Schlichtmann über Becker-Cantarino: Schriftstellerinnnen der Romantik

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Silke Schlichtmann

Literatur von Frauen um 1800 – immer noch
ein Sonderfall der Literaturgeschichte?

  • Barbara Becker-Cantarino: Schriftstellerinnnen der Romantik. Epoche – Werke – Wirkung (Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte) München: C. H. Beck 2000. 320 S. Kart. DM 39,80.
    ISBN 3-406-46515-3.

Inhalt

Die (Nicht)Existenz von Schriftstellerinnen | Ziel und Herangehensweise | Gliederung | Zwischenfazit | 1. Gibt es einen >richtigen< Namen? | 2. Leben und Werk – eine enge Beziehung? | 3. Keine Literatur von Autorinnen ohne Autoren? | Fazit und Desiderat



Die (Nicht)Existenz von Schriftstellerinnen

Es gab sie, und zwar in nicht zu geringer Zahl: Frauen, die um 1800 literarisch tätig waren, dabei an den hochgewerteten Ästhetiken der Klassik und Romantik mitarbeiteten oder aber sich von diesen abgrenzten und innovativ ganz eigene Wege gingen. Schriftstellerinnen, die ästhetisch anspruchsvolle Werke schufen, neben Schriftstellerinnen, die primär für ein an Unterhaltung interessiertes Publikum schrieben. All das und mehr hat die Frauenliteraturgeschichtsschreibung, haben zahlreiche feministische Studien wie Arbeiten der Genderforschung mittlerweile hinreichend deutlich gemacht.

Und doch scheint es manchmal noch, als hätte es sie nicht wirklich – als Schriftstellerinnen – gegeben: In allgemeinen Literaturgeschichten wie auch in aktuellen Überblicksdarstellungen speziell zur Literatur um 1800 wie etwa dem Arbeitsbuch zur Frühromantik von Lothar Pikulik 1 und weitgehend auch noch in dem "Romantik-Handbuch" von Helmut Schanze 2 werden zwar mittlerweile Schriftstellerinnen der Zeit erwähnt und zum Teil auch kurz charakterisiert, aber die Art und Weise der Darstellung macht zugleich deutlich, daß diese schreibenden Frauen noch immer nicht zum >Eigentlichen< der Literatur gezählt werden: Entweder wird ihr Schaffen sehr knapp – oftmals in Sonderkapiteln – abgehandelt oder aber sie finden primär als Musen und Geliebte der männlichen Autoren Erwähnung. In Wiederholung des Geschlechterdiskurses von 1800 werden sie so nochmals ausgegrenzt, abgewertet, marginalisiert.

Schon allein diese ungenügende Auseinandersetzung mit dem literarischen Schaffen von Frauen um 1800 rechtfertigt einen Band wie den vorliegenden; unerwähnt sei aber nicht, was auch Becker-Cantarino hervorhebt, daß es bereits erste positive Beispiele in allgemeinen Darstellungen gibt: "Kindlers Neues Literatur Lexikon" etwa enthält Artikel zu Werken einer ganzen Reihe von Schriftstellerinnen um 1800.

Ziel und Herangehensweise

Barbara Becker-Cantarinos Buch ist als Ergänzung und Korrektur zugleich angelegt – Ergänzung dessen, was anderswo nicht steht, Korrektur dessen, was anderswo nur in verzerrter, verkürzter oder schlichtweg falscher Form steht. "[I]n exemplarischer Auswahl" soll "die literarische Tätigkeit von Autorinnen dar[gestellt werden], die zur Zeit der deutschen Romantik geschrieben haben" (S.11). Das ist vorsichtiger formuliert als der – vielleicht vom Verlag festgelegte – Titel "Schriftstellerinnen der Romantik", denn (allein) einer romantischen Ästhetik lassen sich die im folgenden vorgestellten Autorinnen nicht alle zuordnen. Das ist im Grunde auch der Verf. bewußt, wenn sie davon spricht, daß diese Frauen in "Anlehnung und Abgrenzung an die geistigen und literarischen Strömungen ihrer Zeit – Spätaufklärung, Klassik, Romantik – mit eigenen Texten experimentiert" hätten (S.11), und darauf hinweist, daß es "wenig ergiebig [sei], diese Schriftstellerinnen jeweils einer (aus androzentrischer Perspektive definierten) Epoche bzw. Gruppierung einzufügen" (S.13). Es geht also um das literarische Schaffen von Frauen um 1800, das mit Bettina von Arnim sogar bis weit in die Mitte des 19. Jahrhunderts hineinreicht.

Barbara Becker-Cantarino schreibt vor dem Hintergrund der literaturhistorischen Frauenforschung wie auch den Fragestellungen der neueren Gender Studies – mit einer deutlich erkennbaren Skepsis gegenüber einer (modischen) Praxis dekonstruierender Lektüren. Ihre Herangehensweise ist alles andere als textimmanent, sondern berücksichtigt in der Vorstellung der Werke wie in deren Analyse ausdrücklich den kultur- und literarhistorischen Kontext. Thematisch visiert sie dabei die Schwerpunkte "Liebe, Freundschaft, Patriarchat in ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit" an (S.11). Das jeweilige Thema sucht sie "in behutsamer Annäherung an das historische Subjekt, aus der Sicht der individuellen, historischen Frau und unter Infragestellung der Rolle oder Situation der jeweiligen Person" (S.12) zu behandeln. Hierbei werden Aspekte wie Selbstverständnis der jeweiligen Schriftstellerin, Rollenverhalten, literarische Einflüsse und Beschränkungen mit besonderem Augenmerk auf die Relevanz der Kategorie Geschlecht berücksichtigt. Eine Darstellung also, die sich nicht primär vom literarischen Text herleitet, sondern dem schreibenden Subjekt eine mindestens ebenso große Aufmerksamkeit schenkt.

Gliederung

Das Arbeitsbuch ist in sechs große Kapitel unterteilt:

  1. Rahmenbedingungen für Schriftstellerinnen im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert: Problematik der >Mündigkeit<, >Bestimmung des Weibes< und die >Producte der weiblichen Muse<

  2. Roman und Patriarchat: Ort der Familie, Liebe und der Traum vom Ausbruch

  3. Briefkultur und Geselligkeit

  4. Karoline von Günderrode: Dichtung – Mythologie – Geschlecht

  5. Bettina von Arnim (1785–1859)

  6. Wirkung

1. Hier werden die Sonderbedingungen weiblichen Schreibens herausgearbeitet. Herrschende Geschlechtermodelle (Humboldt, Fichte) werden in ihren Rollenzuweisungen und Wertungen referiert. Die geschlechterdifferenten Sozialisationswege, der unterschiedliche Zugang zu Bildung etc. wird dargestellt. Zugleich zeigt die Verf. auf, was ein männlich codiertes Konzept von Autorschaft für das Schreiben von Frauen vielfach bedeutete (anonyme, pseudonyme Publikationen, explizite Abwertung des eigenen Schaffens etc.).

2. Dieses Kapitel verortet zunächst allgemein die Romanproduktion von Frauen in ihrem literarhistorischen Kontext wie es auch deren literaturgeschichtliche Rezeption beleuchtet, um sich dann in zwei Fallanalysen Therese Hubers "Die Familie Seldorf" (1795 / 96) und Dorothea Schlegels "Florentin" (1801) zuzuwenden. Dabei liegen Schwerpunkte inhaltlich auf der in diesen Texten enthaltenen Patriarchatskritik wie formal in der Auseinandersetzung mit und Modifikation von vorliegenden literarischen Formen (Verabschiedung des Familienromans bei Huber, Parodie des Bildungsromans bei Schlegel).

3. Hier werden zwei zentrale Kommunikationsformen der Romantik dargestellt und diskutiert, in denen – auch von der traditionellen Literaturwissenschaft unbestritten – Frauen eine entscheidende Rolle spielten. Neben einer Entwicklung der Theorie und Praxis des Genres Brief, der "Schule der schreibenden Frauen" (S.150), interessiert besonders, wie diese Textform in andere Gattungen (Essays, Briefroman, Briefbuch) überführt wurde. Becker-Cantarinos Auseinandersetzung mit der Geselligkeit, namentlich den in ihrer Rezeption mythisierten Salons, zeigt einen kritischen Blick auf deren lange Zeit, auch von der Frauenforschung propagierte emanzipatorische Momente. Für die Literaturwissenschaft ist der Aspekt Geselligkeit nicht zuletzt deshalb wichtig, weil die Salonkultur die "Schöne Literatur ebenso beeinflußt hat wie die persönliche [...] Bildung der Individuen" (S.197).

4. und 5. Beide Kapitel konzentrieren sich ganz auf die Darstellung zweier einzelner herausragender Autorinnen und die exemplarische Analyse ihrer Werke. Bei Günderrode geschieht dies mit Schwerpunkt auf die Verknüpfung von Poesie, Mythologie, Liebe und Tod. Bei von Arnim liegt der Fokus auf ihrem Briefbuch "Die Günderode", das als "Auto / biographie einer Künstlerin" gelesen wird.

6. Das Schlußkapitel geht auf die literaturgeschichtliche und literarische Rezeption der >Frauen der Romantik< ein, letzteres am Beispiel von Hannah Arendts Rahel Varnhagen-Buch, Ingeborg Drewitz' Bettina von Arnim-Biographie und Christa Wolfs Karoline von Günderrode / Heinrich von Kleist-Erzählung.

In jedem Kapitel finden sich gute, kommentierte Bibliographien, die durch eine Gesamtbibliographie am Ende des Bandes ergänzt werden. Eine Zeittafel und ein Personenregister runden den Band ab.

Zwischenfazit

Das gesteckte Ziel der exemplarischen Darstellung des literarischen Schaffens von Frauen um 1800 erreicht Becker-Cantarino spielend. Insgesamt hat die Verf. einen – nicht nur als Arbeitsbuch – sehr nützlichen und gut lesbaren Band vorgelegt. Besonders positiv hervorzuheben ist die weitgehende Orientierung an der aktuellen Forschung wie auch die kritische Auseinandersetzung mit derselben. In der Analyse der literarischen Werke erweist sich die Einbeziehung intertextueller Bezüge und des soziokulturellen, literarhistorischen Kontextes als besonders ertragreich. Die verstreuten Hinweise auf Forschungsdesiderate regen zudem zum Weiterdenken und -arbeiten an.

Eine Von-Anfang-bis-Ende-Lektüre freilich wird sich gelegentlich an Überschneidungen und Wiederholungen stören (die teilweise sehr eng aufeinander folgen, wenn dem Leser etwa auf S.86, 90 und 94 mitgeteilt wird, daß Therese Huber ihre Anonymität erst nach dem Tod ihres Vaters aufgab). Und natürlich könnte man – wie wohl bei jeder Arbeit, die ein sehr großes Korpus an Primär- und Sekundärliteratur zu bewältigen hat – hier und da auf Ungenauigkeiten, Auslassungen und unbeantwortete Fragen hinweisen. So werden z.B. mehrfach Wissenschaftlernamen – neben ebenfalls vorhandener Richtigschreibung – falsch wiedergegeben: Da wird aus Birgit Bosold Brigitte Bezold (S.156), Wolfgang Bunzel heißt Martin Bunzel (S.240) und Karl-Heinz Hahn schreibt sich auf einmal mit einem "C" (S.228). Oder man könnte bemängeln, daß in den Ausführungen zum weiblichen Lesen die Polemiken der >Lesesucht<-Kritik einfach zu Aussagen über die historische Realität erhoben werden. Doch schmälern diese und ähnliche Mängel nicht den generellen Wert des Bandes.

Eine Kritik, die ich etwas ausführlicher anführen möchte, liegt denn auch auf einer anderen Ebene und versteht sich vielmehr als eine Formulierung offener Fragen. Diese beziehen sich auf drei eng miteinander vebundene Aspekte, die darauf hinweisen könnten, daß der Umgang mit der Literatur von Frauen immer noch spezifische Probleme nach sich zieht – selbst wenn es eine ausgewiesene Kennerin der Romantik und der Literatur von Frauen wie Becker-Cantarino ist, die schreibt. Es geht um die folgenden Punkte:

  1. das Problem des Namens

  2. die Verbindung von Leben und Werk

  3. der Zusammenhang von weiblichem und männlichem Schaffen

1. Gibt es einen >richtigen< Namen?

Spätestens seit Barbara Hahns essayistischer Studie "Unter falschem Namen" 3 ist das Problem bekannt:

Wir sprechen von Goethe und Kafka, von Schiller und Benn. Wir sagen: die Günderrode, aber nicht der Novalis. [...] Wir sprechen von Bettina, Rahel und Caroline, als ob wir in familialer Intimität mit ihnen Umgang pflegten [...] von Dorothea Schlegel und Caroline von Humboldt, als ob eine schreibende Frau nur im Schatten eines anderen Namens überliefert werden könnte, dem des schriftstellernden Gatten. 4

Und damit ist Hahns Aufstellung noch nicht einmal zu Ende. Kurz: Das Reden über Schriftstellerinnen geschieht mit anderen Voraussetzungen, aus einer anderen Perspektive und in anderer Form als das über Schriftsteller. Den >einen< Namen gibt es hier nicht. Das ist mitbedingt durch die geschlechtliche Codierung moderner Autorschaft, die eindeutig männlich ist. Und das hängt auch mit den damit verbundenen Publikationsgewohnheiten von Frauen zusammen, die vielfach auf die Nennung des eigenen Namens verzichten. 5

All das weiß Becker-Cantarino und weist auch ausdrücklich mit kritischem Unterton darauf hin (z.B. S.260). Wie aber beantwortet sie nun selbst die Benennungsfrage? Wie heißen die schreibenden Frauen bei ihr? Macht Becker-Cantarino einen plausiblen Vorschlag, wie mit dem Namensproblem umzugehen wäre? Eher nicht: Auch bei ihr ist die Rede von Therese, von Bettina und Karoline. Und neben Therese steht Forster oder Huber als Bezeichnung für den jeweiligen Ehegatten. Eine Wiederholung der Praktiken der älteren Literaturgeschichte also? Nicht ganz, denn auch die Autoren müssen sich bei Becker-Cantarino zuweilen, allerdings deutlich seltener, mit der Nennung allein ihres Vornamens begnügen. Zudem gibt es auch Passagen, wo dann allein der Nachname für eine Autorin steht.

Allerdings: Ein System ist bei all dem nicht erkennbar. Könnte man zunächst noch denken, der Frau werde der Vorname dort zugewiesen, wo sonst Verwechselungen auftreten könnten (etwa, daß man fragen müßte, ob mit "Schlegel" Friedrich oder Dorothea Schlegel gemeint sei – ein Problem, dem man allerdings auch auf andere Weise aus dem Weg gehen könnte), so wird bald deutlich, daß dies nicht der Fall ist. Die vertrauliche Benennung mit Vornamen taucht bei den Autorinnen auch dort auf, wo die Möglichkeit von Verwechselung ganz ausgeschlossen ist.

Sollte diese verwirrende Namenspraxis Methode haben, also dem Ziel dienen, den Leser auf die Problematik der Benennung hinzuweisen, dann hätte dies explizit artikuliert werden müssen. Vielleicht kann es für viele Autorinnen der Epochenschwelle um 1800 ja tatsächlich nicht den >einen<, den >richtigen< Namen geben. Vielleicht muß man sich mit künstlichen Bezeichnungen behelfen, Kompromisse finden, die Differenz deutlich machen. Aber selbst wenn dies so sein sollte, wäre es auf jeden Fall immer sinnvoll und wünschenswert, die Kriterien für die jeweils gewählte Benennungspraxis offenzulegen. Denn mit der Form des Namens werden unterschwellig auch bestimmte Konzepte der Verknüpfung von Autorschaft und Geschlecht vermittelt.

2. Leben und Werk – eine enge Beziehung?

Barbara Becker-Cantarino kritisiert zu Recht, daß die von ihr vorgestellten Schriftstellerinnen lange und nicht selten noch immer nur als Musen, Lebensgefährtinnen, Geliebte eines männlichen Autors wahrgenommen wurden und werden oder, wenn sie denn doch einmal selbst im Zentrum des Interesses standen, es zumeist primär ihr Leben war, das betrachtet wurde. Wie sieht es in dieser Hinsicht nun in ihrer eigenen Darstellung aus? Es fällt schnell auf, daß Becker-Cantarino dem Leben der Schriftstellerinnen relativ breiten Raum gibt. Ein deutlicher Schwerpunkt liegt auf der Präsentation der Biographie der jeweils behandelten Schriftstellerin.

Das erklärt sich aus dem explizit formulierten Ansatz der Annäherung an das jeweilige historische Subjekt Schriftstellerin. Und es hat auf jeden Fall seine Berechtigung, wenn man z.B. versuchen will zu klären, unter welchen Bedingungen Frauen geschrieben haben, wo in der Sozialisation, in der Bildung, den Anregungen, Einflüssen etc. von außen eventuell entscheidende Differenzen zu den Schreibvoraussetzungen der männlichen Kollegen lagen. Darüber hinaus macht es sicherlich einen Unterschied, ob das Leben nur für sich oder aber im Blick auf die Möglichkeiten des Schreibens erzählt wird.

Dennoch ist eine solche Darstellungsweise nicht ganz unproblematisch. Denn ungewollt kann sie dazu beitragen, unterschwellig die Vorstellung von einer besonders engen Koppelung von Leben und Werk gerade in der Literatur von Frauen zu verstärken – und damit nur allzu leicht eine Abwertung weiblichen Schaffens zu befördern. Als könnten diese Texte nur aus dem Leben der jeweiligen Verfasserin heraus verstanden werden und hätten nichts >Eigenes<. Das aber ist – wie Becker-Cantarinos Buch ebenfalls deutlich macht – ja keineswegs der Fall.

Wie also das Problem lösen? Indem das Leben der Autoren ebenso breit dargestellt wird wie das der Autorinnen, um so einer Sonderbehandlung zu entgehen? Aber kann dafür ein Buch, das sich dezidiert mit der Literatur von Frauen befassen will, der Ort sein? Also hier vielleicht eher die biographischen Darstellungen etwas kürzen, da doch das literarische Schaffen, die Werke letztlich im Vordergrund stehen sollen? Oder ist dies nicht möglich, weil die Kategorie Leben in der Produktion der Schriftstellerinnen eben doch eine ganz andere Rolle spielt als bei den männlichen Kollegen? Aber >andere Rolle< muß ja nicht unbedingt heißen: relevantere Rolle, sondern wohl eher und höchstens, daß es unterschiedliche lebensgeschichtliche Faktoren im Voraussetzungssystem des Schreibens sind, die bei Männern und Frauen in bedeutsamer Weise wirken. 6 Wäre also vielleicht ein Mittelweg möglich, um einen zu engen Frauen-Leben-Konnex mit den nun einmal durch die traditionelle Literaturgeschichte daran hängenden Implikationen zu vermeiden? Wie könnte, sollte er aussehen?

3. Keine Literatur von Autorinnen ohne Autoren?

Während die sogenannten allgemeinen Literaturgeschichten lange scheinbar problemlos auf die Darstellung des Schaffens von Schriftstellerinnen verzichten konnten und es zum Teil noch immer tun, scheint für die Beschäftigung mit Autorinnen ein Wissen um das Werk der zeitgenössischen Autoren nahezu unabdingbar zu sein.

Das wird bei Becker-Cantarino mehrfach deutlich durch Verweis auf intertextuelle Bezüge, mit Männernamen verbundene ästhetische Programme oder auch ganz konkret, wenn im Kapitel zu Dorothea Schlegels "Florentin" zunächst ausführlich Friedrich Schlegels "Lucinde" vorgestellt wird. Diese Vorgehensweise Becker-Cantarinos ist keineswegs zu kritisieren, bringt die Gegenüberstellung doch eindeutig einen Erkenntniszuwachs. Zu bemängeln ist eher, daß in Darstellungen >männlicher< Literatur der Kontext >weiblichen< Schaffens so oft ausgeblendet bleibt, als fände Beeinflussung, Rezeption stets nur in geschlechtsspezifischer Einbahnstraße statt. So lange Abhandlungen über >männliche< sich derart von denen über >weibliche< Literatur unterscheiden, wird die – auch wissenschaftliche – Sonderstellung der Literatur von Frauen kaum abgebaut werden.

Zu einer Festigung dieser Sonderbehandlung trägt auf einer anderen Ebene leider auch Becker-Cantarino Band bei, und zwar im Aufbau der am Ende ihrer Ausführungen abgedruckten Zeittafel. Diese besteht aus vier Rubriken:

  1. Schriftstellerinnen

  2. Literatur und Kultur

  3. Sozial- und politische Geschichte

  4. Technik, Neuerungen, Naturwissenschaften.

Die Schriftsteller werden unter Punkt 2 aufgeführt. Die Schriftstellerinnen aber, als würden sie in die Rubrik der allgemeinen "Literatur und Kultur" nicht recht passen, erhalten einen Sonderpunkt zugewiesen. Zwar ist diese Aufteilung aus dem Hauptinteresse des Bandes heraus verständlich, dennoch bedeutet sie letztlich eine weitere Form von Separierung weiblichen literarischen Schaffens.

Fazit und Desiderat

Noch einmal und deutlicher: Wer einen guten Einstieg in die Literatur von Frauen um 1800 haben will und darüber hinausgehend fundierte Analysen und intensive Forschungsdiskussion lesen möchte, wird in Zukunft stets auch zu Barbara Becker-Cantarinos "Schriftstellerinnen der Romantik" greifen müssen. Das selbstgesteckte Ziel – und allein daran ist ein Buch zu messen – der exemplarischen Darstellung des Schreibens von Frauen um 1800 erreicht dieser Band voll und ganz.

Abseits dieses positiven Fazits sei jedoch festgehalten: Wer ein Arbeitsbuch zur Literatur der Romantik in Händen halten will, das nicht durch die eine oder andere Form von Geschlechtszensur geprägt ist, das die Werke von Autoren und Autorinnen gleichermaßen berücksichtigt und dabei auch die Relevanz der Kategorie Geschlecht in ihren verschiedenen Einflußmöglichkeiten berücksichtigt, wird sich wohl noch ein wenig gedulden müssen; ein solcher Band existiert für die deutschsprachige Literatur bisher nur als Wunsch.


Dr. Silke Schlichtmann
Merianstraße 28
D-80637 München

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Ins Netz gestellt am 26.03.2002
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Anmerkungen

1 Lothar Pikulik: Frühromantik. Epoche – Werke – Wirkung. München: C. H. Beck 1992.   zurück

2 Helmut Schanze (Hg.): Romantik-Handbuch. Stuttgart: Kröner 1994.   zurück

3 Barbara Hahn: Unter falschem Namen. Von der schwierigen Autorschaft der Frauen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991.   zurück

4 Barbara Hahn (Anm. 3), hier S.7.   zurück

5 Vgl. dazu Susanne Kord: Sich einen Namen machen. Anonymität und weibliche Autorschaft 1700–1900. Stuttgart / Weimar: Metzler 1996.   zurück

6 Es sei erinnert an Ruth Klügers These von der unterschiedlichen Auswirkung der Konfession auf die literarische Produktivität von Männern und Frauen, wonach das die >männliche< Produktion beflügelnde protestantische Milieu >weibliches< Schreiben eher verhindert habe, die literarische Produktion von Frauen eher vom Katholizismus ihren Ausgang genommen habe. Ruth Klüger: Zum Außenseitertum der deutschen Dichterinnen. In: Helga Gallas / Magdalene Heuser (Hg.): Untersuchungen zum Roman von Frauen um 1800. Tübingen: Niemeyer 1990, S.13–19.   zurück