Orlowski über Neumann / Weigel: Lesbarkeit der Kultur

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Hubert Orlowski

Auf der Suche nach paradigmatischem Halt

  • Gerhard Neumann / Sigfrid Weigel (Hg.): Lesbarkeit der Kultur. Literaturwissenschaften zwischen Kulturtechnik und Ethnographie. München: Wilhelm Fink 2000. Kart. 520 S. € 60,70.
    ISBN 3-7705-3465-4.


Bankrott der Literaturwissenschaft?

Der aktuelle Disput um den Tod der >traditionalistischen< Literaturwissenschaft und die Geburt einer innovativen aus dem >Geiste der Kulturwissenschaft< liest sich wie die Bankrotterklärung eines Unternehmens. Folgt man diesem Disput, so gleicht die disponible zeitgenössische Literaturwissenschaft nach Denkbilderart der >Konkursmasse< in einem Konkursverfahren. Gläubiger und Zaungäste sind bemüht, an das bei der Eröffnung des Konkurses (noch) vorhandene Vermögen des zahlungsunfähigen, wenn nicht bankrotten Unternehmens heranzukommen.

Der Vergleich ist jedoch nicht unproblematisch: Dem Konkursverfahren ging nämlich kein (gescheitertes) Vergleichsverfahren voraus, und – wichtiger noch – von der Konkursmasse der Literaturwissenschaft(en), die von den Kritikern immer wieder als schmal und dürftig deklariert wird, hat ja eine Reihe von Disziplinen jahrzehntelang bereits bestens profitiert! Deren Vertreter, die sich heute ihre Konkursvorrechte programmatisch vorrangig abzusichern versuchen, haben systematisch und wiederholt Beutezüge in den Bereich der Literaturwissenschaft(en) durchgeführt, um die methodologischen und hermeneutischen Qualitäten ihrer eigenen Fachdisziplinen aufzubessern.

Ohne konzeptionelle Entwürfe aus dem Bereich der Narrativik wären beispielsweise nicht nur die Geschichtswissenschaft sondern auch die Ethnologie an Erträgen deutlich ärmer geblieben; das gesamte Bündel der Kommunikationswissenschaften hätte ohne den fundierten Halt in der deskriptiven Rhetorik ein weniger eindeutiges Profil, und selbst die Kunstwissenschaften profitierten gewaltig von der (wie auch immer) verwaschenen literaturkritischen und literaturgeschichtlichen Semantik.

Um die Kondition der Literaturwissenschaft(en) ist es allerdings in der Tat nicht gut bestellt, nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil in den allermeisten Vertretern unserer Zunft ein merkwürdiger, wenn auch verständlicher und erklärlicher Minderwertigkeitskomplex steckt. 1 Sollte Ähnliches nicht auch bei den Vertretern benachbarter Disziplinen zu beobachten sein? Dem ist aber nicht so; deren Selbstverständnis scheint gefestigter und konstanter zu sein, obschon – wie erwähnt – auch in ihren Disziplinen das methodologische Rüstzeug und die Untersuchungsobjekte einen indefiniten Charakter anzunehmen drohen.

Literaturwissenschaft zwischen
Kulturtechnik und Ethnographie...

Der Untertitel des Sammelbandes positioniert unser Fachgebiet auf programmatische Weise recht ungünstig. Er lautet: "Literaturwissenschaften zwischen Kulturtechnik und Ethnographie" [Hervorhebung H.O.]. Diese >Zwischen<-Poetik bedeutet wohl mehr als bloßes Kokettieren – und sie ist kein Einzelfall. Ein zweiter, methodisch-programmatisch ähnlich konzipierter Band wie der von Martin Huber und Gerhard Lauer versichert (im Untertitel) "Konzepte für eine Literaturwissenschaft zwischen Historischer Anthropologie, Kulturgeschichte und Medientheorie" 2 zu bringen. Wären – gebe ich zu bedenken – verwandte thesenartige Titel denkbar, die der Regel "Kulturtechnik zwischen Literaturwissenschaft und..." oder "Historische Anthropologie zwischen Literaturwissenschaft und..." gehorchen?! Wohl kaum.

Mit dieser Frage geht es mir keineswegs um die verletzte Ehre der Zunft, sondern um die Signalwirkung eines gestörten Verhältnisses im Kernbereich der Literaturwissenschaft: der Relation zwischen dem (literarischen) Text, dessen Organisation (Literarizität) sowie allen übrigen Faktoren der gesamten literarischen Kommunikation, und anderen Zeichensystemen.

Der Band stellt an den Leser hohe Erwartungen, was Sachwissen und methodologisches Instrumentarium (mehrerer Disziplinen) betrifft. Verständlich ist daher eine gewisse Ratlosigkeit beim Rezipienten. Sie ergibt sich weniger aus dem heteronomen Status der veröffentlichten Beiträge bzw. der verschiedenartigen Sachbezogenheit einzelner Beiträge, als vielmehr aus der dem potentiellen Leser abverlangten Auslotung einer >lesbaren Kultur<, die von vielen Ethnien geprägt und in mehreren (natürlichen) Sprachen artikuliert worden ist. Und dennoch: Nicht darin liegt der Hauptgrund der – manchmal an Resignation oder sogar kognitive Kapitulation grenzenden – Verunsicherung eines wie auch immer aufmerksamen und dankbaren Lesers. Was den diskursiv vertrauten Zugang zu der Publikation vor allem erschwert, ist der schon erwähnte Anspruch, die Literaturwissenschaft(en) "zwischen Kulturtechnik und Ethnographie" placieren zu können, d.h. zwischen etablierten akademischen Fachgebieten (Ethnographie, Ethnologie, Kunstgeschichte, Medientheorie ...) und einem methodisch bislang doch recht indefiniten Bereich, der mit der Sammelbezeichnung "Kulturtechnik" erfaßt werden soll.

Und dennoch – zum Glück – hält der Band nicht ganz das, was er im Untertitel verspricht. Im Bereich der allgemeiner gehaltenen, weichenstellenden Beiträge des Bandes war es kaum zu erwarten, daß deren Autoren es – angesichts der vorherrschenden methodologischen Liberalität – wagen würden, einen Set (prä-)kanonischer Entwürfe für die Zukunft des Faches zu liefern. Verfasser hingegen, die bestimmte Sektoren konkreter Einzeldisziplinen als Referenzfigurationen bemüht haben und über ein hohes Sachwissen verfügen, waren eher geneigt, ihre >Fallstudien< mit geringerem Ehrgeiz auf einen Paradigmenwechsel zu gestalten. Der Band steht eher unter dem Motto der Dialogfähigkeit literarischer Texte mit Bild, Inszenierung, Film ...

Nach Baukastenart

Die Entstehungsgeschichte des Bandes macht einiges deutlich. Wie die Herausgeber berichten, liegt dem Bande ein Symposium in Ascona zugrunde, das wiederum an das vorausgehende DFG-Symposium "Poststrukturalismus. Herausforderung an die Literaturwissenschaft" anknüpft. Deutlicher kann es nicht sein: Die Publikation ist vordergründig ein Produkt innerdeutscher Diskussionen, mit München als einem gewichtigen Standort (in) der akademischen Landschaft. An einigen Beiträgen läßt sich sogar eine dialogische Vernetzung dieser Landschaft ablesen, ähnlich wie an einzelnen Texten verwandter Sammelbände. Schulbeispielhaft zeigt Walter Haugs Beitrag "Warum darf Literaturwissenschaft nicht Literaturwissenschaft sein?" (S. 201–220) die Möglichkeiten und Chancen solch eines Dialogs. In dem schon genannten Band "Nach der Sozialgeschichte" geht Karl Eibl 3 z.B. in seinem "Erklärungsangebot" auf eine frühere Fassung des Beitrags von Haug ein. (Die polemischen Verflechtungen ließen sich übrigens noch weiter verfolgen.)

Der in denselben Band aufgenommene Beitrag von Helmut F. Spinner, 4 der sich polemisch und dazu noch verbal-rabiat mit der von Wolfgang Frühwald vor einigen Jahren verbreiteten Formel "Information oder Wissen" 5 auseinandersetzt, ist unmittelbar zwar nicht auf den Münchener Band ausgerichtet, erinnert aber an den ambitionierten hermeneutischen Grundlagenstreit am Ausgang des 20. Jahrhunderts.

Im Sinne eines seit über einem Vierteljahrhundert konstruierten Netzwerkes (kulturwissenschaftlicher) Diskussionen steht also der von Neumann und Weigel herausgegebene Sammelband keineswegs allein da, sondern stiftet selbst Zusammenhänge. Die Frage allerdings, ob das bescheidene Bändchen "Geisteswissenschaften heute" 6 vor Jahren das >Ende der großen Entwürfe< eingeläutet hat, bleibt auch nach der Lektüre des vorliegenden Bandes unbeantwortet; vielleicht liegt das aber auch am geringen Ehrgeiz der Herausgeber, am neuen Paradigma zu arbeiten. Sie haben zwar die eingesammelten Beiträge in vier Teilen geordnet – und sich sogar in der "Einleitung" (S. 9–16) für den vorherrschenden Trend einer "kulturwissenschaftliche(n) Ausrichtung" (S. 9) ausgesprochen –, sich dann aber nicht gerade streng an diese Aufteilung gehalten. (Wolfgang Haugs am Grundlegenden orientierter Beitrag hätte z.B. der "Einleitung" folgen können.) Die Überschriften der vier Teile lauten:

  • Kultur als Ritual

  • Poetiken der Kultur

  • Figuren der Lesbarkeit

  • Medien und Kulturtechniken der Lesbarkeit

Am selbstverständlichsten klingt die le4tztgenannte Eingrenzung.

Der >Kulturtext<, der von den Beiträgern als lesbar deklariert wird, ist unterschiedlichster Herkunft und Struktur:

  • Tanz
    Gerhard Neumanns Beitrag "Begriff und Funktion des Rituals", S. 19–53

  • Theater bzw. theatralische Schaustellung
    Jan-Dirk Müllers Beitrag über das "Verhältnis von Ritual und Theater im späten Mittelalter", S. 54–77;
    Bernhard Teubers Studie über die "Inszenierungsformen ritueller Gewalt im spanischen Barock", S. 79–99)

  • Sport
    Karl-Heinz Kohls Ausführungen über "Spiel, Krieg und Ritual in Ostflores", S. 101–112)

  • Performance-Kunst und Ritual
    Erika Fischer-Lichte im gleichnamigen Aufsatz, S. 113–129

  • Film
    Detlef Kremer über "Bild und Schrift in Peter Greenaways Filmen", S. 503-520).

Im Lichte von Gerhard Neumanns Erklärung, die Literaturwissenschaftler "begnügen sich schon seit langem nicht mehr mit immanenten Analysen dichterischer Texte", da sie "zunehmend die Frage nach der Situierung literarischer Diskurse im Prozeß der Zivilisation, die Frage auch nach ihrem Verhältnis zu sprachlichen, bildlichen und pragmatischen Vorgängen in anderen Feldern der Kultur" (S. 31) stellen, ist der Aufbau des Bandes als schlüssig anzusehen.

Aus verständlichen Gründen sind in dem Teil "Figuren der Lesbarkeit" Beiträge untergebracht, die (auch) der Frage des kulturellen Gedächtnisses nachgehen, so u.a. Birgit R. Erdles Text über "das Trauma im gegenwärtigen Diskurs der Erinnerung" (S. 259–275) 7 und Aleida Assmanns Ausführungen über "Frauenbilder im Männergedächtnis" (S. 291–305). Auch Yahya Elsaghes Überlegung "zur Imagination der deutschen Reichsgrenze" (S. 305–323), 8 gekoppelt mit der Frage der Generationszugehörigkeit (im Sinne eines Selbstverständnisses) gehört zu diesem Feld. Nicht fehlen darf ein Beitrag zur Autobiographie (S. 343–373), von Thomas Böning mit gerne zitierten Referenznamen wie Paul de Man, Derrida, Lejeunne...

Einige Beiträge wirken überdurchschnittlich anregend. Jan-Dirk Müllers Beitrag über das "Verhältnis von Ritual und Theater im späten Mittelalter" stellt die Schlüsselfrage des ersten Teiles, nämlich die nach "einer radikalen Historisierung des Ritualbegriffs" (S. 57). Bernhard Teubers Text über "Inszenierungsformen ritueller Gewalt im spanischen Barock" mündet in die Frage, inwiefern "eine kulturanthropologische Lektüre [...] unter dem Aspekt des Opfers tatsächlich zu neuen Resultaten" (S. 98) führen kann. Erich Kleinschmidts Beitrag über "kulturelle Energien grotesker Rede" (S. 185–199) lockt mit der definitorischen Einkreisung eines grotesken Textes als eines Spannungsfeldes, in welchem "generative und destruktive Kräfte ungeordnet aufeinandertreffen" (S. 192); diese verführerische These wäre an Exempeln aus anderen Bereichen zu verifizieren. Die faszinierende "kulturspezifische Spaltung des Diskurses über das Pathologische" im Modernisierungsprozeß (S. 323) verfolgt Rudolf Käser in seinem Beitrag über die "Metaphern der Krankheit" (S. 323–342). Vermißt habe ich in diesem Zusammenhang einen Hinweis auf die in diesem Gebiet bahnbrechende Studie von Ludwik Fleck. 9

In diesem Zusammenhang ist das Fehlen eines Autorenverzeichnisses (nebst knappen Angaben zu Person und Werk) zu bemängeln. Die ansonsten verdienten Germanistenverzeichnisse des DAAD sind ja (insbesondere in der jüngsten Zeit turbulenter akademischer Umstrukturierungen) notorisch veraltet. Und gerade solch ein Band verlangt nach einer Zuordnung der Verfasser. Was sich für binnendeutsche Leser relativ leicht entziffern läßt – gemeint sind die verschiedenartige Herkunft und akademische Sozialisation von Verfassern –, bereitet Auslandsgermanisten große Schwierigkeiten.

Mitteleuropa als blinder Fleck?

Die Zuordnungskompetenz der Verfassergruppe und ihr (west)europäisches Deutungsmonopol ist mächtig und einflußreich. Im Band ist nicht selten direkt von "Europa" oder von "europäischen" Bauelementen die Rede (vgl. z.B. S. 140); aber selbst dann, wenn diese Kategorien namentlich unerwähnt bleiben, ist das (west)europäische (und nordamerikanische) intellektuelle Biotop gemeint. Das >Europäische< ergibt sich zwangsläufig aus dem Anders-Sein der (West-)Europäer. Und diese Alterität wird grundsätzlich der Alienität, dem Fremdsein topographisch ferner und >exotischer< Welten, abgewonnen.

Einer stillschweigenden Ausgrenzung wird Mittel(Ost)Europa unterworfen; die kulturelle Definitionsmacht der Herausgeber und des Autorenteams ermöglicht es, die mittel(ost)europäische >Alterität< zu exkludieren. Dies möchte ich an einem konkreten Beispiel aufzeigen, nämlich an Klaus R. Scherpes Überlegungen zu den "Kulturellen Praktiken bei der Begegnung mit dem Fremden".

In seinem mit Forschungsliteratur reichlich ausgestatteten Beitrag wird der "Clash der fremden Kulturen (Schock, Trauma und Gewalt)" (S.150) an ausgewählten Beispielen demonstriert, vor allem an Georg Forsters Beschreibung der First-Contact-Szenen seiner großen Weltreise im Jahre 1773. Sowohl der Akteur selbst als auch die Qualitäten seiner Berichterstattung prädestinieren das ausgewählte Forschungsobjekt Forster zu einer in der Tat schulbeispielhaften Analyse. Und eben weil der >Fall Forster< einen so exemplarischen Charakter aufweist, wäre eine weiterführende Verifizierung / Falsifizierung der dauerhaften Folgen solch eines >Clashs< erwünscht; sie könnte ansatzmäßig vor allem eine >paradigmatische< Umorientierung von Fallstudien vorantreiben. Gerade bei Forster hätte sich dies leicht durchführen lassen, da er doch ein Jahrzehnt später eine zweite First-Contact-Szenenfolge erfahren und reflektiert hat – nämlich im Anrainerland Polen & Litauen.

Die jüngst verlaufene Debatte um die von mir eingeleitete Rekonstruktion des "deutschen Polendiskurses der Neuzeit", an welcher u.a. der Ethnologe Hans-Joachim Althaus mit seinen "Überlegungen zu Georg Forsters Diktum >polnische Wirthschaft<" und der Gesellschaftshistoriker Hans-Jürgen Bömelburg mit der These von der "internationalen Genese und zur Realitätshaltigkeit der Stereotypie der Aufklärung" 10 teilnahmen, zeigt ja, welch gewaltige kognitive Dimensionen in Forsters Aufarbeitung >des Fremden< stecken. Mit einem Seitenblick auf die Erfahrungen der großen Weltreise ließe sich seinem fremden (und durch seine Erfahrungen einer >exotischen< Welt noch zusätzlich geschärften) Blick auf die Stereotypie der polnischen Wirthschaft möglicherweise mehr abgewinnen als zuvor.

Das Forster-Beispiel weist den Weg (und die Holprigkeiten dieses Weges) all denjenigen, die sich im Fundus mehrerer Disziplinen auskennen und denen ethnisch ungleichartige Kulturbereiche offen stehen, daß die "Doppelbindung von First contact und Déjà vu" (vgl. Gerhard Neumann, S. 41) viel mehr enthalten kann. Die Frage, die von Renate Schlesier ("Verdichtete Reiseberichte. Zur Geschichte des Homo Viator", S. 133–148) an den "Typus der philosophischen Reisebeschreibung" (S. 144) im Sinne eines Georg Forsters gerichtet ist, würde dann wohl doch anders lauten. 11

Thomas Keller versucht in dem Beitrag über "Joseph Roth und Bronislaw Malinowski" (S. 167–185) diesen Weg zu gehen. In Malinowskis verzweifelten Anstrengungen, seiner "Herkunftskultur" zu entkommen, ohne dabei "seine >wilde< slawische Herkunft" (S. 171) verleugnen zu können, sieht der Verfasser wohl zu Recht einen Erklärungsansatz für dessen (jüngst immer wieder kritisierte) ethnologische >Meistererzählung<. Man sollte allerdings in allen ähnlichen Fällen mit gebotener Vorsicht vorgehen. So wird u.a. in einem Unterkapitel des Beitrags ("Interkulturelle Literaturwissenschaft: das Wunder") über die >Barmherzigkeit< des polnischen Adligen Morstin aus Roths Erzählung "Die Büste des Kaisers" Stephen Greenblatt mit seinem Band "Wunderbare Besitztümer" als Referenz bemüht. Soweit so gut. Die gesamte Konstruktion bekäme allerdings Risse, sobald man auf die Mentalitätsgeschichte der polnischen (Adels-)Gesellschaft zurückgreifen würde. Der österreichische Kaiser genoß (und genießt bis auf den heutigen Tag) eine mythische Verehrung; und eben die Beachtung dieses Kontextes würde zu einer unterschiedlich sinnstiftenden Ausrichtung der Geschichte führen.

Zusammenfassung

Eine fortwährende Diskussion über den nicht zu übersehenden Kurssturz der Literatur selbst und den der Literaturwissenschaft(en) ist ohne Zweifel überlebensnotwendig. Reicht aber dieser Kurssturz als solcher schon aus, um den zwingenden Übergang in ein neues Paradigmen-Universum zu begründen? Der Münchener Band – sieht man von der auf dem Buchdeckel angebrachten, aus Werbungsgründen verständlicherweise stark verkürzten Formel ab, nach welcher der Band den erwünschten "Übergang [Hervorhebung H.O.], von literatur- zu kulturwissenschaftlicher Forschung" erhelle (wohl im Sinne von "aufklären") –, verspricht zu Recht keine revolutionierte Zukunft der Zunft.


Prof. Dr. habil. Hubert Orlowski
Instytut Filologii Germanskiej Uniwersytet im. Adama Mickiewicza
Al. Niepodleglosci 4
PL-61–874 Poznán
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Ins Netz gestellt am 07.05.2002
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Anmerkungen

1 In bescheidenem Ausmaße wird eine Diskussion um die Kondition der literaturwissenschaftlichen Germanistik auch in den mitteleuropäischen Ländern geführt. Einige Teilnehmer der 1996 in Warschau veranstalteten internationalen Germanistenkonferenz haben das auch ausdrücklich artikuliert. Vgl. Deutsch und Auslandsgermanistik in Mitteleuropa. Geschichte – Stand – Ausblicke. Warszawa 1998, S. 162–296.   zurück

2 Vgl.: Martin Huber / Gerhard Lauer (Hg.): Nach der Sozialgeschichte. Konzepte für eine Literaturwissenschaft zwischen Historischer Anthropologie, Kulturgeschichte und Medientheorie. Tübingen: Niemeyer 2000.   zurück

3 Vgl. Karl Eibl: Autonomie und Funktion, Autopoiesis und Kopplung. Ein Erklärungsangebot für ein literaturwissenschaftliches Methodenproblem mit einem Blick auf ein fachpolitisches Problem. In: Martin Huber / Gerhard Lauer (Hg.): Nach der Sozialgeschichte (Anm.2), S. 175–190.   zurück

4 Helmut F. Spinner, Information oder Wissen – eine Alternative für die Geisteswissenschaften? In: In: Martin Huber / Gerhard Lauer (Hg.): Nach der Sozialgeschichte (Anm.2), S. 385–408.   zurück

5 Vgl. Wolfgang Frühwald: Information oder Wissen? Zur Entwicklung der Geisteswissenschaften und ihrer Literaturversorgung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Rudolf Frankenberger / Alexandra Habermann (Hg.): Literaturversorgung in den Geisteswissenschaften. Frankfurt / M. 1999, S. 10–29.    zurück

6 Wolfgang Frühwald / Hans Robert Jauß / Reinhart Koselleck / Jürgen Mittelstraß / Burckhart Steinwachs: Geisteswissenschaften heute. Eine Denkschrift. Frankfurt / M. 1991.   zurück

7 Abzuwarten ist, inwiefern der Impetus der noch andauernden Diskussion um Günter Grass' Roman "Im Krebsgang" und um das Anrecht der Deutschen auf Erinnerung an eigene Opfer, den Trauma-Diskurs des Holocaust mitgestalten wird.   zurück

8 Heinrich August Winklers recht verblüffendes Bekenntnis zur Tragweite eines "Mythos des Reiches" machen die Ausführungen von Yahya Elsaghe umso spannender. Vgl. Heinrich August Winkler: Der lange Schatten des Reiches. Eine Bilanz deutscher Geschichte. In: Merkur 56 (2002) H. 635, S. 221–233.   zurück

9 Vgl. Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache (stw 312) Frankfurt / M. 1980. Flecks bahnbrechende Überlegungen zum Paradigmenwechsel werden von einem schwer erklärlichen Pech >verfolgt<. Nicht er, sondern Thomas S. Kuhn gilt in der Wissenschaftsgeschichte als Erfinder der paradigmatischen Ausrichtung der Wissenschaft.   zurück

10 Vgl. Hubert Orlowski: "Polnische Wirtschaft". Zum deutschen Polendiskurs der Neuzeit Wiesbaden 1996; Hans-Joachim Althaus: "Wie wäre da deutsche Wirthschaft möglich?" Einige Überlegungen zu Georg Forsters Diktum "polnische Wirtschaft". In: Orbis Linguarum 7 (1997), S. 51–90; Hans-Jürgen Bömelburg: "Polnische Wirtschaft". Zur internationaler Genese und zur Realitätshaltigkeit der Stereotypie der Aufklärung. In: Hans-Jürgen Bömelburg / Beate Eschment (Hg): "Der Fremde im Dorf". Überlegungen zum Eigenen und zum Fremden in der Geschichte. Lüneburg 1998, S. 231–248.   zurück

11 Wie folgenreich der >illuminierende< Zusammenstoß >kolonial< verfremdeter Erfahrungen sein kann, zeigt die Lektüre von Beiträgen im Themenheft "Modernisierung und Modernität in Asien" der Zeitschrift "Geschichte und Gesellschaft" (28, 2002, H. 2).   zurück