Risthaus über Pöggeler: Der Stein hinterm Aug

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Peter Risthaus

Vor dem Stein: ein Leben...

  • Otto Pöggeler: Der Stein hinterm Aug. Studien zu Celans Gedichten. München: Fink 2000. 195 S. Kart. EUR (D) 28,-.
    ISBN 3-7705-3466-2.


Unverständliches ins Verstehen zu übersetzen oder es genau dort schon immer vorzufinden, gibt sich die Hermeneutik als universelles Gesetz vor; vornehmlich, wenn sie sich als eine "philosophische" zu begreifen sucht. Grenze und Motor für solches Verstehen ist auf der einen Seite angeblich "Selbstverständliches", das jene Vorurteile hervorbringt, von denen hermeneutisches Fragen seinen Ausgang nehmen kann. Auf der anderen Seite steht alles, was sich der Sinndimension zu entziehen scheint und häufig als "hermetisch" gescholten wird. Dass Paul Celan zum Dichter gerade der hermeneutisch orientierten Philosophen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geworden ist, wundert daher kaum.

Otto Pöggeler legt eine Sammlung von Vorträgen und Aufsätzen zu Celan vor, die in Nachfolge zu seinem Band Spur des Worts (1984) entstanden sind und bis 1997 reichen. Die Anordnung der Texte ist nicht chronologisch, sondern folgt einer methodischen Entscheidung, die keinesfalls überrascht: "Werden Celans Gedichte verständlich, wenn sie hineingestellt werden in jenen Prozeß, der Leben und Werk übergreift? Ich meine ja" (S. 137)!

Verstehen von Dichtung, ergibt sich demnach in einer wechselseitigen Vermittlung von Leben und Werk des Dichters. Philosophische Hermeneutik hat Hans-Georg Gadamer, in einer kritischen Auseinandersetzung mit seinem eigenen Hauptwerk Wahrheit und Methode, zwischen Phänomenologie und Dialektik gestellt, die besonders im Aufnehmen des dichterischen Werks auf den hermeneutischen Zirkel angewiesen bleibt:

Das Aufnehmen eines dichterischen Werkes, ob das nun durch das wirkliche Ohr vor sich geht oder nur durch jenes innere Ohr, das im Lesen lauscht, stellt sich als eine zirkuläre Bewegung dar, in der Antworten wieder in Fragen zurückschlagen und neue Antworten provozieren. 1

Der hermeneutische Zirkel bleibt bei Pöggeler allgegenwärtig und eine Interpretation der Gedichte Celans – so seine zweite methodische Entscheidung – soll nicht symbolisch, sondern allegorisch sein: "Diese Deutung muß um Celans Ansatz wissen, einen Sinn aus einer letzten Sinnferne zu gewinnen; sie muß das einzelne Gedicht in das Gedichtwerk im ganzen hineinstellen" (S. 118). Dazu ist Pöggeler mehr als prädestiniert, kennt er doch wie kaum ein zweiter das Werk Celans, das er seit den 60er Jahren erkundet.

Für die Umschlaggestaltung wurde findigerweise das Gedicht Ich höre, die Axt hat geblüht aus dem Band Schneepart ausgewählt, das für die vorliegenden Studien pars pro toto-Funktion übernimmt. Die letzten beiden Zeilen gewinnen besondere programmatische Bedeutung: "ich höre, sie nennen das Leben / die einzige Zuflucht". 2 Dem "Leben" des Dichters als übergreifender Referenz kommt bei Pöggeler allein deshalb besondere Bedeutung zu, weil er selbst ein Zeitzeuge ist, der mit Celan gut bekannt war. Mehrfach kommt er auf die ersten Gespräche mit Celan im Jahr 1957 zurück, die intensive Spuren in seinem Gedächtnis hinterlassen haben. Seine Rede driftet dabei nicht selten ins Anekdotische ab, speist sich aus der Erinnerung, was bei den Vorträgen allerdings verständlich ist.

Die Studien sind durchdrungen mit persönlichen Äußerungen Celans, die als >Hauptschlüssel< für die Interpretation dienen. Konsequent werden dabei die Gedichte auf den Tod der Eltern im Lager, die Flucht nach Bukarest, Wien und dann nach Paris oder den Tod seines ersten Sohns François bezogen. Die alles überformende Erfahrung ist dabei das "Leid", das Pöggeler überall zu finden vermeint, bis hinein in Celans "Elementarmetaphorik": "Der Stein, entstanden in gewaltigen Eruptionen und Verschiebungen, ist gleichsam geronnenes Urleid"
(S. 74).

Lyrik – so argumentiert Pöggeler weiter – kann als eine "Sprache unserer Zeit" Geltung beanspruchen, wenn sie in der Lage ist Zeugnis abzulegen für das Unaussprechliche (Leid), das mit dem Namen "Auschwitz" verbunden bleibt. Pöggeler antwortet damit (immer noch) auf Theodor W. Adornos Diktum, dass es nicht möglich sei, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben. Jenen Dichtern, die aus einer Zeugenschaft sprechen, der die Scham des Überlebens eingeschrieben ist, 3 traut Pöggeler zu, lyrisches Sprechen als Sprache unserer Zeit zurückzugewinnen: "Sprache unserer Zeit ist Celans Lyrik in dem Sinn, daß sie das Unheil in unserer Zeit ausspricht, somit der Erinnerung an Verfolgung und Leid den Weg zu einer anderen und besseren Zeit weist" (S. 62).

Seinen methodischen Voreinstellungen folgt Pöggeler äußerst konsequent und ordnet die Vorträge und Aufsätze zu einer Werkbiographie en miniature an. Den Auftakt machen die Anfänge Paul Celans in Czernowitz und Bukarest, gefolgt von seiner Flucht nach Wien und dem Zusammentreffen mit Ingeborg Bachmann. Abgeschlossen wird dieser erste Teil mit dem Neuanfang in Paris und der Jerusalem-Reise. Am Ende wird die Begegnung zwischen Paul Celan und Martin Heidegger stehen. Dazwischen finden sich neben Reflexionen zu den Jerusalem-Gedichten, der Reise nach Rom und dem Verhältnis Celans zu Shakespeare (Übersetzung) und Goethe auch noch ein Kommentar zu Textgenese der historisch-kritischen Ausgabe und ihrem interpretatorischen Wert. Kurzzeitig setzt Pöggeler sich mit anderen Interpretationsangeboten auseinander, vornehmlich denen Jean Bollacks und Hans-Georg Gadamers.

Vom Leben zum Werk und zurück

Celans frühe Dichtungen werden von Pöggeler, in bezug auf den biographischen Versuch von Israel Chalfen 4 , in ihrem Übergang von einem volksliednahen und märchenhaften Charakter, zum Ton von Rilke, George und Trakl beschrieben. Seine erste Interpretation gilt deshalb nicht zufällig dem Gedicht Im Park, ein Thema, das von den drei Autoren ebenfalls aufgenommen wurde.

Die Verortung des Parks in Celans Biographie ist nach Pöggeler für Chalfen relativ eindeutig: "Chalfen sucht in seiner Biographie eine Verortung des Gedichts: in Czernowitz habe es keinen Park mit einem Schwan gegeben; Celan habe sich wohl von Erinnerungen an Bukarest inspirieren lassen" (S. 21). Tröstlich, dass sich Pöggeler nicht ausschließlich auf das >Herumkramen< in der black box von Gedächtnis und Bewußtsein des Autors einläßt. Er wird mit guten Gründen die Entstehung des Gedichts lebensgeschichtlich in Celans Studentenzeit in Tours einordnen. Daneben wird auf eine andere Möglichkeit der Erörterung zurückgegriffen, die Pöggeler bereits seit den 60er Jahren bevorzugt, jene "Toposforschung", 5 die bei der Aneignung des "wirkungsgeschichtlichen Bewußtsein" des Dichters helfen soll: "Mit dem Schwan nimmt Celan ein berühmtes Bild des Symbolismus auf, das auf alte Mythen zurückweist: der Göttervater Zeus kam als Schwan zu Leda" (S. 21).

Der Fortgang seiner Interpretation wirft ein Licht auf die gesamte Studie. Die Strophe "Wie, wenn ein zitternder Stern / sich schälte aus dem Feuer / und fiel' in den See? / In die Wasserrose?", deutet Pöggeler so: "Die Sterne stehen für das Ewige; wer unter die Sterne versetzt wird, bleibt als Sinnbild" (S. 22). "Stehen für" ist die allegorisch-verweisende Operation, die von einem Topos oder einer Metapher zur / zum nächsten führt. Pöggeler hat es auf Bedeutungsganzheiten abgesehen und traut den topoi als Medium hierfür (noch) einiges zu. Gesichert wird dieser Verweisungszusammenhang durch die Referenz auf Celans Lebensgeschichte, die wiederum unter Zuhilfenahme des Werks >gesichert< werden soll.

In der Konklusion zur Interpretation von Im Park, entwirft Pöggeler Eckpunkte der Dichterbiographie: "Muß man nicht darüber erschrecken, daß das Gedicht des achtzehnjährigen Studenten in Tours weit über dessen rumänischen Jahre hinaus schon alles das zeigte, was Leben und Dichten Celans prägen sollte: die Fremde fern der Heimat, die Zuordnung zu Nacht und Einsamkeit, die Kreise im Wasser, die aufkeimende Liebe zu einer Fremden, den fallenden Stern, ja den Tod im Wasser" (S. 22)?

Uns erschreckt eher, wie Pöggeler den hermeneutischen Zirkel über den Texten schließt, denn womit er in seinen Studien zu Celan nicht rechnet, das sind Diskontinuität und Kontingenz. Der Anfang enthält für den Hermeneutiker bereits das Ende. Leben und Werk weben sich ineinander und wenn es zu Brüchen kommt, haben sie nur fragmentarischen Charakter, der, wie wir bereits aus der Romantik wissen, wiederum auf ein (heiles?) Ganzes verweist.

"Unlesbarkeit" 6 darf hier nicht vorkommen. Pöggelers Lektüre hat es auf kontrollierte Totalisierung abgesehen. Ausgeklammert werden alle Erkenntnisse, die zwischen Strukturalismus und Dekonstruktion die Diskontinuität, Materialität und Medialität von Zeichengeschehen und Sinnkonstitution betonen. Nichts scheint sich der Aufhebung in "Leben" und Verstehen zu sperren.

Darum verwundert es nicht, dass Pöggeler kaum auf Formanalysen, schon gar nicht solche mikro-struktureller Art, aus ist. Die allegorische Lektüre wirkt oft vorschnell, etwa wie im obigen Zitat, wenn Pöggeler das Wasser und den möglichen Tod des Rotkehlchens im See mit Celans Tod im Fluß (immerhin auch Wasser?) gleichsetzt. Jemand der Jacques Derrida ungenaue Lektüre vorwirft, weil er – vielleicht aus gutem Grund – ein lebensgeschichtliches Detail nicht in seine >Interpretation< aufnimmt (vgl. S. 167), sollte selbst jede mögliche Differenz betonen und sie nicht per Analogieverfahren beseitigen.

In Pöggelers Diskussion des wechselseitigen Einflusses von Celan und Ingeborg Bachmann fällt die Einseitigkeit seiner allegorischen Lektüre besonders auf. Nachdem er in Bachmanns Roman Malina in Celan den Retter der Prinzessin von Kagran identifiziert hat, stellt er die gewichtige Frage: "Was ist an dieser Dichtung Wahrheit? Werden das Leben Celans und der Dichterin nach der vollen Wirklichkeit hin erfasst" (S. 34)?

Als Kriterium für die Wahrheit von Dichtung entscheidet demnach zuletzt der Gerichtshof Authentizität? Alles spricht dafür, denn Pöggeler fährt fort die Texte anhand der Authentizität von weiteren Äußerungen zu befragen: "Man kann nicht davon absehen, daß Ingeborg Bachmann selbst in Interviews zur Legendenbildung neigte" (S. 34). So notwendig es auch erscheint, die Glaubhaftigkeit und Plausibilität von Aussagen zu prüfen, scheint im Falle von Dichtung solche biographische Verifikation äußerst problematisch zu sein.

Celan so lesen

In der Mitte seiner Studien setzt sich Pöggeler in einem Vergleich von Goethes Divan und Celans Atemkristall mit dem Problem von Symbol und Allegorie auseinander. Im Hintergrund steht die Frage, wie Celan zu lesen sei. Es geht dabei besonders um die Auseinandersetzung mit Gadamer, der in seinem Celan-Buch Wer bin Ich und wer bist Du eine symbolische Lesart bevorzugt und allegorische Entschlüsselung anhand von Aussagen des Autors oder in Rückgriff auf vergleichende Toposforschung ablehnt:

Ein Gedicht, das sich verweigert und weitergehende Klarheit nicht gewährt, scheint mir immer noch bedeutungsvoller als alle Klarheit, die einem durch die bloße Versicherung zuwachsen kann, die ein Dichter über das, was er meinte, abgibt. 7

Hans-Georg Gadamer versucht vom Gesagten der Gedichte auszugehen und weigert sich, in ihnen etwas Gelehrtes zu finden. Pöggeler hält dem entgegen: "Doch ist man schon gelehrt, wenn man gelegentlich in die eine oder andere (von Celan zitierte) Arbeit von Scholem sieht, vielleicht auch einmal in einer (unzugänglichen) Übersetzung des Sohar blättert" (S. 97)? Ein anderer Satz Gadamers scheint bei Pöggeler allerdings eine größere Kränkung hinterlassen zu haben, denn er wird ihn in seiner Studie mehrfach zitieren: "Man komme mir nicht mit vergleichender Topik" (S. 97). Das rührt selbstverständlich an der von Pöggeler bevorzugten topologischen Methode. Er wird Gadamer, dessen Satz er als "Drohung" versteht, mehrfach mit demselben Argument begegnen: Celan habe in seiner Meridian-Rede ausdrücklich die Toposforschung zugelassen, wenn auch "mit Landauer das Licht der Utopie gefordert" (S. 97). Was hier Utopie überhaupt noch heißen kann, wird genausowenig diskutiert, wie Celans radikale Forderung nach einer >Nichtung< der Topoi: "Und das Gedicht wäre somit der Ort, wo alle Tropen und Metaphern ad absurdum geführt werden wollen." 8

Entschieden verteidigt Pöggeler in ausführlichen Interpretationen seinen Ansatz, Celan habe sich, wenn auch in bezug auf Goethe "antagonistisch", an der figuralen Tradition abgearbeitet und sei deshalb mit seiner Dichtung problemlos zu verorten. Jene "Verweigerung" von Celans Gedichten, die Gadamer ernst nimmt, wird von Pöggeler allegorisch aufgefangen:

So muß diese Kunst >allegorisch< sein, nämlich aus der Sinnleere heraus doch wieder Sinn aufbauen, diesen Sinn als das Nichtselbstverständliche und niemals unmittelbar Verständliche durch eine neues und anderes Leben bewähren (S. 99).

Jeder Nicht-Sinn oder gar Un-Sinn, der den Gedichten Celans zu eigen sein könnte, kann durch allegorische Lektüre aus einer Sinnferne in den Sinn zurückgeführt werden. Nur wer diesem Imperativ folgt, wird Vergnügen an dem vorliegenden Buch empfinden. Leser mit anderen theoretischen Präferenzen oder divergenten Lektüreverständnis werden sich über die dargebotene Einseitigkeit manches Mal ärgern.

Am Ende der Auseinandersetzung über ein angemessenes Lektüreverständnis für Celans Dichtung rechtfertigt Pöggeler die Arbeit an der historisch-kritischen Ausgabe, für deren Begründung er sich stark eingesetzt hat. Zusammenfassend wird festgestellt, dass Textgenese als interpretatorisches Hilfsmittel keinen verbotenen Weg darstelle: "Celan selbst hat mit viel Planung, Überlegung und Änderung seine Gedichtbände komponiert. Trotzdem ging in diese Bändchen und in die Ausgaben nicht das Leben der Gedichte im ganzen ein. Wenn man hier Abhilfe sucht, kann Textgenese ein Weg werden, und so braucht sie nicht verboten zu sein" (S. 142). Vielleicht sollte Textgenese jedoch nicht bloß zur Wiederherstellung von Varianten dienen, die z.B. auf Dichterlesungen spontan entstehen. Wenn Gedichte überhaupt "lebendig" sind, führen sie ein Eigenleben, das sich nicht bloß auf "Werke" letzter Hand beschränkt. Welcher Vater sollte hier das Verbot ergehen lassen zu lesen?

Künftige Worte
(Heidegger und Celan)

Begegnungen zwischen Dichtern und Denkern, die auf getrenntesten Bergen hausen, haben stets etwas Erregendes. Wir erwarten von ihnen nichts weniger als die Lösung jenes Rätsels der Wahrheit, die wie ein Symbol an der Grenze zwischen Dichten und Denken zerbrochen zu sein scheint. Martin Heidegger hatte deswegen versucht eine "Zwiesprache" zwischen ihnen anzuzetteln und sich insbesondere Hölderlin dazu ausgesucht. Die Begegnung mit Celan ist von Heidegger kaum – und das gilt umgekehrt genauso für Celan – in Texte gegossen worden. Deshalb wundert es nicht, dass diese >Lücke der Schriftzeugnisse< durch Mutmaßungen geschlossen werden soll, was sie einander noch hätten sagen wollen, können oder sollen, wenn Celan nicht 1970 in den Freitod gegangen wäre. Dabei geht es um Heideggers weitgehend fehlende Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich – nicht bloß der eigenen Verfehlungen. Für Celan sicherlich eine unheilvolle Beziehung zu dem Denker, dessen Werk und Philosophie er bewundert, dessen Rolle im Dritten Reich und dessen beharrliches Schweigen für ihn jedoch schwer zu ertragen waren. Pöggeler, der beide "Gesprächsteilnehmer" sehr gut kennt, versucht in den abschließenden Texten diese Lebensparadoxie auszuschreiben, weitere Informationen dazu bereitzustellen.

Celan hat bei seinem Besuch Heideggers in dessen Hütte Todtnauberg ins Hüttenbuch folgenden Satz eingetragen: "Ins Hüttenbuch, mit dem Blick auf den Brunnenstern, mit der Hoffnung auf ein kommendes Wort im Herzen. Am 25. Juli 1967 / Paul Celan" (zit. nach Pöggeler, S. 172). Im Gedicht Todtnauberg heißt es ähnlich: "die in dies Buch / geschriebene Zeile von / einer Hoffnung, heute, auf eines Denkenden / kommendes / Wort / im Herzen [...]". 9

Neben den vielen biographischen Details, die Pöggeler auf der Suche nach dem "kommenden Wort" vorbringt und die auch einige Irrtümer anderer biographischer Versuche zu Celan aufklären, sucht er nach Spuren des wechselseitigen Einflusses. Es geht ihm darum zu zeigen, das Heidegger der philosophische Einfluß für Celan geblieben ist. Pöggeler gibt einen Einblick in Celans Bibliothek und führt jene Philosophen an, die sich hier finden. Martin Heidegger ist mit 33 Titeln am häufigsten vertreten. Es finden sich allerdings neben Klassikern wie Kierkegaard und Nietzsche auch Texte von Lévinas, Derrida und Bataille. Zurecht wird festgestellt, dass es dazu noch einiges zu erforschen gibt.

Sympathisch bleibt, dass Otto Pöggeler am Ende die Frage nach dem "kommenden Wort" nicht beantwortet. Er erblickt hier erst eine Aufgabe: "Deshalb muß das Gespräch zwischen Celan und Heidegger sich einem neuen und weitem Kontext fügen, wenn es als künftige Aufgabe übernommen wird" (S. 188). Vielleicht deutet Pöggeler damit an, dass der enge Rahmen von Biographie und Toposforschung verlassen werden muß, um hier noch etwas sagen zu können. Die Möglichkeiten dafür stehen bereit, finden jedoch nicht seine Gnade, wie er es in einem Affekt gegen die Dekonstruktion deutlich ausspricht: "Der Dekonstruktivismus muß erkennen, daß es nicht nur Positionen in Frage zu stellen gilt, daß wir auch mit unserer jeweiligen konkreten Situation (z. B. mit unserer Vergangenheit) fertigwerden müssen" (S. 166).

Fazit

Wer an der konsequenten Verortung von Celans Werk in dessen Biographie interessiert ist und die enge hermeneutische Vorgehensweise – zumindest heuristisch – akzeptieren kann, wird viele nützliche Hinweise und Informationen von Pöggelers Studien erhalten. Leser mit divergentem >Theoriehaushalt< kommen hier jedoch kaum zu ihrem Recht. Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit anderen Ansätzen und Vorschlägen der Celan Forschung fehlt.


Peter Risthaus, M.A.
Ruhr-Universität Bochum
Germanistisches Institut
Universitätsstr. 150
D - 44780 Bochum

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Anmerkungen

1 Hans-Georg Gadamer: Zwischen Phänomenologie und Dialektik – Versuch einer Selbstkritik. In: Gesammelte Werke. Bd. 2. Hermeneutik: Wahrheit und Methode II. Ergänzungen, Register. 2. Aufl. Tübingen: Mohr 1993. S. 3–27, hier S. 7.   zurück

2 Paul Celan: Schneepart. In: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Hg. von Beda Allemann und Stefan Reichert unter Mitwirkung von Rolf Bücher. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1986. Bd. II, S. 342.   zurück

3 Besonders eindringlich ist diese problematische Zeugenschaft von Sarah Kofman beschrieben worden, deren Vater in Auschwitz starb. Vgl. dies.: Erstickte Worte. Wien: Passagen 1988.   zurück

4 Israel Chalfen: Paul Celan. Eine Biographie seiner Jugend. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1983.   zurück

5 Vgl. Otto Pöggeler: Dichtungstheorie und Toposforschung. In: Jahrbuch für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. Band V. Köln 1960, S. 89–201.   zurück

6 Vgl. Werner Hamacher: Unlesbarkeit. In: Paul de Man: Allegorien des Lesens. Übersetzt von W. H. und Peter Krumme. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1988. S. 7–29.   zurück

7 Hans-Georg Gadamer: Wer bin Ich und wer bist Du? Kommentar zu Paul Celans Gedichtfolge >Atemkristall<. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1989, S. 10.   zurück

8 Paul Celan: Der Meridian. In: Gesammelte Werke, Bd. III, S. 199.   zurück

9 Paul Celan: Lichtzwang. In: Gesammelte Werke, Bd. II, S. 255.   zurück