Mueller-Wille über Schiedermair: Poststrukturalistische Theorie im Widerschein schwedischer Gegenwartsliteratur

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Klaus Müller-Wille

>Mit den eigenen Waffen geschlagen<–
Poststrukturalistische Theorie im Widerschein schwedischer Gegenwartsliteratur

  • Joachim Schiedermair: Die Rache des toten Autors. Gegenseitige Lektüren poststrukturaler Literaturtheorie und schwedischer Gegenwartsprosa. (Rombach Wissenschaften. Reihe Nordica 1) Freiburg i.Brsg.: Rombach 2000. 320 S. Kart. DM 78,-.
    ISBN 3-7930-9246-1.


1. Parergon

1.1. Der >tote Autor< als Titel-Figur

"Die Rache des toten Autors" – ein in mehrfacher Hinsicht paradox anmutender Titel. Daß Totgesagte als phantomartige Widergänger ihr Unwesen treiben, dürfte uns aus der Populärfiktion vertraut sein. Auch gegen wen sich die Rache der Verstorbenen richten wird, können sich interessierte Leser denken. Als Gegenspieler kommen gemäß der narrativen Logik, die dem Verlauf einer Vergeltungshandlung zugrunde liegt, eben nur jene prominenten Theoretiker in Frage, die mit ihrem klingenden Namen für den >Tod des Autors< einstehen. Soweit ist der Titel also durchaus lesbar. Allerdings drängt sich aufgrund der Komplexität der hier angedeuteten theoretischen Fragestellungen unwillkürlich die Frage nach der >Autor-ität< der Stimme auf, die hier spricht und die mit diesem Sprechakt verspricht, eine komplexe theoretische Diskussion auf ein handhabbares narratives Szenario zurechtzustutzen.

Genau durch diese selbstironische Geste jedoch macht der >Autor< der Abhandlung mit einem Augenzwinkern auf das eigentliche Anliegen seiner Arbeit aufmerksam. Diese ist – wie zu erwarten – allgemeinen texttheoretischen Fragestellungen gewidmet und sucht eine Kritik der Deutungshoheit zu formulieren, welche eine Handvoll kanonisierter Theoretiker in den literaturwissenschaftlichen Debatten der vergangenen 30 Jahre genießen. Inwiefern auch der anti-autoritäre, poststrukturalistische Diskurs der Verlockung auktorialer Gesten verfallen ist, wird dabei just an der Rezeption von Barthes' kurzem Aufsatz La mort de l'auteur demonstriert, der schon mit der Titelwahl den Versuch signalisiere, die diffizile poststrukturalistische Texttheorie auf ein Schlagwort zu reduzieren (S. 24-25).

1.2. Zwei Texte in einem?

Soweit das durchaus ambivalente Spiel mit den Lesererwartungen, zu dem schon der kurze Titel der Abhandlung einlädt. Daß Joachim Schiedermair in diesem Spiel von den in seinem Buch besprochenen Literaten wie Theoretikern gelernt hat, zeigt weiterhin die Präsentation zweier sich überschneidender Inhaltsverzeichnisse (ein numerisches und ein alphabetisches), die das paratextuell gegebene Versprechen einer linearen und kohärenten Narration zunächst erschüttern. So beginnt die Abhandlung mit der verwirrenden Frage, wie denn das solchermaßen in sich gespaltene Buch zu lesen sei. Ein zweiter Blick auf die beiden Verzeichnisse zeigt jedoch, daß der argumentative Verlauf des Buches einem straffen, in der Abfolge wie Symmetrie der einzelnen Kapitel nahezu >autoritär< wirkenden Aufbau folgt.

Die Aufteilung, die durch die beiden Inhaltsverzeichnisse suggeriert wird, ist nämlich keineswegs kontingent, sondern simuliert eine Trennung von theoretischen (I-IV) und literarischen (A-D) Texten, welche die Abhandlung auf mehreren Ebenen zu überwinden versucht. So veranschaulichen die beiden auf einer Doppelseite abgedruckten Inhaltsverzeichnisse auch weniger die rezipientenfreundliche Möglichkeit, verschiedene Lektürewege durch das Buch einzuschlagen, als vielmehr das Prinzip einer – hier im buchstäblichen Sinne des Wortes umgesetzten – >Gegenseitigkeit<, die in theoretischen Lektüren von Literatur wie in der überraschenden Applikation literarischer Texte auf ein theoretisches Material zum Ausdruck kommen soll.

Es wird den Leser vielleicht überraschen, daß die einzelnen Kapitel des vom >Tod des Autors< handelnden Buches dabei nach Namen von Autoren gegliedert sind (II-IV: Kristeva, Barthes, de Man; A-C: Östergren, Florin, Gustafsson). Angesichts der bisherigen Erläuterungen wird er diese Form der Einteilung aber weniger als Zeichen für die Inkonsequenz als für das rhetorische Bewußtsein des Verfassers zu deuten wissen. So sind es natürlich nicht Autoren bzw. deren Werke, sondern isoliert betrachtete Texte, die in den ausführlichen Lektüren der einzelnen Kapitel in Relation zueinander gesetzt werden:

  • II.A.: La révolution du langage poétiqueFantomerna

  • III.B.: S/Z, Le plaisir du texteTrädgården

  • IV.C.: Allegories of readingHistorien med hunden)

Indem er sein Buch dabei mit der Lektüre eines >theoretischen< Textes beginnen (I: La mort de l'auteur) und mit der Relektüre eines >literarischen< Textes enden läßt (D: Historien med hunden),verdeutlicht Schiedermair seinen polemischen Anspruch: Die Hierarchie zwischen Theorie und Literatur soll nicht nur egalisiert, sondern umgekehrt werden.

2. >Man stirbt nur zweimal< –
Relektüren zum >Tod des Autors<

Folgt man alleine den Titeln der präsentierten theoretischen Texte, so könnte man aufgrund der namhaften und kaum überraschenden Abfolge darauf schließen, daß hier eine Einführung in die Klassiker poststrukturaler Literaturtheorie geboten wird. Trotz der formulierten Kritik am >autoritären< Konzept dieser Theorie wird also ein >theoretischer< Kanon bestätigt. Gerade weil es Schiedermair allerdings um eine literarisch inspirierte und kritische Re-Lektüre von Theorie geht, bietet sich der Rückgriff auf vermeintlich Altbekanntes an. Polemisch formuliert er in Anspielung auf Barthes' sowie Foucaults Autor-Artikel (immerhin beliebte Seminarlektüren):

Häufig werden die beiden Aufsätze als Ausgangspunkt genannt, häufig als Rechtfertigung zitiert; gelesen werden sie allerdings selten. Doch wie es häufig beim Stöbern im Keller passiert, stellen sich die dort vor einiger Zeit abgelegten Sachen als etwas anders heraus, als man sie in Erinnerung hatte. (S. 13).

Inwieweit werden die einzelnen Lektüren diesem innovativen Anspruch wirklich gerecht?

2.1. Leichen im Keller der Literaturwissenschaft
(Barthes, Foucault)

Kapitel I: Ausgangspunkt der Abhandlung bildet eine Differenzierung zweier Autor- und Textbegriffe, die Schiedermair an einer ausführlichen Analyse von La mort de l'auteur erarbeitet. Barthes verwende den Begriff zunächst in einem klassischen kommunikationstheoretischen Sinne (Autor-Text-Leser), um die Position eines prätextuellen Senders zu markieren. Die folgende Argumentation sei allerdings inkohärent, da die im Artikel formulierte Kritik einem Autor* gelte, der nicht mit dem prätextuellen Autor gleichgesetzt werden könne, da er (also der Autor*) die Stellung eines textimmanenten Signifikats bezeichne. Bekanntermaßen stellt Barthes mit diesem Autor* die Möglichkeit in Frage, Bewegungen zwischen den Signifikanten eines Textes abschließend zu regulieren: Als Semkonvolut kann der Autor* selbst als Signifikant in einen umfassenden Text* (die Summe aller Texte) gestellt werden, der sich seinerseits nicht mehr durch ein Signifikat regulieren läßt. Unabhängig davon, ob die Funktion des Autors* mit der Vorstellung eines Textes* tatsächlich unterminiert werden kann oder nicht, könne die Kritik – so das pointierte Analyseergebnis Schiedermairs – nicht auf den Autor bezogen werden, der eben eine Instanz außerhalb des Textes bezeichne.

Im Aufzeigen der Inkohärenzen kann sich der Verfasser auf ein prominentes Vorbild stützen. In Qu'est qu'un auteur? übe Foucault – so Schiedermair – implizite Kritik an dem zwei Jahre früher publizierten Aufsatz Barthes', indem er dazu aufrufe, die dort verwendeten Begriffe (Autor, Lesen, Schreiben, Werk, etc.) historisch zu konkretisieren und in entsprechende Diskurspraktiken einzugliedern. Allerdings schlägt sich Schiedermair nicht auf die Seite des Diskursanalytikers. Ganz im Gegenteil versucht er zunächst auf die argumentativen Schwachstellen in Foucaults eigenem Text aufmerksam zu machen. Zwar stelle dieser sein Autorkonzept im Gegensatz zu Barthes an dem Wandel diverser sprachregulierender Praktiken dar, die dezidiert auf den Autor als Äußerungsinstanz abzielen, doch auch er klammere dabei die gemeinsame Vergleichsbasis dieser Sprechhandlungen aus: Einzelne historische Autorkonzepte werden voneinander geschieden, ohne daß die Frage nach ihrer grundlegenden Gemeinsamkeit beantwortet werde. Das wiederum heiße, daß auch Foucault die entscheidenden theoretischen Probleme umgehe, die die Vorstellung einer textexternen Äußerungsinstanz für ein (post-)strukturalistisches Textverständnis darstelle.

Auf der anderen Seite deutet Schiedermair an, daß die Inkohärenzen in Barthes' Text durchaus intendiert sein könnten, um genau auf diesen blinden Punkt im strukturalistischen Denken aufmerksam zu machen. Insofern bereite der Text eine >listige< Verschiebung der Begriffe Autor/Autor* und Text/Text* (Leser/Leser*) vor, die weit mehr bewege, als das rein negierende Konzept vom >Tod des Autors<.

Zunächst gelingt es Schiedermeier tatsächlich, den frühen Text Barthes', der auf den ersten Blick von relativ eindeutigen Dichotomien lebt und eher >les-< denn >schreibbar< erscheint, wieder zu öffnen. Darüber hinaus kann er beiläufig zeigen, wie abwegig die Interpretationen sind, die mit dem Tod des Autors eine Aufwertung des Rezipienten verbinden: Der Leser* als textimmanente Größe – also die Vorstellung eines polysemen Signifikats, das aus den autonomen Lektüren eines Textes gewonnen werden könne, – sterbe mit dem Autor*, da er wie dieser Teil einer übergeordneten Signifikantenkette und somit dem relationalen Spiel des Textes* untergeordnet sei. Als wichtigstes Analyseergebnis aber erscheint die hervorgehobene Differenz zwischen Autor und Autor*, die es Schiedermair ermöglichen wird, den eingeengten Begriff des Autors als den blinden Punkt strukturalistischer wie poststruktualistischer Sprachkonzepte zu markieren.

2.2. Theorie des Selbstwiderspruchs
(Kristeva, Barthes, de Man)

Gerade weil poststrukturalistische Theoretiker die oben erwähnte Differenz konsequent vernachlässigten, seien sie – so könnte man die grundlegende These Schiedermairs polemisch überspitzt zusammenfassen – besonders gefährdet, ihre >Autorität< einzubüßen und der Konsequenz ihrer eigenen Schriften zum Opfer zu fallen.

Kapitel II: Nicht von ungefähr exemplifiziert der Verfasser diese These an Kristevas Revolution der poetischen Sprache. Diese Arbeit wird als einer der profiliertesten Versuche gelesen, den Autor gänzlich über den Autor* zu denken, d.h. Subjekte und deren Handlungen in Anlehnung an Lacan vollends über eine sprachlich strukturierte Topologie zu erfassen und damit jede Möglichkeit eines Textäußeren auszublenden. Alle Handlungs- und Erkenntnismöglichkeiten würden auf diese Art auf intertextuelle Transformationen reduziert, die selbst textuellen Regelungen unterworfen seien.

Folge man jedoch diesen Präsuppositionen, so könne – laut Schiedermair – auch Kristevas eigene Theorie keinen gesicherten Standpunkt für sich beanspruchen, von dem aus sich das Feld unterschiedlicher Textbewegungen überblicken ließe. Das Bestehen auf einer solchen Position würde die Theorie in einen performativen Selbstwiderspruch verwickeln bzw. die Theorie könnte mit ihren eigenen Mitteln als ein weiterer haltloser Versuch charakterisiert werden, eine endgültige symbolische Ordnung zu errichten. Ohne das Beharren auf diese übergeordnete Position jedoch verlöre das Denken der Intertextualität seinen Anspruch, eine verbindliche Aussage über die textuelle Verfaßtheit von Welt zu formulieren.

Kapitel IV: Das skizzierte Vorgehen, bei dem die Vorgaben poststrukturaler Theorie auf die entsprechenden Texte selbst angewendet werden, erscheint mir keineswegs neu zu sein. Auch ist Schiedermair nicht der erste, der sich dabei durch die Schriften Paul de Mans herausfordern läßt. Denn immerhin leben dessen theoretische Texte von dem Versuch, die Blindheiten der eigenen Theorie für diese Theorie selbst produktiv zu machen. Die bewußt angelegten Widersprüche und Inkohärenzen seiner Argumentation tragen somit auf subtile Weise zur Bestätigung einer rhetorisch reflektierten Semiotik bei, mit der die grundlegende textuelle bzw. rhetorische Verfaßtheit von Erkenntnis und Ethik unterstrichen werden soll. Kurz: Das Aufzeigen von performativen Selbstwidersprüchen würde die Theorie des performativen Selbstwiderspruchs letztendlich nur bestätigen.

So setzt der Verfasser an anderer Stelle, nämlich bei dem von de Man selbst formulierten ethischen Anspruch an, einem toleranten und anti-totalitären Denken Vorschub zu leisten. Dabei vermag Schiedermair die grundlegende Intoleranz des dekonstruktiven Denkens genau an der dem rhetorischen Spiel inhärenten Rhetorik offenzulegen, durch die jede potenzierte Dekonstruktion der Argumentation paradoxerweise zu deren Bestätigung beiträgt. Das Lehrgebäude de Mans gebe sich offen, bleibe jedoch im Raum des Textes* eingeschlossen. Den totalitären Anspruch dieses Denkens macht Schiedermair schließlich im Verhältnis zu solchen ethischen Konzepten deutlich, die sich auf der Vorstellung einer – auch sprachlich bzw. textuell interpretierbaren – Exteriorität gründen (Lévinas, s.u.).

Kapitel III: Einzig Barthes' Konzeption eines lustvollen Umgangs mit Texten löse ihren anti-autoritären Gestus auch performativ ein. Dies liege vor allen Dingen daran, daß Barthes im Gegensatz zu Kristeva oder de Man nicht versuche, erkenntnistheoretische oder ethische Schlüsse aus seinen theoretischen Reflexionen zu ziehen. Nicht auf Aussagen über das Sein oder das Sollen komme es Barthes an, sondern eben auf eine sprachliche Performanz, die "Lust am Text" erzeugt. Nicht nur in seinen Lektüren sondern auch in seinem eigenen Schreiben versuche Barthes so jegliche >Petrifizierung< des Diskurses zu unterlaufen. Sein Sprachspiel münde in einen infiniten Prozeß, in dem fortlaufend neue lesbare Differenzen produziert wie subvertiert würden (als gelungenes Beispiel wählt Schiedermair just die Effekte, die durch die Verschränkung der Begriffe >WolLust< und >Lust< in "Le plaisier du texte" hervorgerufen werden, S. 166-167).

Auch hier wird dem bekannten Text eine überraschende Pointe abgewonnen: Die infinite Performanz >lustvoll< geschriebener und gelesener Texte sei tendenziell durch die Vorstellung geleitet, aus der Totalität textueller* Differenzen herauszutreten. Genau in diesem Bemühen um eine >ekstatische< Sprache wiederum meint Schiedermair das Fortwirken einer >gnostischen< Sprachauffassung bei Barthes ausmachen zu können.

Zu den Kapiteln I-IV: Schon diese kurzen Paraphrasen geben einen Eindruck davon, daß die Relektüren zu Kristeva und de Man im Gegensatz zu den fruchtbaren Interpretationen der Texte Barthes' blaß bleiben. Nicht, daß hier unsauber argumentiert würde. Ganz im Gegenteil zeichnen sich die Darstellungen durch eine bestechende Klarheit aus. Wer etwa eine genaue Erläuterung zur spezifischen Verwendung des Intertextualitätsbegriffes bei Kristeva wünscht, bzw., wem noch nicht klar erscheint, welche besondere Stellung die Allegorie zwischen den Tropen der Metonymie und Metapher einnimmt und wieso sie genau aus diesem Grund eine zentrale Rolle in dem Lektürekonzept de Mans spielt, der sei auf diese Abhandlung verwiesen. Dennoch fördern diese Lektüren wenig Unbekanntes (aus den Kellern der Literaturwissenschaft) zu Tage.

Auch die explizite Kritik, die Schiedermair in Anlehnung an prominente Vorbilder am verborgenen Essentialismus des Kristevaschen Zeichenkonzeptes bzw. an der impliziten Mechanik der de Manschen Analysen übt, ist – wenn sie im einzelnen auch durchaus plausibel erscheint – nicht sonderlich überraschend. Erschwerend kommt hinzu, daß der Autor in der paraphrasierenden Auseinandersetzung mit "La révolution du langage poétique" oder den "Allegories of reading" auch bei >besserem Willen< nicht die gleiche analytische Sorgfalt an den Tag legen kann, die sein >close reading< der kurzen Texte von Barthes auszeichnet. Es ist somit fragwürdig, ob er in diesen Analysen nicht genau dem >petrifizierenden< Verhalten anheimfällt, das er den Interpreten von Barthes' Texten mehrfach zum Vorwurf macht.

Umgekehrt wirkt die überraschende Konstatierung einer verborgenen gnostischen Grundlage des Bartheschen Denkens nicht unbedingt plausibel. Erscheinen die angeführten Belegstellen (S. 174) auf den ersten Blick auch sehr überzeugend, so sind sie doch in einen Kontext eingebettet, der – nicht zuletzt angesichts der von Schiedermair selbst aufgezeigten >listigen< Argumentationsweise Barthes' – zu vorsichtigeren Interpretationen aufruft. Dabei soll gar nicht auf die komplexe Frage eingegangen werden, inwieweit den subversiven Textlektüren Barthes' nicht tatsächlich eine leitende Sprachauffassung zugrunde liegt. Es kann sich dabei jedoch per se nicht um die Vorstellung einer >ekstatischen< Sprache handeln. Da diese Sprachauffassung direkt mit der grundlegenden räumlichen Metaphorik von Außen- und Innenraum verknüpft ist, würde sie indirekt nur das Fortwirken einer textuell strukturierten Differenz bestätigen. Diese Differenz kann allenfalls über räumlich paradoxe Vorstellungen ausgehebelt werden: z.B. ein >Außen<, das eben nicht >außerhalb<, sondern in einem >Inneren des Innen< der Sprache liegt, welches die durch das >Innen< markierte Grenze nach >innen/außen< überschreitet. 1

2.3. Eine Ethik des >Sagens<
(Saussure versus Austin, Lévinas)

Bezeichnenderweise prägt die räumliche Metaphorik von Außen- und Innenraum auch die originelle Schlußthese Schiedermairs, mit der er die "Grenzen" einer vermeintlich "grenzenlosen Theorie" festzulegen versucht (S. 269-305). Daß er die Homogenität des umgrenzten Raumes dabei ausgerechnet über das Fortwirken einer strukturalistischen Tradition zu erklären versucht, mutet zunächst paradox an. Insbesondere, da Schiedermair das strukturalistische Element des poststrukturalistischen Denkens ausgerechnet an Saussures Konzeption des sprachlichen Zeichens festmachen zu können glaubt, die ihrerseits doch im Zentrum der poststrukturalistischen Kritik steht. Man muß allerdings nicht mit dem Denken der negativen Dialektik vertraut sein, um zu bemerken, daß die Kritik eines theoretischen Konzeptes letztendlich zu einer Bestätigung von dessen grundlegenden Annahmen führen kann. D.h. in diesem Kontext, daß selbst die elaborierte Kritik an der Hierarchie zwischen Signifikant und Signifikat das Denken in diesen Kategorien bestätigt und daß somit der Versuch, das Semkonvolut Autor* zu dekonstruieren, im Endeffekt zu einer Affirmation von Textkonzepten führt, die eben um das Problem der Autor*-schaft kreisen.

Kapitel D: Schiedermair macht die Verbindungslinie zwischen Strukturalismus und Poststrukturalismus allerdings noch klarer, indem er im Rückgriff auf die Sprechakttheorie eine deutliche Gegenposition zu markieren versucht. Während Sprache in der post-/strukturalistischen Tradition in erster Linie als >Aussage< – also über ihre entreferentialisierte / referentielleFunktion bzw. die De-/Konstruktion von Information – gedacht werde, versucht Schiedermair an Positionen der Sprechakttheorie anzuknüpfen, in der Sprache als >Auml;ußerung<& – also als >das Sagen< selbst – aufgefaßt wird. Dabei vermag er die Differenz, mit der er den Autor – als die handelnde Instanz von Äußerungen – von dem Autor* – als das Produkt von Aussagen – absondert, auch für eine Unterscheidung verschiedener Ansätze in der Sprechakttheorie fruchtbar zu machen. So versucht er Austins klassische Positionen von denen Searles abzugrenzen (S. 234-235). Dieser binde die Sprechakte deutlicher an das Phänomen der sprachlichen Oberfläche an und verfange sich somit wieder in die klassischen hermeneutischen Probleme, die mit dem Komplex der Autor*-schaft verknüpft sind.

Hier offenbart sich die subtile Argumentationsstrategie der Arbeit: Denn die Rache des Autors geht keineswegs mit dem Versuch einher, den Autor* wieder ins Leben zu rufen bzw. einen Subjekt- oder Identitätsbegriff zu retten, der die angestrebte >Aussage< klassischer Texte darstellte. Die per Definition textexterne Aussageinstanz des Autors kann nicht einmal als die >Stimme< gedacht werden, die einen Text trägt und die auf die Integrität der Subjekte verweist, die sich textuell äußern. Im Gegensatz zu dieser Trope, die als klassische Autor*-Figur verwendet wird, um sich der Rede des Anderen interpretativ zu bemächtigen, bleibt die Position des Autors inkommensurabel. Sie entzieht sich jeglicher textanalytischen Vereinnahmung (auch der durch poststrukturale Ansätze), bleibt aber in diesem Entzug dennoch ethisch relevant. Maßgebliche Inspiration, den ethischen Appell zu denken, der mit der Rede des Anderen als Handlung (und nicht als Information) an mich gerichtet wird, bezieht Schiedermair aus den Schriften Lévinas.

Zum Kapitel D: Der Abschnitt über die Sprachethik Lévinas gehört zweifelsohne zu den Glanzstücken dieser Arbeit, dem ich lediglich zwei kurze Anmerkungen anfügen möchte.

Zunächst scheint mir Schiedermair hinter seine eigenen Ausführungen zurückzufallen, wenn er in seiner Argumentation – sicherlich in polemischer Absicht – auf Begriffe wie >Stimme<, >Identität< und >Subjekt< zurückgreift, um die inkommensurable Position des sprechenden Anderen zu markieren. Auch wenn diese Begriffe sicherlich von ihrer traditionellen Verwendung (Stimme*, Identität* und Subjekt* als Epiphänomene von Texten) zu trennen sind, lädt die kalkulierte semantische Unschärfe zu Unklarheiten ein. So erscheint mir beispielsweise die Abbildung aus dem Cours (S. 284), die zwei mit einem Sprachband verbundene Gesichter zeigt und die Schiedermair benutzt, um sie gegen Saussures eigenen theoretischen Standpunkt stark zu machen, unglücklich gewählt. Die Gesichter, mit denen Schiedermair auf die vernachlässigte Position des Autors hinweisen möchte, verweisen indirekt auf die bekannten Lektüre-Figuren der Prosopopoiia und Apostrophe, die ihrerseits im Zentrum dekonstruktiver Kritik stehen.

Wenn der Verfasser auf den Zusammenhang zwischen Strukturalismus und Poststruktralismus aufmerksam zu machen versucht, dann wird ihm nicht entgangen sein, wie sehr seine eigene Position von poststrukturalen Denkfiguren geprägt ist. Dabei ist zunächst auffällig, daß er just die Schriften des Lévinas-Schülers Derrida aus dem Reigen der ausführlich präsentierten Theoretiker ausspart. Derridas vieldiskutierte ethische Wende, die eben um das Problem des >Anderen< kreist (insbesondere die Arbeiten zum >Zeugnis< und zur >Gabe<), scheint mir schon in dessen >grammatologischen< Schriften der 60er und 70er Jahre angelegt zu sein. Etwa die dort diskutierte Frage nach dem Phänomen eines >supplementären Ursprungs< zielt m.E. über das Wechselspiel von Konstruktion und Dekonstruktion von Bedeutung hinaus und verweist direkt auf die ethische Frage nach der inkommensurablen Position eines >Anderen<, der eben auch den Ursprung der eigenen Rede begründet. So ist auch seine Reflexion sprechakttheoretischer Positionen bezeichnenderweise wesentlich diffiziler gestaltet als die entsprechenden Ausführungen von de Man. 2 Kurz: Hier hätten sich m.E. spannendere Querverbindungen und Differenzen erstellen lassen können.

In diesem Zusammenhang bliebe zu diskutieren, ob der Vorwurf, daß mit der Negierung eines Textäußeren auch die grundlegende Alterität des Anderen verneint werde, wirklich auf poststrukturale Textkonzepte zutrifft. Um den Vorwurf der Totalität eines am Text* orientierten Denkens zu untermauern, beruft sich Schiedermair immer wieder auf die räumliche Vorstellung des Textes* als ein wenn auch unendliches so doch zeitlich präsentes Netzwerk von Signifikantenketten, die er bezeichnenderweise aus dem Autor-Aufsatz, also einem frühen Text des – vielleicht doch nicht so postruktural denkenden – >Strukturalisten< Barthes ableitet (S. 26-27). Ein solches Text*-Verständnis deckt sich kaum mit Derridas Ausführungen über die zeitliche Struktur von Signifikantenketten, aufgrund derer auch der Text* allenfalls über die komplexe Metaphorik von Verfaltungs- und Rahmungsprozessen gedacht werden kann, welche die Vorstellung eines homogen Text*-Raumes von innen her unterminieren (s.o. und Anm. 1).

3. Drei schwedische Autoren schlagen zurück
(Östergren, Florin, Gustafsson)

Wenn ich oben von der Symmetrie der Abhandlung gesprochen habe, dann bezog sich dies vor allen Dingen auf die Lektüren der literarischen Texte, die einem relativ strengen Raster zu folgen scheinen:

  1. in einem ersten Schritt wird die sprach- bzw. texttheoretische Relevanz der Texte deutlich gemacht;

  2. es folgt der Versuch, dieses reflexive Potential der Texte in expliziter Anlehnung an eine theoretische Vorgabe zu lesen und somit eine regelrechte Modellanalyse durchzuführen;

  3. die im zweiten Schritt durchgeführte Modellanalyse wird in einer abschließenden Lektüre wieder dekonstruiert. Da die literarischen Texte explizit oder implizit auf die theoretischen Vorgaben Bezug nehmen, wird ihnen eine höheres Reflexionsniveau zugestanden, welches es erlaubt, das literarische Spiel mit der Theorie auf die Vorgaben selbst zurück zu beziehen.

Kapitel A: Klas Östergrens Fantomerna

  1. Es handelt sich um einen zeitgenössischen Künstlerroman, dessen Sujet dazu einlädt, auf mehreren Ebenen über unterschiedliche narrative Paradigmen und deren Funktion zu reflektieren.

  2. Der Roman setzt das Intertextualitätskonzept Kristevas auf zwei Ebenen um:

    • Zum einen gliedere sich die >histoire< um den intertextuellen Prozess, welcher durch die Krise wie Rekonstitution der symbolischen Ordnung des Helden bestimmt wird. Daß der Wechsel von einer symbolischen Ordnung zu einer anderen hier wirklich über das Modell der Intertextualität (als Transformationsprozess einer textuellen Ordnung) gedacht wird, kann an den entsprechenden textuellen Präferenzen des schriftstellernden Helden verdeutlicht werden.

    • Zum anderen beruht die Poetologie des Textes selbst auf einer expliziten Anlehnung an Konzepte der Intertextualität.

  3. Da der (intertextuell erstellte) Text der Fiktion gemäß vom Helden selbst verfasst wird, um sich eine neue symbolische Ordnung zu erarbeiten, verweise er indirekt auf den performativen Selbstwiderspruch, in den sich der >autoritäre< Anspruch einer Theorie verwickeln läßt, die selbst auf die Zerbrechlichkeit jeglicher symbolischen Ordnung hinweist (vgl. Kapitel I).

Kapitel B: Magnus Florins Trädgården

  1. Angesichts der häufigen Verwendung des Signifikanten >Linnæus< im Text kann schon dessen Titel als Verweis auf ein klassisches räumliches Gliederungsprinzip (botanischer Garten) gelesen werden. Die Reflexion solcher Gliederungsprinzipien wird mit deutlicher Anlehnung an Foucaults Ordnung der Dinge zu einer grundlegenden Reflexion sprach- bzw. zeichentheoretischer Fragestellungen benutzt. Dabei trage der räumlich fragmentierte Text umgekehrt zu einer Auflösung narrativer Ordnungen bei, was Schiedermair mit einer Analyse der heterogenen Stimmführung (ja der heterogenen Stimm-Figuren) des Textes zu unterstreichen versucht. Dadurch wiederum werde die Frage nach der Lesbarkeit von Texten überhaupt (einer >Ordnung der Lettern<) zu einem zentralen Thema des Textes.

  2. Der Bezug auf S/Z und Le plaisir du texte mache den Text zwar nicht lesbar (etwa als Programmtext), helfe aber die Lust zu erklären, die die fortlaufend enttäuschten Lesebemühungen in ihrem Wechselspiel von Sinnkonstruktion und -destruktion auslösen.

  3. Der Text zelebriere dieses Wechselspiel nicht nur, sondern verweise auf subtile Weise auf die dem Sprachspiel vorhergehende >u-topische< Aussageinstanz (Schiedermair spricht von einer "mythischen Stimme"), die das Sprachspiel in einer >grundlosen< deiktischen Geste überhaupt erst begründe: Nicht, was gesagt wird, ist von Interesse, sondern, daß überhaupt etwas gesagt wird. Damit wiederum werde die Grundlage für Reflexionen gelegt, die der Möglichkeit einer >Sprachjenseitigkeit< nachgingen (vgl. Kap. III).

Kapitel C-D: Lars Gustafssons Historien med hunden

  1. Ein Hinweis auf das sprach- und texttheoretische Potential des Textes erübrigt sich. Zentrale Figuren der Handlung verweisen auf die von ethischen Fragen geprägte Diskussion, ob sich ein Zusammenhang zwischen Paul de Mans dekonstruktiven Schriften der 70er und 80er Jahre und dessen antisemitisch geprägter Journalistik der 40er Jahre herstellen lasse. Im Verlaufe des Textes wird diese Auseinandersetzung mit Bezug auf klassische Konzepte der Sprachphilosophie (Raymundus Lullus, Anselm von Canterbury) weitergesponnen.

  2. Der Roman handelt nicht nur von Paul de Man, sondern scheint auch dessen texttheoretische Vorgaben auf eine exemplarische Weise umzusetzen. In seiner Analyse kann Schiedermair zeigen, wie unterschiedliche Elemente, die zur Lesbarkeit des Textes beitragen, gleichzeitig dessen Dekonstruktion bedingen, und inwiefern sich dieses Wechselspiel zwischen metaphorischen und metonymischen Textfiguren mehrfach potenzieren läßt.

  3. Mit der Opposition zwischen dem metaphorischen Sprachverständnis Anselms und der metonymischen Gegenposition von Lullus zeige der Roman andererseits auf, durch welche Traditionslinien das (vermeintlich grenzenlose) sprachtheoretische Konzept de Mans geprägt sei. Die Grenzen der Dekonstruktion werden insbesondere durch einzelne Dialoge im Roman markiert, die nur als Sprechhandlungen gelesen werden können. Also als Performanzen, die den theoretischen Rahmen sprengen, der durch die beiden erwähnten Sprachkonzepte abgesteckt wird. Diese Performanzen wiederum verweisen auf eine andere Form einer sprachlichen Ethik, deren Aufmerksamkeit nicht dem >Ausgesagten<, sondern dem Akt des >Sagens< selbst gilt (vgl. Kapitel IV und D).

Zu den Kapitel A-D: Wie schon bei der Lektüre der theoretischen Texte offenbart sich die große Qualität der Arbeit, wenn sich Schiedermair die Zeit zu einem >close reading< nimmt. Das hohe Niveau der filigranen und behutsamen Analysen tröstet in jedem Fall über die zugegebenermaßen schmale Materialbasis des Buches hinweg. Herausragend sind dabei die Analyse der Stimmführung in Florins Trädgården sowie die geradezu virtuose Adaption der de Manschen Vorgaben auf Gustafssons Historien med hunden .

Fazit

Unter Verzicht auf eine übergeordnete theoretische Basis sollte ein gleichberechtigter Dialog zwischen Literaturtheorie und theoretisch reflektierter Literatur inszeniert werden (Schiedermair versteht seine Abhandlung in diesem Sinne sogar als "Experiment", S. 11 und 278). Angesichts der Linearität der theoretischen Argumentation drängt sich allerdings der Verdacht auf, daß sie kaum auf den kontingenten Effekten beruht, die durch das ungesteuerte Aufeinanderprallen von Theorie und Literatur ausgelöst wurden. Die gelungene Auswahl und Analyse der literarischen Texte ist m.E. sehr bewußt kalkuliert und hilft eine zumindest z.T. schon vorformulierte theoretische Beweisführung zu untermauern. Dies ist allerdings nicht als Kritik zu verstehen. Ganz im Gegenteil: Die Klarheit der stringenten Argumentation ermöglicht es dem Leser, durch ein streckenweise schwieriges Terrain zu gelangen.

Neben dieser Klarheit, mit der Schiedermair auch komplexe Sachverhalte darzustellen und zu veranschaulichen vermag, besteht das besondere Verdienst der Arbeit dabei in der Formulierung einer eigenständigen und durchaus inspirierenden theoretischen Position. Deren Wert bestätigt sich vielleicht gerade in der Tatsache, daß sie zu Widersprüchen provoziert, die aus der post-poststrukturalen oder besser hetero-strukturalen Sicht des Verfassers konventionell anmuten werden.



Klaus Müller-Wille
Universität Basel
Deutsches Seminar
Abteilung für Nordische Philologie
Nadelberg 4
D-4051 Basel
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Ins Netz gestellt am 07.08.2001
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Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Prof. Dr. Annegret Heitmann. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.


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Anmerkungen

1Derrida verwendet die medizinische Metapher der Invagination (die das Umstülpen eines Darms bezeichnet) um solche reduplizierte und entsprechend komplexe Verfaltungsprozesse zu beschreiben. Vgl. Jacques Derrida: Gestade. Wien: Passagen 1988, S. 145-146.    zurück

2Vgl. insb. Jacques Derrida: Signatur Ereignis Kontext. in: J.D.: Randgänge der Philosophie. Wien: Passagen 1988, S. 325-352.   zurück