstehenden gedanklichen Bereich sei, war nur der deutlichste
Ausdruck für die Ungereimtheiten, mit denen der cartesische Ansatz behaftet war.
Reaktionen auf Descartes: Malebranche, Spinoza und Hobbes
Die Alternativen und Verbesserungsvorschläge, die James zunächst berücksichtigt, stammen
von Malebranche, von Hobbes und von Spinoza. Für keinen dieser Denker steht seine Bedeutung für
die Philosophie des 17. Jahrhunderts in Frage, doch wird diese Wahl dadurch keineswegs schon zwingend. James‘
Überlegung mag die folgende gewesen sein: Während Malebranche zwar die Unplausibilität der
Zirbeldrüsentheorie erkennt, behält er sowohl den cartesischen Dualismus der Leib-Seele-Trennung als
auch die Lehre von den beiden unterschiedlichen Funktionen des Geistes, Verstand und Willen, - eine Lehre, die
ihrerseits ein Erbe der aristotelisch-scholastischen Tradition ist – bei. Da Malebranches eigene, okkasionalistische
Position, die als Verbindung zwischen Denken und körperlicher Welt nur das unmittelbare und bei jeder
Gelegenheit erneut erforderliche Eingreifen Gottes zulässt, ebenfalls nicht alle Seiten überzeugen
konnte, gewinnt zumindest rückblickend Spinozas metaphysisches System als eine konsequente und, wie
manche heute sagen würden, reflexive Fortführung des cartesischen Programms an Attraktivität,
während Hobbes mit einem fast materialistischen Nominalismus in direkte Opposition zu Descartes tritt. Eher
beiläufig geht James auf die für Malebranches Denken maßgeblichen augustinischen
Einflüsse ein, die, mehr oder weniger direkt, auch die ethischen Implikationen seiner Theorie der
Gefühle prägen. Die handlungsmotivierende Seite der Leidenschaften, die James bei Malebranche als
einen Differenzpunkt zu Descartes herausstreicht, tritt wird bestimmend für ihre Schilderung von Hobbes.
Denn Descartes hatte mehr über die Entstehung der Leidenschaften zu sagen als über ihre inhaltlichen
Aspekte, und während Hobbes die mechanistische Erklärungsweise nicht weniger konsequent verfolgt,
stellt er dem cartesischen Mangel eine mechanistische Handlungstheorie entgegen, derzufolge "[p]assions are
[...] thoughts which issue in action" (S.134). Zwar sah bereits Descartes den Unterschied zwischen
Perzeptionen und Emotionen durch den Ort ihres Ursprungs begründet, insofern Wahrnehmungen durch
äußere Reize verursacht werden, während Passionen eine Art innere Wahrnehmungen darstellen,
ganz so wie Hobbes von aussen wirkenden Reizen eine gegenwirkende Binnenstruktur, den conatus, entgegensetzt,
der, individuell unterschiedlich, auch individuelle Neigungen und Vorlieben in einer ansonsten einheitlich wirkenden
Psychomechanik erklärt. Aber erst Hobbes verzichtet auf eine Trennung von Verstand und Wille, mit dem
Ergebnis, dass psychische Vorgänge unmittelbar in Handlungen übersetzt werden können.
Spinoza und seine monistische Metaphysik
Bekanntlich war Spinoza in seinen politischen Anschauungen stark von Hobbes beeinflusst, aber die politische
Philosophie beschäftigt James weder bei Hobbes noch bei Spinoza. Vielmehr dient ihr Spinoza als Beleg
für die Überwindung der aristotelisch-scholastischen Tradition, sofern diese Gefühle und
Empfindungen aus der Zweiteilung von Aktivität und Passivität erklärt hatte. James skizziert die
monistische Metaphysik Spinozas in knapper, aber durchaus nachvollziehbarer Weise, geleitet von der Absicht
nachzuweisen, dass es diesem schließlich gelungen sei, Passionen ohne die inhärenten Schwierigkeiten
des dualistischen Ansatzes von Descartes und Malebranche und ohne den mit Hobbes‘ mechanistischen
Materialismus verbundenen Mangel, der letztlich jeden Unterschied zwischen dem aktiven Ausdruck des Wollens
und einem bloß passiven Determiniertwerden einebnet, theoretisch zu formulieren. Leicht vereinfacht ist
Spinozas Haltung zu den menschlichen Leidenschaften schnell erklärt: emotionale Einstellungen finden sich
dort, wo unser Verständnis der Zusammenhänge unvollständig ist, diese aber, auch im Lichte des
eigenen Wohl und Wehe, das unserem conatus entspricht, einer Beurteilung unterzogen werden müssen. Weil
Spinoza Descartes‘ Forderung nach durchgängiger Erklärbarkeit der Welt entlang mechanischer
Kausalketten (eine Forderung, die Descartes durch seinen Voluntarismus, der die Naturgesetze an den Willen Gottes
bindet, selbst unterläuft) konsequent zu Ende denkt, läuft diese Haltung darauf hinaus, von allem, was
geschieht, zu behaupten, dass es mit Notwendigkeit geschieht. Ein Verständnis aber, dass mit einer Einsicht in
die Notwendigkeit eines Sachverhaltes einhergeht, lässt für Gefühle im üblichen Format in
der Tat wenig Raum. Wer versteht, wie etwas geschehen musste, der ist dem Bedürfnis nach
persönlicher Einschätzung oder Stellungnahme, und eben diese leisten Gefühle, weitgehend
überhoben. Das einzige Gefühl, das dann weiterhin seine Berechtigung haben mag, ist eine Art stiller
Freude über die Großartigkeit der Schöpfung, die geschaffen ist durch ‚deum sive naturam‘.
Die Wertschätzung, die James der Metaphysik Spinozas, ohne überschwenglich zu werden,
entgegenbringt, ist sicher berechtigt. In der Tat gehört Spinoza zu den bewundernswertesten Gestalten des 17.
Jahrhunderts. Dennoch ist seine Philosophie nicht über alle Kritik erhaben, und wer auch nur flüchtig
Leibniz studiert hat, weiss, dass der Verlust jeder Kontingenz ein hoher Preis für soviel cartesische
Folgerichtigkeit ist. Leibniz allerdings, wiewohl kaum minder ein Denker des 17. Jahrhunderts, ist James keiner
Erwähnung wert.
Neue Aspekte, aber keine Neubewertung
Mit welchem Ergebnis also lässt uns die Betrachtung von Descartes und Malebranche, Hobbes und
Spinoza als Theoretikern der Leidenschaften zurück? Zweifellos lenkt James unsere Aufmerksamkeit auf
häufig vernachlässigte Aspekte der Philosophie des 17.Jahrhunderts, und insoweit stellt ihre
Untersuchung eine willkommene Ergänzung der vorherrschenden Interpretationen frühneuzeitlichen
Denkens dar. Eine Neubewertung der klassischen Autoren wird jedoch durch James weder vorgenommen, noch
gefordert. Auch mit dem weiteren Verlauf der Untersuchung, der den Blick über die systematischen und
metaphysikzentrierten Ausführungen der genannten Autoren hinaus auf die weiteren Erörterungen der
Leidenschaften zu Beginn der Neuzeit richtet, wird die Philosophiegeschichte nicht neu geschrieben. Trotzdem ist
James recht zu geben, wenn sie herausstreicht, dass die in späteren Zeiten mit dem 17. Jahrhundert assoziierte
Vorstellung von der emotionsfreien, nicht subjektfixierten und somit objektiven Erkenntnis der Wissenschaften im
17. Jahrhundert selbst keineswegs unangefochten und konkurrenzlos war.
Zum Verhältnis von Erkenntnis und Gefühl
In den weiteren Kapiteln, die Teil III der Monographie bilden, trägt James daher eine Reihe von
Überlegungen, Ansichten und Fragestellungen vor, die sich unter dem Thema ‚Erkenntnis und Gefühl‘
zusammenfassen lassen. Deren Verhältnis ist zunächst durch die Einsicht geprägt, dass
Gefühl und Leidenschaft die Fähigkeit zu nüchternem Urteil nicht gerade fördern und uns
daher für Irrtümer und Fehleinschätzungen anfällig werden lassen. Zeitlicher und/oder
räumlicher Abstand, geistige Ungeduld, die zu vorschnellem Urteilen verleitet, aber auch die Neigung, das
subjektives Empfinden für einen objektiven Tatbestand zu nehmen, wie sie viele Menschen zum Beispiel beim
Umgang mit Spinnen an den Tag legen, und die Malebranche zu ausführlichen Erörterungen über
die psychologische Wirkung von grandeur und petitesse veranlassten, behindern unser Streben nach Erkenntnis durch
ihre jeweils subjektzentrierte Perspektive. Die naheliegende Konsequenz aus dieser Einsicht kann zunächst nur
lauten, die Wissenschaft mit ihrem Ziel nach objektiver Erkenntnis frei von Leidenschaften zu halten und über
die Entwicklung geeigneter wissenschaftlicher Methodik die erforderliche kritische Selbstkontrolle sicherzustellen.
Wie es allerdings möglich ist, dem verzerrenden Einfluss des Gefühls bei der Beurteilung von
Sachverhalten, die doch zwangsläufig aus einer subjektiven Perspektive erfolgen muss, zu entgehen, ist nicht
ohne weiteres ersichtlich. Descartes hatte bekanntlich, damit den Rationalismus begründend, Erkennen
für eine spezifische Verstandesleistung gehalten, und so von der Wahrnehmung weitgehend entkoppelt.
Dementsprechend verweist James auf die Unterscheidung zwischen sinnlichen und intelligiblen Ideen. Letztere sind
deshalb dem Einwirken der Leidenschaften entzogen, weil sie als reine Verstandesideen in keiner räumlichen
Beziehung zu uns stehen, damit auch keine körperliche Wirkung haben können, und insofern, weil
Leidenschaften im cartesischen Modell der leiblich-seelischen Gesamtheit zuzurechnen sind, auch nicht durch
Gefühle, man möchte sagen: kontaminiert werden können. Die Frage, die sich daran freilich
anschließt, ist: wenn wissenschaftliche Erkenntnis tatsächlich so klinisch frei von emotionalen
Beeinträchtigungen gehalten werden kann, indem sie aus rein verstandesmäßigen Ideen
hervorgeht, wie ist es dann zu erklären, dass wir an wissenschaftlicher Erkenntnis je interessiert sind?
Erkenntnis versus Intuition
Die darauf versuchten Antworten von Descartes und schließlich Spinoza, die, soweit sie James
rekapituliert, im wesentlichen in der Annahme einer besonderen Klasse intellektueller Gefühle, jeweils
unterschiedlich gestaltet, aber in jedem Fall verschieden von den übrigen Leidenschaften, besteht, bleiben
hinsichtlich ihrer weiteren Auswirkung unscharf. Klar ist, dass diese willkürlich wirkende Unterscheidung
zwischen kognitiven und anderen Gefühlen ohne weitere Ausführung kaum zufrieden stellt. Aber weder
unterzieht sich der James der Mühen weiterer Erläuterungen, noch bietet sie eine darüber
hinausweisende Kritik dieser Vorstellung. Immerhin scheinen diese Antworten, weil sie auf einer strikten Trennung
zwischen Erkenntnis und Gefühl beharren, in Opposition zu einer Auffassung zu stehen, die Wissen selbst als
einen Gefühlszustand begreift und vielleicht das richtige Gefühl auch für das Kriterium wahrer
Erkenntnis nimmt. Am bekanntesten ist diese, in einer augustinischen Tradition stehende Vorstellung in ihrer ‚Man
sieht nur mit dem Herzen gut‘-Variante, deren bekanntester Vertreter wiederum Blaise Pascal war. Nun ist unschwer
zu erkennen, wie sich durch diesen Rückgriff auf Intuition religiöse Gewissheit zu höherem
Wissen adeln lässt, und noch leichter ist zu sehen, dass diese Konzeption deutlich vormoderne Züge
aufweist. Denn insbesondere die moderne Vorstellung von wissenschaftlicher Erkenntnis als einer Art
öffentlichem Gut muss auf einer Abtrennung der für die epistemische Rechtfertigung, die ja eine
intersubjektiv nachvollziehbare sein soll, unerheblichen Gewissheitserlebnisse bestehen.
Gefühle als Handlungsmotivation? - Bruch mit der Tradition
Die Auseinandersetzung darüber, in der schließlich Locke gegenüber den Cambridger Platonisten die Oberhand
behält, führt auch zu dem abschließenden Thema des vierten Teils: dem Zusammenhang von
Gefühlen und Handlungen. James vertritt die Ansicht, dass mit den Handlungstheorien, wie sie Descartes,
Hobbes und schließlich Locke entwarfen, der endgültige Bruch mit der aristotelisch-scholastischen
Tradition vollzogen ist. In der Beantwortung der Frage nach den Entstehungsbedingungen für Handlungen,
die primär geleitet war von dem Bestreben, die traditionelle Handlungserklärung aus den
unterschiedlichen und mitunter widerstreitenden Teilen der Seele zu überwinden, werden nicht nur
Konzeptionen einer ungeteilten, in sich vereinigten Seele entwickelt, sondern über den dabei entstehenden
Ansatz der Erklärung aus Wünschen (desires) auch die lange Zeit treibende Spannung zwischen
Aktivität und Passivität überwunden. Die heute so selbstverständliche Vorstellung, desires als
Handlungsmotive anzunehmen, sah sich in ihren Anfängen zunächst fast unvereinbaren Anforderungen
gegenüber. Descartes konnte trotz seiner Verachtung für die in unterschiedliche Richtungen ziehenden
Seelenteile des hl. Thomas die thomistisch leicht verständliche Möglichkeit seelischer Konflikte im
Vorfeld einer Handlungsentscheidung nicht ignorieren. Und so verlagerte er die Ursache möglicher Konflikte
in den Dualismus zwischen Körper und Geist, die beide und an der Schaltstelle Zirbeldrüse kollidierend
zur Ausprägung eines désirs ihren Beitrag und dies unter Umständen mit verschiedenen Zielrichtungen
leisten.
Der Wille als Entscheidungsträger bei Locke
James sieht diesen Vorschlag zwar mit einem Verlust an emotionalem Gehalt und Motivationskraft von
Gefühlen behaftet, betont im übrigen aber nur, dass er trotz sonstiger Vorzüge von anderen
Denkern allenfalls dem Geiste, nicht aber dem Buchstaben nach übernommen wurde. In der Tat stammt der
heute am modernsten erscheinende Vorschlag einer Handlungstheorie von John Locke, der, den Ansatz von
Thomas Hobbes fortführend, dessen Schwierigkeit, in einem glatten Determinismus zu enden, welcher
Akteure jeglicher Kontrolle über ihr Handeln beraubt, zu umgehen weiss. Das Ergebnis, mit dem Hobbes‘
mechanistische Erklärung uns zurücklässt, ist "a picture in which there is no will. There is
just passion."(S. 284). Locke gelingt es, den Willen als eigenständige und reflektierte
Entscheidungsinstanz einzurichten und ihn so von den desires abzukoppeln, "thereby reinstating the agent’s
control over the connection between desire and action" (S. 285).
Keine umfassende und nicht vollständig überzeugende Darstellung
Zweifellos gelingt es Susan James mit ihrer Untersuchung, das vorliegende Bild der frühen Neuzeit um
interessante Details zu bereichern. Eine vollständige Behandlung der frühneuzeitlichen
Auseinandersetzung mit Leidenschaften und Gefühlen wird man nicht erwarten wollen, und tatsächlich
dürfte die Beschränkung auf den Kanon der philosophischen Klassiker, trotz des modischen Interesses
für Denker wie Montaigne, ihre Berechtigung haben. Dennoch kann der Rezensent ein gewisses Unbehagen
nicht verleugnen. Denn der Versuch, die aus der aristotelischen Metaphysik abgeleitete Spannung zwischen
Aktivität und Passivität zu einem verschränkenden Leitthema zu machen, überzeugt wenig,
und James konnte sich auf diese auch kaum verlassen. So bleibt ihr nur der Ausweg, in mitunter fast rhapsodistischer
Weise Auffassungen zu referieren, deren Gemeinsamkeit über eine geteilte Begrifflichkeit wenig hinausgeht.
Dies ist nicht nur dem Lesevergnügen abträglich. Denn fraglich bleibt auch, was die im 17. Jahrhundert
entstehenden Zugänge zu Emotionen, ausser dass sie im Umfeld der entstehenden Mechanik formuliert
waren, verbindet und inwiefern unser bisheriges Verständnis dieser Epoche wesentlich korrigiert werden muss.
Dass die Entstehung der Moderne auf einen Schlag und aus einem Guss erfolgte und sämtliche früheren
Ansätze damit schon beseitigt waren, das wurde schließlich nie ernsthaft behauptet. Der Verzicht auf
Leibniz, dessen späte Schriften bereits dem 18. Jahrhundert angehören, mag insofern symptomatisch
sein. Denn der Mangel einer verschränkenden Fragestellung, welche ein klares Erkenntnisinteresse hätte
vermitteln können, ist vielleicht eine schlichte Folge dieser chronometrischen Entscheidung, sich exakt auf das
17. Jahrhundert zu beschränken, eine Entscheidung, für die es keine sachliche Rechtfertigung gibt.
Hätte sich James bereit gefunden, die Theorien des 17.Jahrunderts als den Beginn einer Entwicklung in der
Beschäftigung mit Emotionen anzusehen, hätte sie also versucht zu verstehen, wie die Denker des 17.
Jahrhunderts die schottische Aufklärung und deren Theorien des moralischen Gefühls ebenso wie die
schließlich für die Literatur so wichtige Empfindsamkeit des 18. Jahrhunderts vorbereiteten, dann
hätte sie sich des Beifalls einer breiten, nicht nur aus Philosophiehistorikern bestehenden akademischen
Öffentlichkeit sicher sein können. So aber ist es ein Buch für Spezialisten geworden, das auch
diese nicht zu überschwenglicher Begeisterung hinreissen wird. Wer sich intensiv mit den klassischen Denkern
des 17. Jahrhunderts auseinandersetzen möchte, fndet in James‘ Monographie eine nützliche, mitunter
anregende Vervollständigung, eine aufgeklärte und über Schematisierungen erhabene
Ergänzung zu den klassischen Texten selbst und den metaphysikorientierten Einführungen in diese.
Aber dass Susan James die abschließende Darstellung der Theorien der Leidenschaften in der Neuzeit
gelungen ist, das wird man nicht glauben müssen. Und wer gar gehofft hatte, die für ihre Verstaubtheit
berüchtigte Philosophie würde sich nunmehr den Gefühlen öffnen, der wird vollends
enttäuscht sein.
Ulrich Metschl
Münchner Zentrum für Wissenschafts- und Technikgeschichte
c/o Deutsches Museum
D-80306 München
Ins Netz gestellt am 26.10.1999.
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