
"Der Krug – nicht der Henkel" – Kultur als
gestaltete Leere. Sinnsetzungen und Defizite einer europäischen
(Berliner?) Kulturwissenschaft
- Friedrich Kittler: Eine Kulturgeschichte der
Kulturwissenschaft. München: Wilhelm Fink 2000. 260 S.
Kart. € 29,90.
ISBN 3-770-5341-81.
Kultur- und Sittengeschichten im Angebot
Um die Jahrhundertwende 1900 und auch noch in den
Antiquariatsangeboten der letzten Jahrzehnte hatten und haben
Kulturgeschichten, besonders aber >Kultur- und Sittengeschichten< einen
bestimmten, keineswegs durchweg guten Ruf. Kulturgeschichten, das waren in
der Wiederaufnahme der Tradition der >histoires des mœurs< des 18.
Jahrhunderts die farbigen, mitunter auch frivolen und reich illustrierten
Schilderungen der Lebensverhältnisse und des Alltags bestimmter
(häufig vormoderner) Zeiten und Epochen bzw. mehr oder weniger ferner
bzw. fremder Völker. In den Sittengeschichten fand sich neben dem
Abenteuerlichen, Merkwürdigen und vom Standpunkt der jeweiligen
>Normalität< aus gesehen Abseitigen, das Spektrum erweitert um die
Erscheinungsformen des universalen und doch immer nur bei >den anderen<
beschreibbaren Sexuellen.
Neben der Betonung des Anderen und Fremden der jeweils
geschilderten bzw. auch >erfundenen< Kulturen trat mit dem
Evolutionismus und der Nostalgie des 19. Jahrhunderts die Suche nach
Vorformen, Gemeinsamkeiten und Zusammenhängen mit den jeweils eigenen
Lebensverhältnissen. Zugleich stand aber auch das Bedürfnis nach
Gegenwelten, Kontrasterfahrungen und Projektionsflächen (von
Wünschen und Ängsten) im Hintergrund der vielfältig
angebotenen Betrachtungen und Vergleiche.
Fakten, wenn sie denn überhaupt solche waren, wurden in
diesem Rahmen illustriert oder auch in literarische Gewänder gekleidet,
die zweierlei Ziele bedienen sollten: Lehrbeispiele für den kulturellen
Fortschritt zu sein und die eigene Natur, fassbar in Gefühlen,
Wünschen und Ängsten, ebenso sehr zu bearbeiten wie zu
distanzieren. Der Mythos um das im 18. Jahrhundert in die europäische
Literatur durch Louis-Antoine de Bougainville und dann durch Georg Forster
eingeführte Tahiti mag hierfür als Beleg gelten; die hierbei in
ihrer ganzen Zwiespältigkeit erscheinenden Stichwörter lauteten
Kannibalismus, freie Liebe, paradiesische Gefilde (also Landschaften ohne
Ackerbau, mithin also auch ohne >Kultur<). Gerade sie können nun
freilich nicht als Fakten gelesen werden, sondern erscheinen als
Projektionen, in denen Ängste und Wünsche der Beobachter und ihres
Publikums erkennbar werden.
Anders als der durch die Weimarer Klassik und durch eine
hierauf sich berufende Bildungsreform nach 1800 geprägten Kulturbegriff,
der Hochkultur fast ausschließlich auf den Bereich geistiger Werke
beziehen wollte, transportieren diese Kulturgeschichten die Erinnerung an
einen breiteren, heute wieder aktuell diskutierten Kulturbegriff. Dieser
umfasst neben den Objektivationen des Geistes (häufig auch ganz ohne
sie) die Schilderungen der Lebensverhältnisse unterschiedlicher
Bevölkerungsgruppen im Alltag, dessen Prozeduren, Rahmenbedingungen und
Werkzeuge, soziale Muster, Familienformen, Ernährungsfragen, Kleider und
Moden, sowie allerhand Rituale, Wertmuster und sonstige Formen der Codierung
und des Ausdrucks von Zugehörigkeit und Ausgeschlossensein. Darüber
hinaus wurde mitunter versucht – Preis und Ausstattungsanforderungen an die
entsprechenden Werkausgaben steigernd und in Einschränkung der
>Sitten< auf Fragen der (Un-)Sittlichkeit konzentriert – mit der
Darstellung von Medizin, Hygiene, Erotik und Sexualität die geheimen
Wünsche der >gebildeten< Käuferschichten anzusprechen, zumal
in ihren bildlichen (z.T. mit erzieherisch-aufklärerischen Bemerkungen
verbundenen) Beigaben.
Getragen wurde dies alles durch eine bürgerliche Kultur,
in der neben dem Wunsch zu Wissen auch die Tabuisierungen bestimmter
Wissensgebiete soweit konventionalisiert waren, dass entsprechende
Tabuverletzungen (etwa in der Schilderung sexueller Praktiken, im Zitat von
Aufklärungsschriften oder Wirtshausordnungen, im Rückgriff auf
Polizeiverhöre und satirische Schriften, im Bericht über
gesellschaftsferne Gruppen oder exotische Völker, erst recht in
bildlichen Repräsentationen) die angebotenen Informationen durch
zusätzliche Schauer, Empörung oder Kitzel allenfalls
verstärken oder in Richtung Unterhaltung erweitern konnten. Die
Grundverfassung sittlich gefestigter Persönlichkeiten (Männer)
wurde davon nicht in Frage gestellt; allenfalls Jugendlichen und Frauen war
der Genuß derartiger Lesefrüchte und Schätze vorzuenthalten.
Das änderte sich erst etwas, als mit der Entdeckung der
Arbeiterkultur nicht nur neue "schaurig-schöne Bilder"
(Klaus-Michael Bogdal) ins Angebot kamen, sondern sich im Zuge eines mit der
Industriegesellschaft wachsenden bürgerlichen Individualismus, auch in
der Ausdehnung bürgerlichen Denkens und Lebens auf weitere Teile der
Gesellschaft, Wertmaßstäbe selbst pluralisierten. So geriet, etwa
bei Eduard Fuchs, das Phantastische, Faszinierende, Schaurige und
Abschreckend-Groteske der (fremden) Lebensverhältnisse als Teil
gesellschaftlicher Zusammenhänge in den Mittelpunkt einer ebenso
neugierigen wie auf Selbsterkundung ausgehenden Wahrnehmung. Soziologisches
Denken und die Voraussetzung eines gesellschaftlichen
(Funktions-)Zusammenhangs traten so in einem wechselseitigen
Begründungsverhältnis in Erscheinung; noch die breite
Aufmerksamkeit, die Norbert Elias' "Prozeß der
Zivilisation" zum Ende der 1970er Jahre endlich finden konnte,
dürfte in diesem Sinne stärker der Fülle und (grotesken)
Farbigkeit seines Materials geschuldet sein als seiner historisch und
machtsoziologisch gewendeten psychologischen Theorie.
Der neue Ernst kulturwissenschaftlichen Fragens
In Folge dieser durch die sozialwissenschaftliche
Aufschließung zeitgenössischer und früherer
Lebensverhältnisse eingeleiteten Verabschiedung >der<
Kulturgeschichte zugunsten der vielen Kulturgeschichten (des Kochens, des
Nachtisches, der Arbeit, des Reisens, des Mittagschlafes usw.) kam es in den
letzten beiden Jahrzehnten sowohl zu einer neuen Konjunktur
kulturgeschichtlicher Interessen und Fragestellungen als auch zu einer
Zersplitterung eben dieser Ansätze bis hin zur Beliebigkeit von
Themenstellung und Methoden. Damit sind wir freilich schon mitten in
Friedrich Kittlers Darstellung dieser kulturgeschichtlichen Entwicklung der
Kulturwissenschaften selbst und zwar an einem Punkt, an dem allerdings –
anders als dies gegenwärtig die Außenwahrnehmung und das
weitgehende Selbstverständnis kulturwissenschaftlicher Diskussionen ist
– nicht Pluralität und Relativität aller möglichen kulturellen
Muster den Ausschlag geben und als eine Art Ertrag gesehen werden
können. Vielmehr setzt Kittler rückblickend auf diese Zeit der
Pluralisierungen und Differenzierungen kulturwissenschaftlichen Arbeitens im
Gegenzug damit ein, einen neuen (alten) Anspruch >der<
Kulturwissenschaft (im Singular!) auf Deutung der Welt aus einem historisch
bestimmbaren Seinsverhältnis heraus zu stellen und gegenüber einem
postmodernen >anything goes< zu entfalten; selbst die bereits im 19.
Jahrhundert etwa von Friedrich Nietzsche gepflegte Rancune gegen die
Sozialwissenschaften als Muster scheinobjektiv sich gebender subjektiver
Interessenorganisation wird von ihm wieder aufgenommen (vgl. S. 16).
In einem von Kittler selbst angesprochenen "heiligen
Ernst", dem es in seiner Abwehr angelsächsischer
"Flachköpfe" wie John Locke (S. 83) und französischer
"Dummköpfe" wie Jean-Jacques Rousseau (S. 46), erst Recht
einer Pax Americana (S. 249) an einer gewissen deutschtraditionalen
Grimmigkeit und Grundierung nicht mangelt, möchte er einen historisch
geordneten Kanon von Grundlagentexten der Kulturwissenschaft vorstellen und
daran die Grundfragen einer solchen Wissenschaft von Kultur erörtern.
Dies alles freilich als Standortbestimmung einer Geisteswissenschaft, die
sich angesichts des Standes der von ihm sogenannten, hauptsächlich an
den Dilematta mathematischer Grundlagenforschung und am Fortschritt der
Kriegskunst / Waffentechnik explizierten "gegenwärtigen
Hochtechnologien" (S. 120, S. 142f.) zu legitimieren suchen muss.
Kittler zielt damit auf die Geschichte und Einheit der
Kulturwissenschaft als wissenschaftlicher Disziplin vor bzw. nach der
epistemologischen Wende, die durch die sozialwissenschaftliche Relativierung
von Wissensformen und Wissensbeständen der 1960er und 1970er Jahre
eingeleitet wurde. Überhaupt sind die Sozialwissenschaften (S. 16f.)
neben der Pax Americana (S. 249) und der Frankfurter Schule (S. 237) die
Hauptprügelknaben, was Zeitläufte und Ursachen der
gegenwärtigen Misere angeht; auch der >radikaldemokratische<
Spiegel (S. 239) bekommt sein Fett weg. Statt dessen setzt er auf die
historische Darstellung der Interdependenz von Geschichte und philosophischer
Reflexion über den Gang und die Phänomene der Kultur und sieht
darin eine spezifisch europäische Tradition der Selbstverständigung
am Werk:
Was also hat unsere Kultur, die Kultur des
neuzeitlichen Europa, dazu gebracht, das in jeder Kultur vorhandene
kulturelle Wissen noch einmal reflexiv zur Wissenschaft zu erheben? (S. 18)
Grundlegung und Gang der Argumentation
Natürlich finden sich die farbigen Einzelheiten
herkömmlicher Kulturgeschichten: Nahrungsmittel und Tierhaltung, Mode
und Opferrituale, Familienformen, Erziehungsvorstellungen,
Körpertechniken wie Schwimmen und Beischlafstellungen, Ackerbau,
wirtschaftliche, religiöse, rechtliche und soziale Organisationsformen,
mit der besonderen Berücksichtigung der Waffenentwicklung und der
militärischen Verhältnisse, auch bei Kittler. Aber sie sind – wo
sie zu den referierten Argumentationen und Modelle gehören – nicht
das zentrale Thema dieser Darstellung der Kulturwissenschaft am Leitfaden
ihrer (einer) geschichtlichen Entwicklung. Vielmehr dienen sie als
Hintergrund und Beispiel der Entfaltung einer aus der Geschichte
kulturwissenschaftlichen Fragens entwickelten eigenen Theorie der
Kulturwissenschaft, die auf zweierlei Weise, deutlicher noch in einem
paradoxalen Gedankengang (>Kultur als gestaltete Leere<) an Heidegger und
seine späten Studien zur Phänomenologie der Lebenswelt
anknüpft, bzw. sich im Gang einer Geschichte des
kulturwissenschaftlichen Suchens von Vico über Herder, Hegel, Nietzsche
und Freud auf diesen zu bewegt.
Im Grundriß einer solchen Gedankenbewegung ist auch
bereits die Kapiteleinteilung dieser im Sommersemester 1998 in Berlin
gehaltenen zwölf Vorlesungen (vgl. S. 13f.) angesprochen: Im ersten
Kapitel geht es von Vico über Herder und Volney bis zu Friedrich
Schlegel und Hegel um die philosophische Grundlegung eines Kulturbegriffs und
einer Kulturgeschichte, die sich zum einen der mit Descartes aufgetretenen
Zweiteilung der Welt in Natur und Geist widersetzt. Zum anderen gewinnt sie
aus der damit einmal gesetzten Differenzierung erst ihre Besonderheit als
Kulturwissenschaft erst.
Sehr überzeugend und klar wird damit das bis heute
aktuelle Begründungsdilemma einer jeden Kulturgeschichte und
Kulturtheorie: Kultur im Unterschied zu Natur zu denken, deren Fortsetzung
und Umformung sie in gewissem Sinn doch ist, erarbeitet. Zugleich werden so
auch die Grundlagen der damit verbundenen Erkenntnis- und Methodenproblematik
angesprochen. Dem gegenüber handelt das zweite Kapitel (S. 132–152) von
den im Anschluß an Hegel sich im 19. Jahrhundert entwickelnden
empirisch orientierten, also vor allem sich historisch und anthropologisch
verstehenden Kulturwissenschaften. An ihnen wird vor allem kritisiert, dass
sie sich der spekulativen Grundlagen und Inhalte ihrer Erkenntnisinteressen
und Methoden nicht bewusst sind. Vielmehr versuchten sie der
grundsätzlichen petitio principi ihres Begründungsmodells durch die
Quasi-Objektivität scheinbarer empiririscher bzw. anthropologischer
Fakten, erst recht durch den gesellschaftlichen und exotischen Glanz der
jeweils bemühten Anekdoten oder Bilder zu entgehen.
Es nimmt nicht wunder, dass Kittlers Führung durch die
empirisch sich orientierenden kulturwissenschaftlichen Ansätze des 19.
Jahrhundert ("Resteverwertung idealistischer Abfälle", S. 132)
sich hier wie der Gang durch eine ziemlich verstaubte
Antiquitätenhandlung ausnimmt, wobei selbstverständlich unter den
wegzupustenden Staubschichten manche Trouvaille (Verweise etwa auf Victor
Hehn, Ernst Kapp oder den in Deutschland noch immer nur randständig
bemerkten James George Frazer) locken kann.
Auf die durch den kruden Niedergang kulturwissenschaftlicher
Theorieansätze, die in der Wendung zu den Fakten bzw. historischen
Vorgaben bereits ihre eigentliche Theorie vorfinden wollten, geschlagene
Wunde hat dann – ihm ist das dritte Kapitel (S. 152–177) gewidmet – Friedrich
Nietzsche in dreierlei Hinsicht und durchaus schmerzhaft (nicht zuletzt
für ihn selbst und seine akademische Stellung) den Finger gelegt.
Friedrich Nietzsches "große Kulturpolitik"
Nietzsche stellt nämlich zunächst in Die Geburt
der Tragödie (1872) die rauschhaften Grundlagen des Prozesses der
Zivilisation dar, demgegenüber Kultur dann keineswegs als Fortschritt
und als Zunahme von Lebenskraft, vielmehr als Zähmung und Entleerung
derselben erscheinen muss. Dann werden zweitens Erkenntnistheorie,
Wahrheitsanspruch, Methodenwissen und evolutionäre Ordnungen
kulturwissenschaftlichen Fragens selbst durch Nietzsches skeptische
Philosophie und seine Kritik historischer Konstruktionen zerstört.
Zum dritten aber besteht Nietzsches, im besonderen für
Kittler auch aktuelle Bedeutung in dem, was im Rahmen der vorliegenden
Argumentation mit der Abwandlung eines Nietzsche Zitats (S. 19)
"große Kulturpolitik" genannt wird. Gemeint ist ein von
Kittler bei Nietzsche beobachtetes strategisches, also unter einer
bestimmten, letztlich willkürlich gesetzten Perspektive entwickeltes
Schaffen von Kategorien (und Fakten?) zur Erarbeitung von Kulturmustern im
von sich aus unbestimmten Prozess der Geschichte. Dies umfasst auch den
souveränen, d.h. ebenfalls wieder in der Sache unbegründeten
Umgang, mit erkennbaren und denkbaren kulturellen Mustern im Hinblick auf die
Aneignung, die Darbietung und Gestaltung sowie die Kritik der jeweils eigenen
Zeitumstände unter einer bestimmten Perspektive:
Große Kulturpolitik besteht (...) darin, die
Kategorien selber erstens aus der Kulturgeschichte als historische Variablen
zu holen und zweitens umzuschaffen. Aus (...) kulturgeschichtlicher
Abnormität oder "Volkskrankheit" macht Nietzsche eine
große Gesundheit, die ihren behandelnden Arzt umgekehrt als
gespenstisch-leichenfarbigen Todkranken erweist. (S. 171f.)
An Nietzsche ist so die eminente Bedeutung kultureller Muster
für die Selbstdefinition von Menschen und Gesellschaften ebenso
abzulesen wie deren in der Sache (>im Wesen<) der Kultur begründete
Unbegründbarkeit. Kultur, kulturelle Muster erst recht und ganz aktuell:
kulturelle Identität können so als möglicherweise subjektiv
notwendige, historisch allerdings gänzlich zufällige Spielsteine
und Regelwerke erkannt werden, die Politik machen und mit denen sich Politik
machen lässt. Politik wird dabei – von Nietzsche ausgehend – ganz
naturalistisch als Handeln, Streben, Spielen mit Macht verstanden, Kulturen
werden zu Machtspielen, Kulturwissenschaft als eine zugehörige,
reflexive und selbst u.U. politisch agierende Reflexion und auch als
politische Strategie erkennbar.
Kittlers Kritik der aktuellen Ausprägungen
sozialwissenschaftlich fundierter Kulturwissenschaften zielt so im Anschluss
an die bei Nietzsche gewonnenen Einsichten zum einen darauf, dass diese die
Relativität der eigenen Befunde zugunsten strategischer, also auf
Diskursmacht zielender Perspektiven zu verschleiern bzw. vor sich selbst zu
verheimlichen suchen. Zum anderen ist seinen Beispielen für den Erfolg
der an Nietzsches >Wahnsinn< anknüpfenden Methode eine eigene
strategische Option nicht fremd, zumal dann, wenn sich gegen >political
correctness<, die Sozialwissenschaften oder den Feminismus (>gender
mainstreaming<) etwas sagen lässt (z.B. S. 174).
Mytho-poetische Systeme um 1900
Entsprechend kritisch und ideologisch besetzt verfolgt
Kittler im Anschluss an die Darstellung des von seinen Zeitgenossen und
-umständen verworfenen Nietzsche die Ausbildung kulturwissenschaftlicher
Ansätze zu mytho-poetischen Systemen bei Johann Jakob Bachofen, Sigmund
Freud und James George Frazer (S. 177–202). Aus Lebensumständen und
Lektüren setzen diese bei der Suche nach historischen und
naturwissenschaftlich fassbaren Gesetzmäßigkeiten ihre Systeme
rekonstuktiv unter dem Anspruch zusammen, Wissenschaften zu sein. Als
Psychoanalyse, Ethnologie und feministische Wissenschaft beherrschen sie im
Fortgang des 20. Jahrhunderts den kulturellen Diskurs in weiten Bereichen,
zumal in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und entstellen die
Grundfragen kulturwissenschaftlichen Arbeitens bis zur Unkenntlichkeit.
Im Lichte der von und bei Nietzsche erkannten
Relativität >wissenschaftlich< begründeter Historie und der
dagegen bestehenden Chancen, sie erzählend zu schaffen und umzuschaffen,
erscheinen Freuds Ödipus-Komplex und der im Anschluss an Frazer
entwickelte Totemismus mit ihrem Anspruch wissenschaftliche Erkenntnisse zu
sein zu Recht als ausgesprochen fragwürdige Deutungsangebote. Hier
lässt es Kittler – namentlich hinsichtlich der bei Freud und den anderen
mit dem Totemismus verknüpften Vorstellung von einem die Urgemeinde
begründenden Vatermord – an deutlichem Spott nicht fehlen:
Das ist zwar blühender Blödsinn, aber
leider kein folgenloser. Seit Nietzsches Kulturpolitik und Freud
Psychoanalyse hat die Kulturwissenschaft aufgehört, eine Wissenschaft
unter anderen zu sein; sie steckt vielmehr (...) ihre Leser und Leserinnen
an. Mag es auch jenen König oder Sklaven, der im Wald von Nemi vor
seinem Mörder und Nachfolger zitterte [mit einer Schilderung dieses
altitalischen Mythenspiels setzt Frazers Hauptwerk The golden Bough
von 1922 ein – W.N.], nie gegeben haben, so zittern Machthaber von heute –
Ministerialräte, Professoren usw. – um so mehr vor ihren
ödipalisierten Söhnen, Unterministerialräten, Assistenten usw.
Freud, mit anderen Worten, hat es fast geschafft, uns zu genau den Primitiven
zu machen, die ihm als Frazersche Lesefrucht zufielen. (S. 200 f.)
Als Gegenstück zu diesen spekulativen Rekonstruktionen
romantischer Urszenen und ihren heutigen kulturwissenschaftlichen
Nachfolge-Moden sieht Kittler eine ebenfalls um die Jahrhundertwende 1900
konzipierte Theorie der Ding-Beziehungen, als deren damals wichtigste und
aussagekräftigste die Technikphilosophie Ernst Kapps erscheint.
Ausgehend von Benjamin Franklins Konzept des Menschen als eines >tool
making animal<, lässt sich Kapp zufolge der Körper des Menschen
selbst als Basis der Kultur, seine Werkzeuge als Projektionen und
Kompensationen körperlicher Organe verstehen (S. 208). In Kittlers
Darstellung bietet dieser auf technologische Modelle und materielle
Produktion zielende Gegenentwurf zu einer geistesgeschichtlichen
Anthropologie nicht nur die Möglichkeit, dass sich in dieser Perspektive
die ältere Kulturgeschichte des handwerklichen Alltagshandelns an die
modernen und zeitgenössischen Medien- und Techniktheorien
anschließen lässt, womit auch noch einmal die Gelegenheit
auftritt, sich mit Waffen- und Kommunikationstechniken als Faszinosa und
Signaturen der Moderne zu beschäftigen. Vielmehr erscheint die hier
aufscheinende Konvergenz von Körperkultur und Technik, inklusive
zugehöriger Reparatur- also Therapieformen als die eigentlich moderne,
auch inhumane Konstellation zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie finden sich
freilich nicht nur in den späteren Menschenexperimenten der Nazis
wieder, sondern auch in Sport und Körpertechniken, unter welchem Signum
die zeitgenössische Ethnologie – wie die älteren Sittenlehren –
Beischlaftechniken, aber auch sonstige Körpergestaltungen und
Bewegungsformen in den Blick rückt. Zu recht finden hier auch die
heilpraktischen und freizeitaktivistischen Konzeptionen der Gegenwart
Beachtung.
Auf die Nähe dieser Überlegungen zu dem kurzen
Bruchstück, das Max Horkheimer und Theodor W. Adorno unter dem Titel
Interesse am Körper 1947 im Anhang ihrer Dialektik der
Aufklärung veröffentlichten, geht Kittler freilich nicht ein.
Dort zielte die Reflexion auf die Erschütterung ontologischer
Kulturvorstellungen angesichts eines bestimmten historischen Moments, der
Barbarei der Industriemoderne, als deren Spitze der industrielle Massenmord
an den europäischen Juden erscheint. Dagegen legt es Kittler gegen den
Relativismus der soziologischen Analyse, der >Frankfurter Schule< und
des unter der Dominanz der USA sich befindenden Westens in seiner Berliner
(deutschen?) Perspektive doch auf eine solche Ontologie der Kultur an, wenn
auch anders als es eine Herder, der Romantik und der Volkskunde / Germanistik
geschuldete bisherige Vorstellung vom >Sein< einer Kultur nahelegt.
Heideggers Zeit-Kritik
Denn vom Denken Heideggers aus Sein und Zeit (1927)
ist – so Kittler im fünften, abschließenden Kapitel seines Buches
– für jede Kulturwissenschaft zu lernen, dass sich keine Zeit in einem
über sie selbst jeweils hinausgehenden Maße ihrer selbst bzw.
>der< Kultur, ihrer Repräsentationen und ihrer Theorie, sicher
sein kann. Mithin erscheint also zunächst die Destruktion ontologischer
Kulturaussagen ("Kultur ist...") schlechthin unabwendbar erscheint. Damit
verbunden ist auch ein Ende für universale Kulturtheorien, seien sie nun
wie die im ersten Kapitel des Buches dargestellten älteren Entwürfe
Vicos oder Herders deutlich spekulativer Art oder wie die im knappen zweiten
Kapitel angerissenen verschiedensten Ansätze empirischer bzw.
historischer Sammlungen dem positivistischen Geist des 19. Jahrhunderts
verpflichtet. Deren besondere Borniertheit besteht ja gerade darin, dass sie
sich im naiven Vertrauen auf Fakten und Wissen den vorhergehenden
Spekulationen überlegen glaubten.
Mit Heidegger spricht Kittler der Kulturwissenschaft
zunächst jeden Anspruch auf Essentialismus, Universalismus, ja sogar im
Sinne des im 19. Jahrhundert ausgebildeten, an den Naturwissenschaften
orientierten Wissenschaftsbegriffs, den Anspruch auf Wissen ab. Damit
trägt er einem Begründungsdilemma und einem Methodenproblem
Rechnung, das die Kulturwissenschaft(en) wohl tatsächlich haben, und das
– so in vielen Nebenbemerkungen und Zwischentönen angesprochen –
sich für Kittler vor allem an der Oberflächlichkeit und
Beliebigkeit dessen festmachen läßt, was er polemisch als
>cultural studies< bzw. als Machwerke "irgendwelcher Professoren
aus New York oder sonstwo" (S. 248) faßt.
Ob es eine von Kittler dagegen gesetzte "Berliner
Kulturwissenschaft" (S. 120) tatsächlich nötig hat, sich in
altlinker, neurechter (und vice versa) Amerikaverachtung zu gefallen, mag
dahin gestellt sein. Die hier eher polemisch aufgedeckten Schwierigkeiten der
Begründung und der Methoden kulturwissenschaftlichen Arbeitens (entweder
kann >alles< Kultur sein oder Kultur ist etwas Besonderes, dessen
Spezifikum sich aber lediglich in der berühmten Formel des >je ne
sais quoi< ausdrücken lässt) sind tatsächlich vorhanden.
Sie bilden damit zu Recht den Hauptgegenstand in Kittlers historischer
Darstellung, die so auch im Licht gegensätzlicher Grundannahmen,
insbesondere was die Rolle von soziologischem Wissen gegenüber
philosophischer Erkenntnis und die Wertschätzung der Westorientierung
verglichen mit den >Ideen von 1914< angeht, als bedenkenswerte und
lehrreiche Kritik des gegenwärtigen kulturwissenschaftlichen
Diskussionstandes zu schätzen ist.
Heideggers >Krug<
Das Buch endet nämlich in der Zwölften Vorlesung
wirklich originell mit einer zweiten, diesmal gegenläufigen Bezugnahme
auf den späten Heidegger, von dessen Ontologie des Alltags aus sich –
Kittlers These – dann doch auch für die Gegenwart ein positiver Entwurf
kulturwissenschaftlichen Arbeitens entwickeln läßt: "In
Sein und Zeit finden die empirischen Kulturwissenschaften des
neunzehnten Jahrhunderts, die ja das Alltägliche als solches entdeckten,
nachträglich doch noch zu ihrer Philosophie." (S. 230) Freilich
wird diese philosophische Grundlegung der Kulturwissenschaft nach Heidegger
im Buch auch nicht mehr theoretisch ausgeführt, sondern in anschaulichen
Zitaten desselben in actu gezeigt. Hier möchte sich Kittler wohl auch
nicht die Hände schmutzig machen, denn wenn er versuchte, das aus
Heideggers Essays gewonnene Beispiel einer in der Gestalt des Kruges dem
Nichts abgewonnenen, fassbaren, gestalteten und funktionsorientierten
>Leere< als Exemplum kultureller Objektivation (Ontologie,
Ästhetik und Praxis treten hier als Kultur gemeinsam in Erscheinung) in
die Begrifflichkeit und >Operationalität< gegenwärtiger
Wissenschafts- und Hochschulpolitik, gar in die Neuformulierung und
Evaluation von Studiengängen, Berufsprofilen oder
Förderungsanträgen zu übersetzen, er landete nicht weit
entfernt des ansonsten nur spöttisch oder polemisch angesprochenen New
York – "oder sonstwo".
Im Beispiel jedoch vom >Krug< aus Heideggers Aufsatz
Das Ding von 1950 (Kittler, S. 244ff.) lässt sich in Kittlers
Lesart zeigen, wie sich das Geschehen der Kultur, fassbar in der
Funktionsgestalt eines Gegenstandes als Paradigma kulturwissenschaftlichen
Fragens bestimmen lässt. Zunächst Heidegger:
Das Dinghafte des Kruges beruht darin, daß er
Gefäß ist. Wir gewahren das Fassende des Gefäßes, wenn
wir den Krug füllen... Die Leere ist das Fassende des
Gefäßes. (...) Der Töpfer faßt zuerst und stets das
Unfaßliche der Leere und stellt sie als das Fassende in die Gestalt des
Gefäßes her. Die Leere des Krugs bestimmt jeden Griff des
Herstellens. Das Dinghafte des Gefäßes beruht keineswegs im Stoff,
daraus es besteht, sondern in der Leere, die es faßt. (zit. bei
Kittler, S. 245).
Schöpferische Kraft, menschliche Arbeit, Naturstoff und
Funktionsbestimmung, Gestalt und Abstraktion treten so als Ensemble in
Erscheinung und bilden in dieser Einheit auf der Basis der
existentialontologischen Leitdifferenz des Seins und des Nichts das Objekt
einer kulturwissenschaftlichen Analyse.
Waren für Vico der Widerstand gegen die von Descartes
unternommene Zweiteilung der Welt in eine Welt der Natur (>res extensa<) und
eine Welt der Ideen (>res cogitans<) und die Verlagerung der
Erkenntnismöglichkeiten vom Reich der Natur auf die von den Menschen
geschaffenen kulturellen Gegebenheiten und Handlungen Ansatzpunkte seiner
Begründung neuzeitlicher Kulturwissenschaft, so finden diese Impulse –
nach Kittler – in Heideggers späten Alltagsanalysen und
Kunstinterpretationen auf der Basis einer Existentialontolgie, in deren
Wiederbegründung sich die europäische Kulturgeschichte spiegelt,
ihr Ziel: "Ontologie (...) fällt schlussendlich mit
Kulturwissenschaft zusammen." (S. 244).
Während die von Kittler ausgesprochen kritisch gesehenen
kulturwissenschaftlichen Moden der Gegenwart sich nach seiner Darstellung auf
die mythopetischen Systeme der Jahrhundertwende beziehen, gleich ob es sich
dabei um Psychoanalyse, Ethnologie, Mutterrecht oder eine Anthropologie der
Technik handelt, sieht er in den von Heidegger ausgehenden Kulturanalyse eine
Möglichkeit, die vordem entwickelten Trennungen, deren grundlegendster
sich auch die Differenz von Natur und Kultur verdankt, zu überwinden,
und nach den Bedingungen der Möglichkeit von menschlicher Praxis, die
sich in Krügen und Atomraketen, in mathematischen Zahlenkonstruktionen
und in platonischen Ideen, in Technik und Kunst gleichermaßen erkennen
lässt, zu fragen.
Es ist eine durch den Krug gestaltete, von ihm umfasste und
damit zu vielfältigen Handlungen (Göttertrank, Menschentrunk,
entsprechende Gemeinschaftsstrukturen mitgedacht) geschaffene und im
Gegenstand in Erscheinung tretende Leere, die so zum Sinnbild jeder Form der
Kultur erhoben wird. Kittler selbst tritt hier – ohne Ontologie, mit
Ontologie? – ganz hinter sein Beispiel zurück und zeigt damit
auch, dass er um das Prekäre eines solchen Entwurfes, das Schwankende
des Vexierbildes weiß. Nicht umsonst wird die Heidegger-Interpretation
mit einer Fastnachtsrede von Heideggers Bruder Fritz eingeleitet (S. 217). In
diesem Sinne könnten Kittlers Ansprüche "heilige Texte"
(S. 17) mit einem >heiligen Ernst< vorzustellen durchaus in der
Tradition einer >fröhlichen Wissenschaft<, karnevalesker
Umbrüche und narrenhafter Ketzereien gelesen werden, und das wäre
angesichts der Larmoryanz und der Selbstgefälligkeit auch progressiver
kulturwissenschaftlicher Studien in einem ansonsten bürokratischen
universitären Milieu auch gut so.
Tatsächlich aber scheint Kittler ein ebenso humorloser
Abendländer (S. 248) wie unerbittlicher Raucher (S. 19) zu sein, so dass
seiner Verachtung der "kleine(n) oder mesquinen(n) Kulturpolitik"
(S. 248) seit 1945 ein bitterer Beigeschmack von Tabaksaft anhaftet:
Legen Sie dieses abendländische Wissen bitte
nicht weg
(...) Nur wenn der alte eurasische Kontinent seine
Kulturgeschichte, gerade weil sie ganz unproprietär aus Nahem und
Fernem, Neuem und Altem gemacht ist, selber erforscht und erschreibt, statt
sie der meistbietenden >Pax Americana< zu überlassen, müssen
wir den guten Titel der Kulturwissenschaft nicht erst – wie in anderen
traurigen Fällen – zu >Cultural Studies< amerikanisieren,
um als Wissenschaft zu dauern. Zwischen Tataren und Kelten, Indern und
Scholastikern, Arabern und Germanen bleibt genug zu tun. (S. 248 f.)
Fazit
Kittlers an Heidegger entwickelter Vorschlag bestimmt somit
Kulturwissenschaft als ein Nachdenken über die in Kultur erscheinende
gestaltete Leere und als Versuch die darin zu Tage tretenden
anthropologischen Vermögen (in ihrer Zwiespältigkeit) zu erkennen.
Um die Tragweite dieses Ansatzes zu verstehen, ist allerdings eben jener
Blick auf Begründungszusammenhänge und Methodenfragen wichtig, dem
Kittlers Buch gewidmet ist. Eben auch der Durchgang durch die Geschichte
kulturwissenschaftlichen Fragens anhand kanonischer Texte. Kittler formuliert
in diesem Buch mitunter scharf, pointiert und auch polemisch, vor allem aber
ist es ihm im Gegenstand ernst: Dies zeigt sich in der Auswahl der
Lektüren, in einer Weite des Wissens und einer Breite der Reflexion, die
vor Technik, Mathematik und Kriegskunst nicht Halt macht, sondern diese in
den Horizont einer als Selbstvergewisserung des Abendlandes konzipierten
Kulturwissenschaft zu integrieren sucht. Was dabei das Abendland ist, bleibt
allerdings ebenso fraglich wie das, was wohl Pax Americana (im Unterschied zu
EU) sein soll.
Ebenso fragwürdig bleibt die versprochene
kulturgeschichtliche Einbettung der kulturwissenschaftlichen Konzepte, die
eher als kulturgeschichtliches Beiwerk, also als biographische Fakten,
Privates, und Hinweise zu alter und moderner Kriegskunst sporadisch
herangezogen werden. Bereits bei Vico und erst recht vordem bestand
Kultur-Erkundung auch im Nachdenken über die Götter bis hin zu
Heraklits Göttern am Backofen. Kittler nimmt diese vormoderne Tradition
und das zugehörige Wissensreservoir in sein Konzept auf. Er möchte
darin Platz lassen für den Rausch und die Götter, um damit auch ein
Beispiel für Grenzen und Selbstbeschränkung der Kulturwissenschaft
als einer neuzeitlichen Wissenschaft zu setzen.
Erst die moderne, naiv im 19. Jahrhundert konzipierte
empirische Wissenschaft entmachtete die Götter und entwertete damit auch
Mensch und Natur. Es liegt auf dieser Linie, dass der Einsatz der
Kulturwissenschaft dort in Europa beginnt, wo sich mit Descartes eine
folgenreiche Zweiteilung der Welt in Natur und Subjekt einstellte, gegen die
eine Einheit der Welt – als Kultur – bereits bei Vico geltend gemacht werden
sollte.
Kittler hat mit diesem Buch einen originellen und
bedenkenswerten eigenen Ansatz für kulturwissenschaftliches Nachdenken
geschaffen. Es liegt wohl nicht nur an der zeitlichen Beschränkung,
sondern ist auch Teil einer Polemik, dass er die weitere Geschichte der
Kulturwissenschaft nach 1945 im Fortgang seiner Vorlesung nicht mehr
>geschafft< hat. Bereits ein Blick in die kleine Geschichte der
Soziologie von Helmut Klages hätte ihn aber auch darüber
belehren können, dass er diesem >Gegenstück< zur
Kulturwissenschaft durch Vernachlässigung Unrecht tut. Ebenso aber auch
den Vorläufern, denn neben Heidegger wäre Simmel, neben Hegel und
Nietzsche auch Marx ausführlicher zu bearbeiten; von Diderot, Forster
und anderen kulturwissenschaftlich orientierten Denkern des 18. Jahrhunderts
gar nicht zu reden.
In jedem Fall handelt es sich um ein lesenswertes Buch. Es
enthält einen pointierten eigenständigen Ansatz der
Kulturwissenschaft, der zu Diskussion und Widerspruch einläd. Zugleich
ist es aber auch eine instruktive und lehrreiche Darstellung solcher
wichtiger kulturwissenschaftlicher Denkmodelle wie sie Hegel, Nietzsche und
Heidegger, vor allem aber der – anders als in Nordamerika – im deutschen
Sprachraum noch immer unterbewertete, wenn nicht unbekannte Gianbattista Vico
entwickelt haben. Schließlich hatte mit dessen Metapher von der
>Nacht voller Schatten<, in die es einzudringen gilt, die neuzeitliche
Unternehmung der Kulturwissenschaften ihren Ausgang genommen und damit ihr
bis heute unabgeschlossenes Projekt gefunden.
Prof. Dr. Werner Nell
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften
Germanistisches Institut
D - 06099 Halle (Saale)
E-Mail mit vordefiniertem Nachrichtentext senden:
Ins Netz gestellt am 16.09.2002

Copyright © by the author. All rights reserved.
This work may be copied for non-profit educational use if proper credit is
given to the author and IASLonline.
For other permission, please contact IASLonline.
Diese Rezension wurde betreut von der Redaktion IASLonline. Sie
finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez –
Literaturwissenschaftliche Rezensionen.
Weitere Rezensionen stehen auf der Liste
neuer Rezensionen und geordnet nach
zur Verfügung.
Möchten Sie zu dieser Rezension Stellung nehmen?
Oder selbst für IASLonline rezensieren? Bitte
informieren
Sie sich hier!
[ Home | Anfang |
zurück ]
|