Niehaus über Burschel / Distelrath / Lembke: Das Quälen des Körpers

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Michael Niehaus

An alle, die einen Körper haben

  • Peter Burschel / Götz Distelrath / Sven Lembke (Hrsg.): Das Quälen des Körpers. Eine historische Anthropologie der Folter. Köln – Weimar – Berlin: Böhlau 2000. VIII, 325 S. 13 schwarz-weiß Abb. auf 12 Tafeln. Paperback. EUR (D) 24,50.
    ISBN 3-412-06300-2.

Inhalt

Peter Burschel, Götz Distelrath, Sven Lembke: Eine historische Anthropologie der Folter. Thesen, Perspektiven, Befunde | Lutz Ellrich: Folter als Modell. Diskurse und Differenzen | Ulrich Oberdiek: Initiation, Selbst-Folter und Folter. Begriffe und Ansätze in der Ethnologie | Steffen Dieffenbach: Jenseits der >Sorge um sich<. Zur Folter von Philosophen und Märtyrern in der römischen Kaiserzeit | Albert Schirrmeister: Folter und Heiligung in der Legenda Aurea. Frühchristliche Martern und spätmittelalterliche Körperkonzepte | Thomas Scharff: Seelenrettung und Machtinszenierung. Sinnkonstruktionen der Folter im kirchlichen Inquisitionsverfahren des Mittelalters | Sven Lembke: Folter und gerichtliches Geständnis. Über den Zusammenhang von Gewalt, Schmerz und Wahrheit im 14. und 15. Jahrhundert | Peter Schmidt: Tortur als Routine. Zur Theorie und Praxis der römischen Inquisition in der frühen Neuzeit | Irmtraud Götz von Olenhusen: Sexualisierte Gewalt. Eine historische Spurensuche vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart | Karin Orth: Erziehung zum Folterer? Das Beispiel des KZ-Kommandanten Max Pauly | Christoph Marx: Folter und Rassismus. Südafrika während der Apartheid | Gudrun Körner: Schönheit und Nutzen. Zur ästhetischen Rezeption der Folter | Ingeborg Villinger: >Ausnahmezustand<. Die Wiederkehr von Opfer und Ritus am Ende des 20. Jahrhunderts



Das (hier verspätet rezensierte) Buch, dessen Beiträge auf ein Forschungskolloquium an der Albert-Ludwig-Universität Freiburg zurückgehen, stammt aus der Zeit vor dem >11. September< – also aus der Zeit, bevor die mutmaßlich quälenden Verhörmethoden der in Guantanamo internierten Al-Qaida Kämpfer als Folter bezeichnet wurden und bevor im Zuge der Metzler-Entführung die Frage nach der Folter in einem Rechtsstaat neu diskutiert wurde. Aber diese Ereignisse hätten auf das Buch auch keinen weitergehenden Einfluß gehabt. Denn dieses Buch setzt seiner Konzeption nach beim >Körper< an und nicht bei einem Problem. Es ist auf eine andere Sorte von Erkenntnissen aus, wie die Herausgeber in ihrem aufschlußreichen Eingangsbeitrag formulieren: "Eine historische Anthropologie der Folter folgt nicht dem Weg rechts- und verfassungsgeschichtlich orientierter Forschungen, das Phänomen Folter definitorisch eng an Institutionen wie >Recht< und >Staat< zu binden und die Untersuchung daran zu orientieren", sondern nimmt "Anregungen aus der sich entfaltenden Gewalt- und Körpergeschichte" und damit "menschliche Elementarerfahrungen" (S. 7) auf. Juristen sind für diese Erfahrungen nicht zuständig. Daher sind die Beiträger dieses Bandes vor allem Historikerinnen und Historiker, ferner eine Politologin, eine Kunsthistorikerin, ein Ethnologe und ein Soziologe.

Das Thema soll dabei nach dem Willen der Herausgeber zu vier Forschungsbereichen in Beziehung gesetzt werden: a) zur neueren Gewaltsoziologie, b) zur historischen Gewalt- und Kriminalitätsforschung, c) zu Konzepten der Sozialdisziplinierung und d) zu neuen Arbeiten zur Körpergeschichte (S. 10). Bereits der Eingangsbeitrag der Herausgeber selbst bietet einen guten und materialreichen Zugang zu diesen Feldern.

Angemessen über das Quälen des Körpers, über die Folter zu sprechen, ist ein schwieriges Unterfangen. Die Herausgeber votieren – auch im Sinne einer "Ethik der Genauigkeit" – unter Verweis etwa auf Trutz von Trotha ("Soziologie der Gewalt") für eine "dichte Mikroskopie" der verschiedenen Erscheinungsformen der Folter, die mit Jan Philipp Reemtsma als die "totale Herrschaft des Menschen über den Menschen" bezeichnet wird. Die aus diesem Ansatz sich ergebende Perspektive haben die Herausgeber gleich zu Beginn in fünf "Thesen" zur Bestimmung der "Folter als historisch-anthropologisches Grenzphänomen" zusammengefaßt: Die Folter sei eine "Praktik", die erstens "auf die Bekämpfung des Anderen zielt", die zweitens "Herrschaft konstituieren und sichern soll", die drittens "die Menschen entrechtet – und sie entmenschlichen soll", der viertens die Beteiligten wohl oder übel "Sinn zuschreiben" und die fünftens "in erster Linie auf den Körper zielt" (S. 3 f.).

In diesen Thesen steckt nun freilich auch eine Festlegung dessen, was Folter ist (bei der fünften These ist das offensichtlich). Aber diese Festlegung wird nicht als Definition problematisiert und zur Disposition gestellt. Es findet sich in diesem Buch kein wirklicher Definitionsversuch der Folter. Das hat natürlich seinen guten Grund. Solche Definitionen sind das Metier der Juristen – und ihre Nutznießer sind vor allem die Experten, die die damit verbundene Grenzziehung operationalisieren wollen etwa in der Weise, wie "US-Today" über die Verhörmethoden mit Al-Qaida-Mitgliedern titelte: "Interrogation is tough but not torture".

Der (nicht explizit gemachte) Verzicht darauf, die Folter von anderen Erscheinungsformen der Ausübung von Gewalt und Zwang abzugrenzen und nach ihren Zwecken zu differenzieren, führt aber dazu, daß die Folter – das Quälen des Körpers als solches – von vorn herein als etwas Unförmiges und Grenzenloses, zugleich aber auch als etwas >Fragloses< gedacht wird, eben als eine jedem von uns in abstracto vorstellbare >totale Herrschaft<. Ihrem Wesen nach stellt sich die "physische Gewaltanwendung von Menschen an Menschen" unter diesem Vorzeichen zunächst einmal als "eine anthropologische Grunderfahrung" dar. Diese Perspektive, bei der "die Akteure" in ihrer radikal asymmetrischen Machtverteilung im "Mittelpunkt der Analyse" (S. 8) stehen sollen, ermöglicht fruchtbare (und furchtbare) Einsichten, sie ist aber ihrerseits begrenzt. Es fragt sich nämlich, wie weit eine >historische Anthropologie der Folter< kommen kann, wenn sie sich nicht um eine >Theorie der Folter< bemüht. Das wird auch an einigen Beiträgen des Bandes deutlich. Und es wird daran deutlich, daß einige Beiträge nicht ganz in dieser Perspektive aufzugehen scheinen.

"Folter als Modell"

Der so überschriebene und mit dem etwas irreführenden Untertitel "Diskurse und Differenzen" versehene Beitrag von Lutz Ellrich ist mit vierzig Seiten der weitaus längste des Bandes. Er setzt mit der Feststellung ein, daß gerade die anspruchsvollen wissenschaftlichen Texte über die Folter sich genötigt sehen, "etwas Grundlegendes über den Menschen und die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen er lebt, auszusagen"; die Folter gerate "nicht selten zu einem mystischen Gegenstand der Forschung", weil sie die Augen über eine >zugrundeliegende< Wahrheit zu öffnen scheine. Das liegt nun freilich gerade daran, daß die Folter selbst, wenn man von den Zusammenhängen absieht, in denen sie auftaucht, als etwas >Totales< erscheinen muß. Ellrich stellt in seinem ausführlichen Referat zunächst zwei dieser gegensätzlichen Denkmodelle der Folter einander gegenüber, um diese dann durch ein drittes Modell zu ergänzen.

Dem ersten Modell zufolge enthüllt die Folter "die prägenden latenten Strukturen" (S. 27) unserer Gesellschaft. Sie ist das "barbarische Fundament der Zivilisation", die permanente Drohung, "die wir verdrängen müssen" (S. 28). Wer wie Jan Philipp Reemtsma diese basale Gewalt zu vergegenwärtigen sucht, möchte den "manifeste[n] Schein einer abwesenden Folter [...] durch die latente Wahrheit ihrer permanenten Anwesenheit" ersetzen (S. 30). Aus dieser Maxime des Vor-Augen-Stellens habe Wolfgang Sofsky in seinem eindrücklichen "Traktat über die Gewalt" die "darstellungslogischen Konsequenzen" (S. 31) gezogen. Auch bei Jean Améry erscheint die Folter als etwas, an dem die Worte immer neu zuschanden werden müssen. Schmerz ist das Paradigma des Nichtkommunizierbaren. Eine Variante dieses Modells bieten Ellrich zufolge Theorien, die die Folter aus unabschaffbaren Institutionen wie dem Verhältnis von Individuum und Staat (Kate Millett, "Entmenschlicht. Versuch über die Folter") oder – theoretisch avancierter, aber weltferner – aus der unhintergehbaren Wahrheitskonzeption des abendländischen Denkens (Page du Bois, "Torture and Truth") herleiten.

Seine Ausführungen zum zweiten Modell überschreibt Ellrich mit "Die Logik der Kultur oder die Produktion des Normalen". Weil nun allerdings die Feststellung, daß "die Grundstruktur des Sozialen und das Foltergeschehen einander diametral" gegenüberstehen, wenig aussichtsreich für weitere Erkenntnisgewinne ist, stellt Ellrich hier die ambitionierte Untersuchung "The Body in Pain" ("Der Körper im Schmerz") von Elaine Scarry in den Mittelpunkt, die "strukturgenetische, konstruktivistische und anthropologische Denkfiguren" (S. 49) kombiniere. Scarry möchte die Entstehung von Kultur und Zivilisation letztlich aus der Vermeidung von Schmerz herleiten und versucht "minutiös" vorzuführen, "wie die Folter die schmerzstillende Arbeit der Kultur rückgängig macht" (S. 51). Der Körper fungiert als Referent, auf den zurückgegriffen wird, wenn die kulturellen Konstruktionen sich als brüchig erweisen. Dieser Rückgriff auf den unkommunizierbaren Schmerz ist aber zum Scheitern verurteilt, weil Macht stets in der Distanz zum Leib gründet (S. 54). Die Realität des Schmerzes verwandle sich zwar in die Realität, aber die dadurch entstehende Macht sei letztlich eine bloße Fiktion, weil ihr Scarry zufolge jegliche Zustimmung, jeglicher Konsens fehle. "Systematische Gewalt" etwa der Folter, so faßt Ellrich zusammen, "kann das Fundament der Gesellschaft nicht ersetzen, sie kann die konstitutiven Prozesse, denen die soziale Ordnung sich verdankt, nur imitieren" (S. 55).

Man kann sich fragen, ob sich dieses zweite Modell vom ersten wirklich so grundlegend unterscheidet, wie Ellrich annimmt. Beide Modelle isolieren jedenfalls die Situation der Folter aus ihrem Zusammenhang, hypostasieren sie auf diese Weise und verleihen der Folter als solcher dadurch – so oder so – einen anthropologischen Stellenwert. Ellrich bemüht sich um ein drittes Modell, das möglicherweise gerade deshalb den Ausweg aus dieser Hypostasierung weist, weil es die "situative Logik der Folter" (S. 57) in den Mittelpunkt stellt. Zu diesem Zweck möchte Ellrich die >dichte Beschreibung< (im Sinne von Clifford Geertz), die Scarry der Folter-Situation angedeihen läßt, gegen deren eigene Theorie wenden. Denn Scarry beschreibt sehr genau, daß die Tortur nicht jenseits des Sprachlichen funktioniert, daß sie, um ihr Ziel der Machtausübung zu erreichen "auch die Sprache in ihren Dienst nehmen muß", daß also der Folter immer auch eine Distanz zum bloßen Leib eingeschrieben ist. Zugleich wird der Sprache selbst "die Funktion physischer Akte" übertragen: "Mit den Worten, die im Verhör zum Einsatz kommen, verläßt die Sprache die Sphäre des rein Symbolischen und gleicht sich dem Körperlichen an." (S. 59) Die Fragen werden zu verletzenden Werkzeugen wie die Schlagstöcke und die Peitschen. Das pure >Quälen des Körpers< gibt es nicht, erst die Sprache erschließt dem Folterer die – wie Ellrich mit Scarry formuliert – "Dimension der Selbstausdehnung", die jedoch, und das ist entscheidend, in dem Sinne fiktiv bleiben muß, als sie auf das "geschlossene[ ] Folter-System" (S. 60) beschränkt bleibt.

Ellrich wendet überzeugend gegen die beiden von ihm zunächst referierten Modelle ein, daß sie aus der "Eigenlogik der Tortur" nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen hätten. Er betont, daß es sich bei der Folter um ein "gleichsam emergentes System handelt, das irreduzible Struktur-Eigenschaften aufweist" (S. 64). Sie sei deshalb einerseits keineswegs eine "soziale >Urszene<", lasse sich andererseits aber ebensowenig im Rückgriff auf eine "vorsoziale Moral" verläßlich "eindämmen" (S. 65). Sie bleibt, mit anderen Worten, eine ständige Möglichkeit. Wenn das so ist, dann läßt sich über die Folter als solche aber eben nicht mehr viel sagen, um so mehr läßt sich aber über die Formen, über die Institutionen sagen, die die Folter daran hindern, zu einem solchen >geschlossenen Folter-System< zu werden, das nun seinerseits als eine Grenzkategorie zu kennzeichnen Ellrich unterläßt.

Ellrichs Beitrag hat den Vorzug, die Frage nach der Folter nicht nur auf einem hohen Reflexionsniveau zu stellen, sondern zugleich auch eine referierende und weiterführende Übersicht zu liefern über eine Vielzahl verschiedener theoretischer Versuche, diesem Gegenstand beizukommen. Dem nächsten Beitrag, "Inititation, Selbst-Folter und Folter. Begriffe und Ansätze in der Ethnologie" von Ulrich Oberdiek, kann man höchstens bescheinigen, eine Übersicht zu liefern. Hier wird eine große Menge von Theorien, Aspekten und möglichen Fragen ausgebreitet, aber es bleibt eben bei >Ansätzen<, bei abgebrochenen Gedankengängen, und es kommt zu keiner kohärenten Darstellung. Man kann dies auch als Symptom des Befundes verstehen, daß die Folter in der Ethnologie keine eigenständige Kategorie ist. Oberdiek schlägt vor, jede "unerträgliche Straf- und Repressionspraxis" (S. 71) als Folter aufzufassen. Bei dem ohnehin schon disparaten Gegenstandsbereich der Ethnologen kann das Resultat eines so weiten Folterbegriffes dann nur darin bestehen, über gänzlich Heterogenes zugleich Aussagen machen zu müssen. So möchte Oberdiek z. B. auch "Phänomene wie Tätowierung und Piercing in den Folterdiskurs" einbeziehen (S. 80).

Die Schwierigkeiten sind insbesondere bei einem Thema mit den Händen zu greifen, das immerhin zu den zentralen Bereichen der ethnologischen Reflexion gehört: der Initiation. Seit Pierre Clastres Aufsatz über "Die Folter in primitiven Gesellschaften" kann man die Frage aufwerfen, inwiefern man die Initiation als Folter bezeichnen kann. Oberdiek kommt zwar mehrfach auf Clastres Beitrag zu sprechen, setzt sich aber nicht mit ihm auseinander. Statt dessen heißt es lapidar, seine Theorie habe "keine allgemeine Zustimmung gefunden" (S. 73). Es wird sehr wohl festgestellt, daß Initiation ein Geheimnis vermittelt und den Status der Person erhöht, während die "klassische Folter" Geheimnisse entreißt und die Person erniedrigt (S. 82), aber dies wird nicht zum Ausgangspunkt weiterführender Überlegungen. Vielmehr heißt es weiter unten, es erscheine aus "der Sicht einer macht- und herrschaftsbezogenen politischen Ethnologie [...] sinnvoll, diese Form des Zwangs und Leidens einzubeziehen", weil auch die Initiationserfahrungen als eine Form der "Traumatisierung durch Institutionen" (S. 83) verstanden werden müßten. Aber auch dieser interessante Gesichtspunkt wird nicht weiter vertieft. Es bleiben eben nur >Ansätze<.

Martyrien

Zwei Beiträge befassen sich mit Martyrien. Zunächst Steffen Dieffenbach in seinem sehr klar strukturierten Beitrag "Jenseits der >Sorge um sich<. Zur Folter von Philosophen und Märtyrern in der römischen Kaiserzeit". Er vergleicht den gefolterten Philosophen, der zum "festen Inventar antiker Topik" gehört (S. 102), mit dem christlichen Märtyrer "als Herausforderer der gesellschaftlichen Ordnung" (S. 112). In den Geschichten über standhafte Philosophen treten diese furchtlos dem Tyrannen entgegen, der sich vor allem durch sein unkontrolliertes Rasen, seine saevitia (S. 103) ins Unrecht setzt, statt wie der gute Herrscher die Wahrheit ertragen zu können. So wird durch diese Geschichten ein "kulturelles Modell" gelingender Herrschaft vorgestellt. Es erleidet in der Spätantike eine Verschiebung, als nunmehr in der Praxis des römischen Strafprozesses auch bislang davor geschützte Personenkreise der Folter unterworfen werden konnten. Vor diesem Hintergrund einer nicht nur Leib und Leben, sondern auch die Ehre tangierenden Folter kann der Topos des vom Tyrannen gefolterten Philosophen "rehabilitierend wirken", denn er stellt eines der "in der Antike seltenen kulturellen Modelle dar, die Ehre mit passiv erduldetem Leid konzeptionell in Einklang bringen konnten" (S. 111).

In den christlichen Märtyrerakten sieht die Sache etwas anders aus. Man sieht es schon daran, daß hier vorzugsweise dem weiblichen Körper eine besondere Resistenz zugeschrieben wird. "Das Verhalten der Christen vor Gericht und im Amphitheater führte Umgangsweisen mit dem Körper vor, die in der Antike traditionell verachteten Körpern – Frauen oder Sklaven – zugeordnet wurden und nicht mit der Konstruktion des männlichen Körpers vereinbar waren" (S.126), weshalb sich diese Geschichten Dieffenbach zufolge vor allem an Christen selbst richteten. Auch wenn hier genauer differenziert werden müßte, sieht man, daß der >gute Körper< im Christentum ein anderer geworden ist.

Ihm geht auch Albert Schirrmeister in seinem konzisen und kundigen Beitrag "Folter und Heiligung in der Legenda Aurea. Frühchristliche Martern und spätmittelalterliche Körperkonzepte" nach. Die Märtyrerlegenden der "Legenda Aurea", verfaßt von Jacobus de Voragine in der Mitte des 13. Jahrhunderts, bestehen zu einem guten Teil aus einer Anhäufung von Greueltaten, die aber gleichwohl erkennbaren Regeln folgen. Wenn z. B. in der Folter Gliedmaßen abgeschnitten werden, kommt es niemals zu einer "wundersamen Rücknahme der Folterspuren" durch den Allmächtigen. Wohl aber hat das "ungerechte Foltern [...] für den Folterer eine Bestrafung durch übernatürliche Einwirkung zur Folge" und der "lebendige Körper" des Märtyrers "darf ebensowenig wie der tote von wilden Tieren zerrissen und damit völlig zerstört werden" (S. 138). Auch wird die Reinheit des weiblichen Körpers erhalten, indem er gegebenenfalls durch übernatürliche Eingriffe vor der Vergewaltigung bewahrt wird. Nach der Folter, im Tod, ist der Körper, in jedem Falle "rein". Dabei bestimmt nicht "das Ausmaß der erlittenen Qualen das Maß der Heiligkeit", vielmehr ist das "Akzeptieren des göttlich vorgegebenen Plans" ausschlaggebend (S. 142), auch wenn sich etwa der Heilige Dominikus wünscht, "das Martyrium unverkürzt und in größter Grausamkeit durchstehen zu dürfen" (S. 143). Zu der abschließenden Frage Schirrmeisters, wie es um die implizierten Rezeptionsweisen der "Legenda Aurea" bestellt ist, gehört auch die Feststellung, daß die Qualen, die den Sünder im Fegefeuer erwarten (dessen >Geburt< in jener Zeit Jacques Le Goff so eindrucksvoll beschrieben hat), denen der Märtyrer sehr ähnlich sind.

Im späteren Mittelalter hat man "im Rahmen der Kanonisierungsprozesse das Ansehen von Martyrien als herausgehobene Wege zur Heiligkeit einzudämmen" versucht. Der Amtskirche muß ein Martyrium, das sich in den Augen der "Volksfrömmigkeit" vor allem in der Sichtbarkeit der Leiden beglaubigt, suspekt, weil unkontrollierbar sein. Insofern stellt die "Legenda Aurea" ein Modell dar, das seine Blütezeit hinter sich hatte. Daß "mutmaßlich in demselben Jahr, in dem auch die Legenda Aurea verfaßt wurde, durch eine Bulle von Papst Innozenz IV. offiziell den Inquisitoren die Folter gestattet" (S. 147) wurde, ist in diesem Zusammenhang ein bemerkenswertes Zusammentreffen, und man bedauert, daß es dem übervorsichtigen Verfasser nicht noch weitergehende Ausführungen entlockt hat.

Inquisition

Dem Inquisitionsverfahren des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit widmen sich die nächsten drei Beiträge. Man muß sagen: zu Recht – denn das Inquisitionsverfahren ist sicher der herausragende institutionelle Ort in der Geschichte, an dem die Frage nach der Folter bearbeitet wird. Mit anderen Worten: Hier gibt es nicht nur eine Praxis der Folter, sondern auch einen Diskurs über die Folter. Das sollte den Herausgebern zu denken geben. Auch wenn eine >historische Anthropologie< die Folter als solche in den Mittelpunkt stellen will, was sie letztlich untersuchen kann, sind zunächst Diskurse, die allererst sagen, was es >mit der Folter auf sich hat< (und das sind keine >unschuldigen< Diskurse). Es gibt keinen Zugriff auf die >nackte< Folter. Dies zeigte sich schon an den Beiträgen zu den Martyrien: Auch dort werden Diskurse über die Folter untersucht – Diskurse, die es sich gerade zur Aufgabe machen, die >elementare Grunderfahrung< der Folter umzuschreiben. Man muß sogar sagen (auch wenn es bestürzende Konsequenzen hat), daß die Folter als solche, als unvermittelbare menschliche Erfahrung, an der sich die Darstellung erfolglos abarbeiten muß, erst dort auftaucht, wo sie aus dem Diskurs gefallen ist.

Thomas Scharff hält mit seinem klugen und kenntnisreichen Aufsatz mehr als der Titel "Seelenrettung und Machtinszenierung. Sinnkonstruktionen der Folter im kirchlichen Inquisitionsverfahren des Mittelalters" verspricht. Dies schon deshalb, weil er die Frage nach der Folterpraxis und die Frage ihrer Diskursivierung umsichtig verknüpft. Diesseits der Frage nach Seelenrettung und Machtinszenierung versucht er zunächst zu klären, "worüber man eigentlich spricht, wenn man die Folter im Inquisitionsprozeß thematisiert" (S. 152). Denn weder die Formen noch das Ausmaß der Folter im frühen kanonischen Inquisitionsverfahren des 13. und 14. Jahrhunderts liegen klar zu Tage. Normative Diskurse (wie die berühmte päpstliche Bulle >Ad extirpanda< von 1252) geben schon deshalb nicht zureichend Aufschluß, weil es sich bei der Einführung der Folter um einen "schleichenden Prozeß" (S. 154) handelt. Auch ist aus der Spärlichkeit von Belegen der Folterpraxis in den Protokollen nicht auf den seltenen Gebrauch dieses Mittels zu schließen. Überall dort, wo "der Inquisitor dem Verhörten Gelegenheit gibt, seine Aussage zu >überdenken< oder [...] zu >verbessern<" (S. 156), muß man hellhörig sein. Der Grund für diese Ausdrucksweise liegt Scharff zufolge nicht in der Verheimlichung der Praxis, sondern darin, daß die Praxis "vollständig in das System der Befragung integriert" (S. 157) war. Und weil dies auch denen bekannt war, die mit ihr in Berührung kamen, brauchte sie oftmals zur Erzielung der gewünschten Ergebnisse gar nicht mehr angewandt werden.

Zu bedenken sind auch die Befunde, die Scharff im zweiten, mit "Formen der Folter" betitelten Abschnitt mitteilt. Damit sind nämlich nicht die verschiedenen Gerätschaften gemeint, sondern die Tatsache, daß es neben der als solche ausgewiesenen Folter die Umstände der Haft waren, die gezielt zur Erzielung von Geständnissen und Aussagen eingesetzt wurden. Tatsächlich hat erst das Inquisitionsverfahren die ihrem Wesen nach zweideutige Untersuchungshaft erfunden. Man kann sie durch die Verschärfung der Haftbedingungen beliebig als Folter ausgestalten, man kann sogar (was Scharff nicht tut) verallgemeinern, daß die Institution der Untersuchungshaft logisch gesehen stets auch als eine außerordentlich >verdünnte< Form der Folter aufgefaßt werden kann (wie Rezensent in seiner vor kurzem erschienenen Untersuchung "Das Verhör. Geschichte – Theorie – Fiktion" ausgeführt hat). Allerdings kommt man hier andererseits ohne kategoriale Unterscheidungen nicht aus; wenn Scharff argumentiert, es führe nicht weit, "zwischen legaler Tortur und unkontrollierter Folter zu differenzieren" (S. 161), so ist dem entgegenzuhalten, daß die Analyse dieser Differenzierung zur Rekonstruktion der Logik der Folter sehr wohl wesentlich ist – auch und gerade weil sie zynisch ist.

Lesenswert sind auch die weiteren Ausführungen Scharffs zur Position des Ketzers, zur Logik seiner Kriminalisierung, zur Auffassung der Häresie als Krankheit oder dazu, daß auch "die Folter als Teil eines vollkommen pervertierten Bußverständnisses" begriffen wurde (S. 164). Und wichtiger als seine Überlegungen zur Machtinszenierung im Inquisitionsverfahren scheint mir sein "mediävistischer" Einspruch gegen eine verabsolutierende Auffassung der Folter etwa bei Sofsky, der "für seine am Studium moderner Diktaturen und Folterregimes gewonnenen Erkenntnisse zu schnell universalen Anspruch erhebt" (S. 165).

Sven Lembkes Beitrag "Folter und gerichtliches Geständnis. Über den Zusammenhang von Gewalt, Schmerz und Wahrheit im 14. und 15. Jahrhundert" unterscheidet sich von den übrigen Texten dadurch, daß er einen konkreten Fall zum Ausgangspunkt wählt (und zwar einen Fall >aus der Region<, der >Regio<): die Entmachtung, Inhaftierung, Folterung und Hinrichtung des Landvogtes Peter von Hagenbach in Breisach im Jahre 1474. Wie sehr dieser Fall eines Herrschenden ein Ausnahmefall, ein herausragendes Ereignis ist, erkennt man schon daran, daß er so gut dokumentiert ist. Lembke geht sehr sorgfältig mit den Quellen um und kontextualisiert das Geschehen in verschiedenen Hinsichten. So wirft er fundierte Blicke auf die "Realität der Folter am Oberrhein des 15. Jahrhunderts" (S. 175) und den "juristische[n] Diskurs über die Anwendung der Folter" (S. 177). Sehr überzeugend fällt auch die Rekonstruktion der allmählichen Degradierung des ehemaligen Machthabers Hagenbach aus, der am Ende "seine eigene Hinrichtung sanktionierte" (S. 188).

Auch ist sich Lembke im Klaren darüber, daß man vorsichtig sein muß, wenn man aus diesem Ausnahmefall verallgemeinernde Schlüsse zieht. Entscheidend ist: "Die Richter wollten nicht Wissen erpressen, sie wollten ein demonstratives Geständnis". (S. 189) Sie brauchten dieses Geständnis, um im Recht zu sein bei der Vollstreckung eines Urteils, das von Anfang an feststand. Der gefolterte Körper wird zugleich ausgestellt, um die Degradierung vor Augen zu stellen, von der die Chroniken später ebenso anschaulich berichten. Gleichwohl birgt gerade der Ausnahmecharakter die Pointe des Beispieles, was Lembke vielleicht nicht genügend explizit macht. Im Regelfall wurden im Rahmen der städtischen Gerichtsbarkeit jene Subjekte der formlosen Folter unterworfen, die von vorn herein als sogenannte >schädliche Leute< degradiert waren. Das formlose Verfahren machte nur einen schon zuvor bestehenden Ausschluß aus der Gemeinschaft explizit. Daher ist die Folter hier keiner wirklichen rechtlichen Kontrolle unterworfen. Die subtilen Verfahren der Befragung, deren Existenz Lembke durch Kommentierung einer kurzen Schrift von Jean Gerson (1363–1429) "De arte audiendi confessiones" nachweisen möchte, kommt bei ihnen nicht in Frage. Mit der Kommentierung dieser Schrift weitet sich die Perspektive des Aufsatzes hin auf Themenkomplexe, die mit dem Beispielfall nicht mehr so viel zu tun haben und Fragen – etwa über das Verhältnis von Beichte und Geständnis oder die Freiheit des Willens bei der Folter – aufwerfen, die sich innerhalb eines einzelnen Beitrages nur noch annäherungsweise beantworten lassen.

Mit Peter Schmidts "Tortur als Routine. Zur Theorie und Praxis der römischen Inquisition in der frühen Neuzeit" kehren wir zurück zum kanonischen Inquisitionsverfahren in einer späteren Entwicklungsphase (unter der historischen Voraussetzung von Reformation und Gegenreformation). Auch Schmidt (dessen routinierte Darstellung seinem Thema durchaus angemessen ist, andererseits aber aufgrund der durchgehenden Sachlichkeit ein wenig unbefriedigt läßt) führt einige Fälle an, die aber keine Ausnahmefälle sind, sondern gerade umgekehrt das gewohnheitsmäßige Funktionieren der römischen Inquisition illustrieren sollen. Dabei macht Schmidt unter anderem deutlich, daß die Tortur nur zu einem klar definierten Zweck ins Spiel kam, nämlich "wenn der Angeschuldigte Fakten, die ihm vorgehalten wurden, hartnäckig negierte oder wenn begründete Zweifel daran auftraten, daß er die ganze Wahrheit gesagt hatte, und wenn andere Beweismittel versagten" (S. 208). Weiterhin "war die Suche nach Komplizen" (S. 299) ein möglicher Foltergrund, da man in der Regel nicht für sich allein zum Häretiker wird. Einen letzten Fall der Folteranwendung bildeten natürlich die "Aussageverweigerung im Verhör" bzw. "unklare, ausweichende Aussagen" (S. 299).

Schmidt macht genaue Angaben über die Dauer der vorab begrenzten Folter, die mit der Sanduhr gemessen wird, und über Foltermethoden, von denen allein die >Seilfolter< (bei der das Opfer an den auf dem Rücken gebundenen Armen hochgezogen wird) den Ansprüchen der Inquisitoren auf >Humanität< und >Milde< genügte. Die Darstellung enthält sich leider weitgehend des Kommentars auch dort, wo so bemerkenswerte Dinge berichtet werden wie etwa, daß die Inquisitoren die Folter des Schlafentzuges als grausam ablehnten (die doch heutzutage immer wieder als >Ersatz< für die Folter zur Anwendung kommt), oder daß uns in dem Inquisitorenhandbuch von Eliseo Masini Jesus Christus höchstpersönlich als der erste Inquisitor vorgestellt wird (vgl. S. 215).

Sonstiges

Die restlichen Beiträge des Bandes seien unter >Sonstiges< zusammengefaßt. Das liegt zunächst einmal daran, daß die historische Abfolge als Ordnungskriterium, der der Mittelteil des Buches folgte (während die ersten Beiträge eher einem systematischen Anspruch verpflichtet waren), hier nicht mehr so recht zur Anwendung kommen konnte. Weitere im engeren Sinne historische Arbeiten legt diese "historische Anthropologie der Folter" eigentlich nicht vor. Es fehlen also zum Beispiel Ausführungen zum Gebrauch der Folter im deutschen Strafverfahren des 18. Jahrhunderts, über die Abschaffung der Folter oder über die Wiederkehr der Folter in den totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Das ist natürlich kein Einwand. Ein solches Projekt wie das hier vorgelegte ist immer selektiv; und die Selektionen sind immer auch vom Zufall mitbestimmt. Es gibt aber auch noch andere Gründe, warum einige der nun folgenden Beiträge unter >Sonstiges< subsumiert werden können.

Zunächst folgt Irmtraud Götz von Olenhusen mit "Sexualisierte Gewalt. Eine historische Spurensuche vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart". Im Grunde geht es um das Thema der Vergewaltigung im allgemeinen und im Krieg im besonderen. Die Verfasserin rechtfertigt diese Themenwahl gleich eingangs damit, daß "Vergewaltigungen einen zentralen Bestandteil sexueller Folter ausmachen" und daß "alle schweren Formen sexueller Gewalt bei den Opfern ebenso zur Zerstörung der Identität führen wie Folter" (S. 217). Solche Erweiterungen des Gegenstandsbereiches bleiben nicht aus, wenn man sich auf Definitionsversuche der Folter nicht einlassen will. Aber auch dann, wenn die Ausweitung zugestanden wird, gilt: Wer sowohl über die Kategorie der >sexuellen Folter< verfügt als auch zu einer historischen Anthropologie der Folter beitragen will, der sollte über die sexuelle Folter schreiben und nicht über sexuelle Gewalt.

So interessant von Olenhusens allerdings eher kursorische als eingehende Bemerkungen zur "Rechtsgeschichte sexueller Gewalt" (S. 223), zu "Vergewaltigung und Krieg" (S. 227) und zur "Alltagsgeschichte der Vergewaltigung" (S. 229) auch sein mögen, besser wäre es gewesen, wenn sie der sexuellen Folter, der sie am Ende ganze zweieinhalb Seiten widmet, ihre ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Dabei hätte sie den von ihr zu Anfang bemerkten Befund zum Ausgangspunkt machen können, daß "die sexuelle Folter [...] erst in der allerjüngsten Geschichte Spuren hinterlassen hat" (S. 217), daß die ersten Berichte von chilenischen Frauen stammen, "die in den 1970er Jahren der chilenischen Militärdiktatur entflohen waren" (S. 218). Inwiefern ist die sexuelle Folter, könnte man fragen, ein Kennzeichen der neuesten Geschichte? Und was für Schlüsse könnte man gegebenenfalls daraus ziehen? Der Stellenwert dieses Themas springt umso mehr ins Auge, wenn man von Olenhusens Statistik Glauben schenkt, der zufolge bei einer Befragung "von Folteropfern aus unterschiedlichen Kulturen [...] 52% der Männer und 80% der Frauen sexuell gefoltert worden" sind; von Olenhusen begnügt sich jedoch damit, eine (grobe) Klassifikation sexueller Folter vorzulegen und läßt es bei allgemeinen Bemerkungen über das "Zusammenspiel von Libido und Aggression" (S. 234) bewenden.

Noch weniger einleuchtend in einem Band zur historischen Anthropologie der Folter ist die Durchführung, die Karin Orth in "Erziehung zum Folterer? Das Beispiel des KZ-Kommandanten Max Pauly" ihrem Thema hat angedeihen lassen. Max Pauly war als Kommandant der Konzentrationslager Stutthoff und Hohengemma besonders berüchtigt, "weil er mit eigenen Händen mißhandelte und tötete". Im Folgenden geht es nicht um diese Mißhandlungen, sondern um "Paulys Herkunft und Sozialisation", um die Frage: "Lassen sich bereits während dieser Zeitspanne Hinweise auf seine spätere Tätigkeit erkennen? Wann und wie wurde er erstmals mit Gewalttaten konfrontiert? Und schließlich: Wie erlernte Pauly, mit eigenen Händen zu foltern?" (S. 238) Es folgt eine sauber recherchierte Biographie, die mit der "Landvolkbewegung" in Schleswig-Holstein und den wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Familie einsetzt und dann den beruflichen Werdegang des späteren Folterers nachzeichnet, aber keine Antwort auf die selbstgestellte Frage gibt. Denn es kann "keine Rede davon sein, daß sich bereits in seiner Kindheit oder Jugend Hinweise auf seine Tätigkeit als Folterer finden lassen". Und so muß man sich mit Pseudo-Erklärungen zufrieden geben – denn was erklärt schon die Rede von einem "Prozeß der stetigen Brutalisierung" und der "fortschreitende[n] Enthemmung" (S. 255)?

Anders der Aufsatz "Folter und Rassismus. Südafrika während der Apartheid" von Christoph Marx. Er ist für das Projekt einer historischen Anthropologie der Folter in diesem Band schon deshalb zentral, weil er der einzige Beitrag ist, der sich dem Phänomen der Folter unter den Bedingungen des modernen Staates widmet, der mit diesem Mittel gegen >Staatsfeinde< vorgeht. Gleichwohl steht der Apartheidsstaat Südafrika unter ganz spezifischen Bedingungen. Er ist weder mit den totalitären Staaten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu vergleichen noch mit den südamerikanischen Diktaturen, und Marx stellt auch gleich zu Anfang klar, daß in seiner Darstellung "diejenigen Aspekte betont werden, in denen sich südafrikanische Praktiken von denen anderer Staaten unterscheiden" (S. 258).

Die Besonderheiten dieser Praktiken lassen sich – wie Marx in den Abschnitten "Die Geschichte der Folter in Südafrika" (S. 259) und vor allem "Die Kontinuität von Gewaltkultur und Körperstrafen" (S.267) nachweist – nur verstehen, wenn man sie "in den weiteren Zusammenhang von Körperstrafen und der Wahrnehmung der Körperlichkeit der >anderen< rückt" (S. 258). Das Beispiel Südafrika macht insofern die Unverzichtbarkeit eines historisch-anthropologischen Ansatzes deutlich, als hier ein Blick, der die Folter lediglich als Mittel zur Erpressung von Geständnisse und Informationen auffaßt, offensichtlich zu kurz greift. Die Folter steht inmitten einer Gesellschaft, deren extreme Gewaltbereitschaft darauf zurückgeht, daß die Kapkolonie "bis zum Jahr 1834 eine Sklavenhaltergesellschaft" (S. 267) war und sich in der Folge in eine rassistische Gesellschaft verwandelte, in der Körperstrafen bis in die jüngste Vergangenheit zum Alltag gehörten. Die "soziale[ ] Dichotomie Master – Servant" wurde "zunehmend in eine rassistische Weißer – Schwarzer transformiert" (S. 269), in der es nicht nur als legitim, sondern als geboten erschien, auf die Schwarzen, die gewissermaßen als ">Dauerkinder[ ]<" aufgefaßt wurden, "Körperstrafen anzuwenden" (S. 275): "Sinnliche Menschen reagieren nur auf sinnliche Strafen." (S. 276) Zugleich erschien auf politischer Ebene jeder Schwarze als potentieller >Staatsfeind< (während in den totalitären Staaten jedes Subjekt potentieller Staatsfeind ist), und die Folterer knüpften "in den Folterkellern nur an das an, was sie ohnehin schon kannten. Schwarze zu schlagen, war Strafe für politische Aufmüpfigkeit und zugleich Mittel, ihnen Geständnisse zu erpressen" (S. 273).

Auf die sehr präzise und einleuchtende Studie von Marx folgt sehr unvermittelt Gudrun Körners Beitrag mit dem Titel "Schönheit und Nutzen. Zur ästhetischen Rezeption der Folter", der in mancher Hinsicht das Gegenteil ist. Denn ihre Aussagen sind sozusagen weit gestreut, reichen von der bildlichen Darstellung von Martyrien bis zu Texten über die Abschaffung der Folter, vom vermeintlich zeremoniellen Vorgang der Folter bis zum Pergamon-Altar, von der body art bis zu Friedrich Schlegels Beschreibung eines Gemäldes von Sebastiano del Piombo. All dies scheint eher nach dem Gesetz der Assoziation (oder des Auffindens von Fundstücken) zusammengebracht denn einem stringenten Argumentationsgang geschuldet. Damit soll nicht gesagt werden, daß keine für eine "historische Anthropologie der Folter" bedenkenswerten Überlegungen darin auftauchten. Anregungsreich ist der Aufsatz allemal, auch wenn er bisweilen daneben haut, wenn er etwa die von Friedrich Wilhelm I. von Preußen wiedereingeführte Strafe des Säckens für Kindermörderinnen mit dessen Wassersucht zusammenbringt und als "eine Allegorie der Sühne eines doppelten Königsleidens" (S. 286) auffaßt. Vieles von dem, was Körner aufgreift, könnte man zum Ausgangspunkt für weiterführende Überlegungen machen. Dazu bedürfte es allerdings – auch methodologisch – einer sorgfältigeren Herangehensweise.

Auch bei Körner tritt sehr Heterogenes auf diffuse Weise in den Dunstkreis der Folter. So liegt das Schwergewicht ihrer Ausführungen auf Formen moderner Kunst, die auf verschiedene Weise den Körper (und damit natürlich dessen Verletzlichkeit und Schmerzanfälligkeit) ins Spiel bringen; daher die einem Freibrief gleichkommende Behauptung: "Auch ohne direkten Bezug sind Werke einer ganzen Reihe von Künstlern strukturell mit moderner Folterpraxis in Verbindung zu bringen." (S. 292) Körner geht auf die Performance-Künstlerin Marina Abramovic ein, auf Video-Installationen von Bruce Nauman und auf die französische Künstlerin Orlan, die innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren ihr Gesicht einer Reihe >echter< vorgeführter Schönheitsoperationen unterzieht. Es ist fraglich, ob ein wirkliches Folteropfer der Idee, diese Aktion >mit moderner Folterpraxis in Verbindung zu bringen<, viel abgewinnen kann.

Der Band schließt mit der Analyse eines Films. Ingeborg Villinger beschäftigt sich in: ">Ausnahmezustand<. Die Wiederkehr von Opfer und Ritus am Ende des 20. Jahrhunderts" mit dem amerikanischen Film "Ausnahmezustand" von Edward Zwick aus dem Jahre 1998, in dem es – ausgelöst durch die politisch motivierte Entführung eines arabischen Scheichs – zu einer Reihe von islamistischen Attentaten in Brooklyn, zur Verhängung des Ausnahmezustandes und zum Einrücken des Militärs kommt. Villinger betont in ihrer Analyse die Nähe der Films zu Samuel Huntingtons berühmt-berüchtigtem Buch "Kampf der Kulturen" und bemüht sich zugleich darum, das Geschehen im Film mit Hilfe von Carl Schmitt zu interpretieren. Seine Theorie des Ausnahmezustandes, seine Freund-Feind-Unterscheidung als Schlüsselkategorie des Politischen sowie seine Theorie des Partisanen sind freilich auch wie dafür geschaffen, auf das sujet dieses Filmes angewendet zu werden; zudem konstatiert Villinger "eine prinzipielle Kompatibilität der Perspektiven von Huntington und Carl Schmitt" (S. 306).

Villingers Gedankengang ist – auch was die "Fusion von Technik und Mythos" betrifft, durch die die "irregulären Kräfte" gebunden werden sollen (S. 316) – über weite Strecken in sich schlüssig. Aber das ganze Thema hat eben nur am Rande mit der Folter zu tun. Dieser Rand konkretisiert sich in einer einzigen Anmerkung (S. 304 f.). Nur dort geht Villinger darauf ein, in welcher Weise das amerikanische Militär seine Unfähigkeit zur Bekämpfung der irregulären Kräfte dadurch unter Beweis stellt, daß es seinerseits zum irregulären Mittel der Folter greift. Die Frage nach der Folter ist im Film wie in Villingers Analyse nur ein Nebenschauplatz. Um zum Hauptschauplatz zu werden, hätte der Film auf einer anderen Ebene analysiert werden müssen. Villinger konzentriert sich ganz auf die Rekonstruktion seiner mythischen Struktur. In ihr steht die zivile, >gute< und fähige Macht der Polizei – verkörpert durch den von Denzel Washington gespielten FBI-Beamten – der uniformierten, >bösen< und unfähigen Macht des Militärs gegenüber. Eine eher dekonstruktive, etwa an Walter Benjamins "Zur Kritik der Gewalt" orientierte Analyse hätte die Frage aufwerfen können, was innerhalb einer >polizeilichen Logik< an die Stelle der sichtbaren Folter tritt.

Zusammenfassung

Die Zusammenfassung, die der Konvention nach den Abschluß der Rezension zu bilden hat, mag nach diesen ausführlichen Referaten umso kürzer ausfallen: Dieses Buch enthält für die Vertreter so mancher Disziplinen viel Lesenswertes und für alle, die einen Körper haben, so manche Erkenntnis; den systematischen Anspruch, den sein Titel verheißt, kann es allerdings nicht so ganz erfüllen; es bleiben ungestellte Fragen, und auch die Frage nach der Folter bleibt uns erhalten.


PD Dr. Michael Niehaus
Ruhr-Universität Bochum
Fakultät für Philologie
Germanistisches Institut
44780 Bochum

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Ins Netz gestellt am 22.01.2004
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Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Natalia Igl.


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